von 06.02.2010

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Hans Pfitzinger hat die taz auf seiner Webseite eine Weile lang täglich wütend zerrissen. Im Juli 2009 wurde bei ihm Krebs diagnostiziert, jetzt liegt er im Sterben. Die taz-Redakteurin Anja Maier hat ihn besucht und in der aktuellen Wochenendausgabe der taz diese Reportage veröffentlicht:

Hans Pfitzinger ist froh. Froh um das viele gute Essen, das ihm jederzeit auf Wunsch kredenzt wird. Froh um Cora und Ludwig, die beiden Wellensittiche in der Loggia, die ihr Tschilpen den stillen Flur hinunterschicken. Froh um jede Morgendämmerung, die vor seinem Fenster anbricht. Dann weiß er, dass er doch wieder aufgewacht ist. Dass er noch nicht tot ist.

Was macht dieser Hans Pfitzinger da? Er lebt. Er stirbt. Er ist zufrieden. Muss seine Ruhe einen verwundern? Vielleicht, wenn man Pfitzinger von früher kennt. Als er wütend wirkte. Und manchmal aggressiv.

Der Mann, der gern und ausgiebig die taz geschmäht hat, der dabei so fies sein konnte, dass sich taz-Redakteure immer wieder persönlich attackiert fühlten, er ist in ein kleines, blau und gelb gestrichenes Zimmer umgezogen und erwartet seinen Krebstod. Alles Bittere und Gallige hat er abgestreift.

Im April 2008 fing das an mit ihm und der taz. Plötzlich gab es da einen Blog im Internet, den taz-Blog. Ein unbekannter Mann – „Name: Hans Pfitzinger, Wohnort: München, Beruf: Schreiber, Leser, Seifenbläser“ – knöpfte sich im Netz jeden Tag die taz vor. „Lob & Tadel, Perlen & Mist“ kündigte er an, aber meist war es fast ausschließlich Mist, den er da in seiner Zeitung fand. Entsprechend schäumend und unduldsam fiel seine Kritik dann aus.

Dem Autor eines „unsäglichen Beitrags“ im Kulturteil empfahl der Seifenbläser Pfitzinger, dieser könne „mal mein Fahrrad aufpumpen, bevor er wieder so einen Unfug schreibt“. Einen Auslandsredakteur bezichtigte er, „Hinrichtungsjournalismus“ zu betreiben. In seinen täglichen Blogeinträgen ist viel von „reißerischen Hetzartikeln“, „üblen Aufmachern“ und „Journalismus unterster Schublade“ die Rede. Von „Leerkopf-an-Kopf-Rennen“, Kommentaren, in denen „absolut nichts drinsteht“, und es gibt Kolumnen, da tippt er nur noch: „Würg!“

Manchmal findet der unbekannte Blogger auch etwas gut. Sarah Wagenknecht zum Beispiel. Ein ums andere Mal fordert er die taz-Fotoredaktion auf, „schönere Bilder“ von der Kommunistin ins Blatt zu heben. Ist er ausnahmsweise mal zufrieden, verbucht er das für sich – er schlussfolgert dann, die Stümper in der Redaktion müssten seinen Blog gelesen und entsprechend ihr journalistisches Treiben berichtigt haben.

So war es natürlich nicht. Im taz-Intranet machten Mails mit den abgefahrensten Pfitzinger-Sottisen die Runde. Hat der Mann sie noch alle, fragten sich viele. Wer ist das überhaupt? Und woher nimmt der die Zeit, Tag für Tag seinen Ekel an dieser Zeitung ins Netz zu kotzen?

Es lacht sich so hin über einen Besessenen, der den Ton nicht trifft. Einen, von dem man glaubt, der mache Wind, weil er, der freie Journalist, auch mal wahrgenommen werden will. Das grinst man weg, schüttelt es ab wie ein lästiges Insekt. Obwohl auch klar ist: So wie dieser Pfitzinger da, der Geiferer von München, so ticken auch andere. So leiden Leser an und mit ihrer Zeitung, taz-Leser zumal. Und natürlich hat er nicht nur unrecht mit dem, was er da herausbellt. Es gibt halbgare Berichte, unaktuelle Reportagen, drückebergerische Kommentare.

Im blaugelben Hospizzimmer öffnet sich die Tür. „Ich wäre jetzt da, Herr Pfitzinger“, sagt die Abendschwester. „Wunderbar.“ Er strahlt. „Haben Sie noch etwas von dem guten Obstkuchen?“ Nein, aber Sandkuchen. Den nimmt er. Und einen Kaffee, Milch bitte, keine Sahne! „Das ist so liebevoll, wie die hier mit den Patienten umgehen“, freut er sich, „ich habe das Gefühl, hier bin ich richtig.“

Lesen, essen, dösen – so einfach ist es jetzt für ihn, glücklich zu sein. In leiser Ferne nur noch sein altes Gebelle gegen eine Zeitung, die ihm nicht passt. Woher kam diese Ablehnung? „Ich hatte das Gefühl, die taz geht den Weg der größten Anpassung“, sagt Hans Pfitzinger. „Dann hab ich mir gesagt, heh, jetzt bin ich über sechzig und hab ein bisschen Erfahrung, also will ich die jungen Leute dazu anregen, aufmüpfiger zu werden.“ Die jungen Leute? Eine Frage der Perspektive, wenn man 64 Jahre alt ist und wenn es dreißig Jahre her ist, dass man für deutsche Musikzeitschriften aus dem aufregenden Kalifornien berichtet hat.

Ganz schmal sitzt er da, schaut durch seine starke Brille hinaus in den winterlichen Park des Johannes-Hospizes in München. Ob er weiß, dass unten in der Eingangshalle eine Kerze neben dem aufgeschlagenen Totenbuch brennt? Heute nacht um 3.30 Uhr ist in einem der zwölf blaugelben Zimmer ein Patient gestorben.

Pfitzinger lebt noch. Seine Füße in den grauen Filzschuhen liegen unten auf der Querstrebe des Rollstuhls Marke Meyra, beim Reden sausen vor dem Oberkörper die Hände mit den sorgsam gefeilten Nägeln auf und nieder. Er hat keine Schmerzen. Seine Stimme klingt selbstbewusst, schön bayerisch rollt Pfitzinger das R, der ironische Tonfall macht Lust aufs Gespräch. Kaum zu glauben, dass so ein angenehmer Mann so giftig gewesen ist.

„Natürlich“, sagt er, „ich wollte auch provozieren mit dem Blog. Manchmal habe ich ’ne richtige Wut gekriegt auf die taz. Die Inlandsseiten – eine Zumutung. Oder gewisse Korrespondenten! Soll ich Namen nennen?“ Er nennt Namen. Er weiß unglaublich gut Bescheid über diese Zeitung und die Menschen, die für sie schreiben. Er muss sie wohl mögen. „Es ging mir nicht ums Auskotzen“, fügt er hinzu. „Heh, als Mensch kriegt man nun mal auch eine Wut, ich bin menschlich. Da hab ich das im Netz so stehen lassen.“

Jetzt steht es da, ein Dokument vom Ringen eines Lesers mit seiner Zeitung. Viele Monate hoch subjektiver Rezeptionsgeschichte. Und fast nie hat ihm einer geantwortet, nie einer zurückgeschlagen oder sich gewehrt. Jetzt ist es zu spät.

Am 30. Juni 2009 hat er wie jeden Morgen seine taz aufgeschlagen. Michael Jackson war gerade gestorben, womöglich durch einen Behandlungsfehler, und in seinem Blog echauffierte Pfitzinger sich über den „schwachsinnigen Ausdruck Leibarzt“, den er auf der Wahrheit-Seite aufgespürt hatte. Am selben Tag ging er selbst zum Arzt, er hatte Leibschmerzen. Zwei Tage später die Diagnose: Speiseröhrenkrebs. Die Ausgabe vom 1. Juli hat er nicht mehr besprochen, auch nicht die vom 2. Keine mehr.

Stattdessen schrieb er nun über sich, ausschließlich. HANSblog heißt seine neue Online-Depesche, und wenn jemand wissen möchte, wie ein Krebspatient sich fühlt, was er durchmacht und hofft und wie in diesem Land das Gesundheitswesen funktioniert, dann gehört dieser Blog zum Lesenswertesten, was es gibt zu diesem Thema. Dort schreibt Pfitzinger über seine vier Chemotherapien. Über durchlittene Tage und Nächte, über Schlafmangel, Medikamente und Schmerzen. Viel von Büchern, die trösten. Er schreibt so wie vorher schon alles raus. Aber diesmal geht es um Wesentliches: um ihn. Das Leben. Den Tod. Und es ist weit mehr als bloße Provokation, Ringen um Aufmerksamkeit. Er, der alte Journalist, kann es ja.

Im November bricht er die vierte Chemotherapie ab, im Dezember wird er in die Palliativstation ins „Rechts der Isar“ eingewiesen.

Im Januar zieht er ins Hospiz um. Zimmer elf. „Meine letzte Adresse“, sagt Hans Pfitzinger.

Er regt sich nicht mehr so wahnsinnig auf. Das wäre ja sinnlos. Er ist jetzt neugierig auf das, was ihn da erwartet, wenn die Morgendämmerung ausbleibt. „Für den Tod fehlt uns das gedankliche Werkzeug“, stellt er nüchtern fest, hier im Hospiz gehe es nur noch darum, „dass man dem Menschen angenehm rüberhilft.“

Und angenehm ist es. Pfitzinger, der als Kind seine Mutter an den Krebs verloren hat, dieser 68er, der Lektorinnen, die seine Buchmanuskripte abgelehnt haben, schon mal als „blödstudierte Germanistinnen“ abgekanzelt hat – ihn rühren all diese freundlichen Frauen im Hospiz, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen. All die Schwestern, Köchinnen, Atemtherapeutinnen, die ihn waschen und mit Lavendelöl einreiben, ihm Wurstsemmeln und Obstkuchen mit Gelee herbeitragen, die ihm zuhören und seine Hand nehmen. Die sagen: Du wirst sterben, bis dahin helfen wir dir.

Seinen Tod hat er geregelt. Seine Stiefschwester wird die Wohnung auflösen, er hat ein Testament geschrieben. Und begraben werden will er auf dem alten Haidhauser Friedhof. „Ich habe festgestellt: Da ist Platz, da kann ich meine Urne gut unterbringen.“ Und wenn für Pfitzinger, Hans – geboren 1945, gestorben 2010 – in der Eingangshalle des Hospizes die Kerze neben dem Totenbuch angezündet wird, schickt ein Vertrauter allen Freunden, Verwandten, Lieben und Lesern Hans Pfitzingers allerletzte Mail zu. Sie haben Post.

Anja Maier, 44, ist sonntaz-Redakteurin. Hans Pfitzinger nannte sie in seinem Blog eine „Hohlspießerin“ und „Dünkelkolumnistin“, eine ihrer Reportagen kritisierte er als „widerlichste Art von Boulevardjournalismus“.

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kommentare

  • „Es ist nie zu spät“ – unter dieser Rubrik gehört dieser beeindruckende Bericht. Respekt, dass die Taz-ler sich noch auf den Weg gemacht haben, um ihren Nörgler vom Dienst kennen zu lernen. Und es berührt, was dieser unbequeme Schreiber noch mitzugeben hat als Zeugnis eines Aufrechten – auch noch im Angesichte des Todes. Danke Anja Mayer!

  • Gratulation und Respekt Anja Maier für diese Reportage über einen Kritiker, der die taz-Redaktion und sicherlich auch die Autorin oft genervt hat. Aber über diesen Text dürfte sich der, wie die Autorin schreibt, die Welt bald verlassende Kollege eigentlich nicht mehr ärgern, oder doch? Vielleicht hat die taz im Jenseits, wo immer es sich befindet, inzwischen auch einen Korrespondenten – und dann geht ja eigentlich alles weiter wie bisher in diesem irdischen Jammertal.

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