vonHelmut Höge 17.07.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Von Goethe stammt der Gedanke: „Wer sein Lebenslang von hohen ernsten Eichen umgeben wäre, müßte ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich erginge.“ Das umgekehrte gilt jedoch ebenso: Dass die Pflanzen sich den Menschen und ihren sozialen Einrichtungen anpassen! Der tschechische Schriftsteller Karel Capek, ein leidenschaftlicher Gärtner, hat dazu einmal in seiner Garten-Kolumne, die er für eine Prager Zeitung schrieb, eine „botanische Topographie“ entworfen.

„1. Die Bahnhofsflora,“ die er in zwei Unterklassen einteilte: „in die Vegetation am Bahnhof und in die im Garten des Stationsvorstandes.“ Am Bahnsteig gedeihen besonders die große Kapuzinerkresse, ferner Lobelien, Pelargonien, Petunien und Begonien, „auf Bahnhöfen höherer Kategorie manchmal auch Drazänen“.

„2. Die Eisenbahnflora.“ Hier unterscheidet Capek einmal die zahme – „in den Gärten der Streckenwärter“ und zum anderen die wilde – „auf den Eisenbahndämmen“. Zur ersteren gehören Eibisch, auch Malve genannt, Sonnenblumen, Kapuzinerkresse, Kletterrosen, Georginen und manchmal auch Astern. „Wie ersichtlich, handelt es sich meist um Pflanzen, die über den Zaun gucken, vielleicht deshalb, um den vorüberfahrenden Lokomotivführern Freude zu machen.“ Die Flora auf den Bahndämmen wird dagegen laut Capek von Heideröschen, Löwenmaul, Wollkraut, gemeine Natterwurz, Quendel u.a.“ bestimmt.

„3. Die Fleischhauerflora“. Sie gedeiht in den Schaufenstern der Schlachter, „zu ihr zählen einige Arten wie Aucuba, Asparagus, Sprengeri, von den Kakteen der Kerzenkaktus und Echinops; bei den Selchern kommen in Blumentöpfen die Anden-Tanne und manchmal auch Schlüsselblumen vor.“

„4. Die Gasthausflora“. Dazu gehören die „zwei Oleanderbäumchen vor der Eingangstür und die Schildblume an den Fenstern; Gasthäuser, die die sogenannte Hausmannskost pflegen, haben an den Fenstern auch Cinerarien. In Restaurationsbetrieben wachsen sogar Drazänen, Philodendron, großblättrige Begonien, Buntlippe, Fächerpalmen; auf den Kaffeehausterrassen häufig Lobelien, Petunien, Tradeskantien, ja sogar Lorbeer und Efeu.“

In den Ämtern sind die Pflanzen Capek zufolge vom Willen und Wohlwollen entweder des Amtsdieners oder des Amtsvorstehers abhängig. „Während im Bereich der Eisenbahnen die üppigste Vegetation gedeiht, wächst in den Post- und Telegrafenämtern rein gar nichts. Die autonomen Behörden sind, was die Vegetation anbelangt, fruchtbarer als die Staatsämter, unter denen insbesondere die Steuerämter die reinsten Wüsten sind.“ Eine botanische Klasse für sich ist natürlich die Friedhofsflora. Ebenso die Krankenhausblumen. Möglich ist auch,  „dass es eine besondere kommunistische Flora gibt oder eine Flora der Volkspartei. Groß ist der Reichtum der Welt; jedes Gewerbe, was sage ich, jede politische Partei könnte ihre eigene Flora haben.“

So weit die botanische Topographie von Karel Capek. Heute kommt für ihren Erforscher noch erschwerend hinzu, dass all diese Pflanzen in den unterschiedlichsten Soziotopen, die sich früher über Generationen an die jeweiligen Menschen und deren Umgebungen angepaßt hatten (unregelmäßiges Gießen, mal zu viel mal zu wenig, mal zu heiß mal zu kalt, Rauch und Musik in Kneipen, Desinfektions- und Reinigungsmittel im Krankenhaus, Rußstäube und Qualm auf dem Bahnhof), heute mehr oder weniger der Mode unterworfen sind. Was gestern in den Wohnungen die Goethepflanze und der Gummibaum war, ist heute die Yuccapalme und der Ficus benjaminus und morgen die Aloe Vera und der Orangenbaum. Bei den Blumen müssen die Züchter bereits alljährlich mit neuen Farb- und Blütenform-Variationen herauskommen. In der taz ist der Pflanzengeschmack eher gediegen. Dafür läßt sich jedoch leicht feststellen:

Je mehr sich die Leute mit ihrem Arbeitsplatz bzw. mit ihrer Abteilung perspektivisch identifizieren, desto mehr Pflanzen stellen sie um sich herum auf – zur Unterstützung ihres eigenen Wurzelschlagens im „Projekt“. In den meisten  Redaktionen gibt es so gut wie keine Topfpflanzen, höchstens zum Geburtstag mal den einen oder anderen Blumenstrauß auf dem Schreibtisch. Im Verlags- und Chefredaktions- sowie im EDV- und im Genossenschafts-Büro  sieht es dagegen wie in einem Gewächshaus aus. Während Bascha Mika sich die Pflanzenpflege mit ihren Assistentinnen teilt, haben die Büroleute noch die Pflege und das Mähen des Rasens auf der Dachterrasse übernommen. Dort sowie auf ihrem Balkon ziehen sie außerdem noch jede Menge Sonnenblumen, Erdbeeren, Bohnen, Schafsgarben, Disteln und Topinambur in Töpfen, die um diese Jahreszeit und in der prallen Sonne alle paar Stunden gegossen werden müssen. Einige der Büroleute haben darüberhinaus auch zu Hause noch einen Garten, so daß die Pflanzen manchmal hin und her wandern – mindestens ihre Ableger. Überhaupt ist es ja bei Pflanzenliebhabern oft so, dass man die Nachzucht untereinander austauscht. Einmal sollte ich für die Dachterrasse einen Rasenkanten-Trimmer in der Domäne am Halleschen Tor kaufen. Er war aus China und man mußte ihn zusammen bauen, er  kostete zwar nur etwa 20 Euro – dafür funktionierte er aber nicht. Auch der nächste, den ich im Umtausch bekam, war kaputt. Und der dritte ebenso. Schließlich beschloß die Rasenverantwortliche Lizzy resigniert, die Kante weiter mit der Handrasenschere zu schneiden.

Im Gegensatz zu den quasi adoptierten oder selbst angeschafften Pflanzen gibt es im Konferenzraum im Ersten Stock sechs Topfpflanzen, die der Allgemeinheit gehören – und deswegen immer mal wieder kurz vorm Eingehen sind, kürzlich wurde kurzerhand der  Hausmeister bzw. Aushilfshausmeister dafür verantwortlich gemacht. Ähnlich wie bei den Bäumen, Büschen und Ziersträuchern im neueingerichteten Gartenrestaurant der taz-Cafés, wozu auch noch die Klematis am Fahrradunterstand gehört. Diese Straßenflora wird von den taz-shop-Frauen versorgt, weil sie es auch sind, die das Café betreiben. Und wie zu Capeks Zeiten, haben auch sie zwei Oleanderbäumchen in großen toakanisch anmutenden Tontöpfen vor die Eingangstür gestellt. Einer wurde während der WM zerschlagen, jedoch sogleich durch ein neues Bäumchen im Topf ersetzt. Das ist auch so ein Nebeneffekt der immer schnellebigeren Moden – bei Pflanzen, dass sie kurzlebiger werden. Weil sie immer weniger kosten und das Angebot geradezu erschlagend ist, kommt es immer öfter zu Vandalismus bzw. zu Pflanzenvernachlässigung (dem urbanen Pendant zur ruralen  Tiervernachlässigung, ein Tatbestand, den  es früher in bäuerlichen Betrieben nicht gab). Capek diskutierte  ihn kurz am Beispiel der „Fensterflora“, von der es seiner Meinung nach ebenfalls zweierlei gibt: „die arme und die reiche. Die bei den ärmeren Leuten ist für gewöhnlich die bessere; außerdem geht sie den Reichen in der Regel ein, während sie auf Sommerfrische sind.“ Das gilt noch heute: Ich kenne mindestens zwei wohlhabende Ehepaare, die sich praktisch alle halbe Jahr neue Pflanzen kaufen, wobei sie jedesmal nach neuen, noch aufregenderen Spezies suchen. Derzeit sind sie bei Bonai-Bäumen angekommen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/07/17/pflanzen-sehen-dich-an/

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kommentare

  • […] > > > Spunky schrieb am 14. Januar 2004 16:36 > > > > einem nur die Abhängigkeit vom Lieferanten einbringen. Wir > > > produzieren bereits genügend Nahrungsmittel für die gesamte > > > Erdbevölkerung. > > > > Nein, das war einmal, das ist nun leider nicht mehr so. > > Nicht? > Das ist mir neu. > Waren die Flächenstillegungsprämien in der EU schon so erfolgreich? Das hat damit wenig zu tun. Eher mit dem Anbau von Kaffee, Zucker, Kakao, Kokain statt Nahrungsmittel (für die lokale Bevölkerung). Es mag zwar genug Kalorien geben, aber das reicht ja nicht. Es ist bereits noch schlimmer. In Afrika zählt bald jeder Tropfen Wasser, so wenig Trinkwasser ist vorhanden. (Man kann sich denken, dass darum auch zu wenig für die Bewässerung der Felder vorhanden ist). Umverteilung ist auch nicht die Lösung, sondern der verteilte Weizen (oder Mais) konkurrenziert den ansässigen Bauern, die daraufhin ihre eigenen Weizen nicht mehr absetzen können. • • • • […]

  • […] > Ähm – welches Land steht denn nun unter Meerwasser bzw. hat sich in > Wüste verwandelt oder wurde von einem Unwetter zerstört? Das welches von Meerwasser überschwemmt wird, sich in Wüste verwandelt oder von einem Unwetter zwerstört wird? Wads soll die blöde Frage? > Vielleicht interessiert Dich das hier? -> > > “Earth is Becoming a Greener Greenhouse” > > http://cybele.bu.edu/greenergh/press.html > > Zitat: > “NASA satellite data suggest that for more than two decades there’s > been a gradual greening of the northern latitudes of Earth.” > Zitat Ende. Einzig die Interpretation des Autors. Und die ist offenbar ideologisch nicht gerade unangehaucht. > “Sahara desert frontiers turn green” > > http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/2267652.stm > > Zitat: > “Satellite pictures of northern Africa show that areas lost to the > Sahara desert during decades of drought are turning green again.” > Zitat Ende. > Welche Wüste(n) meintest Du denn jetzt konkret? Die welche weltweit auf dem Vormarsch sind. • • • • […]

  • Es gibt dabei auch schon Retromoden. So ist z.B. die oben erwähnte Goethepflanze drauf und dran, in Deutschland und speziell in Berlin an Terrain zu gewinnen. Im taz-Umfeld gibt es schon etliche Besitzer dieser Pflanze sowie auch Interessenten an ihren Ablegern. Goethe-Pflanze heißt sie deswegen, weil Goethe ihr seinerzeit „leidenschaftlich“ zugetan war. Das bewog wiederum Rudolf Steiner 1923, sie als Heilpflanze anzuerkennen, schon wenig später pulverisierten anthroposophische Apotheker Goethe-Pflanzen zu Medikamenten – u.a. gegen „hysterische Erscheinungen“.Eine kenntnisreiche Kollegin teilt mir dazu mit:“ „Wunschkinder“ heiße die Homepage, die die Goeth’sche Pflanze als homöopathisches Mittel empfiehlt, nicht weil die Pflanze sich so vermehrt, sondern vielmehr weil sie bei unerfülltem Kinderwunsch helfen soll (wobei die Homöopathen wahrscheinlich genau wegen dieser eigentümlichen Fortpflanzungsart auf das Mittel kamen).
    Diese Pflanze – eine Bryophyllum („wachsendes Blatt“
    übersetzt), lateinisch Kalanchoe daigremontiana genannt – ist ein Dickblattgewächs (Crassulaceae) aus Kalkutta. Zu Zeiten, als der deutsche Schlager „Kalkutta liegt am Ganges“ ein Hit war, kannte diese Pflanze noch jeder: Schon im zarten Alter bildet sie in ihren gezähnten Blattwinkeln Scharen kleiner Pflanzen aus, die irgendwann abfallen, am Boden sogleich Wurzeln schlagen – und dann ebenfalls wie verrückt, d.h. fast geometrisch, anfangen zu wachsen. Die Bryophyllum ist eine echte Wirtschaftswunder-, mindestens Existenzgründer- und Gründerzentren-Pflanze. Sie kann tagsüber, wenn es heiß ist, geradezu den Atem anhalten und sich so vor Verdunstung schützen. Erst nachts schöpft sie Atem, sammelt das Kohlendioxid in an Apfelsäure gebundener Form und betreibt dann am nächsten Tag damit Photosynthese. DirunalerSäurerhythmus wird diese spezielle Art der Photosynthese benannt, die sich auch bei vielen Kakteen findet. Zum Winter hin, wenn die Nächte länger als die Tage werden, kann Bryophyllum auch blühen: Zahlreiche hängende, weitgehend geschlossene Einzelblüten gehen langsam von einem grünen in einen blaß-violetten Fabrton über.So steht es im Internet. Ein Freund gab mir zwei kleinen Pflanzen, die er als direkte Nachkommen der Goethschen Bryophylla bezeichnete. Seine Tante hätte von dieser einmal einen Ableger in Weimar eingesteckt – und ihn groß gezogen. Nachdem die Gärtner dort aus Versehen die alte Goethe-Pflanze vernichtet hatten, ließ die Tante ihnen wieder einen Ableger zukommen. Auch ihr Neffe bekam einen, von dem ich wiederum zwei bekam, die nun, nach drei Monaten, schon so weit sind, dass ich mit ihren Ablegern mindestens vier Freunden eine Freude machen kann. Es ist ein bißchen wie das Pilotenspiel. Der, von dem ich sie bekommen habe, ist inzwischen schon vor der Fruchtbarkeit der Mutterpflanze in die Knie gegangen – und hat sie auf einer Investorenbrache ausgewildert, wo die Meter hoch gewordene Bryonphylla nun Winter und Wirtschaft ausgesetzt ist. Goethe hatte noch Zeit und Geld genug, um die Ableger seiner Pflanze schneller an Freunde und Bewunderer zu schicken als die Mutterpflanze sie produzieren konnte. Auf die Weise blieb er ihrer Herr. Am 20. April 1830 schickte er z.B. Marianne von Willemer einen Ableger. Im nachfolgenden Brief schrieb er: „Sie erhielten in diesen Tagen ein kleines Paket, das Ihnen die angenehme Pflicht auflegt, im Andenken eines angeeigneten
    Freundes mit Pflanzenerziehung sich zu beschäftigen. Mögen diese
    fruchtbaren Blätter viele Wurzeln schlagen und, in reichlichen Keimen entfaltet, von der Freundin selbst auch vielleicht Freunden mitgeteilt, die Erinnerung an den Sendenden beleben und erhalten.“
    Alles eitel! Aber die Bryonphylla versteht es immer wieder, sich diese menschliche Schwäche zu Nutze zu machen. So argumentieren die Neodarwinisten – nervtötenderweise. Aber selbst bei linken Biologen hat sich diese Pflanze längst eingeschlichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch wieder Eingang in die Wartesäle der Arbeits- und Sozialämter findet. Und hier gehört sie auch hin – nach Meinung der entschiedenen Kritiker des Neoliberalismus, denn nur hier kann sie sich wie ein Fisch im Wasser vermehren, wo im anschwellenden Strom immer häufiger der eine oder andere dort Wartende auch shcon mal einen Ableger mitgehen läßt So ist denn die Verbreitung der Bryonphylla,in Sonderheit die als Goethepflanze bekannte, besonders schnell wachsende Kalanchoe daigremontiana, bei den Planern von Struktur- und Wirtschaftseinheiten bereits zu einem Sozioindikator avanciert.Es gibt Nachtfreaks, die sie sich als Ungeheuer halten. Der angesehene FU-Splatterphilosoph Fascho-Kurt hat sie sehr gemocht. Allerdings nur aus der Distanz. Zu denken gibt ferner, dass fast alle die in diesem Internet-Kommentar angefallenen „Informationen“ aus dem Internet selbst stammen.
    Helmut Höge

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