Von Lou Zucker
Migrant*innen und Geflüchtete werden in der taz überwiegend als passiv dargestellt und kommen nur selten zu Wort – auch in Artikeln, in denen es explizit um sie geht und auch dann, wenn andere Menschen ohne Flucht- oder Migrationserfahrung zitiert werden. Das ergab eine Auswertung von 50 zufällig gewählten taz-Artikeln zum Thema Flucht und Migration im September 2014.
Zu den Suchbegriffen „Migration, Migrant*, Einwander*, Flüchtling*, Flucht, Asyl*, Roma, Refugee*“ waren im taz-Archiv fast ausschließlich Artikel über Geflüchtete zu finden. In 40 der 50 analysierten Artikel ging es um das Thema Flucht und Asyl, in 10 explizit um Roma und Sinti. Die taz berichtet also viel über Gelüchtete – umso wichtiger, die Art und Weise zu reflektieren, wie berichtet wird. In 36 von 50 Artikel kam keine der betreffenden Personen selbst zu Wort. Dabei handelte es sich zwar teils um kurze Agentur-Meldungen oder Kommentare, in denen direkte Zitate generell nicht üblich sind. In 20 der 36 Fälle aber wurden sehr wohl andere Personen wörtlich zitiert, eine Stimme aus der Gruppe, um die es ging, jedoch fehlte.
Zudem ergab die Untersuchung, dass Geflüchtete in der Mehrzahl der Artikel nicht als handelnde Akteure vorkommen. In 19 Fällen wurde ihnen Handlungssouveränität zugesprochen, in 34 dagegen – Mehrfachzählungen waren möglich – wurden sie als passiv dargestellt. 14 Artikel erweckten außerdem den Eindruck von Hilfsbedürftigkeit seitens der Geflüchteten. Thematisch handeln die Artikel dabei häufig davon, wann wie und wo Geflüchtete von staatlichen Institutionen verteilt und untergebracht werden, von deutschen Politiker*innen, die Gesetze beschließen, welche das Leben von Geflüchteten regulieren, von Initiativen, die Menschen in Asyllagern „helfen“ und von ertrunkenen oder geretteten Flüchtenden im Mittelmeer. Es geht also viel darum, was deutsche oder EU-Staatsbürger*innen mit flüchtenden Menschen machen, selten darum was letztere selbst tun. Auch Widerstand, politischer Aktivismus und Eigeninitiative seitens Geflüchteter ist in der taz immer wieder Thema. Die passive Darstellung überwiegt jedoch.
Als Problem wurden Gelfüchtete in 10 von 50 Artikeln dargestellt. Darunter fielen auch direkte Zitate, wie „Flüchtlingsproblem“ (Dilek Kolat), oder Beiträge in denen ausdifferenziert wurde zwischen einer Minderheit „randalierender“ Flüchtlinge in einem Lager und einer friedlichen Mehrheit. Der Eindruck von Geflüchteten als Problem wurde vor allem durch die immer wiederkehrende Thematik hervorgerufen, dass sich einzelne Bundesländer von der Aufgabe überfordert sehen, genügend Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber*innen zu schaffen.
In Politik und Medien scheint es eine verbreitete Strategie zu sein, Angst vor Migrant*innen oder generell Menschen zu schüren, die als fremd konstruiert werden: Man denke an den politischen Diskurs um die angeblich drohende Überflutung deutscher Sozialsysteme durch „Asylbetrüger“ aus den Balkanländern oder an wiederkehrende Spiegel-Titelseiten zum Thema Islam mit schwarzem Hintergrund. Dessen macht sich die taz in den untersuchten Artikeln nicht schuldig. Angst vor Migrant*innen oder Geflüchteten wurde in keinem davon erzeugt.
Auffällig ist hingegen die häufige Differenzierung zwischen Roma und Geflüchteten. Bei der Berichterstattung zu der neuen Regelung im Asylgesetz, die Bulgarien und Rumänien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, mag es sinnvoll sein, die explizite Romafeindlichkeit dieses Gesetzes hervorzuheben. An anderen Stellen wird jedoch völlig ohne Grund unterschieden. Wie schon häufig in der Berichterstattung um die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule der Fall, werden die ehemaligen Bewohner*innen der Cuvry-Brache als „vor allem Roma-Familien, überwiegend aus Bulgarien, Obdachlose und Flüchtlinge“ beschrieben. Als Angehörige einer sozialen Gruppe, die in ihren Herkunftsländern oft Verfolgung, Diskriminierung oder Armut erfahren und sich aus diesen oder anderen Gründen entscheiden, ihre Heimat zu verlassen, unterscheiden sich Roma und Sinti nicht von anderen flüchtenden Menschen. Die Trennung ist im Fall der Cuvry-Brache oder der Hauptmann-Schule also überflüssig und läuft Gefahr, den romafeindlichen Diskurs um die „sicheren Herkunftsstaaten“ zu unterstützen, der legitime von illegitimen Geflüchten zu unterscheiden sucht.
Ein zweiter Teil der Analyse bestand darin, die Darstellung von Menschen mit türkischen und arabischen Vornamen in der taz zu untersuchen. Dazu wurden über 700 Namen aus Namensbüchern und in die Suchmaschine des Archivs eingegeben und 110 Artikel aus einem Zeitraum von vier Monaten untersucht. Die eigentliche Motivation bestand darin, herauszufinden, wie die taz Menschen mit Migrationshintergrund repräsentiert. Oft ist es jedoch unmöglich festzustellen, ob ein*e Protagonist*in einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Der Name einer Person hingegen gehört meist zu den Mindestinformationen, die der oder die Leser*in über sie erfährt. Von bestehenden Vorurteilen in der taz-Leser*innen und –autor*innenschaft ausgehend, wurde eine Gruppe von Namen gewählt, auf Grund derer Menschen Diskriminierung erfahren, oder die vom weißen, biodeutschen Teil der Leser*innenschaft als fremd wahrgenommen oder mit Vorurteilen belegt sein könnten.
Das Ergebnis fiel weitaus weniger problematisch aus als die Untersuchung der Artikel, die explizit Flucht und Migration zum Thema hatten. In 69 Fällen wurden die jeweiligen Protagonist*innen als aktiv, in 26 Fällen als passiv dargestellt.
Der Untersuchung zufolge kommen Menschen mit türkischen und arabischen Vornamen in der taz vor allem als Politiker*innen (28), Sportler*innen (19) und Kulturschaffende (17) vor. Dabei handelte es sich bei den Politiker*innen vorwiegend um die selben vier: Cem Özdemir (Grüne), Dilek Kolat (SPD), Canan Bayram (Grüne) und Hakan Tas (Linke). Als Sportler mit türkischem Vornamen wird besonders Mesut Özil immer wieder erwähnt.
Häufig vertreten waren ebenfalls die Kategorien Geflüchtete*r (8), politisch aktive Person (10), Muslim*a (9), Schüler*in einer Stadtteil-Schule (8), Verbandsmitglied (6) und Opfer rassistischer Gewalt oder deren Angehörige (7). Mehrfachnennungen waren möglich. Islamist*innen fanden sich drei unter den untersuchten Protagonist*innen, Übersetzer*innen, Geistliche und Gäst*innen bei Kongressen waren zweimal, Architekt*innen, Professor*innen, und Jurist*innen jeweils einmal vertreten. Ebenfalls nur einmal handelte es sich um einen ehemaligen Kriminellen.
Die Ergebnisse zeigen, dass auch Menschen mit türkischen und arabischen Vornamen überwiegend in den Funktionen dargestellt werden, in denen Menschen für gewöhnlich in der Öffentlichkeit stehen. Viele Fragen bleiben allerdings offen. Kommen Menschen mit traditionell deutschen Vornamen häufiger als Professor*innen oder anderweitig als Expert*innen vor? Spielt die Religion von Menschen mit nicht-türkischen oder -arabischen Namen seltener eine Rolle? Handelt es sich bei Schüler*innen mit biodeutschen Namen in der taz häufiger um Gymnasiast*innen? Ein Vergleich mit der Grundgesamtheit der in der taz erwähnten Namen oder traditionell deutschen Vornamen – wie auch immer die zu definieren wären – wäre nötig, um die Ergebnisse differenzierter zu bewerten.
Ebenfalls problematisch ist, dass in zehn Fällen die jeweilige Person als hilfsbedürftig dargestellt wurde. So wie im Falle einer Stadtteil-Initiative, die versucht, die Abschiebung eines Geflüchteten namens Ahmad zu verhindern. Warum Letzterer nur mit Vornamen, die Mitglieder der Initiative aber mit Nachnamen erwähnt werden, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig wird klar, warum die engagierten Nachbar*innen wörtlich zitiert werden, Ahmad, um dessen Abschiebung es geht, aber kein einziges Mal zu Wort kommt. Derartige Konstellationen sind in den untersuchten Artikeln kein Einzelfall. Nur 36 der 110 Protagonist*innen sprechen für sich selbst.