In einem Artikel der taz vom 9. Januar 2014 kritisierte Medienredakteur Jürn Kruse die Berichterstattung der Medien über den Unfall des früheren Rennfahrers Michael Schumacher. Im Zusammenhang mit seinem Artikel wurde ein Foto von Corinna Schumacher abgedruckt, welches Schumacher zeigt, wie sie sich durch eine Fotografenmeute zu ihrem verunglückten Mann in die Klinik von Grenoble zwängen muss. Gleichzeitig erörterte Jürn Kruse seinen Artikel und die Verwendung des Fotos noch einmal genauer im taz Hausblog.
In der Folge setzte sich Corinna Schumacher gegen dieses Foto und den damit einhergehenden Medienrummel gerichtlich zur Wehr, auch die taz wurde auf Unterlassung verklagt. Dies schien umso erstaunlicher, näherten wir uns dem Leid der Familie Schumacher doch lediglich aus einer medienkritischen Perspektive und nicht, um mit einem tragischen Promischicksal groß aufmachen zu können. Die taz entfernte das inkriminierte Foto zunächst trotzdem aus ihren Medien.
Während andere Medienhäuser zur Unterlassung verurteilt wurden, wies das Landgericht Köln die Klage Corinna Schumachers am 27. August 2014 erstinstanzlich ab und entschied zugunsten der taz und des ZDF, welches ebenfalls auf Unterlassung verklagt wurde: „Die Berichterstattung dient nicht lediglich der Befriedigung von Neugier und der Unterhaltung der Leser. Sie leistet vielmehr einen erheblichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, indem der Leser in die Lage versetzt wird, sich selbst ein Urteil darüber zu bilden, ob er diese Berichterstattung wünscht“ – so die Richter.
SPIEGEL Online berichtete wie folgt über dieses Urteil: „Schumachers Anwalt hatte die Medienkritik in den Berichten von taz und ZDF während einer Verhandlung als ‚Feigenblatt‘ bezeichnet. Es sei fragwürdig, eine bestimmte Art von Berichterstattung zu kritisieren und dabei das Beanstandete selbst zu reproduzieren. Kritik am Verhalten der Reporter vor der Klinik sei natürlich völlig in Ordnung, aber man hätte dafür nicht wieder das Foto veröffentlichen müssen, sagte der Anwalt. Das Gericht sah dies anders und urteilte, dem Bild komme in diesem Fall ein eigener Informationswert zu. ‚Dieses Bild illustriert die Lage vor dem Krankenhaus (…).‘ „
Corinna Schumacher und ihr Anwalt legten gegen das Urteil Berufung vor dem Oberlandesgericht Köln ein und unterstrichen die Argumentation ihrer Unterlassungsklage erneut.
Sie begründeten ihre Klage unter anderem damit, dass das Foto „an einem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen (Hinter-)Eingang des Krankenhauses entstanden sei“. Weiterhin „dokumentiere das Bild einen Umstand, der dem absoluten Kernbereich ihrer (Corinna Schumachers) Privatsphäre zuzuordnen sei, zumal sie sich in einer psychischen und emotionalen Ausnahmesituation befunden habe, ja geradezu traumatisiert gewesen sei.“
Auch verneinte Schumachers Anwalt erneut den Standpunkt der taz, wonach es sich bei dem Foto um ein zeitgeschichtliches Bildnis handelte, was durch die damit verbundene Wortberichterstattung zusätzlich kontextualisiert worden sei. Ein Punkt, in dem das Gericht erster Instanz der taz bereits recht gegeben hatte.
Ebenso beklagte die Gegenseite, dass die taz Corinna Schumachers Appell der medialen Zurückhaltung lediglich in einem Satz und somit nur auf untergeordnete Weise wiedergegeben hätte. Woraus die Gegenseite ableitete, der taz sei es nicht um den Appell und nicht um Medienkritik gegangen.
Darüber hinaus sahen Schumacher und ihr Anwalt im Artikel unseres Medienredakteurs nur einen geringen Informationswert, der dementsprechend „keine neuen und wahren Informationen von allgemeinem Interesse für die Meinungsbildung erörtert.“ Dem Landgericht warf die Klägerin zudem vor, ihre Belange nicht ausreichend gewichtet zu haben. So sei Corinna Schumacher eben „keine Person des öffentlichen Interesses.“
Das Oberlandesgericht Köln folgte diesen Ausführungen nicht und wies die Berufung ab.
Die Richter betrachteten in ihrem Urteil insbesondere den Begriff des Zeitgeschehens, auf den sich auch die taz in ihrer Argumentation stützte. Dieser Begriff sei, zugunsten der Pressefreiheit, in einem weiten, nicht ausschließlich historisch-politischen Sinn zu verstehen. Dabei gingen die Richter auch auf verschiedene Formen der Berichterstattung ein, die ebenso auch „unterhaltende Beiträge“ umfasse, die eine Meinungsbildung „sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen können als reine sachbezogene Beiträge.“
Gleichwohl betonte das Gericht die Grenzen des Informationsinteresses für die Öffentlichkeit, welche sich durch die „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit“ bemessen würden. Wie genau die aussehen, „lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entscheiden“. Entscheidend sei, so sahen es die Richter, „ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern. (…) Oder ob sie ohne Bezug lediglich die Neugier der Leser befriedigen“.
Im konkreten Foto-Streitfall zwischen Frau Schumacher und der taz argumentierte das Gericht dementsprechend wie folgt: „Die mangels Einwilligung der Klägerin erforderliche Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Belange der Parteien (…) führt zu der Feststellung, dass es sich im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung um ein Bildnis der Zeitgeschichte handelt.“
Unsere Wortberichterstattung, in deren Kontext der Informationsgehalt der Bildberichterstattung zu bestimmen sei, wies Bezüge zu zeitgeschichtlichen Ereignissen aus, „nämlich nicht nur zum Skiunfall Schumachers und dessen anschließender klinischer Behandlung (…), sondern auch und vor allem zu dem Medienaufkommen vor dem Krankenhaus, sowie den hiermit verbundenen Folgen für den Krankenhausbetrieb und die Patienten sowie schließlich dem diesbezüglichen Appell der Klägerin“.
Das von uns verwendete Bildnis sei „kontextgerecht“, urteilten die Richter. Es illustriere und belege die Wortberichterstattung in besonderer Weise und hätte einen eigenen Informationswert.
In einem letzten Punkt stellten die Richter zudem das Verhältnis der Erstellung von Fotos zur Privatsphäre klar: „Weder die Umstände der Erlangung des Bildnisses noch der mit dessen Anfertigung verbundene Einbruch in die Privatsphäre rechtfertige ein grundsätzliches Verbot der Verwendung des Bildnisses im Zusammenhang mit jedweder Wortberichterstattung.“ Derlei prinzipielle Verbote kämen höchsten bei Eingriffen in die Intimsphäre in Betracht.
Die Richter des Oberlandesgerichts Köln ließen keine Berufung zu ihrem Urteil zu.
(AZ 15 U 167/14; Urteil vom 28.04.2015)
MANUEL SCHUBERT,
Redakteur der taz