Am Samstag ist im Berlin-Teil der taz eine Anzeige der Alternative für Deutschland (AfD) erschienen. Nach massiver Kritik von Seiten der Leser*innen und einer internen redaktionellen Debatte hat der Verlag heute als Reaktion die Richtlinien für Anzeigen in der taz veröffentlicht. Eine inhaltliche Stellungnahme zum Umgang mit der AfD blieb hingegen aus.
Auch in der Redaktion ist über die Veröffentlichung gestritten worden. Etliche Redakteurinnen und Redakteure aus dem Berlin-Teil sprechen sich gegen Veröffentlichungen von Anzeigen der AfD in der taz aus.
Es ist ein Missverständnis, dass die AfD eine rechte Partei wie etwa die NPD sei: eine Partei, in der die sozial Benachteiligten ihren Frust anhand von dumpfen Ressentiments auf „die Anderen“ (Ausländer, Schwarze, Homosexuelle etc.) ablassen können. Auch wenn derzeit Parteien wie die NPD, Burschenschaften oder einzelne Rechte versuchen, bei der AfD anzudocken und daraus möglicherweise auch strategische Bündnisse entstehen – die AfD ist ein konservatives Elitenprojekt. Das zeigt sich schon an ihrem Hauptpersonal. Das rekrutiert sich vor allem aus der deutschen Wirtschaftselite, die aufgrund der europäischen Integration Angst hat, (politisch) an Einfluss zu verlieren. Sie kritisiert eben nicht die neoliberale Ausrichtung der EU, sondern will diese noch radikalisieren.
Daher passt sie auch nicht auf klassische „Schlägertrupp“-Nazi-Schemen oder auf „klassischen“ Rassismus. Aber sie vertritt eine ganz spezifische, neuere Form von „Menschenfeindlichkeit“, wie er in den Ober- und Mittelschichten mit der aktuellen Polarisierung und Abstiegsangst zunimmt. Eine Menschenfeindlichkeit, die die mit einer Verachtung, fast einem Ekel für Schwächere in der Gesellschaft, „nicht Leistungsfähige“ verbunden ist.
„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ist dafür ein sehr viel passenderes Wort als Rassismus, Homophobie, wie auch immer – all diese Gruppen und Parteien suchen sich eine schwache Gruppe oder Minderheit aus, die für Probleme in der Gesellschaft verantwortlich gemacht, diskriminiert oder verachtet wird, auch wenn diese Gruppe wechselt. In den letzten Jahren zeichnet sich ein Wandel von rassistischen Abwertungen hin zu leistungsbezogenener Abwertungen ab (dazu passt auch, dass Diskriminierung und unterschiedliche Chancen in Schulen in Deutschland seit ein, zwei Jahren nicht mehr von der Herkunft abhängen – dafür umso mehr vom sozialen Hintergrund). In der taz gab es dazu mal einen wunderschönen Beitrag von Gabriele Göttle, die mit dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer gesprochen hat, der dazu mehr als zehn Jahre geforscht hat.
Die AfD muss in diesem Zusammenhang gesehen werden – auch wenn sie natürlich sehr klug an nostalgische Gefühle bei vielen Deutschen, an Unmut über EU-Politik und bei Protestwählern andockt. Das hat die Antifa bereits ganz gut erkannt, s. auch das Interview dazu in der taz. Im Grunde richtet sie sich jedoch an die verunsicherte Mittelschicht, die „Leistungsträger“. Nur deshalb macht es auch Sinn, dass sie Werbung in der taz macht. Offenbar (das waren auch Kommentare auf Twitter) vermutet sie in der Leserinnenschaft der taz, potentielle Wähler. Und hat damit möglicherweise auch recht.
Dass sie Arbeitslosen oder Rentner, also „Unproduktiven“, das Wahlrecht aberkennen will, steht bisher in keinem Wahlprogramm (es gibt aber auch noch keines für Deutschland, nur für die Europawahl). Das hat aber Mitgründer und jetzige Sprecher der Partei, Konrad Adam, bereits vor Jahren ins Spiel gebracht . Zu seinem und den Standpunkten des prominenten Beiratsmitglied Roland Vaubel kann man z.B. in diesem Beitrag nachlesen ( hier auch noch ein Artikel von Vaubel und hier ein Beitrag in der Welt von Konrad Adam zu dem Thema.
Mit dem „Pöbel“ auf der Straße hat die AfD also wenig gemein, und man wird zumindest ihre Führungsspitze mit platten Rassismus oder Populismus-Phrasen auch nicht bekommen. Umso wichtiger, dass man diese neuen Phänoneme und die Verschiebungen in der Rhetorik und der Strategie von Rechten fasst, kritisch diskutiert und analysiert. Wenn die AfD nicht unter die Anzeigen-Kriterien der taz fällt, aber dennoch menschenverachtende und anti-demokratische Positionen vertritt, müssen wir diese Kriterien dringend anpassen.
Aus der Berlin-Redaktion: Juliane Schumacher, Patricia Hecht, Susanne Memarnia, Torsten Landsberg, Alke Wierth, Markus Mayr, Malene Gürgen, Erik Peter, Claudius Prößer, Svenja Bednarczyk
[…] Welt-Autor noch viel lernen: Seine Kollegen von der taz schaffen es mühelos, der AfD Positionen unterzujubeln, die sie gar nicht vertritt (meist sogar das Gegenteil vom Unterstellten), und das ganz einfach, […]