Als Aushilfshausmeister gehöre ich im Sommer und zwischendurch zum Büro, als Paketepacker in der Vorweihnachtszeit zum taz-shop, das seit Oktober zudem noch das taz-café betreibt. Man kann dort auch belegte Brötchen kaufen. Früher hatte Nancy in der Kaffeeküche immer Bio-Schwarzbrotscheiben mit diversen Aufschnitten verkauft, die Brötchen nun sind mit Käse oder Wurst, auf jeden Fall aber mit viel Grünzeug, Tomaten, Gurken, Sojakeimlinge, Salatblätter etc. belegt. Überhaupt arbeitet diese neue Küche viel mit Grünzeug. Dagegen wäre an sich nichts zu sagen, wenn das ganze spanische oder holländische Gemüse nicht so schlecht schmecken würde, obendrein ist es auch noch giftig. Ähnliches gilt auch für das ganze Obst: Die Verbraucherschutzorganisationen warnen laufend vor den hohen Pestizid- und Herbizid-Rückständen in Kirschen, Äpfeln, Nektarinen usw.. Man darf dieses Zeug also höchstens in homöopathischen Dosen konsumieren. Die Kellner und Köche sind ratlos.
Ihnen sei ein Fleischküchen-Monolog aus Frankfurt ans Herz gelegt:
Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt generell die Küche als eine hochentwickelte, die von einem Tier, das sie zubereitete, so wenig wie möglich wegwarf. Heute ist es umgekehrt. Zu den Teilen, die heute als Abfall deklariert werden, gehören einmal die Innereien, die man bei uns in Deutschland nur noch selten ißt, in Amerika überhaupt nicht mehr, dann aber auch noch andere Teile, wie Füße, Kniegelenke, Sehnen usw.
Bei den Innereien gibt es praktisch zwei Kategorien: reinigende Organe – wie Nieren, Leber, Milz usw., und pumpende Organe, sowie Drüsen. Die Thymus- Drüse beispielsweise (Bries in der österreichischen Küche genannt, das Kenner sogar dem Kaviar vorziehen), aber auch Hoden, die in Portugal als Imbiß am Strand verkauft werden. Außerdem ist noch das Hirn – Bregen – eine Delikatesse, das bei sardischen Bauern immer dem Gast vorbehalten ist. Das Wertvollste am Tier ist die Thymus-Drüse. Sie sind nur bei jungen Tieren, bis zur Pubertät, vorhanden, dann bilden sie sich zurück; es sind Drüsen zur Wachstumssteuerung. Womit schon angedeutet ist, dass der Genuß von Bries ähnlich determiniert ist wie der von Hoden, wenn auch auf andere Weise: In vielen Privatkliniken werden älteren Leuten Thymus-Drüsen- Präparate (TXC) injiziert, als eine Art Frischzellen-Therapie zur Regeneration des Körpers von innen, so wie man analog dazu Kollagen-Präparate, die aus Föten gewonnen werden, äußerlich, in Salbenform, zur Reaktivierung der Zellen anwendet. Und Hoden, Stierhoden insbesondere, galten und gelten in romanischen Ländern als potenzsteigernd. Außerdem gibt es noch Hahnenkämme. In Delikatessengeschäften kann man sie enthäutet und vorgekocht in Dosen kaufen, sie werden meistens aus Frankreich importiert und kosten fast so viel wie Kaviar. Bei uns werden sie auf den Geflügelfarmen beim Schlachten weggeworfen.
In der alten Symbolik ist der geschwollene Hahnenkamm ein Synonym für ausdauernde Geilheit. In der Pharmazie gewinnt man aus Hahnenkämmen ein Schönheitsmittel (Hyaluronsäure). Einem japanischen Wissenschaftler in einem Kosmetik- Institut ist es jetzt gelungen, diese Substanz auf biologisch-technischem Weg herzustellen. In der österreichischen, speziell in der Wiener Küche spielen die Innereien und das Blut nach wie vor eine wichtige Rolle. Ebenso in der Kunst der Wiener Aktionisten (Nitsch, Brus, Muehl, etc.). Diese Aktionskünstler sind allerdings mittlerweile so krank, dass sie keine Innereien mehr essen dürfen – sie haben Gicht oder Ähnliches. Niemand sollte mehr als einmal in der Woche Innereien essen. Diese und ähnliche Konnotationen interessieren uns in der Kochklasse der Städelschen Kunstakademie aber nur am Rande. Uns geht es um die Verwendung der Innereien in einer Küche, in der der ganze Körper verarbeitet wird. Eine solche Küche ist historisch nicht auf eine Mangelsituation zurückzuführen, sondern auf eine gewisse Verantwortung gegenüber dem getöteten Tier.
In der bäuerlichen Wirtschaft war das zur Schlachtung bestimmte Tier der wichtigste Ernährungsfaktor, deswegen wollte man so viel wie möglich davon haben. In allen Ländern und Kulturkreisen gab es immer bestimmte Tiere, die nicht gegessen werden durften, und darüber hinaus bei den Tieren, die man aß, bestimmte Teile, die aus ethischen Gründen nicht zu Lebensmitteln verarbeitet werden durften. Beispielsweise wurden noch bis vor 350 Jahren päpstliche Edikte erlassen, die das Verspeisen von Blut unter Strafe stellten. Und in Amerika darf man noch heute in vielen Staaten keine Hoden essen, außerdem in fast allen US-Staaten kein Hirn. Ähnlich gibt es in Deutschland seit 1900 das Verbot, Geschlechtsteile zu essen, dazu gehören Hoden, aber zum Beispiel auch nicht-enthäutete Euter.
Das Fleischbeschaugesetz, § 35 der Ausführungsbestimmungen A) regelt, welche Teile des Tieres sonst noch „in die Beurteilung nicht einzubeziehen und zu beschlagnahmen sind“. Diese nicht-beschauten Teile konfisziert der Veterinär auf dem Schlachthof, sie sind damit vom Handel ausgeschlossen. Laut Auskunft eines Beamten des Ministeriums für „Arbeit, Umwelt und Soziales“, Abteilung „Veterinärwesen“, werden Verstöße gegen diese Ausführungsbestimmungen nicht geahndet, weil „ein normal Sterblicher an diese Geschlechtsteile überhaupt nicht rankommt.“
Für das Verbot der Hoden, seit der Jahrhundertwende, sprachen vor allem hygienische und veterinär-technische Gründe, die sind mittlerweile weggefallen, übriggeblieben sind ethische. Zur Zeit gibt es allerdings in Bonn eine Lobby, die versucht, die Hoden freizubekommen. Deutschland ist das einzige Land in der EG, in dem Hoden verboten sind, Amerika hat immerhin eine Ausnahmeregelung für bestimmte Volksgruppen – Italiener beispielsweise -, weswegen es hier auch Hoden in jedem Army-Supermarkt – tiefgekühlt – zu kaufen gibt, sie werden von einem italienischen Lebensmittelkonzern in den USA geliefert. Drüsenfleisch wird aber durch Gefrierung zerstört, es ist danach praktisch wertlos, nur noch mit einer gewissen mythischen Qualität behaftet. In Spanien werden Hoden auf Wochenmärkten – zu riesigen meterhohen Pyramiden aufgeschichtet und mit Tomaten und Paprika verziert – angeboten. In Italien findet man sie in den Auslagen der Metzgereien, dort ist der Metzger etwas anderes als bei uns, die wir hier die Verbindung von Fleisch- und Wurstwaren haben, die es nur in Deutschland gibt.
Der italienische Metzger, der nur Fleisch verkauft, hat so gut wie keine Auslagen im Schaufenster, dafür gibt es die Metzgerblumen, bestimmte Topfpflanzen, die ins Schaufenster gestellt werden. Früher hatte man darüber hinaus Schmalzplastiken (nachgebildete Schweine- oder Hammelköpfe), die ähnlich wie Marzipanplastiken aussahen. Die Metzger in Italien haben heute – wenn sie überhaupt Auslagen haben – Hoden im Schaufenster. Sonst nichts.
Die Teile eines Tieres, die nicht beschlagnahmt werden, die zum Zwecke des Verzehrs verkauft werden, unterliegen zuvor der Fleischbeschau. Deswegen sind Nieren und Leber, die man kauft, auch meistens angestochen oder aufgeschlitzt. Das hat zwei Gründe: Zum einen, damit sie kurz ausbluten können und somit keine größeren Blutgerinnsel zurückbleiben, zum anderen werden sie aufgeschnitten, weil man aus dem Inneren ein Stück für die Fleischbeschau entnimmt. Wäre in Deutschland der Hoden erlaubt, müßte zu zuvor beschaut werden, das geschieht aber nicht. Daraus ergibt sich ein dreifaches Verbot: a) Es dürfen keine Hoden importiert werden (mit einigen Ausnahmen – für bestimmte Volksgruppen); b) dürfen Hoden nicht verkauft werden; und c) dürfen sie nicht gegessen werden. Wobei sich der letzte Punkt aus dem zuvor Erwähnten ergibt: Weil Hoden nicht abgegeben werden dürfen, werden sie nicht beschaut und weil sie nicht beschaut sind, dürfen sie nicht gegessen werden. Der Veterinär hat die Vernichtung des Konfiskates (Hoden) zu überwachen, wobei der Paragraph 2 die Ausnahmeregelung des Paragraphen 8 des Tierkörperbeseitigungsgesetzes klärt. Die Ausnahmeregelung besagt unter anderem, dass unter gewissen Umständen Konfiskate an Institute abgegeben werden dürfen, wenn diese über eigenen Tierkörperbeseitigungsanlagen verfügen, meistens handelt es sich dabei um pharmazeutische Institute. Die andere eben erwähnte Ausnahme: verschiedene ethnische Minderheiten, die in der Lage sind, glaubhaft nachweisen zu können, dass sie über eine kulturell und historisch abgesicherte Hoden-Speise-Erlaubnis verfügen. Diese Volksgruppen dürfen, wenn überhaupt, nur importierte Hoden essen. Und dementsprechend gibt es bei der hessischen Landesregierung, Abteilung Veterinärwesen, Herren, die nur für importierte Hoden zuständig sind und andere, die nur Inlandshoden bearbeiten.
Als Lehrbeauftragter für Kochen an der Städelschen Kunstakademie geht es mir nun darum, aufzuzeigen, was für wunderbare Gerichte man aus Teilen zubereiten kann, die üblicherweise weggeworfen werden, und dies im Zusammenhang mit der Wiederbelebung einer Küche, die das ganze Tier verwendet. Hoden ist dem Bries im Geschmack sehr ähnlich, nur etwas fester im Fleisch, was es zum Essen eher angenehmer macht. Manche mögen Bries nur deswegen nicht, weil es ihnen taktil im Mund zu weich ist, zu schmierig.
Geschmacklich liegt der Hoden immer zwischen Bries und Bregen, was ihn zu einem der schönsten und kostbarsten Fleischarten macht. Um an frische Hoden heranzukommen, haben wir zuerst in Wiesbaden bei der Landesregierung angerufen, die uns aber an das staatliche Veterinäramt in Frankfurt verwiesen hat, als die dafür zuständige Behörde; haben aber hinzugefüht, dass sie es von sich aus befürworten würden und dass sie in Frankfurt anrufen, dass von ihrer Seite aus keine Bedenken dagegen bestehen. Und dann hat also der Frankfurter Oberveterinär – Herr Dr. Hildebrand – die Entscheidung gefällt, d.h. uns zehn Paar Hoden zugesagt und ferner, dass er Herrn Dr. Eufinger, den leitenden Veterinär des Schlachthofs, anweist, uns am 14. die Geschlechtsteile auszuhändigen. Wir sind daraufhin an dem Tag um acht Uhr früh auf dem Schlachthof erschienen und dort waren sowohl Herr Dr. Eufinger als auch Herr Dr. Hildebrand anwesend, sowie ein Herr Dr. Eckard, dessen Funktion und Amt uns zunächst unbekannt war. Dr. Eufinger, der uns die Hoden aushändigen sollte, sprach kein Wort mit uns, er schüttelte immer nur den Kopf und Herr Dr. Hildebrand war sehr verlegen. Herr Dr. Eckard nahm ihn beiseite und fragte ihn, ob er uns in dieser Hoden-Angelegenheit irgendetwas Schriftliches gegeben hätte, das hatte er nicht, was Herrn Dr. Eckhard sehr beruhigte. Er ging dann mit Dr. Eufinger weg in die Schweinehalle. Dr. Hildebrand blieb zurück. Er sagte uns, wir hätten noch eine Chance, an die Hoden ranzukommen, indem wir dafür sorgten, dass ein Herr Dr. Gerbig aus Wiesbaden ihn anrufe, um ihn anzuweisen, uns zehn Paar Hoden auszuhändigen, anders ginge es nicht zu machen.
Ich habe dann den Herrn Dr. Gerbig angerufen, und er sagte mir, dass er nicht direkt dafür zuständig wäre, sondern ein Herr Dr. Bert, weil die Hoden zum Zwecke des Verzehrs herausgegeben werden sollten und deswegen zuvor beschaut werden müßten. Herr Dr. Bert wäre aber im Moment nicht in seinem Zimmer, ob ich in einer Viertelstunde noch einmal anrufen könne. Das habe ich dann getan, aber er war noch immer nicht in seinem Zimmer, dafür hatte ich dann einen Herrn Utz, den für Auslandshoden Zuständigen, am Apparat, der sagte mir, dass sie nicht dafür zuständig seien, aber sie wüßten mitterweile alle im Ministerium über unsere Angelegenheit Bescheid und er würde mich jetzt wieder mit Herr Dr. Gerbig verbinden. Dieser sagte mir dann, seit ein paar Minuten hätte sich das Regierungspräsidium Darmstadt in diese Hodengeschichte eingeschaltet und sie hätten deswegen keinerlei Entscheidungsbefugnis mehr in der ganzen Angelegenheit. Das Regierungspräsidium wäre auf dem Schlachthof vertreten durch Herrn Dr. Eckard, was bedeute, dass wir das nur vor Ort klären könnten.
Ich bin dann also hin in die Schweinehalle zu Herrn Dr. Eckard, der daraufhin sein Buch aus der Tasche zog, das Tierkörperbeseitigungsgesetz, und mir daraus die entsprechenden Paragraphen vorlas, woraus hervorging, dass wir keinen Anspruch auf Herausgabe der Hoden besäßen. Herr Dr. Hildebrand hatte zuvor seine Zusage damit gegeben, dass er das Städel einfach den Instituten mit Tierkörperbeseitigungsanlage gleichgestellt hatte – wir wollten die Hoden ja essen, und somit ja auch beseitigen und nicht im Garten verbuddeln. Die Institute bekommen die Hoden als Konfiskate, unbeschaut, in unserem Fall waren sie aber zum Verzehr bestimmt und hätten also beschaut werden müssen, was gegen den Paragraphen 35 der Ausführungsbestimmungen A) des Fleischbeschaugesetzes verstoßen hätte, welcher besagt, dass Geschlechtsteile (Hoden) „nach den Vorschriften des Tierkörperbeseitigungsgesetzes vom 2. September 1975 (BGBl. I, S. 2313) in der jeweils geltenden Fassung“ zu konfiszieren sind. Schlußendlich mußten wir den Schlachthof ohne Hoden verlassen, als Ersatz nahmen wir enthäutete Euter.
Später ist uns klar geworden, dass die Intervention des Regierungspräsidiums gegen den Beschluß ihrer Veterinärbehörde aufgrund einer Aktivität eines Dozenten für Malerei am Städel erfolgt ist. Es gibt mehrere Dozenten an der Akademie, die etwas gegen die Existenz unserer Küche und Kochkurse haben, der Dozent für Flächengestaltung hat sich hierbei besonders hervorgetan in seiner Ablehnung. Er ist Funktionär im hiesigen Tierschutzverein. Herr Dr. Hildebrand wiederum, oberster Veterinär Frankfurts, ist gleichzeitig oberster Tierschützer dieser Region, d.h. das Veterinärwesen und der Tierschutz liegen in ein und derselben Hand. Weil dem Tierschutz auch die Tierhaltung unterliegt, hat der Gesetzgeber sie dem Veterinärwesen zugeordnet. Wir haben einen der Metzger auf dem Schlachthof gefragt, wie oft das Regierungspräsidium bei ihnen Visite macht, woraufhin uns gesagt wurde, maximal einmal im Jahr. Außerdem wäre es unmöglich, alle diesbezüglichen Gesetzbücher mitzuschleppen, sie wären kaum zu tragen. Dr. Eckard hatte aber nur das Tierkörperbeseitigungsgesetz bei sich, das in unserem speziellen Fall ja auch zur Anwendung kam.
In den darauffolgenden Wochen hatten wir mehrere Kontroversen mit verschiedenen Gegnern unserer Küche im Städel, wobei einmal zwei Leute jenen Dozenten direkt darauf ansprachen, ob er in der Hodengeschichte das Regierungspräsidium eingeschaltet habe. Nein, antwortete er ihnen, aber wenn er von unserem Vorhaben gewußt hätte, hätte er es ganz bestimmt getan. Wir sind uns sicher, dass er überzeugt davon ist, in dieser Angelegenheit nicht wirklich aktiv gewesen zu sein. In einer Städel-Sitzung hat er mir einmal gesagt: „Was haben Sie da vor, in der nächsten Woche? Was für eine Schweinerei wollen Sie da wieder machen? Ein Hodenessen? Das ist ja eine Riesensauerei! Das ist doch verboten! Ich werde das zu überprüfen wissen!“ Ich glaube, dass seine Vedrängungsmechanismen so gut funktionieren, dass er überzeugt davon ist; er hat nichts unternommen; er hat einfach nur den richtigen Mann gefragt: Da soll am Donnerstag den 14. ein Hodenessen im Städel stattfinden, ist das nicht verboten? Und mit dieser telefonischen oder sonstwie Anfrage hatte sich das dann auch schon erledigt.
Es geht bei dieser ganzen Angelegenheit natürlich schon um ein generelles Kunstverständnis, und darum, was eine Küche an einer Kunstakademie überhaupt zu suchen hat. Er kann damit wenig anfangen, d.h. Kochen und Essen spielt für ihn nur als abstraktes Medium eine Rolle. Anders gesagt: Fleisch und dergleichen kommt für ihn nur dann in Frage, wenn es zuvor von seinem ganzen tierischen Herkommen und Zusammenhang isoliert worden ist. Das bekommt er gerade noch hin – abstraktes Fleisch zu essen, Fleisch, dem man seine tierische Herkunft nicht mehr ansieht. Aber wenn das alles dann auch noch etwas mit Kunst zu tun haben soll, dann ist es für ihn aus, das geht ihm zu weit. Es hat darüber natürlich auch mit ihm Auseinandersetzungen gegeben, aber er ist gebildet genug für eine derartige Debatte, seine Ablehnung nicht rational zu begründen, sondern rein emotionell und deswegen sei sie vielleicht sogar noch höher zu bewerten als eine rationale, meint er.
Der Leiter der Küche und Kochklasse – Kubelka – wurde wenig später zum Direktor am Städel gewählt worden und der ehemalige französische Kulturminister – Jacques Lang – schlug sogar die Einrichtung einer nationalen „Hochschule für Kochkunst“ vor. In einem Interview sagte er: Kochen sei „eine der stärksten kulturellen Ausdrucksweisen einer Gesellschaft oder eines Landes“ und neben der „Kochforschung“ (die einige französische Physiker schon vor Jahren gefordert hatten, statt der Fortsetzung der Forschung nach weiteren „kleinsten Teilchen“) und der „Fortentwicklung der Kochkunst“ soll an der neuen Hochschule über die „Geschmackserziehung der Jugend“ nachgedacht werden, der zunehmende Verzicht auf den Käsegang in Restaurants sei bereits eine „gefährliche Tendenz“ und die wachsende Zahl von Schnellimbissen „alarmierend“.
Essen oder besser gesagt Kochen ist sicher eine der frühesten Kunstgattungen, die es gibt: Kunst hat in der Menschheitsgeschichte immer dann begonnen, wenn der Mensch befriedigt war, d.h. in dem Moment, wo der Mensch warm gekleidet war, fing er an, seine Kleidung zu gestalten und in dem Moment, wo er satt wurde, fing er an, sein Essen zu gestalten. Bei unserem Gegner am Städel handelt es sich nun um einen Maler, der so argumentiert: Zum einen findet er das Hodenessen unappetitlich und zum anderen verabscheut er das Töten von Tieren überhaupt. Nun gut, er ist aber Maler und als solcher braucht er getötete Tiere, um überhaupt an Pinsel heranzukommen, ebenso für seine Leinwand, d.h. für das Grundieren von Leinwänden. Ich möchte mich hierzu jetzt mal auf Genni berufen: Genni war ein schlechter Schüler von Giotto, der die Maltechniken seines Meisters veröffentlichte. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass ein Bild genauso zubereitet – sagen wir ruhig: gekocht – wird wie eine Speise. Jede Kunstform die wir haben, besteht immer aus drei Materialbereichen, d.h. aus pflanzlichen, tierischen und mineralischen Stoffen. Auch beim Essen ist das der Fall: Mineralisches kommt darin z.B. in den Spurenelementen vor, zusätzlich geben wir es noch in Form von Salz dazu. Bei der Malerei haben wir einmal die Holzplatte (also Pflanzliches), diese Platte wurde geleimt, was mit gekochten Kalbsfüßen geschah, dann hat man eine Leinwand darauf gespannt (die wieder aus pflanzlichem Material hergestellt wurde) und die erneut geleimt wurde (mit Kalbsfüßen), danach hat man gekochte Kalbsfüße mit Kreide vermischt (Kreide besteht aus gepreßten Muscheln und Schnecken), wobei das Ganze noch mit einer Armierung aus Kalbshaaren verbunden worden ist, was das Aufreißen beim Austrocknen verhindern sollte und damit auch beim Reißen der Holzplatte die Grundierung unbeschädigt blieb. Danach hat man angefangen zu malen, als erstes mit einer Temperafarbe, die mit Eiern aufgemischt wurde, als Pigment hat man die unterschiedlichsten Materialien verwendet, hauptsächlich welche aus dem mineralischen Bereich. Die Herkunft vieler Alter Meister läßt sich heute vor allem dadurch bestimmen, dass man die Herkunft der von ihnen verwendeten mineralischen Pigmente untersucht – oft haben sie nämlich einfach die Erde aus ihrer nächsten Umgebung verwendet, auf ihre Leinwand geschmiert: Umbra, Siena, usw.. Diese Erde haben sie genommen und mit Ei, Käse oder auch mit Olivenöl verbunden. Am Ende wurde das fertige Bild noch gefirnißt und zwar – das ist hochinteressant – mit dem Saft des Holzes, aus dem man die Holzplatte gefertigt hatte, d.h. das ganze Paket, die ganze Kocherei begann mit der Holzplatte als Untergrund und endete mit dem Saft aus dem selben Holz, zur Oberflächenversiegelung: wie ein Sandwich.
Gegenüber einer solchen Kunst hat das Kochen, die Speisezubereitung, den Vorteil, dass das Endergebnis gegessen wird und damit weg ist, also nicht mehr zu anderen Zwecken benutzt werden kann. Anders gesagt: Eine Speise wird gegessen und ausgeschissen, ein Bild dagegen, sagen wir ein Tafelbild, kann immerhin noch zum Fetisch werden oder zu einem Spekulationsobjekt oder was auch immer. Demgegenüber ist das Essen im Vorteil: Es geht dabei einzig um die Kunstproduktion. Ein alter Streit in der Philosophie geht ja darum: was ist wichtiger, der Weg oder das Ziel? Beim Kochen ist die Sache ganz einfach: Es wird gegessen und ausgeschissen, das ist eine ganz direkte Rezeption. Für das Essen einer Speise braucht deswegen auch niemand eine Rezeptionsanleitung, was heißt, dass sich die Wirkung eines Gerichtes jedem sofort erschließt. Wenn ich einen giftigen oder ungenießbaren Pilz esse, dann falle ich um oder mir wird schlecht, ein ungenießbares Bild dagegen wirkt nicht so eindeutig auf den Betrachter. Für eine Suppe braucht man keine Rezeptionsanleitung, entweder sie schmeckt einem, oder sie schmeckt einem nicht. Das ist der Grund, warum jede Kunstgattung vom Kochen etwas lernen kann.
Worum geht es uns aber nun, wenn wir in der Kochklasse speziell Innereien zubereiten? Es gibt nichts am Tier, was einen so starken Eigengeschmack wie die Innereien hat. Das blöde schiere, magere Muskelfleisch schmeckt nach gar nichts. Dass heute fast ausschließlich dieses Fleisch gegessen wird, ist nur die Konsequenz aus dem Abstraktionsvorgang, den man zwischen sich und dem getöteten Tier in Gang gesetzt hat. Man kann das auch Entfremdung nennen. Eine Entfremdung, die auf die Geschmacklosigkeit abzielt, man ekelt sich heute vor dem Eigengeschmack des Tieres. Das war früher anders. Wenn wir z.B. in alten Kochbüchern lesen, dann finden wir darin mitunter noch Hinweise auf lange Kochzeiten: Es wird empfohlen, ein Stück Rindfleisch acht Stunden lang zu kochen, würde man so etwas heute befolgen, hätte man nur noch Pampe im Topf. Das hat damit etwas zu tun, dass wir keine alten Tiere mehr essen, sondern nur noch Jungtiere, Babies. Die ältesten Tiere, die wir schlachten, sind kurz vor der Pubertät, etwa zwischen 10 und 15 Monaten alt. Früher war es dagegen völlig normal, alte Tiere zu essen, die vielleicht jahrelang gearbeitet hatten, oder x-mal tragend gewesen sind. Solche Tiere hatten einen starken Eigengeschmack. In unserer Küche haben wir einmal ein siebenjähriges Schwein gegessen, das brauchte eben seine fünf, sechs Stunden Kochzeit, damit man das Fleisch überhaupt beißen konnte, dafür hatte es dann aber auch einen wunderbaren Geschmack. In Amerika geht die Perversion weiter als bei uns: Dort will man beispielsweise Geflügel essen, nicht mehr Huhn, Ente, Puter, was auch immer, deswegen wird diesen Tieren gleich nach der Geburt schon mit einer Zange die Bürzeldrüse entfernt, d.h. dass sie sich nicht mehr ihre Gefieder fetten können. Diese Fettdrüsen sind aber nun die Ursache für den spezifischen Geschmack der einzelnen Geflügelarten, entfernt man sie, schmecken alle gleich. Abgesehen davon, schmeckt auch die Bürzeldrüse selbst ganz hervorragend. Die Amerikaner gehen sogar noch weiter, sie zerteilen das Fleisch so, dass man anschließend nicht mehr sagen kann, was ein Schenkel, ein Flügel oder eine Brust war, es sieht alles gleich aus und schmeckt gleich. Damit wird das Fleisch weder mit einem Körperteil noch mit einer Geflügelart identifizierbar, es ist vollkommen abstrakt. Auch in Deutschland wird der Wunsch nach solchen Abstraktionen immer stärker.
Dieser allgemeine Wunsch nach Entfremdung ist älter als die Industrialisierung des Mast- und Schlachtvorganges. Friedrich Engels berichtet beispielsweise in „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ von arbeitssuchenden Iren, dass viele von ihnen ein Schwein besaßen, das mit ihnen lebte, mit den Kindern spielte und das sie sogar auf ihrer Arbeitssuche begleitete, nichtsdestotrotz landete es irgendwann – wenn es reif war – im Kochtopf. Friedrich Engels war mehr als verwundert über diesen Brauch. Ich dagegen bin der Meinung, dass man gerade das Tier, das man essen will, lieben muß. In dem Moment, wo man es in der Küche als Material vor sich liegen hat, hat man eine gewisse Verantwortung. Man kann noch weiter gehen: Nur wenn man das Tier – lebend – geliebt hat, gelingt es einem, es bei der Zubereitung wieder auferstehen zu lassen. Bei der Zubereitung entscheidet sich, ob man ein Koch oder ein Mörder ist.
Die Fraktion der Grünen im Hessischen Landtag, vertreten durch Maritta Haibach (Kulturausschuß) und Briska Hintz (Kultur- und Sozialausschuß), in der Hoden-Angelegenheit um Rat und Tat gefragt, gab später noch folgende Stellungnahme ab: „Wir können insofern was dafür tun als wir uns erst einmal informieren werden, auch eine Anfrage im Landtag ist möglich, aber wir müssen damit vorsichtig sein, nach der Päderasten-Geschichte in Nordrhein-Westfalen würden die Hoden sicher auch wieder gegen uns verwendet werden.
(Aus einem Gespräch mit Jochen Fey, Lehrbeauftragter für Kunst und Kochen an der Städelschen Kunstschule Frankfurt/Main)
ich suche eierlauf nicht schul krimskrams!