Von Maximilian Probst
Wer für die taz schreibt, begibt sich in die Rolle des Berufsnörglers. Das ist natürlich ein Satz, der in der taz selbst schon Anlass gibt zur Nörgelei. Die einen werden sich sagen: Stimmt doch gar nicht, die anderen: Es hätte mit Blick auf das Anliegen des Feminismus besser heißen sollen: „in die Rolle der Berufsnörglerin“.
Als Drittes kommt hier noch die Position der Selbstkritik ins Spiel. Das Nörgeln darf recht verstanden ja nicht vor der eigenen Person halt machen, vor Fragen wie: Ist das nicht ein Schmarrn, den ich da wieder mal geschrieben habe?
So müsste beispielsweise auch hier eingeräumt werden, dass Nörgeln das falsche Wort ist, völlig unangemessen mit seinem miesepeterigen Beiklang, als ginge es einer allzeit übellaunigen taz nur darum, immer alles schlecht zu machen. Wo es doch in Wahrheit um die Sorge geht!
Die taz sorgt sich beispielsweise um unsere Städte, um die Menschlichkeit, um Demokratie, um Kunst und Natur. Die Sprache, die aber die Sorge spricht, ist die Klage. Alles und jedes wird also beklagt. Das liest sich dann schnell so: Hamburg wird Tag für Tag hässlicher und langweiliger, Bremen ärmer, die NPD umtriebiger. Tag für Tag wird auch Niedersachsen mit „Abschiebeminister Schünemann“ inhumaner, und die Kunst mehr zum Event, nicht zu vergessen die Schweinswale in der Ostsee: Die werden immer weniger. Das sind jetzt nur die Grundlinien, die das Feld der Klage abstecken, längst nicht ihre schönsten Spielzüge.
Das Hamburger Schanzenfest zum Beispiel: Erst gab es der taz Anlass, über Polizeibrutalität zu klagen, in den letzten Jahren dann über apolitische Krawalltouristen aus dem Speckgürtel, die das Fest kaperten. Sollten die Jungs aus Pinneberg und Winsen-Luhe aber zu ihren Spielkonsolen zurückkehren, wird zu beklagen sein, dass auf dem Schanzenfest nichts mehr los ist.
Oder der derzeitige Abstiegskandidat der Fußballbundesliga, der HSV. Einmal angenommen, er stiege ab. Dann hat die Klage leichtes Spiel, die Bosse sind schuld, das fortwährende Trainerverheizen. Stiege der HSV aber nicht ab, wäre die taz der einzige Ort, an dem trotzdem eine Klage denkbar ist: dass dem Verein den Abstieg gut getan hätte. Und überhaupt, dass alle Mannschaften schon mal in der zweiten Liga gewesen seien, nur der HSV nicht, was doch eine Beleidigung wäre jedes auch nur halbwegs gesunden Gerechtigkeitsempfindens …
Auch nicht schlecht ist die Sache mit der Energiewende. Über Atom-und Kohlekraftwerke wurde schon immer geklagt, nun aber auch über das, was sie ersetzen kann: die Offshore-Windkraftanlagen. Das sind nämlich wahre Massenvernichtungswaffen, die Vögel schreddern und Schweinswalen das Gehör nehmen – und zu allem Überfluss immer dort aufgebaut werden, wo sich die meisten dieser Tiere tummeln. Oder, um ein letztes Beispiel zu nennen (für dessen Richtigkeit ich als Autor einstehen kann): Erst klagt die taz über die furchtbare Gentrifizierung. Dann klagt sie nicht minder furchtbar über diejenigen, die sich dagegen engagieren.
Unterscheiden ließen sich dabei zwei Arten von Klagen. Die einen haben einen einfachen Grund und ein klares Ziel. Sie halten dazu an, einen Missstand auszuräumen, eine falsche Vorstellung durch eine richtige zu ersetzen, einen erkannten Fehler bitte nicht zu wiederholen. Wir könnten das die pragmatische Klage nennen. Es ist die vernünftigste Art zu klagen. Die zweite Art der Klage wäre die leidenschaftliche, eine, die dazu tendiert, über ihr Ziel hinauszuschießen. Das ist die schönste Art der Klage.
Meist ist die leidenschaftliche Klage ihrem Gegenstand innig verbunden, in Liebe, in Hass, manchmal in beidem zugleich. In diesem Fällen steigert sich das, was dem pragmatischen Blick nur eine Kleinigkeit, eine Harmlosigkeit oder Ungeschicklichkeit zu sein scheint, für den Klagenden sofort ins Riesenhafte, Ungetüme und Maßlose. Was nicht nur unterhaltend ist, sondern auch aufschlussreich. Eine solche Klage ist nicht unmittelbar auf Lösung aus. Eher sucht sie einen Streit zu beginnen, fortzusetzen oder zu vertiefen.
Zum einen, weil man bekanntlich voneinander erfährt, wo man sich streitet. Und zum anderen, weil der Streit mit seinem Beharren auf unüberbrückbare Differenzen das beste Mittel gegen eine gefährliche, totalitäre Verlockung ist: der des Verschmelzens und der Vereinheitlichung, die überall wirkt, wo Menschen zusammen kommen.
Diese beiden Klagen-Typen führen aber noch zu einem Dritten. Sie haben die Neigung, sich, zusammengenommen, nicht etwa zu addieren, sondern zu multiplizieren und potenzieren. Mit dem Ergebnis, dass die Welt schlechthin als Unzumutbarkeit erscheint.
Berechtigt ist daher die Frage, was die Leser mit diesen Klagen machen. Oder anders gefragt, was die Klagen mit den Lesern machen. Die allereinfachste und zugleich raffinierteste Antwort, die mir dazu einfällt, hat mir einmal meine Großmutter gegeben. Sie sagte (das war bevor sie beklagte, die Buchstaben seien in der taz so klein gedruckt, sie könne nur noch die Überschriften entziffern. Nicht das Schlechteste, wandte ich ein, aber es half nichts, und sie bestellte ihr Abonnement kurz nach ihrem 98. Geburtstag ab), meine Großmutter also sagte: „Ach, die taz, die macht mich ja manchmal so traurig.“ Aber wie sie das sagte! Wie sie dabei strahlte!
Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass hier jene Katharsis eine Rolle spielt, die Aristoteles in der Lust an der Tragödie am Werk sah. Beim Lesen oder auch Schreiben der taz überkommt uns der große Jammer und Schauder – und gereinigt von diesen Affekten schreiten wir fürbass in den Tag.
Schöner aber noch ist ein Gedanke Adornos (der heute, leider, leider, kaum noch gelesen wird und auch im taz-Universum schon mal mit dem härtesten Verdikt belegt wird, das unsere Zeit aufzubieten hat: unsexy!). In den Minima Moralia schreibt er auf der letzten Seite, dass „die vollendete Negativität, einmal ganz ins Auge gefasst, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils zusammenschießt“. Ist das nicht herzerwärmend?
Die taz macht uns an manchen Tagen mit vollendeter Negativität traurig. Aber wir sehen durch diesen Tränenschleier, gleichsam verklärt, was uns alles lieb ist, was wir schätzen, achten, und fürs Höchste halten. Und wir können dann nicht anders als zu lächeln, zu strahlen, zu hoffen, zu feiern – und zu klagen wie zuvor.
Ja, die TAZ ist bizarr. Unvergessen ist mir eine Satire über schwäbische Übermütter am Prenzlauer Berg. War sehr amüsant. Noch amüsanter waren die Leserbriefe, die die armen schwäbischen Übermütter mit den verfolgten Juden im Faschismus gleichsetzten. Da ist mir dann doch der Bissen im Halse stecken geblieben. Ein Teil der TAZ-Leser scheint hirnverbrannter zu sein als die Klientel der Bild-Zeitung.