Auf seiner Facebook-Seite hat der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, gestern die Mitschrift der Verhandlung vor dem Landgericht Berlin am 15.8. veröffentlicht, in der die taz zu einer Geldentschädigung an den Autor Thilo Sarrazin verurteilt wurde. Der Ex-Bundesbanker und SPD-Angehörige hatte geklagt, weil er sich von der taz-Kolumne „Der Ausländerschutzbeauftragte“ von Deniz Yüczel beleidigt fühlte. Erfolglos hatte taz-Anwalt Jonny Eisenberg vor Gericht damit argumentiert, dass es sich bei dieser Kolumne um eine Satire handelt und dass ein nach seinem Buch Buchs „Deutschland schafft sich ab“ sogar von der UN wegen rassistischer Haltungen gerügter Autor wie Sarrazin eine solche satirische Kritik sehr wohl hinnehmen müsse.
Der taz liegt die von Kai Diekmann gepostete Mitschrift nicht vor, aus deren faksimilierter Ansicht wir hier nur zitieren können:
Besetzung der Richterbank: Mauck, Dr.Himmer, Becker, 1 Referendar
Verhandlung: Dr. Sarrazin (Schertz Bergmann, vertreten durch RA Prof. Dr.Schertz, RA Dr. Gorski)./. TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH (Eisenberg, Dr.König, Dr. Schork, vertreten durch RA Eisenberg) 12.00 Uhr (T), Az: 27 0 183/13
Verhandlungsablauf: Beinahme-Schlägerei zwischen den Anwälten, extrem lautstark. Alle Anwesenden wirkten danach verstört. Hr. Schertz und Hr.Gorski stehen in Roben am Kläger-Pult, Hr. Eisenberg sitzt überwiegend, den Motoradhelm neben den Akten platziert. (…)
Schertz: Meinen Mandanten wünscht man als Krüppel zu sehen. Das ist doch wohl das Allerletzte… (liest noch einmal erregt vor)…„den man auch dann eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkretaur nennen darf, wenn man weiß, dass dieser durch einen Schlaganfall derart verunstaltet wiurde, und dem man nur wünschen kann, dass der nächste Schlaganfall sein Werk gründlicher verrichtet“. Für diese Äußerung gibt es keinerlei Rechtfertigung. Hier ist die Menschenwürde getroffen, bei der es keine Abwägung mehr gibt. Ende Banane! Hier geht nichts mehr! Dagegen war der Fall Diekmann gegen die taz (2002) damals reiner Kindergeburtstag. Selbstverständlich mußte er als BILD-Chefredakteur etwas mehr hinnehmen.(Anm: Diekmann hatte die taz wegen eines satirischen Artikels über eine Penisverlängerung verklagt, das Gericht hatte befunden, dass er eine Persönlichkeitsrechtsverletzung hinnehmen müsse.) Hier dagegen ist die Menschenwürde verletzt. Da muss eine Geldentschädigung rauskommen. Hr. Sarrazin hat sich berechtigterweise am Meinungskampf beteiligt, er ist Demokrat, SPD-Mitglied, er hat sich nicht strafbar gemacht! Er hat sich vollkommen im Bereich der Meinungsfreiheit bewegt – das wissen Sie doch aber auch – Hr. Mauck. Hier müssen Gerichte und der Staat eingreifen!
Himmer (beleidigt): Hr. Mauck entscheidet nicht alleine
Eisenberg (laut dazwischen): Hr. Vorsitzender, das ist doch eine „Anmaßung“, nicht nur solche Anträge zu stellen, sondern auch noch ein Privatgespräch mit Hr. Himmer zu führen (Schertz und Himmer diskutieren währenddessen leise miteinander weiter… Brüllt, aufstehend – aber noch am Stuhl bleibend, mit den Armen nach vorne rudernd: ) HAAALLOO, Hr. PROFESSOR!
(Nimmt seine Motoradjacke in die Hand, geht Richtung Fenster) Der bedroht mich und Sie auch, Hr. Mauck. Da gehe ich lieber…
Mauck: Die Kammer fühlt sich nicht bedroht. Bitte setzen Sie sich doch wieder!
Schertz (rot anlaufend, sehr erregt): Ich werde einen Strafantrag gegen Sie stellen!!!
Eisenberg (zu Mauck): Er will einen Strafntrag stellen…
Schertz: Jawohl! Ich muss sogar einen Strafantrag wegen Beleidigung stellen!
Eisenberg. (ruhiger, auf seinen Platz zurückgehend): In der Sache gebe ich zu bedenken, was ich auch schon ausführlich in der Klageerwiderung geschrieben habe… Es ist doch so, dass die Leser die Kolumne nicht als Aufruf für einen Vernichtungswunsch oder Todeswunsch wahrhnehmen und den Mann erkrankt sehen wollen…. Der Leser versteht das jedenfalls nicht so. Wie ist das nun zu verstehen. Dazu muß man den „Hintergrund“ kennen.(…)
(…)
Schertz: Was erzählen Sie denn hier für einen Schwachsinn! Es liegt eindeutig eine Schmähkritik vor und Ihr Rechtsverständnis ist nicht einmal eines Amtsrichters würdig!
(Anmerkung: Rechstanwalt Christian Schertz sieht sich hier falsch zitiert: “Ihr Rechtsverständnis ist nicht mal eines Amtsrichters würdig” habe er keinesfalls gegenüber Eisenberg gesagt. Schertz behauptet: Nach Eisenbergs angeblicher Äußerung, er werde den Amtsrichter, der gegen den taz-Autor wegen Beleidigung einen Strafbefehl erlassen habe, schon auf Kurs bringen, habe er, Schertz, folgendes geantwortet: “Schön zu wissen, Herr Eisenberg, was Sie für ein Rechtsverständnis von Amtsrichtern haben.” Schertz hat daher gegen die taz eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der der taz die Wiedergabe des Protokolls untersagt wurde. Das Landgericht Berlin hat am 29. Oktober 2013 die einstweilige Verfügung aufgehoben und dies wie folgt begründet (LG Berlin 27.0.533/13):
„Im Hinblick auf die außerordentlich detailgetreue Mitschrift der Verhandlung bestand kein Anlass für die taz daran zu zweifeln, dass sich die Verhandlung so, wie beschrieben, abgespielt hat. Da die Mitschrift von Diekmann auf seiner Facebook-Seite unbeanstandet wiedergegeben wurde, durfte sie zunächst von deren inhaltlicher Richtigkeit ausgehen. Nachdem sie davon erfahren hatte, dass der Schertz sich falsch zitiert gesehen hat, hat sie darauf in ihrem Update hingewiesen. Damit hat die taz entsprechend einem Markt der Meinungen die gegenseitigen Positionen hinreichend dargestellt, so dass sie auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verbreiterhaftung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, da die Unwahrheit der Äußerung nicht feststeht. Unabhängig davon ist … davon auszugehen, dass Schertz sich so, wie zitiert, geäußert hat. Die erkennenden Richter, die an der damaligen Verhandlung beteiligt waren, können sich zwar an den genauen Wortlaut der Äußerung Schertz nicht mehr erinnern. Sie können sich aber sehr wohl daran erinnern, dass Rechtsanwalt Eisenberg Ausführungen dazu gemacht hat, weshalb der ohne Stellungnahme des taz-Journalisten ergangene Strafbefehl keinen Bestand haben werde. Darauf hat Schertz entgegnet. Die Darstellung der Protokollantin zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Detailgenauigkeit aus. Der Hergang der mündlichen Verhandlung ist zutreffend geschildert. Auch die Sachargumente der beteiligten Anwälte sind zutreffend wiedergegeben. Ganz offensichtlich hat die Protkollantin wörtlich protokolliert. Nachdem sie an Eides statt versichert hat, in Bezug auf die streitgegenständliche Äußerung auch richtig mitgeschrieben zu haben, ist mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, dass sich Schertz tatsächlich so, wie wiedergegeben, geäußert hat. … Die entgegenstehenden anwaltlichen Versicherungen vermögen diese Glaubhaftmachung demgegenüber nicht zu erschüttern, zumal die Anwälte an der turbulenten Verhandlung mit zum Teil heftigen Wortwechseln teilgenommen haben und deshalb nicht unbedingt über ein sicheres Wissen darüber verfügen, was in der Hitze des Gefechts tatsächlich alles gesagt worden ist. Auch die E-Mail des Herrn K. (einem Zuschauer aus rechtsextremen Milieu, der Blogwart) ist insoweit nicht behilflich, da er etwas anderes gehört haben will, als Schertz behauptet gesagt zu haben…. Schertz konnte im Übrigen auch nicht genau sagen, was er denn nun eigentlich gesagt haben will, sondern nur, was sinngemäß gesagt worden sei. … Im Hinblick darauf, dass das streitgegenständliche Zitat für die Entscheidung des Vorprozesses völlig unerheblich war, in der Verhandlung vieles gesagt wurde, was besser nicht hätte gesagt werden sollen (Angriffe jeweils gegen den gegnerischen Anwalt) und als einzige neutrale Zeugin mit einer konkreten Erinnerung Frau Dr. Kraenz zur Verfügung steht, ist von ihrer Darstellung, also der Richtigkeit des Zitats auszugehen.“
Der Blogwart, 31.10.2013 )
Eisenberg: Dann will der auch noch einen Schmerzensgeldanspruch durchsetzen wo noch nicht einmal der Unterlassungsanspruch klar ist. Abermillionen werden von dem Kläger mit volksverhetzenden Thesen überfachtet…
Schertz: Das ist die Behauptung einer Straftat, wenn Sie so weitermachen, werde ich Sie wegen Beleidigung anzeigen…
(Eisenberg steht auf, geht zu ihm. Schertz kommt ihm entgegen. Beide gleichgroße Männer stehen sich direkt zwischen Richterbank und Tisch gegenüber. Es passt beinahe nicht einmal mehr ein Blatt Papier dazwischen…Ruhe. Eisenberg sagt nichts. Die Richter sind sprachlos.)
Schertz: Hauen Sie mir doch eine Schelle! (Zu Mauck) Haben Sie gesehen, der wollte auf mich losgehen.
Mauck: Wir haben alle Ihrer beiden Meinungen verstanden und werden es zu würdigen wissen. (…)
Welche Rechtsmittel die taz gegen das am vergangenen Freitag ergangene Urteil einlegen wird, ist derzeit noch offen, da eine schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt. Wir werden an dieser Stelle weiter berichten.
[…] vom 20.08.2013: Wie im „taz“-Blog zu lesen ist, waren die Rechtsanwälte der beiden Parteien (Schertz ./. Eisenberg) sich – […]