Ein Freund von mir war bis vor kurzem Hausmeister in einem Wasserwerk außerhalb Berlins. Jetzt ist es geschlossen. Man will daraus eine Art Museum machen. Noch bevor er beim Job-Center in der Kochstraße antanzte, sprach er mit einem Funktionär seiner Gewerkschaft. Der riet ihm, nach Stuttgart oder nach Düsseldorf zu ziehen: „Berlin ist tot!“
Im westdeutschen Kapitalorgan FAZ fand Ende 2005 eine interne Diskussion über die Privatisierung des Wassers und der Wälder statt, letzteres wird gerade in Bayern gesetzgeberisch angegangen, und in der Redaktion war man sich uneins, ob das nun nicht doch zu weit gehe.
Für Robert Kurz signalisieren derartige „Staatsakte“, so schreibt er in seinem neuen Buch „Weltkapital“, eine Art Schlußverkauf – d.h. den Anfang vom Ende, jedenfalls der Nationalökonomien, die mit den nun transnational operierenden Betriebsökonomien obsolet geworden sind und selbst nur noch betriebswirtschaftlich agieren können – einmal, indem sie gegeneinander und bis runter zu den letzten Großgemeinden ein absurdes „Standortmarketing“ betreiben, gleichzeitig ihre ganze Infrastruktur verscherbeln („wenn dabei jedoch die Konkurrenz eingeführt wird, dann ist es keine Infrastruktur mehr“) und zum anderen, indem sie sich bald nur noch auf Sicherheitsaufgaben beschränken. Denn die Zonen der Verwilderung und Barbarei herrschen längst nicht mehr nur an der Peripherie, sondern ziehen sich durch die kapitalistischen Metropolen selbst.
Es ist aber kein vermeintlich „freies Land“, wie während der Ersten Industriellen Revolution in Amerika, Australien und Teilen Russlands mehr – zum Ansiedeln von „Überflüssigen“ – vorhanden. Und während es der Zweiten Industriellen Revolution noch gelang, die vom Land verdrängten Menschenmassen für das Fabriksystem zu mobilisieren, wobei sie dann auch noch als Konsumenten in Erscheinung traten, geschieht nun mit der Dritten Industriellen Revolution das Gegenteil: das Kapital demobilisiert sie, während gleichzeitig die Ende des 19.Jahrhunderts für sie geschaffenen „sozialen Netze“ demontiert werden: Die Gesundheitssysteme werden ebenso privatisiert wie die Bildungseinrichtungen. Zwar gibt es noch immer Industrien, die auf der Suche nach Billig- und Willigarbeitskräften ihre Produktionsstätten in immer wieder neue Elendsregionen verlagern (über 40 Mio zumeist junge Frauen arbeiten bereits in so genannten „Sonderwirtschaftszonen“, wo sie wie Sklaven gehalten und genährt werden, und daneben sind ganze Produktionsschiffe in Planung – außerhalb der Dreimeilenzone und damit von Arbeitserlaubnis sowie gewerkschaftlicher und gesundheitlicher Kontrolle), aber das besondere Kennzeichen der derzeitigen Globalisierung ist die mähliche Abkopplung des Finanzkapitals von der Produktion, indem „Investitionen“ in fiktive Werte (wie Derivate, Hedge- und Equity-Fonds, Junk-Bonds und Währungen) profitabler geworden sind als solche in die Herstellung von Waren oder die Bereitstellung von Dienstleistungen. Die Banken bieten den Anlegern dazu immer neue „Produkte“ an.
„Die Globalisierung des Kapitals geht aus der Zuspitzung des kapitalistischen Selbstwiderspruchs erster Ordnung zwischen Produktivkraftentwicklung einerseits und Mehrwertproduktion/kaufkräftiger Konsumtionsfähigkeit andererseits hervor,“ schreibt Robert Kurz, „und der Prozeß, in dem das Kapital vor dieser Zuspitzung gewissermaßen auf die Weltmärkte und in transnationale Strukturen flüchtet, schlägt auf den kapitalistischen Selbstwiderspruch zweiter Ordnung zwischen Nationalökonomie bzw. Nationalstaatlichkeit einerseits und Weltmarkt andererseits zurück und spitzt diesen ebenfalls zu. Globalisierung ist somit nichts anderes als ein eskalierender Krisenprozeß, in dem das Kapital, gestachelt von der mikroelektronischen Revolution, vor seinen eigenen inneren Widersprüchen davonläuft und diese sich dadurch nur umso schärfer entfalten, seine eigene innere Schranke sich ihm nur umso unerbittlicher entgegenstellt“.
Die dritte Industrielle Revolution bereitete sich zur selben Zeit wie die Gründung von IWF und Weltbank am Ende des letzten (imperialistischen) „Zweiten Weltkriegs“ vor. Dazu fanden zwischen 1946 und 1953 die so genannten „Macy-Konferenzen“ statt, auf denen sich die „technokratische Wissenschaftselite der USA“, darunter viele Emigranten aus Europa, versammelt hatte – um ausgehend von der Waffenlenk-Systemforschung, der Kryptologie, der Experimentalpsychologie und der Informationswissenschaft sowie von Erwin Schrödingers 1943 erschienenem Buch „What is Life?“ Theorie und Praxis der „Circular Causal and Feedback Mechanisms in Biological and Social Systems“ zu diskutieren. Hierzu gehörten u.a. John von Neumann, Norbert Wiener, Claude Shannon, Gregory Bateson und Margret Mead, als Konferenzsekretär fungierte zweitweilig Heinz von Foerster. Im Endeffekt entstand daraus die inzwischen nahezu weltweit durchgesetzte und empirisch fruchtbar gewordene Überzeugung, dass die Gesetze komplexer Systeme unabhängig von dem Stoff, aus dem sie gemacht sind – also auf Tiere, Computer und Volkswirtschaften gleichermaßen zutreffen.
Als einer der ersten Gegner dieses bald immer mehr Wissenschaftsbereiche erfassenden Paradigmenwechsels trat 1953 der Schriftsteller Kurt Vonnegut mit seinem Buch „Das höllische System“ auf, in dem er die Massenarbeitslosigkeit produzierenden Folgen des kybernetischen Denkens bei seiner umfassender Anwendung beschrieb, die Herbert Marcuse dann als „Herrschaft eines technologischen Apriori“ bezeichnete, was der Wiener Philosoph Günters Anders wiederum zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und Recherchen zur „Antiquiertheit des Menschen“ machte. Diese besteht nach ihm darin, dass spätestens mit dem Koreakrieg (1950-53) die rechnerischen Kalküle alle moralischen Urteile ersetzt haben.
Selbst die antifaschistischen Charakteranalysen von Adorno im amerikanischen Exil fanden noch Eingang in die Macy-Konferenzmaschine, indem man schließlich auch den „‚Antiautoritären Menschen nach Maß‘ noch zum Ziel der Kybernetik erklärte“.
In dem Aufruhr-Horrorszenario, das Vonnegut entwarf – indem er die Militärforschung des „Fathers of Cyborg“ Norbert Wiener und des Mathematikers John von Neumann weiter dachte – geht es um die Folgen der „Maschinisierung von Hand- und Kopfarbeit“, d.h. um die vom Produktionsprozeß freigesetzten Menschenmassen, die überflüssig sind und nur noch die Wahl haben zwischen 1-Dollarjobs in Kommunen und Militärdienst im Ausland, wobei sich beides nicht groß unterscheidet. Theoretisch könnten sie sich auch selbständig machen – „Ich-AGs“ gründen, wie das 1997 in Wisconsin entwickelte „Trial Job“-Modell nach Übernahme durch die rotgrüne Regierung hierzulande heißt. „Reparaturwerkstätten, klar! Ich wollte eine aufmachen, als ich arbeitslos geworden bin. Joe, Sam und Alf auch. Wir haben alle geschickte Hände, also laßt uns alle eine Reparaturwerkstatt aufmachen. Für jedes defekte Gerät in Ilium ein eigener Mechaniker. Gleichzeitig sahnen unsere Frauen als Schneiderinnen ab – für jede Einwohnerin eine eigene Schneiderin.“
Es bleibt also dabei: Die Massen werden scheinbeschäftigt und sozial mehr schlecht als recht endversorgt, während eine kleine Elite mit hohem I.Q., vor allem „Ingenieure und Manager“, die Gesellschaft bzw. das, was davon noch übrig geblieben ist – „Das höllische System“ (so der deutsch Titel des Romans) – weiter perfektioniert. An vorderster Front steht dabei Norbert Wiener. Schon bald sind alle Sicherheitseinrichtungen und -gesetze gegen Sabotage und Terror gerichtet. Trotzdem organisieren sich die unzufriedenen Deklassierten im Untergrund, sie werden von immer mehr „Aussteigern“ unterstützt. Der Autor erwähnt namentlich John von Neumann. Nach Erscheinen des Romans beschwerte sich Norbert Wiener brieflich beim Autor über seine Rolle darin. Die Biologiehistorikerin Lily E. Kay bemerkt dazu in ihrem 2002 auf Deutsch erschienenen „Buch des Lebens“ – über die Entschlüsselung des genetischen Codes: „Wiener scheint den Kern von Vonneguts Roman völlig übersehen zu haben. Er betrachtete ihn als gewöhnliche Science Fiction und kritisierte bloß die Verwendung seines und der von Neumanns Namen darin.“ Vonnegut antwortete Wiener damals: „Das Buch stellt eine Anklage gegen die Wissenschaft dar, so wie sie heute betrieben wird.“
Tatsächlich neigte jedoch eher Norbert Wiener als der stramm antikommunistische von Neumann dazu, sich von der ausufernden „Militärwissenschaft“ zu distanzieren, wobei er jedoch gleichzeitig weiter vor hohen Militärs über automatisierte Kontrolltechnologien dozierte. Der Roman geht dann so weiter, dass die von der fortschreitenden Automatisierung auf die Straße Geworfenen sich organisieren, wobei sie sich an den letzten verzweifelten Revivalaktionen der Sioux im 19. Jahrhundert orientieren: an den Ghost-Dancers, die gefranste westliche Secondhand-Klamotten trugen. Im Roman heißen sie „Geisterhemd-Gesellschaften“ – und irgendwann schlagen sie los, d.h. sie sprengen alle möglichen Regierungsgebäude und Fabriken in die Luft, wobei es ihnen vor allem um den EPICAC-Zentralcomputer in Los Alamos geht. Ihr Aufstand scheitert jedoch. Nicht zuletzt deswegen, weil die Massen nur daran interessiert sind, wieder an Maschinen zu arbeiten. Bevor die Rädelsführer hingerichtet werden, sagt einer, von Neumann: „Dies ist nicht das Ende, wissen Sie.“ (Schon begreifen sich neue Gruppen als Indianer. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs waren es noch die versprengt im „Reich“ herumirrenden und untergetauchten Juden, die sich als „die letzten Mohikaner“ sahen, wie Jozef Makowski in seinem polnischen Buch „Wehrmachtsgefolge“ schreibt, später verstanden sich laut Indulis Bilzenz auch die nach Westen abgetriebenen Letten als „die letzten Indianer Europas“, hier und heute behaupten einige Palästinenser: „Wir sind jetzt die Indianer, die von Cowboys gejagt werden.“)
1984 griff Thomas Pynchon den Gedanken von Vonnegut noch einmal auf: „Is it o.k. to be a Luddit?“ fragte er sich in der New York Times Book Review – und antwortete dann: „Wir leben jetzt, so wird uns gesagt, im Computer-Zeitalter. Wie steht es um das Gespür der Ludditen? Werden Zentraleinheiten dieselbe feindliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie einst die Webmaschinen? Ich bezweifle es sehr…Aber wenn die Kurven der Erforschung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz, Robotern und der Molekularbiologie konvergieren. Jungejunge! Es wird unglaublich und nicht vorherzusagen sein, und selbst die höchsten Tiere wird es, so wollen wir demütig hoffen, die Beine wegschlagen. Es ist bestimmt etwas, worauf sich alle guten Ludditen freuen dürfen, wenn Gott will, dass wir so lange leben sollten.“
Noch ist es nicht so weit, aber es mehren sich die Anzeichen: In Tunis kam es Anfang 1984 zu „Hungeraufständen vor allem arbeitsloser Jugendlicher. In der venezolanischen Hauptstadt Caracas wurden 1989 Unruhen und Volksaufstände gegen das IWF-Anpassungsprogramm brutal unterdrückt…Die Anti-IWF-Unruhen wurden durch eine 200-prozentige Erhöhung des Brotpreises ausgelöst. Inoffiziell kamen dabei mehr als 1000 Menschen ums Leben. Im selben Jahr schloss das nigerianische Militär nach Studentenunruhen gegen die IWF-Anpassungen sechs Universitäten. In Marokko brachen 1990 erst ein Generalstreik und dann ein Volksaufstand gegen die vom IWF gestützten Reformen aus. In Mexiko erhoben sich 1993 die Zapatisten. Ebenfalls 1993 kam es in der Russischen Föderation zu Protesten gegen die IWF-Reformen. In Ecuador führten Massenproteste gegen die Übernahme des US-Dollars als nationale Währung im Jabnuar 2000 zum Rücktritt des Präsidenten. Im April desselben Jahres protestierten Tausende von Bauern in Bolivien gegen die Privatisierung der Wasserressourcen des Landes…Die Liste ist lang und wird immer länger“, schreibt der Attac-Aktivist Michel Chossudovsky. Zuletzt, 2005, probten die perspektivlosen Jugendlichen in den französischen Banlieues den Aufstand: 3000 „Randalierer“ wurden verhaftet.
Schon Mitte der Siebzigerjahre hatte sich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe an der Universität Bremen mit den Auswirkungen „der Maschinisierung von Hand- und Kopfarbeit“ beschäftigt, wobei z.B. der marxistische Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel aufgrund eigener Recherchen davon überzeugt war, die während der chinesischen Kulturrevolution in Angriff genommene „Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit“ habe bereits dazu geführt, dass u.a. der Zentralcomputer auf dem Güterbahnhof von Nanking im Dienste der Arbeiter eingesetzt werde – und nicht (mehr) umgekehrt. Mit dem Zerbrechen der „eisernen Reisschüssel“ ist es jedoch auch in China mit dieser Art von Privilegierung des Proletariats vorbei – und es kommt auch dort laufend zu – vorerst lokalen – Aufständen gegen Privatisierungen.
Ebenfalls Mitte der Siebzigerjahre zog sich der Mathematiker Theodor Kaczynski von der Universität Berkeley zurück – um sich in den Wäldern von Montana eine Henry Thoreaus „Walden II“ nachempfundene Existenz aufzubauen. Ab 1978 begann er von dort aus, mit Briefbomben gegen die aus der Kybernetik hervorgegangenen Technologien der Kontrolle und Kommunikation und vor allem gegen ihre „Macher“, seine einstigen Kollegen, vorzugehen. Nachdem man ihn verhaftet und zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt hatte, veröffentlichte der Schriftsteller Jim Dodge einen Roman, in dem er am Beispiel einer Gruppe von Verschwörern, AMO genannt, die sich ebenfalls auf den Zentralcomputer in Los Alamos konzentriert, ausführte, wie man erfolgreicher Widerstand leisten könnte. Thomas Pynchon bezeichnete Dodges Buch „Die Kunst des Verschwindens“ als den „ersten bewußt analogen Roman“.
Anfang 2005 stellte der Leipziger Künstler Lutz Dammbeck in der Akademie der Künste seinen Film „Das Netz“ über den so genannten UNA (UN-iversities und A-irlines) -Bomber Kaczynski vor, in dem er dessen „Werdegang“ bis zu den privaten und staatlichen „Thinktanks“, die sich aus den Macy-Konferenzen herausgemendelt hatten , zurückverfolgte, und dabei einige Konferenzteilnehmer interviewte. Ausschnitte aus Dammbecks Interviews, sowie Abschnitte aus den ins Deutsche übersetzten Macy-Konferenzprotokollen lagen 2005 zwei Berliner Workshops zugrunde.
Vorangegangen war diesen allerdings eine allgemeine Ermüdung bei der Verwendung des Begriff „Cyber“ – nachdem die Kybernetik durch ihre Verschränkung von Science and Fiction sich bereits zu einem „Pop-Phänomen“ ausgeweitet hatte. Eine Teilnehmerin an den Workshops, Gabriele Grammelsberger, gab in ihrer „Positionsbestimmung“ jedoch zu bedenken: Zwar sei die Kybernetik als Theorie der steuerbaren Kommunikation und Information „in vermeintlich neuen Disziplinen aufgegangen“, das ändere jedoch wenig an „ihrer programmatischen Präsenz“ in Form der fortwährenden Wirksamkeit von paradigmatischen und präskriptiven Konzepten wie „System“, „Kontrolle“, „Vorhersage“, „Rückkopplung“, „Programmierbarkeit“, „Information“, „Operator“ und „Beobachter“ sowie der Perspektive „der statistischen Betrachtung, der funktionalen Symbolisierung und der zweckgerichteten systemischen Steuerung und Organisation“.
Rainer Fischbachs Beitrag umriß „das erste große Einsatzfeld der anfänglich fast noch künstlerisch gewesenen Ideen der Macy-Konferenz: den Vietnamkrieg“. Hierbei sei die, vor allem mit den Namen Mc Namara und Henry Kissinger verbundene, Kybernetik jedoch „gescheitert“, was die Militärs bis heute aber nicht daran hindere, sich nahezu weltweit und mit den selben Einsatzmitteln auf Stadtkämpfe einzustellen – wozu sie u.a. Institute für Urbanistik gründen. Die „Urbanismus-Diskurse“ der heutigen Stadtsoziologen und Architekten (für die „Kontrolle“ und „Kommunikation“ z.T. noch in Opposition stehen) sind in diesem Zusammenhang nur die spielerische Variante der Terrorbekämpfung, wie sie zur Zeit u.a. in den urbanen Zentren des Iraks stattfindet. Wenn hierbei nun die städtische Bevölkerung in toto als Guerilla und somit als Feind fixiert wird (wie sie – ebenfalls mit Clausewitz, aber in anderer Perspektive – auch schon Michel de Certeau in seinem Buch „Die Kunst des Handelns“ als potentielle Partisanen dargestellt wurden), dann war es im Vietnamkrieg der unberechenbare Bauer als Vietkong, für den „der Krieg kein Spiel, sondern Kampf“ war, so daß „der rationale, kybernetische Krieg im Massaker endete, ohne auch nur ein einziges seiner erklärten Ziele zu erreichen“, wie Rainer Fischbach schreibt, der sich dabei sinnigerweise auf einen Fictionfilm, nämlich Coppolas „Apocalypse Now“, bezieht.
Günter Anders hatte dafür bereits den Begriff des „Telezids“ geprägt, um die vorherrschende Form der Gewalt zu charakterisieren, mit der die Differenz von Modell und Realität vernichtet wird. – Bis hin zu Heinz von Foersters Credo: „Es gibt keine Realität“ und Claude Shannons Begriff der „Neurose“ in bezug auf einen Computer, der gleich einer Ratte aus einem Labyrinth herausfand, bei einer kleinen Veränderung der Wegführung jedoch in eine Endlosschleife geriet. Fischbach fügte dem hinzu: Mit Reagans „Strategic Defense Initiative“ (SDI) sei dieses Denken auf ein „totalisierendes System“ hinausgelaufen, das im Konzept des „Cyberspace“ nun bis in das Leben der Individuen vordringe.
Die einst optimistische These von Marshall McLuhan: „Das Medium ist die Botschaft“, ergänzte Jean Baudrillard bereits, eher kulturpessimistisch gestimmt, dahingehend, dass es gar „kein Medium im buchstäblichen Sinne des Wortes“ mehr gäbe: „von nun an läßt es sich nicht mehr greifen, es hat sich im Realen ausgedehnt und gebrochen…“ Ebenso sei es „mit dem Zeitalter der Repräsentation, dem Raum der Zeichen, ihrer Konflikte, ihres Schweigens“ vorbei: „Es bleibt nur die ‚black box‘ des Codes, das Molekül, von dem die Signale ausgehen, die uns mit Fragen/Antworten durchstrahlen und durchqueren wie Signalstrahlen, die uns mit Hilfe des in unsere eigenen Zellen eingeschriebenen Programms ununterbrochen testen“. Die vom Militär sowie von der Rockefeller-Foundation finanzierte Forschung in der Molekularbiologie rüstete sich in den Vierzigerjahren ebenfalls mit den Begriffen der neuen Kybernetik und Informationswissenschaft – wobei sie keinen Unterschied zwischen Maschinen und Organismen machte: Die einen wie die anderen waren fortan „programmiert“ – und hier wie dort ging es um „Information“, ein Begriff, den die Harvard-Biologiehistorikerin Lilly E. Kay als „Metapher einer Metapher“ bezeichnet.
Die Diskussion über den metaphorischen bzw. nicht-metaphorischen Charakter des genetischen „Codes“ hält an.
Unbestreitbar ist jedoch, dass die angloamerikanischen Genetiker mit Hilfe der Kybernetik eine neue Denkweise durchsetzten, die „mit dem Aufbau von Waffenlenk- und -kontrollsystemen“ aufkam, wobei sie sich der „Informationsverarbeitung und der Rückkopplungsregelung“ widmeten – und dabei „die Unterschiede zwischen Belebtem und Unbelebtem verwischten“. „Ich vermute, daß ein großer Teil eines Tiers oder einer Pflanze redundant ist, denn es hat gewisse Probleme damit, sich exakt zu reproduzieren, und es gibt eine Menge Rauschen. Eine Mutation scheint ein Stück Rauschen zu sein, das in eine Nachricht hineingerät,“ schrieb Norbert Wiener 1948, für den die „Gene“ dann das grundlegende „Kontrollelement“ waren, wobei „Control and Communication“, so der Titel seines Buch“, für ihn identisch waren. Der Genetiker John B.S. Haldane, der Linguist Roman Jakobson, der Politikwissenschaftler Karl W. Deutsch, der Mathematiker John von Neumann, der Harvard-Soziologe Talcott Parson u.a., die alle wie Wiener für das Militär arbeiteten, übernahmen seine „kühnen Gedanken“, aus denen der Ökonom Kenneth E. Boulding dann ein „missionarisches Werk“ machte, das inzwischen die ganze Welt beherrscht – auch die sowjetische, wo man ab zwischen 1948 und 1961 einen „Sonderweg“ – proletarische Biologie genannt – beschritt und die Genetiker verbannte.
Indem ausgehend von den USA „das Leben“ als „Code“ am Beispiel der Viren und mithilfe von Kybernetik und Informationswissenschaften im Rahmen der amerikanischen Kriegsforschung begriffen, d.h. „geknackt“ wurde, konstituierte sich also nach und nach weltweit eine Molekularbiologie, für die „lebendige Entitäten“ wie (vorprogrammierte) Computer funktionieren. Während umgekehrt unsere Computer von immer mehr (deprogrammierenden) Viren überfallen werden. Dergestalt wurden Mensch und Maschine wesensgleich; ihre Austauschbarkeit war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu besiegelt. „Die neue Semiotik wurde in den neuen Bedeutungsregimen des industriell-militärisch-akademischen Komplexes und der Kultur des Kalten Krieges formuliert“, schreibt Lilly E. Kay.
Ab 1970 forschte der chilenische Neurobiologe Humberto Maturana an Heinz von Foersters „Biological Computer Laboratory“ in den USA. Von dort aus gab er den „Artificial Intelligence-Forschern“ zu bedenken, sie „ahmten biologische Phänomene nach. Wenn man (aber) biologische Phänomene nachahmt und dabei nicht zwischen den Phänomenen und seiner Beschreibung unterscheidet, dann ahmt man am Ende die Beschreibung des Phänomens nach.“ Seine Überlegungen gipfelten 1975 in dem Buch „Autopoietic Systems“.
Diesen Begriff – der Autopoesis – griff nun, nach Niklas Luhmann, auch Robert Kurz auf, um damit die bisherige „reale Selbstzweckbewegung der permanenten Verwandlung von Arbeit in Geld“ zu beschreiben, die jetzt zur bloßen Erscheinung von etwas anderem degradiert wird, „nämlich der autopoietischen Bewegung des entkoppelten Finanzkapitals und seiner creatio ex nihilo in der Zirkulation von Eigentumstiteln.“ Dieser „potenzierten Verkehrung von Wesen und Erscheinung“ entspricht laut Robert Kurz auch faktisch einer Verkehrung von materieller Produktion und Wertform als Geldform: „Nicht mehr die Realakkumulation trägt einen Finanzüberbau, sondern das Recycling von substanzloser Geldform generiert zunehmend überhaupt erst materielle Produktion, indem die Gewinne aus den Preisbewegungen der Eigentumstitel als Kaufkraft reale Güter nachfragen.“
Mit der Verselbständigung des Finanzkapitals wird die materielle Produktion“ zu einem „Nebeneffekt“, von dem jedoch „das Wohl und Wehe von Betrieben und Regionen abhängt, die nicht aus ihrem ‚Standort‘ aussteigen können, so wenig wie ein Mensch aus seinem Körper ‚aussteigen‘ kann.“ Robert Kurz spricht von einer „Finanzblasenökonomie der Globalisierung“ – als Folge eines großen Strukturumbruchs am Ende der fordistischen industriellen Ära, der seitdem immer mehr Arbeitslose und an der Peripherie sogar Zusammenbrüche von ganzen Nationalökonomien hervorrief: „Die Ursache besteht eindeutig darin, dass in der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik der Effekt der ‚Freisetzung‘ von Arbeitskraft die für die neuen Technologien notwendige Anwendung zusätzlicher Arbeitskraft nicht nur weit übertrifft, sondern erstmals in der kapitalistischen Gesellschaft auch die Produktion des ‚relativen Mehrwerts‘ aushebelt. Die ‚Entsubstantialisierung‘ des Kapitals tritt damit in ein historisches Reifestadium.“
Nur scheinbar geriert es sich dabei neokolonialistisch, in Wirklichkeit streift es alle einstigen Territorialisierungen und Raumbeherrschungswünsche ab. So wie es der Philosoph Emmanuel Lévinas nach dem ersten bemannten Weltraumflug noch glückhaft empfand: „Mit Gagarin wurde endgültig das Privileg der Verwurzelung und des Exils beseitigt“. Seitdem git es keine „Heimat“ mehr. Nach Auflösung der Sowjetunion gab einer der letzten MIR-Kosmonauten jedoch bereits zu bedenken: „Wir haben unser Hauptproblem nicht gelöst. Wir können in den Weltraum fliegen, dort arbeiten und wieder zurückkehren, aber wir haben keine natürliche menschliche Betätigung im Weltraum – im Zustand der Schwerelosigkeit – gefunden. Bis jetzt haben wir keine produktive Tätigkeit dort oben entwickeln können. Ich empfinde das als persönliches Versagen.“
Ähnlich geht es nun den Global Playern und ihren Topmanagern, nur dass sie dies als Befreiung ansehen: „Wir sind keine japanische Firma. Wir sind ein globales Unternehmen, das seinen Sitz nur aus historischen Gründen in Japan hat,“ beteuert Sony-Präsident Nobuyuki und der BASF-Manager Jürgen Dormann meint: „Wir haben zwar einen gesellschaftlichen Auftrag, weil wir hier unsere Wurzeln haben und weil wir uns – auch – als deutsche Staatsbürger sehen. Aber wir haben den Patriotismus ein bißchen übertrieben.“ Der BMW-Chef von Kuenheim gab bereits Anfang der Neunzigerjahre unumwunden zu: „Wir sind gezwungen, unsere betriebswirtschaftlichen Probleme zu Lasten der Volkswirtschaft zu lösen“. Inzwischen transnationalisieren sich selbst schon kleine mittelständische Betriebe, indem sie immer mehr Bereiche und Funktionen „outsourcen“ bzw. in Billiglohnländer verlegen.
Robert Kurz spricht von einer zunehmenden „Gesellschaftsunfähigkeit des Kapitalismus“ und kritisiert in diesem Zusammenhang den Philosophen Peter Sloterdijk, der gegenüber dem „Globalen“ und seiner Barbarisierung der Verhältnisse für einen „Wohlfühlraum“ von Privilegierten plädiert: einen „Lokalismus“, der den „Existentialismus reformuliert“. Mit dieser einst am Ende des antiimperialistischen Partisanenkampfs im Zweiten Weltkriegs entstandenen philosophischen Idee steht Sloterdijk den nationalpatriotischen deutschen Partisanentheoretikern Ernst Jünger, Rolf Schroers und Carl Schmitt nahe. Letzterer prophezeite in seiner „Theorie des Partisanen“ 1932/1963: „Der Partisan wird mindestens noch so lange einen spezifisch terranen Typus des aktiven Kämpfers darstellen, wie antikolonialistische Kriege auf unserem Planeten möglich sind“. Wer heute die transnationale Zerstreuung des Kapitals für Neokolonialismus hält, neigt dazu, diesem „den Typus des globalen Partisanen (vornehmlich arabischer Nationalität)“ entgegen zu stellen, so wie es beispielsweise „Die Kommenden“ tun, eine Zeitschrift, die einmal wesentlich von Ernst Jünger beeinflußt wurde, der darin 1929 eine scharfe Kritik an der ablehnenden Haltung der NSDAP zur rechtsterroristischen Landvolkbewegung veröffentlichte. Diese schleswig-holsteinische Protestbewegung stellte damals das sozusagen letzte Aufgebot der Bauern gegen ihre massenhafte Enteignung dar.
Aber heute geht es nicht mehr um „befreite Zonen“, höchstens noch um „Sonderwirtschaftszonen“ und ihre Kehrseite: „No-Go-Areas“, die der Stadtforscher Loic Wacquant als „Hyperghettos“ bezeichnet. In diesen sich ausdehnenden „Zonen der Barbarei“ (R.Kurz) kehren die heutigen Partisanen zurück.