Der sympathische und eigenwillige Handverkäufer der taz und von Le Monde diplomatique in Berlin, Richard N. French, ist Ende Oktober verstorben. Er hat mehr als drei Jahrzehnte lang allabendlich von Schöneberg startend, die Institutionen und Leser*innen hauptsächlich in Wilmersdorf und Charlottenburg mit der taz-Ausgabe und monatlich auch mit Le Monde diplomatique versorgt.
Wirte, Stammkund*innen und treue Leser*innen der taz in den Institutionen, Restaurants, Cafés und Kneipen (des alten Westens) kannten ihn als Gesicht der taz. (Er erzählte, dass einige der prominenten grünen Politiker*innen ihm gerne eine taz abkauften, selbst wenn sie über ein Abo verfügten.)
In den ganzen Jahrzehnten ist an Fehltagen vermutlich kaum eine ganze Woche zusammengekommen – eine schwerwiegende Panne, ein Unfall, eine Kurzreise übers Wochenende – rare Ausnahmen. Wenn er es im Voraus wusste, kümmerte er sich um Vertretung und oft übernahm er auch die Vertretung seiner Kolleg*innen, wenn sie verhindert waren oder Urlaub machten.
Ein Polymath, mit taz und lmd auf dem Fahrrad unterwegs
Anfang November 2019 tauchte er plötzlich nicht mehr auf. Eine bis zu jenem Zeitpunkt nicht bemerkte, jedoch schon sehr weit fortgeschrittene Krebserkrankung verhinderte die Fortsetzung der abendlichen Touren auf dem Fahrrad. Nach Beratungen mit verschiedenen Ärzten entschied er sich zu einer ambulanten Therapie. Seine hervorragende Konstitution, seine Willensstärke und einige kluge Entscheidungen haben ihm danach noch vier gute, lebenswerte Jahre ermöglicht.
Unermüdlich widmete er diese Zeit weiterhin dem Studium seiner geliebten Bücher, dem Kanon der Literatur, der Philosophie und der Werke Shakespeares im Besonderen und stellte noch eine umfangreiche digitale Bibliothek zusammen.
Um all dies endlich tun zu können, war er vor etwa vier Jahrzehnten aus seinem früheren Leben als Ingenieur der Computertechnik im boomenden Silicon Valley ausgestiegen und nach Europa aufgebrochen. Die erste Station seiner Reise war Helsingör, Schauplatz von Shakespeares Hamlet; Paris, London, München und Berlin folgten.
In seinen letzten Stunden entfernte er sich ganz allmählich in Seelenruhe und Frieden immer weiter von dieser Welt. Entgegen allen Vorhersagen und Befürchtungen blieben ihm wunderbarerweise physische Qualen, Ängste und Kämpfe erspart. Er war bis zuletzt Autor seines Lebens.
Cherishing every moment we shared
Me, myself and I are all in love with him
D.
Zur deutschen Übersetzung von Shakespeares „Sonett 66“
ach, erst heute lese ich in der taz von morgen den hinweis, dass richard verstorben ist. ich habe 12 jahre in einem nicht mehr existierenden lokal – nein, einer institution! – in wilmersdorf gejobbt. la estancia, bundesallee ecke badensche. richard war der grund, dass ich nach meinem auszug aus einer charlottenburger wg, die taz nicht gleich wieder abonniert habe: ich habe sie bei ihm gekauft und mich über touché nachts noch vor dem schlafengehen gekringelt. den ernst des lebens habe ich für’s frühstück gelassen. auch der eigner des lokals – senda san, wie richard aus der ferne und auf verschlungenen wegen in dieses eigenartige west-berlin verschlagen – begann eines abends, und von da an jeden abend, ein exemplar zu erwerben. ganz sicher nicht, weil er auf taz-wellenlänge gedacht hätte. nein, weil es richard war, der sie brachte. und so wurde, kaum betrat richard das lokal, ein tequila für ihn auf den tresen gestellt, den er, bevor er weiter zog, gerne und mit biss in die zitronenscheibe annahm.
wie schade, dass er nicht auf dem neuen taz-friedhofsplatz liegt, denn da um die ecke wohne ich jetzt und besuche diesen oft und würde also auch richard besuchen. er war besonders. und besonders positiv.
und: schönes bild von ihm!