von 06.06.2013

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Der Deutsche Presserat hat eine Rüge gegen die taz ausgesprochen. Mit der Überschrift „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“ zur Papstwahl habe die taz grob gegen das Sorgfaltsgebot verstoßen. Die Nähe Bergoglios zur argentinischen Militärdiktatur sei nicht ausreichend bewiesen, um sie als Tatsache darzustellen. Bergoglios Ehre werde verletzt, indem die taz ihn ohne ausreichende Belege in die Nähe eines Regimes rückte, das Zehntausende von Menschen ermordet hat. In Ziffer 2 des Pressekodex heißt es: „Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.“

Nicht beanstandet wurden vom Presserat scharfe Bewertungen in einem Kommentar von Deniz Yücel wie „Alter Sack I folgt Alter Sack II“ oder „esoterischer Klimbim“ als Bezeichnung für katholische Dogmen. Wegen der Veröffentlichung waren fast 50 Beschwerden beim Presserat eingegangen, darunter auch eine von der Zeitung des Bistums Speyer.

Die Stellungnahme von taz-Chefredakteurin Ines Pohl:

Neben anderen ausgewiesenen Experten hat der Investigativjournalist Horacio Verbitsky Erkenntnisse darüber, dass Jorge Bergoglio, der aktuelle Papst, in den 70er Jahren der letzten Perón-Regierung intensiv verbunden war und Jesuiten bei der Junta angeschwärzt hat. Davon hat er unter anderem auch in einem taz-Interview berichtet. Die Schlagzeile ist unter dem Eindruck dieses Interviews und weiterer Recherchen entstanden. Im Nachhinein ist die Zuspitzung in dieser Form nicht gelungen, da die Vorwürfe gegen Bergoglio letztlich nicht eindeutig belegt sind und es auch andere, durchaus glaubwürdige Darstellungen über sein Verhalten während der Diktatur gibt. Damit sind wir in diesem Fall übers Ziel hinaus geschossen.

Für die taz gilt gleichwohl grundsätzlich, dass wir in unserer Kritik immer wieder ganz bewusst an Grenzen gehen. Und so anfragen wollen, ob vermeintliche gesellschaftliche Vereinbarungen – auch was die Benennung oder eben Tabuisierung von Konflikten anbelangt – richtig oder falsch sind. Manchmal gelingt uns dadurch eine Zuspitzung, die in einer besonderen Klarheit Missstände aufzeigt. Es muss immer um einen Erkenntnisgewinn gehen, nicht aber um eine Respektlosigkeit an sich. Ich kann Ihnen garantieren, dass es weder den Machern der Überschrift noch dem Autor des Kommentars darum ging, Verachtung für die Katholiken und ihrer Kirche zum Ausdruck zu bringen. Wir freuen uns, dass der Presserat in seiner Bewertung des Kommentars keine Verletzung von religiösen Gefühlen festgestellt hat.

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https://blogs.taz.de/hausblog/papst-franziskus-presserat-ruegt-taz-titelseite/

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kommentare

  • Jesuiten haben Geschichte und Tradition: Der Zweck heiligt die Mittel. Der neue Papst wird hier zunächst als Jesuit/südamerikanischer katholischer Würdenträger angesprochen. So wie Benedikt als Vertreter des NS-Systems, obwohl er persönlich mit Sicherheit keine Schuld an den Verbrechen des 3. Reiches trägt.

    Eine Kollaboration der kath. Kirche – insbesondere des Klerus – mit Militärdiktatoren war eher die Regel als die Ausnahme. Insofern geschieht dem Papst mit der Überschrift mglw. persönlich unrecht, als Vertreter eines Ordens, der in der Vergangenheit nicht sehr zimperlich vorging, und als Vertreter des lateinamerikanischen Klerus wohl kaum.

    Im Übrigen überwiegt im Taz-Titel eindeutig die provozierend-satirische Geste.

  • Fred Feinbein: Also ich habe die Überschrift schon so verstanden, dass wir sie genau so meinen. Hitlerjunge ist ja auch eine zutreffende Tatsachenbehauptung und auch wenn man unser Interview mit Horacio Verbitsky liest, muss man den Eindruck bekommen, dass dessen Vorwürfe ernst und nicht satirisch gemeint sind.

  • @Fred:
    Humoristisch-satirisch kann man aber auch nicht immer als Feigenblatt nehmen, um Verleumdungen zu verharmlosen.

    Nehmen wir an, Kachelmann und Türck wären auf einem Foto zu sehen, im Hintergrund ein Minigolfplatz, und es wird getitelt:“Vergewaltiger suchen nächstes Loch“.

    Ist da eine falsche Tatsachenbehauptung in Ordnung, weil sie in einem Satz steht, der humoristisch-satirisch gedacht ist? Und wie würde man sich selbst fühlen, wenn medial ständig nachgetreten wird?

    Ja, es gibt irgendwo eine feine Grenze, was in Ordnung ist und was nicht mehr in Ordnung ist. Hier meint der Presserat, das war etwas über der Linie. Ob ich diese genau dort auch gezogen hätte, weiss ich nicht. Aber zumindest kann ich die Linie nachvollziehen.

  • „Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.”“
    Wo fangen wir denn da an? Adam und Eva? Kain und Abel? Die Zeugung Christi? oh! Moses, der das Meer geteilt hat…
    … oder bei der Behauptung, dass getroffene Hunde bellen?

  • @Fred Feinbein: Das sehe ich auch so. Da wirkt die Selbstkritik von Frau Pohl in dem Punkt m.E. doch etwas zu berechnend.

  • Verstehe ich nicht: Die Überschrift „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“ war doch eindeutig humoristisch-satirisch gemeint, insofern ist diese Zuspitzung durchaus gelungen und in Ordnung. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das wortwörtlich zu nehmen, die Mehrheit der Leser sicher auch nicht.

  • Wenn mich jemand „ein politisches Arschloch“ nennt: ich dementiere dies – ich bin nicht politisch.

    „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“
    +
    „Die Nähe Bergoglios zur argentinischen Militärdiktatur sei nicht ausreichend bewiesen“

    Das „Hitlerjunge“ wird in diesem Zusammenhang als „pöh, wissen wir doch alle, ist normal“ verschmitzt abgetan – das ist zumindest bedenklich.

    Schlussendlich aber bleibt die Satire: eine der genialsten Titelseiten von damals.

  • „Nicht beanstandet wurden vom Presserat scharfe Bewertungen in einem Kommentar von Deniz Yücel“ Och, schade für Herrn Yücel. Das hätte ihn bestimmt sehr gefreut. (Keine Ironieanzeige)

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