vonHelmut Höge 15.08.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

Als ich gerade den Keller ausmistete und mich dabei ein Volontär ansprach, der etwas von mir wollte (eine Dienstleistung natürlich), lag es mir auf der Zunge zu sagen „Ich bin gerade im Stress“. Das Wort Stress kam mir jedoch nicht über die Lippen – aus moralischen Gründen. Es ist ein rechtes Scheißwort. Der Volontär half mir aber aus der Patsche, indem er von selbst abwinkte und sagte: „Ich seh schon, du bist gerade im Stress.“ Wenn ich nicht irre, haben wir dieses Wort den Vietnam-Vetranen zu verdanken. Kann sich jemand vorstellen, dass ein Vietkong-Veteran, von denen es in Berlin nicht gerade wenige gibt, jemals sagen würde: „Die Amis haben uns gestresst!“?

Als die US-Soldaten nach dem Vietnamkrieg nach Hause kamen, wurden sie von der kriegsmüden und in der Haltung zum Krieg gespaltenen Bevölkerung nicht gerade freudig empfangen. Sie organisierten sich und gründeten u.a. die gewerkschaftsähnliche Organisation der Vietnam-Veterans. Mit ihrer Lobbyarbeit gelang ihnen 1980 die Anerkennung und damit Etablierung der PTSD „Post-Traumatic-Stress-Disorder“ (posttraumatischen Belastungsstörung) durch die „American Psychiatric Association“. „Die PTSD-Diagnose bedeutete eine Würdigung ihrer psychologischen Leiden,“ schreibt die Soziologin Eva Illuoz. Von den Vietnam-Vets aus wurde „das PTSD dann auf immer mehr Vorkommnisse und Fälle ausgeweitet, etwa auf Vergewaltigung, terroristische Angriffe, Unfälle, Verbrechen etc..“ Inzwischen sind wir mehr oder weniger und im Zweifelsfall alle gestresst. Der Stress der Vietnam-Vets ist ein Vorläufer der Kriegsneurose, genauer gesagt: ein Nachläufer. PTSD ist die Verlängerung der Kriegsneurose in den Frieden. Sie wird seit dem Ersten Weltkrieg systematisch erforscht und klassifiziert, vorher gab es nur Simulanten.

Dem gegenüber steht die Partisanenkrankheit, die aber auch erst im Frieden ausbricht. Schon gleich nach dem (gewonnenen) Partisanenkrieg in Jugoslawien wurden Spezialkliniken zur Erforschung und Therapie dieser neuen Krankheit, die alle jugoslawischen Partisanen bis auf die slowenischen befallen konnte, eingerichtet. Etliche wissenschaftliche Symposien befaßten sich damit. Der erste, der im deutschen Sprachraum darüber publizierte, war 1948 der slowenische Psychoanayltiker Paul Parin, der zuvor selbst als Arzt bei den Titopartisanen gekämpft hatte. Mit dem heute in der Schweiz lebenden Parin kann man vielleicht sagen: Wenn die Kriegsneurose ausdrückt, nicht mehr zu kämpfen zu wollen, dann bedeutet die Partisanenkrankheit, nicht mit dem Kämpfen aufhören zu können. (1) Beim PTSD wie auch bei der Partisanenkrankheit ging es in Friedenszeiten nicht zuletzt auch um die Rente – insofern war ihre offizielle Anerkennung als Leiden notwendig. Anders gesagt: „Die Klassifizierung von Pathologien entsprang der Tatsache, dass die mentale Gesundheit aufs engste mit der Versicherungsdeckung verknüpft wurde.“ (Eva Illouz)

Das ist noch nicht lange so. Partisanen hat es dagegen schon immer gegeben, so lange wie es Volkskriege und -aufstände gegen innere oder äußere Bedrückungen gab, die allererst die „mentale Gesundheit“ gefährdeten. Und meistens standen solche Aufstände in einem Zusammenhang mit der Landbevölkerung. Es gibt inzwischen sogar Partisanentheoretiker, wie den BBC-Programmchef Steward Hood, die meinen, dass nunmehr, mit dem Verschwinden der Bauern auch kein Partisanenkampf mehr möglich ist (2). Sogar Deutschland hat eine ruhmreiche Partisanentradition. Erinnert sei an die germanische Guerilla unter der Führung von Hermann dem Cherusker gegen die römischen Okkupanten unter Varus – 9 nach Christus. Varus hatte zuvor den jüdischen Aufstand in Palästina niedergeschlagen. Nach ihrer dritten Niederlage versuchten die Römer nie wieder, Germanien zu erobern. Hier konnten dann die Friesen am Längsten ihre Unabhängigkeit bewahren, indem sie alle Adelsheere schlugen.

Unter partisanischen Gesichtspunkten sind daneben vor allem die Hussitenkriege, ausgehend von der tschechischen Stadt Tabor, wichtig – 1419-1436. Mehrmals schlugen diese Bauernhaufen ein Kreuzritterheer. Ihrem Anführer Jan Ziska errichtete man später in Prag das größte Reiterdenkmal der Welt. Die protestantischen Hussiten waren wiederum Vorläufer und Vorbild für den deutschen Bauernkrieg 100 Jahre später – unter der Führung von Thomas Müntzer und Martin Luther, die sich jedoch bald gegenseitig bekämpften. Die Niederlage der Bauern in der Schlacht bei Frankenhausen 1525 wirkt bis heute nach – was die politische Einstellung der deutschen Bauern betrifft – und wahrscheinlich überhaupt die relative Unfähigkeit der Deutschen zum Widerstand. Die DDR ließ in Frankenhausen in den Siebzigerjahren ein Bauernkriegsdenkmal errichten: ein Rundbau mit dem größten Panoramabild der Welt – von Werner Tübke. Obwohl es spätestens seit dem „Jüdischen Krieg“ gegen die Truppen des Varus eine Stadtguerilla gibt, blieben die meisten Partisanenkämpfe mit dem Bauerntum verbunden.

Ab 1808 bildete sich ausgehend vom Widerstand gegen Napoleon in Spanien und in Tirol langsam eine Partisanentheorie heraus. Sie wurde von den preußischen Reformern in Angriff genommen, die damit den Partisanenkampf gegen Napoleon in Deutschland befördern wollten. Genannt seien der Freiherr vom Stein, sowie Hardenberg, Scharnhorst und die Militärs Gneisenau und Clausewitz. Weil der preußische König zögerte, den „Volkssturm“ von oben zu entfesseln, traten einige dieser Adligen in russische Dienste. Von dort aus kam es dann ebenfalls zum Partisanenkrieg gegen Napoleon, nachdem dieser Moskau eingenommen hatte. Einer der herausragenden Partisanenführer war der Dichter Denis Dawydow, auch in Deutschland gab es solche Partisanendichter – Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner z.B.. Berühmt wurde Heinrich von Kleist – vor allem mit seinem Drama: „Die Hermannschlacht“, das er als Agitationsstück zur Aufnahme des Guerillakampfs gegen die französische Besatzungsmacht verstand, wie Wolf Kittler es 1987 in seiner Kleiststudie „Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie“ nachwies, der Hermannschlachtforscher Phil Hill würde dagegen umgekehrt bei Kleist von einer Geburt der Partisanenpoesie aus dem Geist des gemanischen Widerstands gegen Rom sprechen. Der partisanische Widerstand in Preußen litt, da er zunächst von Offizieren und Adligen begonnen wurde, unter deren eingefleischten Soldatentum, d.h. als Partisanen- oder Freischarführer tendierten sie dazu, sich den napoleonischen Truppen heldenhaft im offenen Kampf zu stellen, Attacken zu reiten und sich bei Rückzügen zu verschanzen – anstatt sich in Sümpfen und Wäldern zu verstecken und von dort aus Überfälle zu wagen.

Dieses „Umdenken“ fiel auch später noch den Militärs schwer – bis hin zu den Bolschewiki. In der Revolution von 1905 forderte Lenin, der die Schriften von Clausewitz und Gneisenau gründlich studiert hatte, zwar von seiner Partei, sich an die Spitze der Partisanen zu stellen, aber 1917, als überall in Russland quasi von selbst Partisanengruppen entstanden, um die Weißen und die ausländischen Interventen zu bekämpfen, drang er darauf, sich vom Partisanenkampf zu verabschieden und diese chaotischen Gruppen in die neue disziplinierte Rote Armee einzugliedern. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch einmal einige deutsche Partisanentheoretiker: den Schriftsteller Ernst Jünger, den Gründer der Künstlersozialversicherung Rolf Schroers und den faschistischen Staatstheoretiker Carl Schmitt. Letzterer meinte, dass die Bolschewiki das Partisanentum im Gegensatz zu den Chinesen noch relativ schwach entwickelt hätten. Bei Mao Tse Tung, der von einem „lang andauernden Krieg“ ausging, gibt es dagegen fast eine Gleichgewichtung des partisanischen und des soldatischen Kampfes. Es kam 1949 tatsächlich auch zu einem „Sieg im Volkskrieg“, dieser dauerte alles in allem 22 Jahre. Anfänglich gab es noch, beeinflußt von den sowjetischen Beratern und deren marxistische Einschätzung des Proletariats als einzige revolutionäre Klasse, eine tragische Fixierung auf Städte und Fabrikarbeiter, deren Aufstände dann allesamt scheiterten. Die Sowjets tendierten sowieso dazu, die Bauern insgesamt gering zu schätzen und als verkleinbürgerlicht abzutun bzw. mit der Kollektivierung abzuschaffen, dieses Vorgehen stand insbesondere in Russland im Gegensatz zu Marx, der einst die Entwicklung des Bauerntums von den Germanen bis zur russischen Dorfgemeinschaft (Obschtschina) studiert hatte – und dabei zu dem Resultat gekommen war, dass die Obschtschina mit ihrem Gemeinschaftseigentum den Kapitalismus quasi überspringen könne…

Ausgehend von den Niederlagen in Shanghai und Kanton 1927, aber auch von den zuvor gescheiterten Aufständen in Reval und Hamburg, machte man sich in der Moskauer Komintern 1928 an die Zusammenstellung eines Lehrbuchs für den Aufstand (es wurde im Zusammenhang der Studentenbewegung 1971 auf Deutsch veröffentlicht). Neben einigen Altbolschewiki und dem General der Roten Armee Tuchatschewski arbeitete auch der deutsche Revolutionär Erich Wollenberg sowie Ho Chi Minh daran mit. Letzterer galt unter den Bolschewiki als ein „Bauernträumer“, sein Text in dem Aufstands-Handbuch, „Die Arbeit unter der Bauernschaft“ betitelt, beginnt mit dem Satz: „Der Sieg der proletarischen Revolution in Agrar- und Halbagrarländern ist undenkbar ohne aktive Unterstützung durch die ausschlaggebenden Massen der Bauernschaft“. Auch das Scheitern der städtischen Aufstände in China führte Ho Chi Minh darauf zurück, dass es z.B. „in den an Kanton grenzenden Gebieten keine starke revolutionäre Bauernbewegung gab“. Und eine der „Hauptvoraussetzungen für einen dauernden Erfolg des Vorgehens bäuerlicher Partisanen“ ist laut Ho Chi Minh „ihre unzertrennliche, lebendige Verbindung mit den breiten Bauernmassen“.

Für die Parteipropaganda bedeutet dies, das sie sofort die Forderungen der Bauern aufgreift: also Landreform, d.h. Neuverteilung des Bodens an die Armen, Vertreibung oder Ermordung der wüstesten Handlanger der Regierung in den Dörfern und Enteignung der Großgrundbesitzer, zumindest der verhassten und derjenigen, die nicht an der Seite der Bauern kämpfen wollten.

Für die organistorische Arbeit auf dem Land geht es darum, eine „einfache und den breiten Massen ebenso verständliche wie geläufige Struktur“ zu finden. Diese beginnt mit dem Aufbau eines „Selbstschutzes“ – also einer Bauernmiliz, die mit ihren Waffen (Sensen, Messer, selbstgebaute Granaten usw.) versucht, das Dorf im gegebenen Falle gegen feindliche Überfälle und vor Plünderungen zu schützen, wobei sie u.a. Fallen und Verstecke anlegt. Als nächstes gilt es, „Partisanenabteilungen nach dem Territorialprinzip“ zu bilden, die im Untergrund arbeiten und Überfälle planen, um dem Gegner z.B. Waffen abzunehmen. Miliz und dörfliche bzw. territoriale Widerstandsgruppen sind während der Aussaat und zur Erntezeit noch Halbzeit- oder Mondscheinpartisanen, d.h. sie sind auch noch als Bauern tätig, je nach Stand der Auseinandersetzungen primär oder nebenbei. Mit der Verschärfung des Klassenkampfes und dem Umschlagen desselben in den offenen Bürgerkrieg müssen die Partisanenzellen laut Ho Chi Minh „zu Abteilungen verschiedener Stärke und nach Gebieten zusammengefaßt werden“. Gleichzeitig muß ihre politische Schulung forciert werden, damit sie ihrer Rolle als „Avantgarde“ der Bauern gerecht werden können. Um eine reguläre Armee in offener Stellung angreifen zu können bedarf es schließlich der Zusammenfassung der Partisanenabteilungen zu einer „Bauernarmee“.

Dieses dreiteilige Entwicklungsschema der Bewegung, wiewohl es so oder so ähnlich für viele Partisanenkriege gilt (z.B. für die Titopartisanen im Zweiten Weltkrieg oder für Budjonnys Kosakenpartisanen im russischen Bürgerkrieg, aus denen dann die berühmte „Reiterarmee“ hervorging), verbirgt ein Problem, das man als Umschlag von der Qualität in die Quantität bezeichnen könnte: Die widerständigen Bauern kompensieren ihre mangelnde Bewaffnung durch List und Tücke sowie durch genaue Kenntnis ihres Territoriums, auf dem sie zu Hause sind – das sozusagen auf ihrer Seite ist und mitkämpft. Dazu gehören auch ihre Tiere, die wilden wie die zahmen, sowie die Pflanzen und Bäume.

Sobald die Partisanengruppen jedoch in die Befreiungsarmee eingereiht werden, unterstehen sie einem Oberkommando, das sie gemäß den Anforderungen der Front mal hier und mal dort einsetzt – auf unbekanntem Territorium. Und ihre Partisanenführer finden sich plötzlich im Hauptquartier bzw. in Stäben wieder, wo sie Entscheidungen nicht mehr aufgrund ihrer Ortskenntnis treffen, sondern auf der Basis eingehender Informationen und anhand von Landkarten, was ganz andere Fähigkeiten verlangt.

In der Sowjetunion gab es im Zweiten Weltkrieg die größten Partisaneneinheiten und von ihnen befreite Gebiete in Weissrussland. Dort entstand später dann auch eine Literatur, vor allem von Ales Adamowitsch und Wassil Bykau, die sich fast ausschließlich mit dem Partisanenkampf befaßte, weil der Einzelne dabei noch moralische Entscheidungen treffen kann und muß, während er in der Armee nur noch ein Rädchen im Getriebe einer gigantischen Militärmaschinerie ist, auch wenn er weiterhin Teilnehmer an einem „gerechten Krieg“ bleibt. Diese daraus entstandene Literatur kann man als „sozialistischen Existentialismus“ bezeichnen. In Frankreich entstand aus dem Partisanenkampf gegen die Deutschen zur selben Zeit explizit ein „Existentialismus“, er ist mit den Résistancekämpfern Sartre und Camus verknüpft. In Italien sprach man von Neoverismus oder Neorealismus, der dann vor allem durch Filme – u.a. von Rossellini – berühmt wurde. Das erste neorealistische Manifest wurde bereits 1943 in einer Partisanenzeitschrift veröffentlicht.

Dieser kulturelle Ausfluß des Partisanenkampfes wirkte noch bis in die westeuropäische Studentenbewegung hinein. Einen Monat nach der so genannten Tet-Offensive der südvietnamesischen Befreiungsbewegung fand in Westberlin im Februar 1968 der „internationale Vietnamkongreß“ statt. Dabei wurde insbesondere eine Parole des vier Monate zuvor ermordeten Partisanenführers Ché Guevara diskutiert: „Schafft zwei, drei, viele Vietnam!“. Die laut Oskar Negt bloß „abstrakte Gegenwart der Dritten Welt in den Metropolen“ geriet in einigen Redebeiträgen zu einer immer größeren Annäherung zwischen Saigon und Berlin: indem die Straßenkämpfe hier immer militanter wurden, indem man statt Geld für Medikamente nun „Waffen für Vietnam“ sammelte und indem sich mit den Worten von Rudi Dutschke bei den Aktivisten langsam das Gefühl verdichtete: „In Vietnam werden auch wir tagtäglich zerschlagen, und das ist nicht ein Bild und ist keine Phrase“.

In den Jahren davor litt man hier geradezu an der allzu „abstrakten Gegenwart“ des vietnamesischen Widerstands: 1968 veröffentlichte der Freiburger Psychiater Erich Wulff das Buch „Vietnamesische Lehrjahre“, in dem er über seine Arbeit als Arzt in Hué von 1964 bis 1967 berichtete. Zwischendurch mußte er nach Deutschland zurückkehren und wieder in seiner Freiburger Ambulanz arbeiten, wo ihn die Beschäftigung mit den psychischen Leiden der Mittelschicht jedoch bald anödete: „In Vietnam hatte ich Krankheit als gewaltsamen Einbruch ins Studium, ins Arbeits- und Privatleben kennengelernt; der Arzt reparierte sie, wenn er konnte…Die Lebensumstände, in die der Entlassene zurückkehrte, waren oft empörend; aber der Arzt konnte dennoch das Gefühl haben, etwas geschafft zu haben, etwas Wirkliches; auch hatte die Überlegung Sinn, wie die Verhältnisse, die ständig Krankheit verursachten, sich ändern ließen. Die Änderung war nicht bloß denkbar, sondern es wurde im Land um sie gekämpft. Ein vielfältiger Prozeß der Veränderung nahm einen auf, bot Möglichkeiten des Eingreifens. Auch in persönlichen Freundschaften war solche Wirklichkeit greifbar: was mich mit Tuan, Mien u.a. verbunden hatte, beruhte vorrangig auf gemeinsame Stellungnahme zu den Ereignissen, war in seinem Kern Politik, Engagement für die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Unsere Freundschaften waren niemals in der Fadheit des bloß Privaten eingeschlossen. Sie waren sozusagen in einem pathetischen Sinne republikanisch. In Vietnam hatte mich gesellschaftliche Wirklichkeit bis in die sogenannte Intimsphäre hinein betroffen und herausgefordert.“

Diese gesellschaftliche Veränderung bis in die Beziehungen hinein vermißte Wulff im allzu friedlichen Freiburg, so daß er bald wieder zurück nach Vietnam ging. Auf dem Vietnamkongreß in Westberlin resultierte daraus u.a. für den Schriftsteller Peter Weiß die Forderung: „Unsere Ansichten müssen praktisch werden, unser Handeln wirksam. Dieses Handeln muß zur Sabotage führen, wo immer sie möglich ist. Dies fordert persönliche Entscheidungen. Dies verändert unser privates, individuelles Leben.“ – Bis schließlich eine gemeinsame „Front“ entsteht.

Die internationale Studentenbewegung mußte dabei einen ähnlichen Weg wie die südvietnamesischen Partisanen vollziehen. So erzählte z.B. Quyet Thang, ein Bauer, der erst Partisanenführer in der Provinz Tay Ninh wurde und dann Regimentskommandeur der regulären Truppen der Befreiungsarmee: „Bis Ende 1959 wurde unsere ‚Linie‘ ausschließlich vom Gedanken eines legalen, politischen Kampfes ohne Gewalt bestimmt“. Aber die südvietnamesischen Truppen terrorisierten die Dörfler dermaßen, dass sie irgendwann vor der Entscheidung standen: „Aufstand oder Tod“. Anfang 1960 unternahmen sie ihre erste „Selbstverteidigungsaktion“: mit einem alten Gewehr, mehreren selbstgebastelten Minen aus Bambusrohre, die sie mit Karbid und Wasser füllten, und einigen Megaphonen überfielen sie nachts einen kleinen Militärstützpunkt der Regierung, nachdem die Frauen auf dem Markt das Gerücht verbreitet hatten, starke Vietkong-Einheiten seien mit schweren Waffen in der Nähe ihres Dorfes gesehen worden. Das gezielt ausgestreute Gerücht im Dienste des Befreiungskampfes kennt man auch aus Weissrussland: Wenn dort ein Partisan durchs Dorf kam, erzählten die Bäuerinnen den Deutschen, es seien tausende gewesen, und wenn es tausende waren, sagten sie, es wären nur zwei, drei gewesen. Im Stützpunkt Phu My Hung funktionierte das Gerücht so gut, dass die Soldaten dort völlig eingeschüchtert waren und beim Angriff keinen einzigen Schuß abgaben. Zur Warnung an die anderen erschossen die Partisanen einen besonders brutalen Distriktchef. Das hatte laut Quyet Tang eine durchschlagende Wirkung: „In allen umliegenden Dörfern stellten sie ihr Treiben ein, und der schlimmste Terror hatte beinahe über Nacht ein Ende gefunden.“ Damit war die Linie der Gewaltlosigkeit verlassen.

Als nächstes bereitete sich diese Partisanengruppe darauf vor, das Fort Tua Hai, in dem 2000 Soldaten stationiert waren, anzugreifen, vor allem um sich dort Waffen zu beschaffen. Für diese Aktion bekamen sie bereits 260 vor allem junge Kämpfer zusammen, die mit insgesamt 170 alten Gewehren und etlichen selbstgebauten Granaten ausgerüstet wurden. Zum Abtransport der Beute wurden 500 Bauern aus entfernt gelegenen Dörfern mobilisiert. Außerdem hatten sie Flugblätter vorbereitet, die mit „Die Selbstverteidigungskräfte des Volkes“ unterschrieben waren. Der Überfall gelang und die Partisanen erbeuteten 1000 z.T. automatische Waffen, außerdem schlossen sich ihnen etliche Soldaten an, die beim Wegtragen der Beute halfen. Zehn Kämpfer fanden bei dieser Aktion den Tod, zwölf wurden verwundet. Auf ähnliche Weise wurden in der Folgezeit dann viele Aktionen durchgeführt. Aber Ende 1961 griffen die USA, unter anderem mit Hubschraubern, in die Kämpfe ein – und es mußten andere Taktiken entwickelt werden.

Den Bericht von Quyet Thang habe ich dem Buch „Partisanen contra Generale“ von Wilfred G. Burchett entnommen, ein australischer Journalist, der ab 1964 Südvietnam bereiste, sein Buch erschien 1967 im Verlag Volk und Welt. Die DDR bildete mit der UDSSR und China eine immer engagiertere „Anlehnungsmacht“ für die Nordvietnamesen und die südvietnamesische Befreiungsbewegung – und unternahm enorme Anstrengungen, um sie zu unterstützen. Dazu erschien kürzlich ein Buch von zwei ADN- und N.D.-Korrespondenten in Hanoi zwischen 1967 bis 1970: „Sieg in Saigon“. Die Autoren Irene und Gerhard Feldbauer reden dabei von einer geglückten sozialistischen Wiedervereinigung in Vietnam, die sie in gewisser Weise einer unglücklichen kapitalistischen in Deutschland gegenüberstellen. Dem sozialistischen Block als Anlehnungsmacht traten die USA und u.a. die BRD als Bündnispartner der südvietnamesischen Regierung entgegen. Zuletzt kämpften die Amerikaner jedoch fast alleine gegen den Norden und den Vietkong. Die Guerilla wurde währenddessen mit dem südvietnamesischen Volk fast identisch. Anfänglich war es noch laut Mao Tse Tung darum gegangen, dass der Revolutionär sich in den Volksmassen wie ein Fisch im Wasser bewegen müsse. Die amerikanischen Militärstrategen blieben in diesem Bild und versuchten, „den Teich auszutrocknen, um die Fische darin zu fangen“. Dazu griffen sie u.a. auf die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen in Russland erprobten Maßnahmen zurück: auf Wehrdörfer, Tote Zonen, Verbrannte Erde-Aktionen und auf die Rekrutierung z.B. von partisanengeschulten Kosaken, die nun als Partisanenbekämpfungs-Truppen eingesetzt wurden (u.a. die Green Berets). Bald war auch für sie jeder Vietnamese ein Vietkong, was in gewisser Weise sogar eine Erleichterung darstellte, weil es die quälende Unsicherheit der Soldaten im Einsatz beseitigte, wie der amerikanische Autor Jonathan Neale in seinem 2004 veröffentlichten Buch über „Den amerikanischen Krieg in Vietnam“ meint: Wen immer die Soldaten töteten – es war der richtige!

Von der anderen Seite aus hat der Arzt Erich Wulff diese Entwicklung beschrieben: Am Anfang war der „Vietkong“ fast ein Phantom, aber nach und nach nahmen immer mehr Leute aus seiner Umgebung in Hué Kontakt mit der Befreiungsfront auf, die irgendwo „da draußen“ auf dem Land bzw. im Dschungel war. Sie „beschafften Informationen oder transportierten Medikamente ins Maquis“. Die „befreite Zone“ war bald nur noch 10 Kilometer von Hué entfernt. „Das Maquis war nicht mehr, wie 1964, ein Kuriosum, wo man seine Neugierde befriedigte. Es wurde immer mehr zum geistigen, politischen und organisatorischen Zentrum für die Orientierung der Menschen in der Stadt“.

In Vietnam gibt es eine Reihe von kleinen Bergvölkern, die u.a. von der Jagd leben. Sie verließen als erste die ‚Linie‘ der Gewaltlosigkeit, woraufhin die Regierungstruppen sie mit Vernichtungsfeldzügen überzog. Die Dörfler wehrten sich mit alterprobten Mitteln: Bodenfallen, die mit Bambusspießen gespickt waren, Fallstricke, die Steinlawinen auslösten, an Seilen schwingende „Morgensterne“ und vergiftete oder brennende Pfeile, die von einer Armbrust abgeschossen wurden. Auch Bienen kamen zum Einsatz: Dazu wurden einige Stöcke am Wegrand aufgestellt und die Ausflugslöcher mit Papierstückchen zugeklebt, von denen Fäden über den Weg führten. Wurden diese von Soldaten zerrisen, kamen die Bienen frei und stürzten sich wütend auf sie. Daneben lernten die Kämpfer, die Pflanzen, Insekten und Großtiere des Waldes zu Heilzwecken zu nutzen. Zu den aufständischen Bergvölkern gesellten sich die Buddhisten, die ebenfalls von der Regierung verfolgt wurden sowie die Reste einiger Sekten, die untergetaucht waren und sich zu kriminellen Banden gewandelt hatten. Zusammen mit den Partisaneneinheiten bildeten sie bald eine „Nationale Front“, aus den bewaffneten Sekten entstand die Keimform einer „regulären Armee“, die Führung blieb jedoch bei den Bauern, die sich zu wahren Herren auf dem Land aufschwangen – immer mehr Dörfer schlossen sich zu „befreiten Gebieten“ zusammen. Selbst Stützpunkte der Regierung zur Kontrolle bestimmter Abschnitte waren in Wirklichkeit umzingelt vom Vietkong, der darüber entschied, welche Versorgungsgüter zu den Soldaten gelangen durften und welche nicht. Bei den Soldaten handelte es sich zumeist um zum Wehrdienst gezwungene junge Bauern, die die Partisanen auf diese Weise langsam für sich gewinnen wollten, mindestens wollten sie Informationen über bevorstehende Angriffe, Truppenverlegungen usw. von ihnen bekommen. Dies nannte man eine Politik des „Zukorkens“ feindlicher Posten. Ähnlich war es bei den „strategischen Dörfern“, in die man die Bauern reinzwang, vorher wurden ihre alten Dörfer zerstört bzw. zerbombt, ihre Gärten und Reisfelder vergiftet. 16.000 solcher „Wehrdörfer“ wollte die Diem-Regierung errichten, es wurden aber nur einige tausend – und selbst unter diesen befanden sich bald viele in Wahrheit ganz oder zumindestens nachts in den Händen des Vietkong. In den Städten, wo nicht demonstriert werden durfte, benutzten die Propagandatrupps der Nationalen Front Affen, denen sie Hemden überzogen, auf denen Parolen standen. Die so ausstaffierten Tiere, manchmal kamen auch Hunde zum Einsatz, wurden dann auf den Marktplätzen freigelassen.

Immer wieder waren Partisanengruppen gezwungen, buchstäblich in den Untergrund auszuweichen oder sich zumindestens darauf vorzubereiten: Das war im hussitischen Tabor der Fall, aber auch im Zweiten Weltkrieg in Odessa sowie bei den Aufständen in Warschau und Paris. In Vietnam gruben sich die Bauern weitverzweigte „Tunnelsysteme“, mit denen Dörfer und ganze Bezirke verbunden wurden und die teilweise sogar bis unter die Stützpunkte der Regierungstruppen führten. Wie ein Sprecher der Nationalen Befreiungsfront meinte, „war das Land gleich einem an Masern Erkrankten mit Militärstützpunkten und Forts übersät, aber das Regime hatte keinen Stützpunkt im Herzen des Volkes – ganz im Gegensatz zur Befreiungsfront“. Es gibt dafür fast ein Partisanengesetz: „Der Unterschied in der Feuerkraft wird durch den Unterschied in der Moral aufgehoben“. Und der vergrößerte sich noch im Laufe der Zeit: Erst einmal hatten die mehrheitlich bäuerlichen Partisanen sowieso eine strenge Moral und dann rigidisierten sie diese noch – angesichts ihrer korrupten, brutalen und raffgierigen Gegner, aber auch gegenüber den Amerikanern, mit denen sich Prostitution, Rauschgift und Verbrechen ausbreiteten. Wenn sie z.B. ihre Töchter in die von dem Amis eingerichteten Schulen in den Wehrdörfern schicken mußten, verboten sie ihnen, Jeans zu tragen oder Kaugummi zu kauen. Das wiederum brachte sie fast automatisch in Verdacht, zu den Vietcong zu gehören. Und die Vietcong wiederum waren fast noch moralischer als die Bauern, weil sie deren Unterstützung brauchten.
Die großenteils gepressten Soldaten reagierten darauf, auch in anderen, ähnlichen Volksaufständen war das so, mit „Kriegsneurosen“, d.h. mit so schwerwiegenden Krankheitssymptomen, so dass sie von weiteren Fronteinsätzen verschont blieben. Henry Kissinger schreibt in seinen Memoiren, die Antikriegsdemonstrationen und die internationale Solidarität mit den Vietnamesen führten dazu, dass Washington mehr und mehr „den Charakter einer belagerten Stadt“ annahm…“das gesamte Regierungsgefüge fiel auseinander. Die Exekutive litt unter einer Kriegsneurose.“ Ähnliches kann man im übrigen auch von der deutschen Sozialdemokratie sagen: Während der Kanzler Willy Brandt sich weigerte, irgendetwas auch nur Nachdenkliches über Vietnam zu Protokoll zu geben, demonstrierte Gerhard Schröder als Juso „Ho Ho Ho Chi Minh“-rufend auf der Göttinger Roten Straßer rauf und runter, wie einer der vietnamesischen „Boat-People“ noch 2001 in Westberlin auf einer Veranstaltung bitter bemerkte.

Bereits Ende 1964 übte die Befreiungsfront faktisch die Regierungsgewalt in Südvietnam aus: Es gab Ausschüsse für das Gesundheitswesen, Volksbildung, Post- und Fernmeldewesen, für Wirtschafts- und für Auswärtige Angelegenheiten – mit Vertretungen in Havanna, Kairo, Algier, Prag und Ostberlin, und eine eigene Nachrichtenagentur. Dazu kamen bald noch hunderte von Filmteams, die bei fast allen Aktionen dabei waren. Am Ende des Krieges hinterließen sie hunderte von Dokumentarfilme und mehrere Millionen Meter ungeschnittenes Material, das von dem zum vietnamesischen Militär gehörenden Film-Institut verwaltet wird. Neuerdings kooperiert es bei der Auswertung mit der deutschen DEFA-Stiftung.

Ende 1965 befand sich der Psychiater Erich Wulff in Saigon: „Die amerikanischen Beamten, die deutschen Soldaten, die meisten Journalisten, die ich kannte, schwammen während dieser Zeit auf einer Woge von rosigem Optimismus. Sie sahen täglich neue Hubschrauber und neue Soldaten ins Land strömen und waren vom schieren Gewicht und von der augenscheinlichen Perfektion der amerikanischen Militärmaschinerie geradezu hingerissen.“ Sogar die Distrikt- und Provinzchef waren bald Amerikaner. Auch einer der Kommandeure der Befreiungsfront, Truong Ky, bemerkte um diese Zeit: „Jetzt geht die Tendenz dahin, dass die Operationen eine rein amerikanische Angelegenheit werden.“ Er war jedoch ebenfalls optimistisch: „Auch das wird nicht klappen, denn die Amerikaner sind in dem Widerspruch zwischen ihren ‚Vernichtungs-‚ und ‚Befriedigungs‘-Projekten verstrickt, die die beiden Hauptlinien ihrer militärpolitischen Strategie ausmachen“. Hinzu käme noch, laut Truong Ky, dass sie sich sowohl in der Planung als auch im Kampf einem „Subjektivismus“ hingäben, der sie dazu verleite, ihre eigene Stärke ständig zu überschätzen und die der Befreiungsfront zu unterschätzen. Das führte zu immer unwirklicheren Statistiken bzw. Zahlenspielen, „Body-Count“ oder „Kill-Raten“ genannt, und zu absurden Verlautbarungen: So erklärte z.B der diensthabende Offizier eines Einsatzes gegen Ben Tre im Mekongdelta der internationalen Presse: „Um die Stadt zu retten, mussten wir sie zerstören!“

Dann kam im Januar die Tet-Offensive – und es wurde allen klar, dass der amerikanische Krieg in Vietnam nicht mehr zu gewinnen war. Jonathan Neale schreibt: „Dennoch erlitten die Guerillos eine vernichtende Niederlage. Sie hatten erwartet, dass Saigon und Hue sich erhöben. Dazu kam es nicht.“ Der für den kommunistischen Untergrund in Saigon verantwortliche Tran Bach Dong erklärte später, warum: Ihre Mitgliedergewinnung war „wunderbar erfolgreich“ – bei den Intellektuellen, Studenten, Buddhisten, bei allen – nur bei den Arbeitern nicht, wo der Organisationsgrad „schlechter als schlecht“ war. Das lag nicht nur an der Konzentration der Partei auf die Organisierung der Bauern, die die überwiegende Mehrheit in der Bevölkerung bildeten, sondern auch an der amerikanischen Militärstrategie, die mit ihren Bombardements und Entlaubungsaktionen eine wachsende Zahl von Flüchtlingen produzierte, die in die Städte drängten und dort bei den Amerikanern oder in ihren Vergnügungsbezirken Arbeit fanden. Das war auch gewollt: Man sprach in diesem Zusammenhang offziell von einem in Vietnam längst überfälligen „Urbanisierungs-Prozeß“ und hoffte, die Bauern auf diese Weise wenn schon nicht an sich zu binden, dann wenigstens „lumpenproletarisch“ zu neutralisieren. Laut Jonathan Neale gelang dies aber auch deswegen z.T., weil die Befreiungsbewegung die städtischen Arbeiter nur halbherzig gegen ihre Chefs mobilisieren konnten, um nicht die „Unterstützung der Geschäftsleute und Manager dort zu verlieren“. Nichtsdestotrotz: „Während die Guerilleros nach Tet ausbluteten, wurde in Amerika die Entscheidung getroffen, den Krieg zu beenden.“ Insofern war die Tet-Offensive Höhepunkt und damit der Anfang vom Ende des vietnamesischen Befreiungskampfes, der offiziell jedoch erst 1975 mit der Einnahme von Saigon endete. Kurz zuvor hatten die Nordvietnamesen zwei kleinere Offensiven bei Hué eingeleitet, woraufhin den Regierungstruppen befohlen wurde, sich zurückzuziehen. Auf diesem Rückzug brach die südvietnamesische Wehrpflichtigenarmee auseinander – „sie war moralisch am Ende“.

Nach dem Sieg konnten die Kommunisten daran gehen, das Land wieder aufzubauen und vor allem zu industrialisieren. Dies ging jedoch nur auf dem Rücken der Bauern sozusagen, die mit ihren Agrarprodukten eine „ursprüngliche sozialistische Akkumulation“ ermöglichen sollten. Wenn man sie jedoch dafür höher besteuern wollte, reduzierten sie die Anbauflächen. Also versuchte man sie in Kooperativen bzw. Kolchosen zusammen zu fassen, aber sie weigerten sich. Im Dorf Binh My, schreibt Jonathan Neale, „übten die Parteikader unablässig Druck aus. Einige suchten sie 20 mal auf, erzählte ein Kader, so häufig, dass der Haushund sie inzwischen kannte und nicht mehr bellte.“ Im Mekongdelta bei Ben Tre errichteten die Kommunisten eine Vorzeigekooperative, aber die Bauern brannten sie nieder. Im Jahr 1987 gab die Regierung ihre Niederlage zu, es war ihr nicht einmal gelungen, die Kontrolle über den Reishandel zu erlangen. Aufgrund ihres langen Befreiungskampfes, erst gegen die Franzosen, dann gegen die Japaner und schließlich gegen die Amerikaner, waren die vietnamesischen Bauern außerordentlich selbstbewußt geworden. Als dann noch China seine Wirtschaftshilfe einstellte, sowie 1989 auch noch die Sowjetunion, führte die Regierung offiziell den „Neuen Wandel“ – Doi Moi – ein, d.h. die Martkwirtschaft unter ihrer Führung. Vietnam entwickelte sich dabei zum drittgrößten Reisexporteur der Welt. Dies hatte jedoch zur Folge, dass sich immer mehr Bauern verschuldeten, dass die ärmsten ihr Land verkauften. Aus ehemaligen Kooperativvorsitzenden wurden reiche Bauern, die anfingen, Landarbeiter zu beschäftigen. Es begann mithin das, was man in Mitteleuropa bis heute „Bauernlegen“ nennt, also ein Konzentrationsprozeß in der Landwirtschaft, der nun erneut mit einer „Urbanisierung“ einhergeht.

Die Linke hatte sich schon lange vorher, spätestens nach dem Sieg der Befreiungsbewegung in Saigon 1975 von den vietnamesischen Partisanen abgewendet – und diese waren danach ja auch – wenn sie nicht wieder Bauern wurden – Regierungsbeamte bzw. Funktionäre geworden. In Norwegen, wo ebenfalls ein erfolgreicher Partisanenkrieg (gegen die Deutschen) geführt wurde und die Solidarität mit Vietnam sehr verbreitet war, veröffentlichte der Schriftsteller Johan Harstadt 2004 eine Erzählung, die „Vietnam. Donnerstag“ betitelt ist. Darin heißt es an einer Stelle: „Er“ verbindet mit dem Wort Vietnam „Reisfelder, Dschungel, Hubschrauber“. Sie dagegen sagt: „Vietnam steht für alles, was schief gegangen ist“.

1967 wollte Thomas Brasch in der Ostberliner Volksbühne einen „Vietnamkongreß“ veranstalten: „Seht auf dieses Land“, titelte er dafür. Der Kongreß wurde aber nicht erlaubt. 30 Jahre nach Beendigung des Krieges, hat die Volksbühne jedoch seine Idee wieder aufgegriffen – und veranstaltete am 16. Oktober 2005 einen „Vietnam Tag“, wobei sie sich u.a. für die vietnamesischen Opfer des militärischen Einsatzes von Entlaubungsgiften einsetzen will. In den letzten Jahren gab es mehrere Initiativen von Vietnamesen, die durch den Einsatz von Agent Orange bei der Bombardierung ihres Landes gesundheitlich geschädigt wurden. Im Februar 2004 z.B. eine Sammelklage von 100 „Agent Orange“-Opfern gegen 37 US-Firmen, die der Armee das Dioxin geliefert hatten, darunter „Monsanto“ und die US-Tochter von Bayer „Mobay“. Zuvor hatte bereits der US-Anwalt Ed Fagon eine Klage gegen Bayer im Namen einiger südafrikanischer Dioxin-Opfer angestrengt, wobei es zu einem Vergleich gekommen war. Und der US-Anwalt Kenneth Feinberg hatte mehrere Klagen von US-Soldaten betreut, die dem Einsatz von Dioxin im Vietnamkrieg ausgesetzt gewesen waren. Im März 2005 verklagte der Bauingenieur Ngoc einige Dioxin-Hersteller vor dem US-Bundesgericht in Brooklyn: Seine Schwester war verkrüppelt zur Welt gekommen, nachdem ihr Vater mit Agent Orange in Kontakt gekommen war. In der Schweiz unterstützten 49 Parlamentarier diese Klagen, sie verlangten vom Bundesrat, auf die US-Regierung einzuwirken, damit die vietnamesischen Agent-Orange-Opfer endlich entschädigt würden. Nun gibt es eine weitere flankierende Maßnahme dazu – im Internet und aus Vietnam selbst. Sie nennt sich „Justice for Victims of Agent Orange“. Verfaßt wurde sie von Len Aldis – im Namen der „Englisch-Vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft“, aber unterschrieben haben bisher vor allem Vietnamesen – bis jetzt 690933. Dahinter steht die Anfang 2004 gegründete Hilfsorganisation VAVA: „Viet Nam’s Association for Victims of Agent Orange“ – und ihr Vorsitzender Dang Vu Hiep. Die VAVA arbeitet mit den US-Veterans for Peace, dem amerikanischen Roten Kreuz und dem „Fund for Reconciliation and Development“ zusammen, um die Lebensbedingungen für Dioxin-Opfer in Vietnam zu verbessern. Die vietnamesische Botschaft in den USA erklärt dazu, dass etwa 3 Millionen Vietnamesen an den Spätfolgen des Agent-Orange-Einsatzes leiden. Zwischen 1961 und 1971 versprühten die Amerikaner 80 Millionen Liter giftige Chemikalien über Vietnam. Noch 1985 hatte der US-Wissenschaftler Alwin Young dazu auf einem „Dioxin-Kongreß“ in Bayreuth erklärt: „Der Dioxin-Einsatz hat niemandem geschadet!“

Nach dem Besuch des „Vietnam-Kongresses“ in der Volksbühne nahmen sich einige Freunde von mir vor: „Nächstes Jahr machen wir in Vietnam Urlaub.“ So hatte man sich die mobilisierende Wirkung dieser Veranstaltung eigentlich nicht vorgestellt! Aber solche Privatinteressen haben jetzt Vorrang. Auf dem 1. Vietnam-Kongreß, der 1968, wenige Wochen nach der Tet-Offensive in Westberlin stattfand, war es noch darum gegangen, zwischen Saigon und Berlin eine Front zu bilden – durch In- und Extensivierung der Kämpfe hier. Dort siegten 1975 zwar die Kommunisten, hier übernahm jedoch 1990 die westdeutsche Treuhandanstalt das Regime, politisch flankiert ausgerechnet von West-„68ern“, die sich dazu allerdings zu Menschenrechtlern, Pluralismusverfechtern und geharnischten Antistalinisten gewendet hatten, und nun von „asymetrischen Kriegen“, „Terror auf beiden Seiten“ und dem „Stalinisten Ho Chi Minh“ sprachen: Auch auf dem Vietnam-Kongreß der Volksbühne. Dieser fand erstmalig unter großer Beteiligung der Vietnamesen selbst statt. Man hätte also gut und gerne das Problem, dass jetzt statt harter Strategien und Klassenkämpfe eher weiche Diskurse und Kompromisse bevorzugt werden, auch miteinander besprechen können – mindestens im Hinblick darauf, was dies für die Einschätzung des vietnamesischen Befreiungskampfes und seiner Resultate bis heute bedeutet. Und das um so mehr, da es bereits im Vorfeld der Volksbühnenveranstaltung diesbezüglich zu Konflikten gekommen war: Zuerst störten sich einige teilnehmende vietnamesische Initiativen am Blumenarrangement im Foyer, das die nord- und die südvietnamesische Fahne zeigen sollte. Die in West und Ost-Berlin lebenden Vietnamesen sind wahrscheinlich die einzige ausländische Minderheit, die sich 1989 nicht wiedervereinigte: im Westen lebten kurz gesagt die Boat-People (Flüchtlinge) und im Osten der Vietkong (Vertragsarbeiter). Diesen Umstand wollte die Volksbühne „thematisieren“ – natürlich von vietnamesischen Blumenkünstlern gestaltet. Die Gründerin des vietnamesischen Selbsthilfevereins „Reistrommel“ in Marzahn, Tamara Hentschel, zog daraufhin ihre Teilnahme zurück: Das Arrangement sei so geschmacklos, als würde man neben eine BRD-Fahne eine Nazi-Flagge hängen. Die Tanzgruppe ihres Vereins wollte trotzdem mitmachen. Hier waren es dann aber zwei Eltern, die ihren Kindern das verwehrten – vor allem, weil die Volksbühne dann nicht nur die Menschenrechtlerin Kim Phuc einlud (sie war einmal von der Illustrierten stern „gerettet“ worden, nach einem Napalm-Angriff der Amis auf ihr Dorf, bei dem sie schwer verwundet worden war – und ihr Schicksal hatte damals Millionen gerührt, wie man so sagt, nun war sie jedoch, in Kanada lebend, zu einer engagierten Antikommunistin geworden). Daneben wollte man auch noch mit Bui Tin diskutieren, den in Paris lebenden und heute bekanntesten vietnamesischen Regimegegner. Damit machte die Volksbühne der vietnamesischen Botschaft in Berlin keine Freude – und auch vielen in Ostberlin lebenden Vietnamesen nicht, die sogar von Radio Multikulti nichts hören wollen: „Das ist doch der Sender, der Ho Chi Minh so schlecht gemacht hat!“ Nach Bui Tins Auftritt kam es zu Beschimpfungen – zwischen seinen Fans und seinen Gegnern. Ähnliches geschah auch nach Jürgen Kuttners Rederunde, in der die prokommunistischen Ostler sich anschließend mit den antikommunistischen Westlern stritten. So war das auch von Kuttner „angedacht“ worden, der den Dissenz sucht. Den eher nach Harmonie strebenden Vietnamesen stößt eine Inszenierung desselben jedoch eher ab. Vielleicht sollte man beim nächsten Vietnam-Kongreß darauf dringen, dass sie die Formen der Auseinandersetzung planen. Viele der jungen, hier aufgewachsenen Vietnamesen schienen mir jedoch großen Gefallen gerade an dieser „Culture of Clash“ gefunden zu haben – und ihre eigenen Beiträge, z.B. ein Film von und mit einigen Schülerinnen, gehörten dann auch mit zu den besten Programmpunkten der 13stündigen Veranstaltung. Man kommt sich also doch von Mal zu Mal näher – aber nur gleichsam zwangsläufig – über die Generationenfolge. Wie nahe man sich jedoch damals im Kleinkrieg gekommen war, blieb unerörtert.

——————————————————————————————————————

(1) Im Ausbildungslager der Anti-Terror-Einheiten in Fort Bragg, North Carolina haben 2004 mehrere Unteroffiziere ihre Ehefrauen getötet. Am 29.Juni erwürgte ein Unteroffizier, von einem Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt, seine Frau. Am 9. Juli erstach ein Unteroffizier seine Frau und zündete anschließend sein Haus an. Am 29.Juli erschoß ein Unteroffizier der geheimen Delta-Force-Einheit zuerst seine Frau und dann sich selber. Und in einem weiteren Fall wurde ein Angehöriger der Special Forces im Schlaf erschossen, wobei seine Frau nun unter Mordverdacht steht. Die amerikanische Journalistin Anjana Shrivastava berichtete in der „Netzeitung“, dass die Untersucher zunächst jeden direkten Zusammenhang zwischen diesen Fällen „häuslicher Gewalt“ und den Afghanistan-Einsätzen abstritten, in Fort Bragg habe es auch schon früher solche Probleme gegeben, wobei die Abwesenheit der Männer während ihrer Auslandseinsätze die „Beziehungsprobleme jedoch oftmals eskalieren lasse“. Drei der Ehefrauen waren zum Zeitpunkt ihrer Ermordung entschlossen gewesen, sich scheiden zu lassen. Für ihre Männer ergaben sich daraus zusätzliche „Stressfaktoren – die nach dem 11.September vor allem Soldatenfamilien treffen“. Und dies gilt insbesondere für Angehörige der amerikanischen Anti-Terror-Einheiten.

In einem Anfang November veröffentlichten neuen Army-Report heißt es nun, dass die Beratungsmöglichkeiten für Armeeangehörige mit psychischen Problemen zwar ausreichend seien, jedoch nicht gerne in Anspruch genommen werden, aus Angst, dies könnte sich karrierehemmend auswirken. Im übrigen gehen die Untersucher nun doch davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen den Morden und den Afghanistan-Einsätzen gibt, insofern das stressfördernde „operational tempo“ seit dem 11.9. enorm zugenommen habe. Einer der demnächst wegen Ermordung seiner Ehefrau angeklagten Elitesoldaten, Mastersergeant William Wright, wurde von seinen Verwandten nach seiner Rückkehr aus Afghanistan als „paranoid und verstört“ bezeichnet.

Die Elitesoldaten der Delta Force – 1977 laut FAZ „nach dem Vorbild der deutschen GSG-9 gegründet“ – sollen insbesondere „Zugriffe auf Zielpersonen“ durchführen, sie üben dies u.a. zusammen mit den deutschen „Krisen-Spezialkräften“ (KSK), die in Calw stationiert sind. Kurz vor deren ersten Einsätzen in Afghanistan im November 2001 interviewte die Journalistin Susanne Stiefel die Lebenspartnerin eines solchen KSK-Soldaten – unter der Tagesspiegel-Überschrift „Der Liebestöter“. Die Frau erzählte ihr:

Wenn er über Handy angerufen wird und ein bestimmtes „Codewort“ hört, dann muß er sofort los: „Er darf dann nur noch ein Testament machen“. Bis es so weit ist, kuckt er in seiner Freizeit am Liebsten Fernsehen, wobei er „alles, was mit Krieg zu tun hat, wegzappt“, daneben „schläft er viel“. Aber nachts wacht er oft von seinem eigenen „Kampfstöhnen“ auf und manchmal bekommt sie im Schlaf einen Boxhieb von ihm ab. Sie meint, er sei „beziehungsunfähig“ und seine „wirkliche Familie“, das sei sein Kommandotrupp, das aus vier Mann bestehe: mit ihnen feiere er Weihnachten und Geburtstage zusammen und nur mit ihnen dürfe er auch über seine geheimen Dienstangelegenheiten reden. Vor dem 11. September hätten sie noch „manchmal für ein, zwei Stunden eine fast normale Beziehung“ gehabt, dennoch würde sie auch weiterhin „hinter ihm stehen“ – schließlich habe ihn niemand zu diesem Job gezwungen, „höchstens vielleicht die hohe Arbeitslosigkeit, dort, wo er herkomme“.

Bis zu diesem Interview war der KSK-Soldat noch nicht im Afghanistan-Einsatz gewesen, aber schon im Vorfeld zeigte er Symptome einer Traumatisierung, wie man sie sonst nur bei „Kriegsneurosen“ kennt. Diese seit dem Ersten Weltkrieg systematisch erforschte Krankheit tritt bei Soldaten auf, die durch einen Schock kampfunfähig wurden – und damit von weiteren Fronteinsätzen verschont blieben. Die Kriegsneurose wurde lange Zeit als eine Form von psychischer Selbstverstümmelung angesehen – besonders in Deutschland. Die Elite-Soldaten, so könnte man jetzt vielleicht sagen, verstehen zwar zu töten, aber nicht zu sterben.

Der Auf- und Ausbau der Krisen-Spezial-Kräfte für Auslandseinsätze der Bundeswehr ging Mitte der Neunzigerjahre einher mit einer neuen Verteidigungsdoktrin. Ein Offizier für Öffentlichkeitsarbeit führte dazu 1996 auf der Hardthöhe aus: „Auch die russischen Soldaten wollen nicht mehr sterben. Deswegen gibt es jetzt keine Probleme mehr mit ihnen. Anders sieht es jedoch mit den Arabern aus…“ Ratsch, ließ er eine neue Landkarte runter, die die Gegend zwischen Marokko, Afghanistan und Usbekistan zeigte: „Hier verläuft jetzt unsere neue Verteidigungslinie, wobei es dabei um die Abwehr islamischer Terroristen geht“.

Diese verstehen es anscheinend noch, im Kampf zu sterben. Dafür werden sie gelegentlich von der so genannten „Partisanenkrankheit“ befallen, die epidemische Ausmaße annehmen kann. Dies war insbesondere bei den Tito-Partisanen der Fall, die der Schweizer Psychoanalytiker Paul Parin nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchte, nachdem er zuvor selbst in Jugoslawien als Partisan gekämpft hatte. Die „Krankheit“ befällt demobilisierte Partisanen – ohne Waffen: wie in einem psychotischen Schub wollen sie krampfhaft alles und jeden über den Haufen schießen. Für Parin liegt die Ursache dafür in der rigiden Sexualmoral, denen die jugoslawischen Partisanen – mit der Ausnahme der slowenischen – sich unterwarfen, weil sie darauf angewiesen waren, dass die sie unterstützenden Bauern ihnen ihre Töchter als Kuriere und zur Versorgung mit Lebensmittel schickten. Wenn diese dabei „unrein“ aus den Bergen zurückgekehrt wären, hätten sie die Hilfe eingestellt. Die Partisanenkrankheit nun besteht kurz gesagt darin, nicht mehr mit den Kämpfen aufhören zu können. Sie ist somit das genaue Gegenteil einer Kriegsneurose.

Es scheint, dass die sowjetischen Soldaten in Afghanistan zwischen 1979 und 1986 nacheinander von beiden Krankheiten befallen wurden: Am Anfang zogen sie als Interbrigadisten noch fröhlich kämpfend aus: „Wir wollten doch da hin, um Revolution zu machen; wir haben uns das richtig romantisch vorgestellt,“ so sagte es ein Panzerschütze, den Swetlana Alexejiwitsch für ihr Buch „Zinkjungs“ interviewte. Aber mit der zunehmenden Eskalation der Kämpfe empfanden sie bald nur noch „Haß!“ – verbunden mit dem Wunsch, alles zu töten, was irgendwie verdächtig wirkte. Schließlich wich dieser Wunsch dem Drang, sich persönlich zu bereichern und vor Einsätzen zu drücken. Eine Krankenschwester der Roten Armee, die in Kabul stationiert war, erzählt: „Die Selbstverstümmler wurden verachtet. sogar wir Mediziner schimpften sie aus…Du denkst wohl, wir schicken dich nach Hause? Warum hast du nicht in die Schläfe gezielt? Ich schwöre, so habe ich geredet. Damals habe ich sie alle für feige Memmen gehalten. Erst jetzt fange ich an zu begreifen, daß das vielleicht eine Art Protest gegen das Morden war“. Ein Aufklärer berichtete der belorussischen Autorin: „Ich kam nach Hause zurück und wollte ein guter Mensch sein. Aber manchmal habe ich urplötzlich den Wunsch, jemandem die Kehle durchzuschneiden“.

Hierbei, so kann man vielleicht sagen, ereilt die Kriegsneurose den Elitesoldaten der Roten Armee (die 1918 aus Partisanenformationen entstand) noch als Veteran in Form der Partisanenkrankheit.

Für Sigmund Freud scheint es nur ein Entweder-Oder gegeben zu haben: „Der Psychotiker ist unneurotisch“. Indem heute bei den Anti-Terror-Einheiten soldatische Tugenden mit partisanischem Draufgängertum verschmolzen werden, hat man anscheinend das Kunststück fertig gebracht, beide damit verbundenen Krankheiten auf einmal hervor zu bringen. In gewisser Weise wird dadurch die Kampfmaschine erst perfekt, denn wenn der Partisan zu sterben versteht, dann versteht der Soldat zu töten: bei den Spezial-Einsatzkräften kommt nun beides zusammen. Nur leider rotten sie dabei manchmal nach Feierabend auch ihre eigenen Familien aus.

(2) „Zu Beginn schreitet man also vorsichtig aus“ – so beginnt die Partisanen-Laufbahn des englischen Offiziers Stuart Hood, der dann den Partisanennamen „Carlino“ annahm – im Herbst 1941, nachdem Italien kapituliert und ihn aus einem norditalienischen Gefangenenlager entlassen hatte. Zusammen mit einem Leidesgenossen macht Hood sich auf in Richtung Süden – der deutschen Front entgegen, damit aber auch den Alliierten, die inzwischen in Neapel gelandet waren.

Die beiden Engländer meiden auf ihrem Marsch durch das feindliche Land zunächst alle Menschen und Dörfer: „Auf den Hügeln beherrscht man die Ebene und fühlt sich freier“. Aber nach einer Woche steigen sie doch runter – und das „war ein Zeichen, dass wir begannen, der Realität ins Auge zu sehen“. Sie brauchten erst einmal unauffällige Kleidung und was Anständiges zu essen. Das Problem, bei welchen Bauern sie deswegen anklopfen sollen, wird immer wieder aufs Neue magisch entschieden – fast alle Bauern erweisen sich jedoch als äußerst hilfsbereit und solidarisch, weswegen der Autor seine „Geschichte aus dem Widerstand“ auch den italienischen Bäuerinnen und Bauern gewidmet hat.

Stuart Hood, der später BBC-Programmdirektor und Filmregisseur wurde, hat bereits mehrere Romane über Partisanen geschrieben: u.a. über die Stadtguerilla in Lateinamerika, in der BRD und im spanischen Bürgerkrieg. Er begann 1955 – zunächst mit der Niederschrift seiner eigenen Erfahrungen als Partisan auf dem Land in Italien. Seine erste Fassung findet er jedoch heute ungenügend: „Ich glaube, ich konnte damals mit meinen Erfahrungen noch nicht zu Rande kommen. Als ich 1944 nach England zurückgekehrt war, litt ich unter dem, was man heute posttraumatischen Schock nennen würde. Gewisse Dinge habe ich konstant verdrängt. Ich konnte erzählen, was geschehen war, die nackten Tatsachen, aber ich konnte nicht damit umgehen“.

1985 veröffentlichte er deswegen eine überarbeitete Fassung – mit nachträglich hinzugefügten Einschüben. Inzwischen wurde Hood/Carlino in der Toskana zu einem Helden des Widerstands und zum Ehrenbürger von Campi Bisenzio erklärt: Seine erste Partisanengruppe, der er sich in der Region Campi angeschlossen hatte, war bis auf ihn aufgerieben worden und man hat ihre „Schlacht von Valibona“ später als die erste bewaffnete Auseinandersetzung der Partisanen dieser Region mit den faschistischen Milizen begriffen. Vor Ort ist der Überlebende und Autor bereits in die Legenden eingegangen: „Ich habe mich dort schon in der Situation gesehen, dass ich in eine Bar ging und mein italienischer Freund zu seiner Frau sagte, ‚das ist Carlino‘, woraufhin sie erwiderte: ‚aber den hat es doch nie gegeben!‘

Ähnlich wie dem Marxisten Stuart Hood erging es dem rechten Partisanen Edgardo Sogno, der vor einigen Jahren sogar mit einem Staatsbegräbnis geehrt wurde. Er war nach dem September 1943 Kommandant der monarchistischen „Organisation Franchi“ gewesen, auf deren Konto einige besonders kühne Partisanenaktionen gegen die Deutschen gingen. Nach dem Krieg wurde Sogno Botschafter Italiens in Burma. Mit dem Erstarken der Linken widmete er sich jedoch dem Kampf gegen das „klerikal-marxistische Regime“ in Rom, was ihn 1976 wegen „Staatsstreichplanung“ für einige Monate ins Gefängnis brachte. Seine zahlreichen und zudem einflußreichen Freunde sorgten dafür, dass er mangels Beweisen wieder freikam. Die italienische Linke bestand demgegenüber jedoch darauf, dass der Resistenza-Held Sogno auch an anderen rechten Verschwörungen beteiligt gewesen war, spätestens seit 1964 – und der Affäre Sifar, der Geheimloge P2, der militärischen Geheimloge „Gladio“…Daneben noch an weiteren unbekannten, die u.a. mit Bombenterror-Attentaten – wie dem auf dem Bahnhof von Blogna 1980 – eine Strategie der Verunsicherung und Spannung („tensione“) verfolgten. In seiner posthum erschienenen Biographie „Testament eines Antikommunisten“ hat sich Edgardo Sogno nun dazu bekannt, etwa zeitgleich mit dem Sturz Allendes in Chile 1973/74 eine der CIA analoge „Staatsstreichplanung“ initiiert zu haben, wobei ebenfalls die Amerikaner mitmischen sollten und die höchstrangigen italienischen Militärs und Carabinieri eingeweiht waren.

Die FAZ meinte dazu 2001 lapidar, dass es eben im Italien der Nachkriegszeit zwei politische, gesellschaftliche und moralische Realitäten bzw. Gemeinschaften gegeben habe – und dass man die „‚Strategie der Spannung‘ und den Terrorismus rechter wie linker Couleur vor diesem Hintergrund zu sehen hat“.

Damit wird der linke Partisanenkampf, der in einen Volksaufstand gipfeln sollte, jedoch nach dem Krieg zunächst in die KPI und dann in verschiedene linksradikale und auch terroristische Gruppen mündete – in einem Atemzug mit den rechten Partisanen genannt, die nach 1945 immer wieder Staatsstreiche planten und Attentate verübten, um die italienische Nachkriegsdemokratie zu zerspannen.

Diese Sichtweise hat heute bei vielen Konfliktforschern Konjunktur, wobei sie sich bei den Partisanen auf Carl Schmitt und beim Aufstand auf den rechten deutsch-italienischen Schriftsteller Curzio Malaparte berufen, insbesondere auf dessen Bestseller aus dem Jahr 1932: „Die Technik des Staatsstreichs“. Der Kriegsflaneur mit dem bürgerlichen Namen Erich Sukkert behauptet darin mittels fiktiver Dialoge zwischen Lenin und Trotzki, dass die Aufstands-Strategie des ersteren nichts gewesen wäre ohne die Taktik des letzteren. Indem Malaparte die daraus von ihm gebündelte Staatsstreich-„Technik“ von allen sozialen und historischen Gegebenheiten isoliert, soll sie immer und überall anwendbar sein. Erstmalig erprobt wurde sie angeblich von Trotzki kurz vor Ausbruch der Revolution – in „unsichtbaren (Putsch-) Manövern“. Leo Trotzki selbst hat 1932 in seiner „Kopenhagener Rede“ zu diesem Unsinn eines „faschistischen Theoretikers, so etwas gibt es“, kurz Stellung genommen: Malaparte habe keine Ahnung von den Problemen und der Organisation sozialer Kämpfe, stattdessen huldige er einem primitiven Persönlichkeits- und Genie- bzw. Führerkult. Die Massen seien für ihn höchstenfalls Ausführungsorgane.

Der ehemalige Trotzkist Stuart Hood schlägt sich noch heute – als Pensionär in Brighton lebend – mit den Problemen des Widerstands von unten herum – nicht zuletzt, weil ihm eine Existenz als „Intellektueller ohne gesellschaftliches Engagement überhaupt nicht erstrebenswert scheint“. Sein Partisanenbeicht „Carlino“ ist denn auch geeignet, den Unterschied zwischen Volksaufstand und Staatsstreich noch einmal zu betonen. In Italien spricht man heute von einem „Verrat“ – der Elite. Dieser begann bereits mit der Kapitulation 1943. Damals standen bei Rom den zwei deutschen Divisionen insgesamt sechs italienische gegenüber, die jedoch trotz ihrer Übermacht keine Anstalten trafen, nach dem Waffenstillstandsabkommen ihrer Regierung mit den Alliierten nun ihre vormaligen Verbündeten, die Deutschen, zu entwaffnen. Stattdessen entwaffneten sie sich massenhaft selbst. Die in der Mehrzahl kommunistisch orientierten Partisanengruppen und -verbände verübten derweil zusammen mit entflohenen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und sonstigen Untergetauchten immer mehr Attentate und Überfälle – bis hin zu „Stegreifaktionen“ – womit die Ermordung von zumeist uniformierten Deutschen bei günstiger Gelegenheit gemeint war. In einigen Alpentälern entstanden für kurze Zeit „befreite Republiken“. Über die „barbarische deutsche Besatzung der Hauptstadt“ drehte Rossellini kurz nach der Befreiung den Film „Rom – offene Stadt“, mit dem der Neorealismus bzw. -verismus anhub, dessen erstes Manifest bereits 1944 in der Zeitung „Partigiani“ veröffentlicht wurde. Der erste neorealistische Roman „Uomini e no“ von Elio Vittorini erschien 1945 und handelte von den Kämpfen der Mailänder Stadtguerilla. In den Arbeiterstädten Mailand und Turin waren die Partisanenkämpfe am Ende in bewaffnete Aufstände gegipfelt. Die „New York Times“ jubelte: „Nirgends im besetzten Europa hat es je eine Massenbewegung gegeben, die sich mit der Revolte der italienischen Arbeiter vergleichen läßt. Sie ist der Höhepunkt einer Kampagne der Sabotage, der örtlichen Streiks und des Partisanenkriegs“.

In Neapel, wo die Alliierten gelandet waren, entwickelte sich dagegen die Unmoral zu einer wahren Volksbewegung, wenn man Curzio Malaparte glauben darf, der dabei als Stadtführer für US-Offiziere seufzte: „Der Krieg war besser als dieser Friede“. Kurz darauf marschierte er dann mit den Amerikanern in Rom ein.

In dem von deutschen und faschistischen Milizen besetzten Teil Italiens konnte Stuart Hood zur gleichen Zeit „heraus finden“, dass der Feind der Landbevölkerung die Autorität ist: „der Landbesitzer und sein Verwalter, der Staat und seine Inspektoren, der Duce und der Papst. Für sie bedeutete Faschismus Autorität…Seine Gegner mußte nach einfacher Logik ihre Freunde sein“. Und deswegen genossen die beiden Engländer – ganz anders als etwa die jüdischen Partisanen in Polen und Galizien 1944 – die Unterstützung der Bauern. Außerdem konnten sie sich bald im Gegenzug auf deren Höfen nützlich machen und kamen dabei wieder zu Kräften: „Unser Ruhm wuchs von Hof zu Hof…Wir betraten die Toskana am 10.November“. Dort stellte dann ein Bauer für sie die Verbindung zu einer Partisanengruppe her.

Hoods Gefangennahme als Offizier hatte bei ihm das Gefühl hinterlassen, versagt zu haben, zudem bedauerte er es, zuvor nicht in Spanien gekämpft zu haben. So sah er in den italienischen Partisanen nun die Möglichkeite, sich „zu beweisen“. Und dann waren die beiden Engländer damit auch nicht mehr länger auf sich allein gestellt, „sondern wurden in ein Netz hineingezogen, dessen Mitte in Florenz beim Komitee der Nationalen Befreiung lag“, außerdem konnten sie sich wieder bewaffnen. Nachdem sein Freund sich nach Florenz durchgeschlagen hatte, mußte Hood dennoch wieder einen „Alptraum an Einsamkeit“ durchleben und wurde zu „einem Kenner von Ställen und Schlafplätzen“. Die Bauern, die er wegen ihrer „Anhänglichkeit ans Land“ beneidete, retteten ihn regelmäßig „vor der vollkommenen Verzweiflung“.

Bald war der 29jährige bereits drei Jahre von zu Hause weg – langsam erreichte er eine „eine Ausgeglichenheit“, die ihn befähigte, „jeden Tag zu nehmen, wie er kam und nicht weiter in die Zukunft zu schauen“. Dazu fällt ihm ein partsanischer Gedanke aus der Genesis ein: „Er fuhr leicht dahin wie Wasser“.

Als im Sommer die Front näher rückte, „wuchs“ seine Partisanengruppe: Es schlossen sich ihr Flüchtlinge aus Siena und eine Gruppe von Polen an: „Jungs, knapp unter zwanzig, wild und nicht zu kontrollieren, begierig zu töten“. Die letzten Tage vor der Befreiung von Florenz triebt sich Hood in der Stadt herum – als Hilfspolizist getarnt, die Taschen voller Sprengstoff. Im Hauptquartier der Kommunistischen Partei erhält er nach den Siegesfeiern den Befehl, „die Entwaffnung der Partisanen zu stoppen“. Schließlich tritt er, ausgerechnet mit einem deutschen Priester zusammen, die Heimfahrt an – und fällt in eine erste posttraumatische Depression. Sein Begleiter tröstet ihn: „Es gibt keinen Grund, an den Menschen zu verzweifeln – denk an deine italienischen Bauern“. Hood selbst erklärt, warum er über elf Monate brauchte, um die Frontlinie zu überschreiten und sich wieder bei den Soldaten einzureihen: „Mich hielt in diesem Niemandsland, dass ich nicht daraus auftauchen wollte“, denn insbesondere „die Monate, die ich in Chianti verbrachte“, hatten „ihre spezielle Qualität an Glück, die sich über die Furcht und die Notwendigkeit zum Töten hinwegsetzte“. Er wurde dort „Mitglied einer Familie und einer Verschwörung“. Und diese Erfahrung widerlegte ihm schließlich die Theorie, die stets „dazu neigt, menschliches Mitgefühl als Faktor auszuschließen, und im bäurischen Verhalten das Kalkül betont“.

Nachdem der Autor aber noch einmal Chianti besucht und die Zerstörung der Landwirtschaft seit 1945 sowie auch die Zersiedlung der Landschaft dort mitbekommen hat, fügt er hinzu: „Als ich ging, verstand ich ein wenig, warum der heutige Partisan wahrscheinlich der Stadtguerillo ist, weil mit dem Tod der bäuerlichen Kultur und den bäuerlichen Netzwerken, von denen ich zum Überleben abhängig gewesen war, auf dem Land kaum mehr ein Maquis aufgezogen werden kann“.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/08/15/schafft-zwei-drei-viele-vietnam/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • tuan ngoc…

    Interesting post. I came across this blog by accident, but it was a good accident. I have now bookmarked your blog for future use. Best wishes. Tila Nguyen….

  • Neues über Dirlewangers SS-Partisanenvernichtungseinheit, und speziell über ihren Einsatz zur Niederschlagung des Warschauer Aufstands findet man in der Lettre Nr. 74: „Mein Warschaukoller“ von Angelika Kuzniak und Wlodzimierz Nowak. Es geht darin um die Erlebnisse eines damals 18jährigen Soldaten der 46. Sturmbrigade, die in Warschau „Waffenbrüder“ der „Horden“ von Dirlewanger und Kaminski war. Später rettete ihn eine polnische Familie auf dem Land – erst im Juni 1946 verließ er sie und Polen – und zog zurück in sein deutsch-belgisches Dorf, wo er sich dann ein kleines Unternehmen aufbaute. Seine Warschauer Erlebnisse veröffentlichte zuerst die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza.

    In der selben Lettre-Ausgabe (74), für die dieser Text übersetzt wurde, findet sich auch noch ein Bericht von Juanita Leon über ein Bauerndorf in Kolumbien, das von Partisanenvernichtungseinheiten überfallen wurde – während ihrer Bekämpfung der Guerillaorganisation FARC: „Kolumbien aus Blei“ heißt dieser Text aus dem Jahr 2005, der den „Warschaukoller“ aus dem Zweiten Weltkrieg lässig ins Heute verlagert.

    .

  • Noch mal zum „Stress“:
    Laut Cord Riechelmann entstand der wissenschaftliche Stress-Begriff bereits in den Vierzigerjahren. Er wurde durch Mäuse- und Rattenexperimente erhärtet – indem man z.B. zu viele in einem Käfig hielt, so dass die Tiere sich in einem Dauer-Stress befanden, der sie krank machte und u.U.sogar ihre Lebenserwartung drastisch reduzierte. Das war der sogenannte „negative Stress“, daneben gibt es jedoch auch noch einen „positiven“ – der Wachheit und Innovation fördert. Diese Erkenntnis machen sich heute die Arbeitsämter zunutze, indem sie die Arbeitslosen nach Möglichkeit permanent stressen: sie dürfen nicht in Urlaub, müssen sich ständig irgendwo bewerben, sich immer wieder melden, amtsärztlich untersuchen lassen, ihnen werden entwürdigende Ein-Eurojobs aufgezwungen, sie müssen gegebenenfalls Drogenentzüge über sich ergehen lassen usw..Flankierend dazu werden sie noch von der staststragenden Schweinepresse laufend als Drückeberger, faule Säcke, Hartz-IV-Abstauber (Florida-Rolf, Viagra-Kalle oder Yacht-Hans) usw. verunglimpft. Dieser Stress – so hofft man – wirkt sich entweder negativ aus – sie verrecken elendig und vorzeitig oder aber positiv – sie nehmen eine schlecht bezahlte Arbeit an bzw. wandern nach Australien oder Kanada aus und damit sind die Ämter sie los – so oder so.
    In Deutschland wurde vor allem der Bayreuther Tierphysiologe Dietrich von Holst mit seiner Stressforschung an Baumspitzhörnchen (Tupajas) berühmt. Über einen seiner diesbezüglichen Vorträge heißt es: „Säugetiere leben in Sozialverbänden, die durch den ständigen Kontakt der Individuen untereinander aufrecht erhalten werden. Diese Sozialkontakte beeinflussen nicht nur Verhalten, sondern auch Gesundheit und Fruchtbarkeit – und zwar je nach Situation positiv oder negativ. Bei den meisten Säugetierarten ist eine enge Beziehung zur Mutter entscheidend für das Wohlergehen des Kindes, und Bindungen zwischen erwachsenen Individuen, insbesondere den Partnern eines monogamen Paares, haben tiefgreifenden Einfluss auf deren Gesundheit: Die typischen Stresshormone Adrenalin und Cortisol sind ebenso wie die Herzraten der Tiere dauernd abgesenkt, die Aktivität der Keimdrüsen steigt an und der Zustand ihres Immunsystems – und damit auch ihre Widerstandskraft gegen Erkrankungen – verbessert sich.
    Auch Auseinandersetzungen um Reviere und Rangpositionen sowie die daraus resultierenden Dominanzbeziehungen beeinflussen nahezu sämtliche Körperfunktionen. So führt ein dominanter Rang in der Regel zu einer Verbesserung der Funktion von Keimdrüsen und Immunfunktionen, während eine unterlegene Position eine Verschlechterung dieser Funktionen und sogar den Tod der Individuen zur Folge haben kann, selbst wenn die unterlegenen Individuen von dem Überlegenen nicht mehr behelligt werden. Verantwortlich für diese sogenannten Stressreaktionen sind hierbei in der Regel nicht Verwundungen oder physische Anstrengungen, sondern psychische Vorgänge – die „Angst“ vor einem Überlegenen.“
    Dem ist erst mal nichts mehr hinzuzufügen. Nur noch eins sei erwähnt: im Internet gibt es zum Stichwort „Stress“ inzwischen 320 Millionen Eintragungen.Die obige Behauptung, dass der Stressbegriff mit den Vietnam-Veterans sozusagen gesellschaftsfähig wurde, wird im übrigen durch diese Hinweise hier nicht widerlegt.

  • Dem Herrn Rother sollte es heissen, übrigens bin ich im Neubau gross geworden und habe gerne die Plattenkiesel abgepult, eine notkreative Variante der ostdeutschen Platte die den Neuköllnererbauern scheinbar nicht geläufig war.
    Wie heisst es so schön bei Casanovas Schwule Seite.

    „Expo 2000..- 2000 Punks ohne Ziel, Hannover Stadt ohne Stil.“

    Cheers, die Pflicht ruft, es findet sich immer ein Dödel der früh aufsteht um zu arbeiten.

  • Den Herrn Rother graut es zumindest heute vor aufständischen messerschwingenden Solingern, und wer könnte da besser in die Rolle eines Jäcklein Rohrbach passen als ein wegen §130 verknackter armer Irrer.
    Houellebecq lässt wissen; „..sie führten in ihrem Fischerdorf ein würdiges aber stumpfsinniges Leben.“
    Den Stumpfsinn könnte ich schon gut wegstecken solange noch ein wenig Zeit für die Husumerei bleibt.
    Als Jugendlicher las ich gerne Scholochow, gerade seine Kurzgeschichten um den Don malten ein sehr klares Bild der Aufbruchsstimmung unter den russischen Bauern, ihren Problemen mit Kosaken und Konterrevolutionären zu Revolutionszeiten.
    Danach wollte ich nur noch dort hin um da zu leben.

    Es ist ein gutes Zeichen wenn sich der Chef des Bauernverbandes gegen die asoziale Politik wehrt,
    Söder auf dem Feld der Ähre? Dass ich nicht lache.

  • Der Widerstand der US-Soldaten während des Vietnamkrieges –
    Vortrag auf dem Vietnam-Kongreß an der Volksbühne von Phil Hill:

    Ich war 1967-70 Soldat der US-Armee und Kriegsteilnehmer im Vietnamkrieg, wo ich 1969 bei der Nachrichtentruppe des Heeres als Kriegsgefangenenverhörer diente. Ich habe dazu in den USA die vietnamesische Sprache gelernt und wurde dann 1969 nach Vietnam geschickt. Ich diente also bei der gleichen Truppe, die in unseren Tagen durch ihre Folterpraktiken im Irak zu traurigen Ruhm gelangt ist, wobei ich sagen muß,
    dass wir damals organisatorisch nicht in der Lage gewesen wären, ein solches System zu betreiben. Das heißt, die US-Armee hat aus unserer Erfahrung in Vietnam, die eben darin bestand, dass sie unfähig war, die von den Nachrichteneinheiten gelieferten Informationen sinnvoll zu bearbeiten, nicht etwa gelernt, ihre Informationsbeschaffung zu verbessern, sondern sie hat den Schluß gezogen, das wir eine Folterorganisation bräuchten.

    Ich will auch meinen Vorredner in einem Punkt korrigieren. Helmut Höge hat gesagt, für uns seien alle Vietnamesen Viet-cong gewesen, entsprechend
    hätten wir sie dann behandelt. Das stimmt insofern nicht, das wir sehr wohl wussten, dass es nicht alle Viet-cong waren, es war uns aber egal: Der Punkt war, die waren alle „Schlitzaugen“. Der Rassismus, der der US-Gesellschaft zugrunde liegt, die eben aus einer Geschichte herrührt, in der es von Anfang an v.a. darauf ankam, welche Hautfarbe du hattest – Schwarz: dann warst du ein Sklave, Rot: dann warst du ein Wilder im Wald, Weiß, dann gehörtest du zur herrschenden Gruppe der Kolonien – dieser Rassismus ist
    natürlich nach Vietnam mitgebracht worden und war die Grundlage für die Behandlung der Menschen dort. Ich kann für mich sagen, dass ich diese Haltung schon damals nicht teilte, wenn ich auch zunächst den Krieg befürwortete, denn ich kam aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus und wurde nicht rassistisch erzogen, meine Haltung entsprach der offiziellen
    Staatslinie, nach der wir die Leute dort vor dem Kommunismus retten wollten, was ich gut fand. Ich merkte aber bald, dass ich fast der einzige war, der das so sah. Entweder die Leute wollten fürs Vaterland diese minderwertigen Leute umbringen, oder die waren gegen den Krieg. Irgendwann – nämlich nachdem ich in Vietnam war – wechselte ich also in die zweite
    Gruppe.

    Aber nun zum Punkt, zum Thema des Widerstandes in der US-Armee, wobei ich auch die Veteranen mit einbeziehe. Warum ist dieser Widerstand wichtig gewesen? Mein Vorredner hat erklärt, wie der Partisanenkrieg in Vietnam aufgebaut wurde und dass die Partisanen in der Têt-Offensive eine schwere
    Niederlage erlitten hätten. Man kann sogar sagen, die Partisanenarmee ist weitgehend zerstört worden, denn nach dieser Niederlage sind die Partisaneneinheiten nicht mehr von lokalen Jungs aufgefüllt worden, sondern
    von nordvietnamesischen Soldaten. Dennoch waren das Partisaneneinheiten, deren Rolle in etwa vergleichbar ist mit den sowjetischen Partisaneneinheiten im 2. Weltkrieg: Sie haben zwar wichtiges zum Sieg beigetragen, aber die Deutschen sind nicht von ihnen sondern von der regulären Sowjetarmee geschlagen worden. Und so ist es auch in Vietnam gewesen: Neben den Partisaneneinheiten gab es reguläre nordvietnamesische Einheiten, v.a. im Bergland Zentralvietnams, also im nordwestlichen Teil Südvietnams. Und diese Einheiten haben den Sieg erfochten, indem sie die
    südvietnamesische Armee 1975 im Feld geschlagen haben – und zwar in konventionellen Schlachten, mit Panzern und Artillerie usw.

    Und damit wären wir bei der Begründung, wieso die Widerstandsbewegung in den US-Streitkräften so wichtig war. Die nordvietnamesische Armee war nicht in der Lage, die US-Armee in offener Feldschlacht zu besiegen, das heißt,
    sie konnte nur gewinnen, nachdem die Amis abgezogen waren. Und sie sind abgezogen, obwohl sie rein militärisch nicht rausgeschmissen worden sind, sondern sie sind wegen der politisch unhaltbaren Lage weg, was an der weltweiten Protestbewegung, aber natürlich aus der Protestbewegung im
    eigenen Lande lag und letztlich eben auch an der Auswirkung dieser Bewegungen auf die innere Verfassung der Truppe, einschließlich der Ausdehnung dieser Bewegung auf die Streitkräfte. Etwa 1970-71 haben nämlich immer mehr hohe Militärs selbst gesehen, dass sie Gefahr liefen, die
    Einsatzfähigkeit der Armee also solche zu verspielen. Daher wuchs von Seiten des eigenen Establishments der Druck auf Nixon, den Krieg zu beenden und führte dazu, dass die US-Armee 1973 keine Kampfeinheiten im Lande mehr
    unterhielt. Das war dann die Voraussetzung für die danach erfolgte Offensive von 1975, wobei die im Bergland aufgestellte nordvietnamesische
    Armee ihre Offensive starten und letztlich das ganze Land übernehmen konnte.

    Ich denke, man muß beim Widerstand zwischen 3 Teilen unterscheiden. Dabei muß man sich vor Augen halten, in wie fern der Widerstand gegen den Vietnamkrieg Ausdruck einer gesellschaftlichen Gegenkultur war, das heißt das alles das, was diese Gegenkultur ausmachte – die Musik, die politische
    Gesinnung, das Generationsbewusstsein, der Aufstand der Minderheiten in den USA gegen den Rassismus, aber eben auch die Drogenkultur, auf die Streitkräfte einwirkte, so, dass der direkte Widerstand von innen gegen die US-Streitmacht als Ausdruck dieser Gegenkultur hervortrat. Das trifft für
    alle drei Aspekte des Widerstandes zu.

    Erstens gab es den Widerstand gegen die Teilnahme, die zum einen darin bestand, dass man sich der Wehrpflicht widersetzte, was wiederum in letzter Konsequenz bedeutete, dass man u.U. nach Kanada auswandern mußte. Es soll
    mindestens 50.000 Wehrdienstflüchtlinge dort gegeben haben, aber es gibt bestimmt eine Dunkelziffer von Menschen, die gar nicht meldebehördlich erfaßt wurden. Wenn man aber schon im Dienst war, gab es, neben der nachträglichen Kriegsdienstverweigerung auch eben die Fahnenflucht als
    letzte Konsequenz. Ich bin 1967 zur Armee und kann mich noch gut erinnern, wie einige Monate Später, ende des Jahres, die ersten vier politischen Deserteure bekannt wurden, sie sind in Japan von ihrem Schiff abgehauen, wurden von der japanischen Studentenbewegung außer Landes geschleust, mit
    Fischerboote nach Sachalin gebracht, was zur Sowjetunion gehörte, und dann tauchten sie irgendwann in Stockholm auf. Das hatte schon eine starke psychologische Wirkung. Danach, nachdem Schweden und auch Frankreich sich als sichere Zuflucht für Deserteure erwiesen hatten, gab es eine
    Flüchtlingsbewegung in diese Länder, v.a. natürlich aus Deutschland – aus Vietnam direkt kam man natürlich nicht so leicht raus, höchstens im Urlaub-, die zwar zahlenmäßig begrenzt blieb, aber eben auch eine starke
    Öffentlichkeitswirkung hatte. Letztlich muß man sagen, dass dieser Form des Widerstandes die Truppe zwar nicht direkt zahlenmäßig schwächen konnte,indirekt aber sehr wohl, da sie, zusammen mit der wachsenden Unpopularität des Krieges selbst, bewirkte, dass die Rekrutierung, insbesondere von
    qualifizierten Kräften, auf die insbesondere die Luftwaffe und die Kriegsmarine abhingen, aber natürlich auch Teile des Heeres, stark zurückging und man auch für die unqualifizierten – also für die „Schütze-Arsch“-Kategorie von Soldaten – fast nur noch auf Wehrpflichtige zurückgreifen konnte, was wiederum politisch immer heikler wurde.

    Die Zweite Art des Widerstandes bestand in der mehr oder weniger direkten Ausbreitung der Friedensbewegung in die Streitkräfte hinein. Wie die erste Kategorie lief auch dieses weitgehend außerhalb Vietnams ab. Zentrales Phänomen waren dabei die GI-Cafés und die GI-Zeitungen, die meist
    organisatorisch miteinander verbunden waren. Es gab also im Bereich direkt außerhalb von Militärstützpunkten Gruppen von Aktivisten, die vielleicht ein Café betrieben, wo die GIs in ihrer Freizeit hingehen konnten und in einer nicht- bzw. antimilitärischen Atmosphäre ihre Zeit verbringen konnten
    und wo sie mit den Ideen der Antikriegsbewegung in Kontakt kamen. Diese Ideen wurden meist auch durch Zeitungen verbreitet, die i.d.R. monatlich oder 2 Mal monatlich erschienen, davon gab es zur Zeit des Höhepunktes der
    Bewegung, 1970-72, um die 90 weltweit, v.a. in den USA selbst, aber auch in Deutschland – d.h., hier in Berlin und in Heidelberg -, in Japan zumindest vier – ich selbst habe nach meiner Entlassung dort bei einer solchen gearbeitet – und eine Zeitlang auf den Philippinen, bis das Land im Marcos-Putsch 1972 faschistisch wurde und die Aktivisten verhaftet und dann ausgewiesen wurden. Selbstverständlich war die Situation etwa in Südkorea durchgängig so, dass eine ähnliche Gruppe dort unmöglich gewesen wäre.
    Diese Bewegung war insofern erfolgreich, dass die Moral der US-Truppe ganz entschieden geschwächt wurde und dass sich die genannten kulturellen Phänomene der Gegenkultur dort stark verbreiteten, einschließlich des nicht gerade für die Schlagkraft zuträglichen Drogenkonsums. 1973, als die US-
    Truppen aus Vietnam herausgezogen wurden, war die US-Armee nicht nur in Vietnam, sondern weltweit, in ihrer Substanz stark angegriffen.

    Ein weiterer Aspekt dieses zweiten Bereiches des Widerstandes war die Opposition unter heimgekehrten Kriegsteilnehmern, die die Gruppe Vietnam Veterans Against the War (VVAW) bildeten, der ich auch 1971-75 angehörte, eine Zeitlang als Ortsgruppenleiter in Washington. Die VVAW war auch
    insofern organisatorisch mit der GI-Bewegung verbunden, dass sie versuchte,direkt auf die Truppe einzuwirken und auch einige Cafés/ Zeitungen unterhielt, etwa das Highway-13-Projekt nahe Fort Meade (Maryland), nahe
    Washington, die auch von unserer Ortsgruppe und von der in Baltimore unterstützt wurde. Zu bemerken wäre, dass im Bundesvorstand der VVAW auch ein gewisser John Kerry saß, der im jüngsten Wahlkampf von den Republikanern deswegen auch stark angefeindet wurde. Die VVAW hat neben der
    weit bekannten Aktion am Kongreß in Washington, als wir unsere Kriegsauszeichnungen wegwarfen, auch für die einzige organisierte Protestaktion in Vietnam selbst gesorgt, nämlich eine Petition 1971.

    Viel wichtiger waren aber die anderen Aktionen innerhalb Vietnams, die den dritten Aspekt des Widerstandes bilden. Das war der spontane bzw. auf niedrigster ebene selbst organisierte gewaltsame Widerstand gegen den
    Militärapparat von Seiten der Soldaten. Ihr gelang es, die Sprache um das neu geschöpfte Tätigkeitswort „to frag“ zu bereichern, einer Ableitung von der Fragmentationshandgranate, das beliebteste – wenn auch keineswegs das einzige – Werkzeug zur „Beseitigung“ von unliebsamen Vorgesetzten. I.d.R. – und in solchen Fällen kann man vom politischen Widerstand sprechen – hatten sie sich dadurch unbeliebt gemacht, das sie von ihrer Truppe verlangten, den Kampf mit dem Feind zu suchen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit für eine kämpfende Truppe, die aber nach 1970 immer mehr von der Truppe selbst in Frage gestellt wurde. Die Rotation der Soldaten, ihr heilig
    versprochen und auch eisern verteidigtes Recht, genau 365 Tage und keine Stunde länger in Vietnam dienen zu müssen, zusammen mit der bereits geschilderten Situation einer Kampfmoral, die sich im freien Fall befand, führte zu einen regelrechten Stillstand der Kriegsführung. Denn man kam als
    „Neuankömmling“ immer öfter in eine Einheit, deren Soldaten den inoffiziellen Kontakt zum Feind gefunden hatten und abgemacht hatten, etwa in einem engen, abgemachten Bereich nur so zu tun als ob man den Gegner aufspüren wollte. Als Gegenleistung versprachen die Vietnamesen, einen in
    diesem engen Bereich in Ruhe zu lassen, dort konnte man dann morgens hinausmarschieren, bis man sich außer Sichtweite des Stützpunktes befand und dann den Rest des Tages mit Kiffen oder was auch immer verbringen – nur nicht mit Kämpfen. Oft gab es sogar Offiziere, die Absolventen ziviler
    Universitäten waren, die dieses Treiben nicht nur tolerierten, sondern sogar mit am Joint hingen.

    Falls sich aber ein neuer Leutnant oder Hauptmann einfinden sollte, der meinte, hier gäbe es einen Krieg zu führen und der sich möglicherweise auch noch als beratungsresistent erwies, so konnte es durchaus sein, dass man ihm die Bedeutung des neuen Verbums hautnah beibrachte. Wie ernst das
    Problem war zeigt schon die Tatsache, dass die Militärbürokratie eine Statistik darüber führte: Sie erfasste als besonderen Straftatbestand Sprengstoffanschläge von US-Soldaten auf andere US-Soldaten. Davon fanden,
    meist in den Jahren nach 1969, insgesamt 551 statt, wobei über 80 Soldaten getötet und über 700 verletzt wurden. Die hohe letztere Zahl stammt allerdings teilweise aus den wenigen Anschlägen von „durchgedrehten“
    Soldaten, die amokliefen und wahllos ihre Kameraden umbrachten. Doch bei rund 80% der Anschläge handelte es sich um Anschläge auf Offiziere oder Feldwebel, die meisten dieser Fälle können wahrscheinlich als mindestens teilweise politisch eingestuft werden. Da Einheiten vor Ort durchaus ein Interesse daran hatten, diese meist ohnehin nicht aufzuklärenden Morde zu verheimlichen, indem man sie als Tod vor dem Feind meldete, und da die Statistik darüber hinaus nur Sprengstoffattentate, aber keine Erschießungen usw., erfasste, liegt die Zahl dieser getöteten Einzelopfer bedeutend höher. Doch die „Fraggings“ als solche waren nur die Spitze eines riesigen Eisbergs aus Unwillen, den Krieg weiterzuführen, der, wie oben geschildert, ihn auch an vielen Orten faktisch beendet hatte. Hinter jedem toten Leutnant aus dieser Statistik verbarg sich ein Zug oder eine Kompanie, die
    schon lang nicht mehr kämpfte und sich nun die Möglichkeit gesichert hatte, es auch in Zukunft nicht zu tun. Eine solche Situation war natürlich der Albtraum eines jeden Feldherrn und letztlich nur durch schnellstmögliche Abstellung des Anlasses – als Auszug der Armee aus dem Kriegsgebiet – zu
    beheben. Dieser erfolgte dann 1973, etwa zeitgleich mit der Abschaffung der Wehrpflicht. Eine sehr großzügige vorzeitige Entlassungspolitik tat ein Übriges: 1973 bestand das US-Heer zu einem großen Teil aus einer
    undisziplinierbaren Meute von wehrpflichtigen Kriegesgegnern, schon 1975 waren ihre unteren Reihen aufgefüllt von freiwilligen, die nie in Vietnam gedient hatten oder auch nur die Chaoszeit miterlebt hatten. Das Heer war gerettet, aber Vietnam war verloren.

    Wie wir wissen kam es im Nachhinein der Niederlage zum Gegenschlag der Rechten. Die Behandlung des Präsidentschaftskandidaten Kerry im Wahlkampf 2004 ist Teil einer Art amerikanischer „Dolchstoßlegende“ – die aber keine
    Legende war, denn es stimmt wirklich: Der Soldatenwiderstand war nicht nur ein entscheidender Faktor im Ausgang des Krieges, er war eigentlich der effektivste Mittel zur Umsetzung des weltweiten Protestes in tatsächliche
    Ergebnisse. Denn der wachsende Unmut gegen den Krieg schlug sich in den USA erst Ende 1974 in Wahlergebnisse nieder – als der Krieg faktisch schon längst verloren war, auch wenn die letzte Katastrophe nur einige Monate später eintraf, d.h., die Entscheidung zum Rückzug wurde von Männern
    getroffen, deren politischen Positionen unverändert dem diametral entgegenstanden, die sich auch nach wie vor auf eine parlamentarische Mehrheit stützen konnten, die aber das größere Übel einer einsatzunfähigen Armee fürchteten.

    Der Erfolg des konservativen Gegenschlages in der Gesellschaft widerspiegelt sich in der Soldatenbewegung und unter den Veteranen. Der oben geschilderte „zweite Aspekt“ des Widerstandes – also die organisierte, politisierte Bewegung – konnte sich genauso wenig unter den Soldaten wie in der Gesellschaft insgesamt verankern. Zwar waren in den letzten Jahren immer größeren Mehrheit für den Abzug aus Vietnam, meist spiegelte das aber eine Stimmung wider, nach der Art „für dieses Scheiß-Dschungelland ist es doch nicht Wert, dass unsere Jungs sterben!“ Vor diesem Hintergrund ist es auch weniger verwunderlich, dass es unter Reagan gelang, eine konservative Mehrheit in der Bevölkerung aufzubauen.

    Und so gelang es auch, nicht nur die Armee zu „säubern“ – zur großen Freude jedes Soldaten, der dadurch schneller zum Zivilisten wurde -, sondern auch die Veteranen als Gruppe zu integrieren und gesellschaftlich-politisch gefügig zu machen. Die großen Veteranenorganisationen Veterans of Foreign
    Wars und American Legion sind nach wie vor Massenvereine, die teilweise, gerade im ländlichen Raum, mit ihren Klubs ein Mittelpunkt der Gesellschaft darstellen. Längst bilden die „Vietnam-Ära-Veteranen“ den Großteil ihrer Mitglieder, sie bleiben ein Rückgrat der nationalistischen, konservativen
    Ideologie im Lande. Die letzten GI-Zeitungen schlossen um 1980, die VVAW, die zu ihren besten Zeiten nie mehr als 12.000 Mitglieder vorweisen konnte, schrumpfte bereits ab 1975 zur völligen Bedeutungslosigkeit. Das heißt, das
    Massenphänomen des Widerstandes innerhalb und außerhalb Vietnams, der sicherlich Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Soldaten berührte, konnte nie politisch konsolidiert werden.

    Daher kommt es auch, dass die USA weiterhin ihre Machtinteressen mit kriegerischen Mitteln auf einer Art und Weise durchsetzen, die geeignet ist, Hass und Widerstand hervorzurufen. „Von Vietnam lernen“ bedeutet für
    die US-Regierung, aber auch für die US-Bevölkerung, insofern man vom Bewusstsein der breiten Masse redet, nicht etwa, dass man andere Mittel suchen sollte, sondern dass man etwa eine klar definierte Zielsetzung – also den Siegesfrieden – definieren und unnachgiebig verfolgen, oder aber es von Vornherein lassen muß. Der Irak zeigt, dass man etwa zwar realisiert hat, dass man sich nicht einer Wehrpflicht bedienen soll, vor allem aber, dass man dafür sorgen muß, dass in der Öffentlichkeit, v.a. über die Presse, keine negative Stimmung aufkommen kann. Kurz: Eine Bevölkerung, die
    damals in erster Linie das Ende des Krieges herbeisehnte, bedauert mehrheitlich im Nachhinein die Niederlage und handelt politisch entsprechend. Vielleicht muß man, die die Deutschen wissen, zweimal verlieren.

  • Wie endete denn aber nun die andere Seite? Dazu fragte ich den serbischen Regisseur Zoran Solomun:
    Jugoslawien gehörte neben Weißrußland zu den Ländern mit der entwickeltsten Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg. Fabriken, Markenprodukte, Straßen und Plätze wurden nach ihnen benannt, der zweitberühmteste Fußballclub des Landes heißt „Partisan Belgrad“… Und auch die heutigen sozialen und politischen Auseinandersetzungen werden noch immer gerne an den alten kommunistischen Heldentaten gemessen. So schrieb z.B. Marina Achenbach 1994 in „Auf dem Weg nach Sarajewo“: „‚Es gibt in diesem Krieg keine Partisanen,‘ meint Mira, meine jugoslawische Freundin, als wir mit mehreren Leute über Parteinahme streiten. ‚Ich meine nicht die Art des Guerillakampfs, ich meine, daß es keine Bewegung gibt, die einen anderen Geist vertritt, eine Idee des toleranten Zusammenlebens. Denn die heute vielgeschmähte Partisanenlosung Brüderlichkeit und Einheit war nichts anderes als eine Toleranzlosung. Es gibt unter den Krieg führenden niemanden, den man mit vollem Ja unterstützen könnte, keine Seite, die eine Alternative wäre oder eine gesellschaftliche Vision vertreten würde. Sie haben alle auf die nationalistische Energie gesetzt, auf die Differenz“. Ich interviewte dazu den Regisseur Zoran Solomun:

    Mein Problem und ich glaube auch das meiner Generation ist der Zweite Weltkrieg unserer Väter, von dem diese nicht loskamen, also Partisanenkampf, Heldentum, Siege usw. All dies haben wir nicht mehr selbst erlebt, es hat uns aber weiter bedrückt. Für meinen Vater, meine Onkel, meine Tanten – die waren alle Partisanen – war die Befreiung 1945 kein vollkommener Sieg gewesen, ihre Ideen gingen darüberhinaus. Und auch ich assoziiere mit dem Wort Partisan nicht -Strategien, -Taktiken und dergleichen, sondern Ideale, für die diese Leute gekämpft haben – und das ist zuerst einmal die soziale Revolution. Meine Familie gehörte zwar zu denen, die den Krieg gewonnen hatten, aber sie waren danach dann auch diejenigen, die ganz tief enttäuscht waren. Das war wirklich eine verbitterte Generation, weil keine richtige Revolution stattgefunden hatte. Sie waren natürlich als Partisanen völlig unrealistisch gewesen und haben die kommunistische Idee romantisiert – fanatisch und fast religiös. Es waren ja fast alles junge Leute, zwischen 17 und 20 Jahre alt. Und die Welt war für sie in Gute und Böse aufgeteilt: die Deutschen waren die Bösen und die Partisanen die Guten. Meine Familie kommt aus Westbosnien, aus der Krajina, das ist heute ein moslemischer Landesteil. Sie waren Bauern, Kinder von Bauern. Mein Großvater war noch Bauer gewesen. Mein Vater ging mit 15 aus seinem Dorf weg nach Belgrad, um dort eine Lehre zu machen. Es gab eine staatliche Organisation, die das in die Wege leitete – für Kinder aus Familien, die immer am Rande des Verhungerns lebten. In Belgrad ist er dann in Kontakt mit dem kommunistischen Jugendbund (SKOJ) gekommen – und hat deren Ideen geschluckt, alle auf einmal. Mein Vater war einer von elf Kindern. Als der Krieg anfing, 1941, hat ihn die kommunistische Partei in sein Dorf zurück geschickt, damit er dort den Aufstand organisiert.

    Das ist eine komplizierte Geschichte, es war dort bereits zu einem Aufstand gekommen, weil in Westbosnien der Ustascha-Terror der kroatischen Faschisten sehr schrecklich gewesen ist. Die hatten folgendes Programm gehabt: Ein Drittel aller dort lebenden Serben sollte ausgerottet werden, ein Drittel vertrieben und das letzte Drittel katholisiert werden. Wie das ablief, kann man sehr genau in dem Roman von Branko Copic „Prolom“ nachlesen, der dort spielt: von 1941 bis 1942. Als Reaktion auf den Terror gingen die serbischen Bauern in die Wälder, um sich und ihre Familien zu verteidigen. Das war noch kein richtiger Aufstand, sondern eine spontane Widerstandsaktion. Daraus entstand dann jedoch die Partisanenbewegung, nachdem die Kommunisten ihnen zu Hilfe gekommen waren, die diese Aufständischen gleichzeitig auch instrumentalisierten. Dazu gehörte dann wie gesagt auch mein Vater, der zuerst einmal seine eigene Familie mobilisierte, d.h. er hat seine Schwester, seine zwei Brüder und auch noch deren Freunde agitiert. Meine Tante sieht das bis heute nicht nur positiv, d.h. wenn sie darüber spricht, dann ist sie immer noch ein bißchen böse auf meinen Vater, daß der seine ganzen Geschwister damals in die Wälder quasi gezerrt hat. Die haben sehr viel gelitten in den Bergen – vier Jahre lang: von 1941 bis 1945.

    Meine Tante war damals ein 18jähriges Mädchen und es war sehr hart für sie – draußen zu schlafen, bei Eis und Schnee, und nichts zu essen. Sie hat mir erzählt, wie sie einmal sogar Selbstmord begehen wollte, weil sie nicht mehr konnte. Und dennoch haben sie und ihre Freundinnen die Männer oft ausgelacht. 1973 habe ich Auschwitz besucht. Anschließend berichtete ich meiner Tante und erzählte u.a. von den zu Bergen zusammengetragenen Brillen dort. Darüber hat sie so geweint, dass ich noch heute, wenn ich mich daran erinnere, selber weinen muß.

    Meine Tante war als Kämpferin in den Bergen gewesen, nicht als Kurierin – das erledigten Kinder. Und so entstanden die ersten Partisanen-Einheiten. An anderen Orten war es ähnlich. Ich weiß z.B. von einem anderen Onkel, aus der Familie meiner Mutter, daß er bis 1943 überhaupt keine Vorstellung davon hatte, was Kommunismus und Kommunisten und Tito – was das überhaupt ist. Die haben nur ihre Dörfer verteidigt. Sie waren natürlich zum großen Teil auch nicht militärisch ausgebildet und hatten anfangs nicht einmal Waffen. Dazu mußten sie erst einmal irgendwelche Ustaschas, Italiener, Deutsche, Ungarn oder Tschetniks töten. Wobei letztere am Anfang des Krieges noch mit den Kommunisten gemeinsam kämpften. Nach dem Krieg waren sie dann diejenigen, die, ebenso wie die Ustascha-Soldaten, in die Emigration gehen mußten – nach Deutschland, USA, Schweden, Kanada usw. Von dort sind sie erst jetzt, ab 1991/92, zurückgekehrt. Die Rückkehrer nach Kroatien z.B. haben dann vor allem Tudjman finanziell unterstützt.

    Bei meiner Familie war es so, daß sie Verstärkung bekommen und sich auch immer besser organisiert haben. Die Kommunisten waren überhaupt sehr gute Organisatoren, Tito war ein großer Stratege. 1941 fing er mit 15.000 Kämpfern an, vier Jahre später bei Kriegsende waren es 800.000 Soldaten. Obwohl Ende 1941 bereits die Erste Proletarische Brigade aufgestellt wurde, eine Art Elite-Einheit, der weitere folgten, darf man nicht vergessen, daß es kaum Arbeiter in Jugoslawien gab: Über 80% der Bevölkerung waren Bauern, die Industrialisierung begann eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute hat sich die Situation komplett umgedreht: 80% der Bevölkerung leben jetzt in den Städten, und nur noch 20% sind Bauern.

    Mit der Ausweitung der Partisanenbewegung und den ersten Erfolgen stieg die Euphorie – es entwickelte sich ein fanatisch-religiöser Glaube an die sozialistische Revolution. In dieser Zeit gab es auch zwei wirklich emanzipatorische Organisationen: Die eine war der kommunistische Jugendbund (SKOJ) und die andere die antifaschistische Front der Frauen (AFJ). Sie waren auf alle Fälle so revolutionär, daß sie nach der Befreiung, 1945, sofort aufgelöst wurden vom kommunistischen Staat. Meine Tante war ebenfalls in der Frauenfront. Der Glaube, daß nach dem Krieg ein sozialistisches Paradies auf Erden entstehen würde, war tief – und auch naiv. Ich erinnere mich an eine Geschichte – von den Komissaren, den Ideologen in der Armee, die haben ihren Leuten erzählt: „Nach dem Krieg werden wir alle mit goldenen Löffeln essen!“ Das sagt auch etwas über die Ideale der einfachen jungen Bauern aus, denn das wurde geglaubt. Und dann kam aber die Realität: ein vom Krieg zerstörtes Land, eine stalinistische Regierung, sofort waren wieder soziale Unterschiede da usw….Wichtig war auch noch, daß viele dieser hoffnungsfrohen Partisanen-Veteranen, die inzwischen reguläre Soldaten geworden waren, dann in Pension geschickt wurden. Die waren ja nicht alt – alle so um die 30, aber jetzt mußte die Hälfte von ihnen, etwa 400.000, in Rente gehen. Mein Vater wurde mit 33 Jahren pensioniert. Die neue kommunistische Regierung war klug: Sie hat gewußt, diese Leute sind einfach für den Frieden, für die neuen Machtspiele, nicht geeignet. Das hat diese Leute natürlich maßlos enttäuscht: Sie haben dadurch all ihre Macht verloren – aus Partisanen – Herren über Leben und Tod – wurden plötzlich überflüssige Rentner.

    Mein Vater war zuletzt ein Major gewesen. Meine Tante, die ebenfalls einen militärischen Rang hatte, wurde Hausfrau und Mutter. Das ist ganz typisch. Und das sind die Leute, die ich meine, wenn ich von einer verbitterten Generation rede. Es gibt ein berühmtes Gedicht eines serbischen Dichters, das mit der Frage endet: „Wird die Freiheit in der Lage sein, so zu singen wie die Gefangenen über sie gesungen haben?“

    Es war aber auch eine verwirrende Situation: Das waren ja alles Leute, die nicht ausgebildet waren, die keine politische Schulung genossen hatten, die zum großen Teil gar nichts von dieser Welt verstanden – also die waren das, was man ‚einfache Leute‘ nennt, und dazu waren sie alle ganz jung. Sie hatten Parolen – Freiheit, Gleichheit usw., aber wie das aussehen sollte, das wußten sie nicht. Es war eine Energie – und die mußte einfach gegen die Wand gehen. Es gab die Faschisten, die Bösen und auf der anderen Seite die Guten – und deswegen mußte alles was diese tun auch gut sein. Das Problem lag nicht nur bei den Machthabern. Etliche haben dann einzeln weiter gekämpft – als Rentner. Mein Vater hat z.B. angefangen zu studieren. Aber viele haben einfach zu Hause gesessen… Ich habe auch einen Verwandten, der war sein ganzes Nachkriegs-Leben lang Hausmann, hat gekocht, gewaschen, sich um das Kind gekümmert usw., während seine Frau zur Arbeit gegangen ist. Andere haben sich ein Hobby zugelegt, im Garten gearbeitet, in Kneipen rumgehangen… Aleksandar Tisma hat viel über diese Leute geschrieben – in seinen Romanen und Erzählungen.

    Für meine Generation mußte diese Situation einfach zu einer Katastrophe werden. Die Kriegsveteranen haben uns natürlich nicht verstanden. Da war diese Idee: Wir machen eine Revolution – und wenn die gemacht ist, dann wird alles in Ordnung. Und die Folge war, daß meine Generation einen inneren Widerstand gegenüber dieser Idee entwickelt hat. Die Revolution unserer Väter war nicht die unsere. Die haben uns unterdrückt mit ihren Programmen und „Visionen“, wir wollten dagegen unsere eigene Freiheit. Stattdessen wurden wir soldatisch-streng erzogen, mit sehr wenig Verständnis dafür, daß wir auch autonome menschliche Wesen sind. Unsere Partisanen-Eltern haben das selbe gemacht was alle Eltern zu allen Zeiten mit ihren Kindern machen: sie haben unsere authentische Existenz negiert. Das ist wohl der Punkt, wo sie gescheitert sind: sie haben das wichtigste, die Familienstruktur, unangetastet gelassen. Die schlimmsten Halbstarken, die es nach dem Krieg gab, Kriminelle und Drogenabhängige, das waren meist Offizierskinder. Auch meine Schulzeit war absurd, in der zweiten bis vierten Klasse, d.h. mit 8,9 und 10 haben sie uns fortwährend mit Geschichten traktiert, in denen es um einen heldenhaften Tod ging: Wie die Faschisten einem Partisanen bei lebendigem Leibe die Haut abziehen und mit Salz bestreuen, er aber trotzdem seine Kameraden nicht verrät. Oder wie ein anderer Partisan sich umbringt, als die Deutschen ihn in eine ausweglose Situation drängen…Als das wurde uns als erstrebenswert dargestellt. Sie haben uns auf den Heldentod vorbereitet – und auf nichts sonst. Das ist einfach grauenhaft. Ich habe gar nichts gegen einen heldenhaften Tod, aber ich habe ganz viel dagegen, schon als Kind darauf vorbereitet zu werden. Obwohl es gar keine „Deutschen“ mehr gab. Der Krieg war vorbei und sie haben das nicht einmal bemerkt. Von diesen ganzen enttäuschten Helden ging stattdessen immer ein Grundüberzeugung aus: Einzig das Sterben für eine große Idee, und vor allem das Leiden ist erstrebenswert. Die Moral der Partisanen ähnelte denen der frühen Christen, sie war ähnlich streng und überhaupt nicht befreiend. Wieviel Filme es allein gab – zur Verherrlichung der Partisanen-Moral. „Der rote Schal“ z.B. Da geht es darum, daß ein ganz junger Partisan einem Bauern einen Schal geklaut hat im Winter. Seine Kameraden wollen ihn deswegen erschießen. Vergeblich versucht der bestohlene Bauer, diesen Mord zu verhindern. Die Partisanen-Moral ist unerbittlich!

    Meinem Vater ist es auch einmal passiert, daß er irgendwo eine Konservendose eingesteckt hat. Anschließend hat er gezittert, daß die anderen aus seiner Partisanengruppe nicht dahinter kommen. Anfang der Siebzigerjahre entstanden eine Reihe kritischer Filme in Jugoslawien, u.a. von inzwischen berühmten Regisseuren: Dusan Makavejev, Aleksander Petrovic u.a.. Ein paar dieser Filme wurden verboten, nicht viele. Aber in einer Kritik wurden sie dann als „Schwarze Welle“ bezeichnet, die unsere Realität nur in schwarzen Farben zeige. Von oben wurde dagegen dann eine „Rote Welle“ lanciert. Dabei entstanden dann die großen Partisanenfilme, in denen Yul Brynner, Orson Welles u.a. mitwirkten. Richard Burton hat einmal Tito gespielt. Auf der anderen Seite suchte auch Tito selbst die Nähe der großen Stars – Liy Taylor und Sophia Loren beispielsweise, sie besuchten ihn auf seiner Insel, wo später Tudjman residierte. Dann muß man auch noch die ganze Literatur erwähnen – all die Partisanen-Erinnerungen und -Romane, das war ein riesiges Genre, geradezu eine jugoslawische Spezialität. In meiner Familie wurde vor allem Branko Copic geschätzt, aber auch die Partisanen-Schriftsteller Oskar Davico, Mihailo Lalic, Josip Barkovic und Aleksandar Vuco z.B. oder Milovan Djilas. Mit Branko Copic‘ Erzählungen ist das eine komplizierte Geschichte – er ist inzwischen mein Lieblingsautor geworden, aber ich mußte ihn dazu erst wiederentdecken. Er kommt aus Westbosnien und hat die Partisanenbewegung dort sowohl mitgemacht als auch später beschrieben. Am Anfang war ich diesem allen hilflos ausgeliefert, dann habe ich langsam angefangen, mir selbst gegenüber zuzugeben, daß ich dieses ganze Partisanenzeug nicht mag. Stattdessen habe ich mit 18,19,20 Thomas Mann und Dostojewski gelesen.

    Es ist auch noch wichtig, daran zu erinnern, daß die Partisanen alle getötet hatten. Sie hatten später immer etwas Beherrschtes, Kaltes an sich. Mein Vater besaß z.B. eine Pistole – von einem Deutschen, den er wahrscheinlich umgebracht hatte, und eine kleine verrostete Nagelschere. Die hat er 20 Jahre lang benutzt. Eines Tages habe ich sie als Kind auch benutzt – und dabei verloren. Das war wie der Verlust einer Familien-Reliquie. Die Pistole bewahrt meine Mutter noch immer auf, zusammen mit den Orden meines Vaters und einigen Photos. Er starb 1971. Ich habe erst sehr viel später wieder angefangen, mich mit Partisanenliteratur zu beschäftigen. Ich wollte selbst etwas für mich finden und nicht einfach das übernehmen, was mein Vater guthieß. Das war der Konflikt unserer Generation: Nicht das werden zu wollen, was unsere Väter sich für uns vorgestellt hatten.

    Indem man die partisanischen Vorgaben der Väter verwarf, hat man natürlich auch viel Positives ignoriert, dem man sich dann in meiner Generation erst sehr viel später wieder angenähert hat: In den Siebzigerjahren, wurde z.B. in Belgrad das Partisanen-Stück von Jean-Paul Sartre „Die schmutzigen Hände“ inszeniert, mit den besten Schauspielern – es wurde ein Kultstück. Das waren die ersten Töne, die all die Autoritäten in frage stellten. Genaugenommen kamen die ersten derartigen Stimmen jedoch von der 68er-Studentenbewegung – und dieses Theaterstück war eine Folge davon. Jüngst hat Frank Casdorff es noch einmal an der Berliner Volksbühne inszeniert, wobei er die Partisanen-Problematik bis zu Karadzic hin verlängerte – als den letzten degenerierten Kommunisten, mit einer jugoslawischen Fahne auch noch. Das ist falsch, das hätte er höchstens mit Milosevic machen können. Demnächst wird es eine nochmalige Inszenierung des Stückes in Belgrad geben.

    1968 war ein entscheidendes Jahr für Jugoslawien:Wenn man verstehen will, was heute in Jugoslawien geschieht, dann muß man bis auf das Jahr 1968 zurückgehen. Damals waren die Kommunisten genau zwanzig Jahre an der Regierung – 1948 hatten sie sich von Moskau losgesagt. Die einzigen Konflikte, die es danach gab, waren Machtrangeleien in der Nomenklatura. 1968 entstand jedoch eine starke linksradikale Studentenbewegung. Sie war eine Folge der Öffnung Jugoslawiens ab Mitte der Sechzigerjahre: Es gab die ersten Pässe, Gastarbeiter, Einflüsse vom Westen, Tourismus. Die Studentenbewegung war gegen die kommunistische Regierung gerichtet – wie auch die in Westeuropa, d.h. es war eine Abrechnung mit den letzten 20 Jahren. Die Studenten besetzten im Juni, Juli 68 die Belgrader Universität – und benannten sie in „Rote Universität Karl Marx“ um. Sie wollten das erreichen, was die Väter ihnen immer nur versprochen hatten: einen radikalen Umbau der Gesellschaft. Ich war damals 15 – also noch zu jung um mit zu machen. Ich habe nur zugekuckt. Einer der herausragenden Studentenführer von damals war Vlada Mijanovic. Ich glaube, er fährt heute Taxi in Chicago. Für die Kommunisten war die Studentenbewegung ein Schock. Ich erinnere mich noch an einen Fernsehauftritt von Tito. Er sagte: „Wenn die Jungen wollen, daß wir Alten gehen sollen, dann gehen wir auch!“ Das war eine blanke Lüge, denn natürlich wollten die Alten nicht abtreten. Und das erste, was sie dann gemacht haben, war auch genau das Gegenteil. Sie haben den jugoslawischen Studentenbund aufgeteilt – nach Nationalitäten, einen serbischen, einen kroatischen usw.. Und dann haben sie mit weiteren nationalen Spielchen angefangen. Anfang der Siebzigerjahre entstand daraus die erste große nationale Bewegung, der „kroatische Frühling“ – angeführt von den kroatischen Kommunisten. 1974 wurde eine neue Verfassung in Kraft gesetzt, in der all diese nationalistischen Ideen Eingang fanden, d.h. die Republiken wurden fast souveräne Staaten. Das alles ist die Voraussetzung für den jugoslawischen Krieg jetzt. Die Wurzeln dafür liegen nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern in dieser spezifischen Abwehr der emanzipatorischen Forderungen der Studentenbewegung durch die jugoslawischen Kommunisten. In Polen haben sie zur gleichen Zeit aus den selben Gründen den Antisemitismus wieder aktualisiert.

    Ich erinnere mich noch an ein spätes Statement von Tito, in dem er sagte: „Natürlich bin ich ein Jugoslawe, aber in erster Linie bin ich Kroate“. Und plötzlich war die Nationalfrage für die Kommunisten genau so wichtig wie die Klassenfrage. Um an der Macht zu bleiben, spielten sie mit den Nationalismen – im Kosovo, in Serbien, in Slowenien: Überall haben sie die nationalistischen Kräfte nach vorne geschoben. So wurde der Nationalismus wiederbelebt. Selbst meine Mutter hat sich auf ihre alten Tage noch von einer Kommunistin zu einer Großserbin gewandelt. Milosevic hat diese nationale Welle nur bis zur letzten Konsequenz geführt. Insofern sind die Kommunisten, Tito usw., für diesen Krieg verantwortlich. Und deswegen stimmt es einfach nicht, wenn gesagt wird: Damals war alles schön, aber dann kamen die Bösen. Das war kein Bruch, sondern eine logische Entwicklung. Ein weiterer Mythos ist der, daß die Serben im Zweiten Weltkrieg alle auf der richtigen Seite, bei den Partisanen, gekämpft haben und die Kroaten an der Seite der Deutschen. Eher ist es umgekehrt: In Kroatien gab es sogar sehr viele kommunistische Partisanen, während viele Serben monarchistisch gesinnt waren. Die serbischen Partisanen, das waren in erster Linie die Serben aus Bosnien, und die Widerstandsbewegung war in Kroatien viel stärker als in Serbien. Auch bei den Mohammedanern gab es eine starke antinationalistische Front, gerade von den reichen Familien, aus Sarajewo z.B., standen viele Tito nahe. Ich habe später ein paar kennengelernt. Das war eine merkwürdige Mischung: Einerseits unterstützten sie die iranische Revolution, Chomeini, andererseits waren sie Kommunisten. Heute wandern übrigens viele iranische Flüchtlinge über Sarajewo nach Europa ein. Und Saudi-Arabien und der Iran bauen dort Moscheen. Von den Bosniern, den dortigen islamischen Intellektuellen, die nach wie vor atheistisch sind, werden diese ausländischen Fundamentalisten abfällig „die Grünen“ genannt. Ein guter Freund von Branko Copic war der Schriftsteller Zijo Dizdarevic, er stammte aus solch einer islamischen Familie. 1942 haben ihn Ustascha-Soldaten in Zentralbosnien umgebracht. Er hatte noch sechs Brüder – alle waren bei den Partisanen. Copic hat sein letztes Buch, mit Kurzgeschichten, Dizdarevic gewidmet, es erschien Ende der Siebzigerjahre. Wenig später verübte Copic Selbstmord. In seiner Widmung schrieb er: „Ich sehe wieder die Schwarzen Reiter, die Dich damals genommen haben… Sie kehren zurück!“ Das war eine sehr prophetische Warnung.

    Man spricht jetzt oft von rechten Partisanen. Copic warnte generell vor neuen nationalistischen Auseinandersetzungen – vor deren destruktiven Kräften. Es stimmt, der Partisanen-Mythos hat sich lange gehalten. Als wir 1990 nach Berlin kamen, war meine Tochter 9 und mein Sohn 11 Jahre alt. Sie hat sich in ihrer Entwicklung als Mädchen nicht so sehr wie er mit mir identifiziert. Und diese ganze jugoslawische Partisanen-Geschichte interessiert sie kaum. Manchmal betrachtet sie z.B. meine Tante, die Partisanin war, wie eine Fremde. Mein Sohn hat dagegen etwas mehr von mir. Gerade dieser Tante schrieb er 1991 in einem Brief: „Liebe Tante, es geht uns gut, Berlin ist eine schöne Stadt, hier sind alle Leute Deutsche – nur wir sind die einzigen Partisanen“. Er wollte sie natürlich ein bißchen ärgern, aber gleichzeitig zeigt das, wie weit diese einfache Weltsicht – der Partisanen von einst – gegangen ist. Es hat natürlich in Jugoslawien immer Leute gegeben, die sich nie als Partisanen begriffen, immer nur als Kroaten, Serben etc. Aber alle, die an der Macht waren, hatten eine Identität als Partisanen. Mit Ausnahmen – wie etwa die Belgrader Akademie der Wissenschaften, wo nie ein Kommunist Mitglied wurde. Es war stets eine Hochburg des Serbentums. Von dort kam in den Achtzigerjahren das Memorandum – zur Erklärung des Konflikts. In bezug auf den Kosovo ist darin von einem „Genozid“ an den Serben die Rede. Das hat viel bewirkt. Der Schriftsteller Dobric Cosic verkörpert beides – er ist zum einen der geistige Vater des serbischen Nationalismus, er hat Milosevic quasi ideologisch-politisch „gemacht“, zum anderen war er aber im Zweiten Weltkrieg Partisan. Das ist dieser typische Weg: Vom Kommunisten zum Großserben. Er versteht sich heute als Vater der Nation. Was Milosevic getan hat, ist, daß er die zwei großen verfeindeten Gruppen – die Partisanen, also die Kommunisten, auf der einen Seite und die Monarchisten, d.h. die serbischen Nationalisten, auf der anderen Seite – in einer Koalition zusammengebracht, versöhnt hat. Es kommt noch etwas hinzu: Die nach dem Krieg zur Volksarmee gewandelten Partisanen haben die ganze Gesellschaft sofort und dann jahrelang konsequent militarisiert. Das Militär war ein Riesenorganismus mit einer großen Macht: 400. 000 Soldaten, 2 Millionen Militärrentner 2 Millionen Zivilbeschäftigte – und das in einem Land mit 22 Millionen Einwohnern. Als dieser Apparat Anfang der Achtzigerjahre in eine wirtschaftliche Krise geriet, da hat er natürlich nur einen Ausweg gesehen: Krieg. Auf diese Weise konnten sich die ganzen Militärstrukturen nicht nur erhalten, sondern sogar noch vermehren. Wenn man z.B. alle Generäle, die es jetzt auf dem Balkan gibt, zusammenzählen würde, käme man auf eine weitaus höhere Zahl als während des Sozialismus. Eine Idee zur Entmilitarisierung existiert nach wie vor nicht. In Kroatien gibt es einen jungen General, dem die kroatische Regierung den Prozeß machen will, weil er für ein Massaker an Serben verantwortlich sein soll. Aus Solidarität mit ihm gingen allein in Split 100.000 auf die Straße. Partisanen gibt es in diesem Krieg nicht mehr – es kämpfen nationalistische Armee gegeneinander. Höchstens bei der UCK könnte man noch von partisanischen Anwandlungen sprechen: Es gibt bei denen viele Leninisten und Stalinisten – Hodschisten. Insofern ist das eine anachronistische Erscheinung. Ganz anders die serbischen Kämpfer in Bosnien – das waren Nationalisten, die wie Freischärler-Gruppen agierten, wobei es Übergänge zu getarnten Polizei-Spezialeinheiten gab. Die einen wie die anderen wurden von Belgrad aus kontrolliert. Ähnliche Mischformen gab es auch in Kroatien, sogar mit Freiwilligenverbänden aus Ungarn, aber auch mit Söldnern aus Rumänien und Tschetschenien. Und dann haben mitunter auch noch serbische und kroatische Truppen in Bosnien gemeinsam gegen moslemische Gruppen etwa gekämpft, und sich Panzer gegenseitig geliehen oder so etwas. Sogar eine Zusammenarbeit zwischen Serben und Moslems gab es punktuell. Jeder kämpfte gegen jeden. Was sie von Partisanen unterscheidet ist, daß sie alle unter Kontrolle waren bzw. noch sind. Es gab keine spontanen Widerstands-Aktionen: alles war sehr gut organisiert und manipuliert. In diesem Sinne war das kein antagonistischer, sondern ein sehr moderner Krieg, in dem die Medien eine große Rolle spielten – ohne das Fernsehen hätte es ihn nicht gegeben! Bezeichnend ist dabei auch, daß die Kämpfer zwar gerne Kirchen und Moscheen vernichteten, aber so gut wie gar keine Strommasten in die Luft sprengten. Das macht man nur, wenn man gegen einen Okkupanten kämpft. Im ganzen Bosnienkrieg wurde nur ein einziger Strommast umgelegt.

    Jetzt sind zwar alle kriegsmüde, aber ich bin sehr pessimistisch, was die Entwicklung auf dem Balkan betrifft. Obwohl diese nationalistischen Parteien und Regierungen so viel Leid über das ganze Land gebracht haben, werden sie noch immer von den Leuten gewählt. Sogar Neonazis gibt es inzwischen. Aber das einzig wirklich Neue, was entstanden ist, das sind kleine anarchistische und feministische Gruppen, die hat es früher dort nie gegeben. Sie sind sowohl pazifistisch als auch urban und es gibt sie in allen Teilen Ex-Jugoslawiens. Sie arbeiten zusammen.

    Ich sympathisiere mit diesen jungen Leuten, aber für meine Generation, wieder eine Zwischenkriegsgeneration, stellt sich die Situation jetzt kompliziert dar: Wir sind im tiefsten Sinne Jugoslawen gewesen – und dieses Land gibt es nicht mehr. Was war meine Identität? In erster Linie sprachlich: serbokroatisch, und dann regional – meine Heimat ist Istrien, wo ich geboren wurde, dann Belgrad, die Wojwodina, Nordserbien, außerdem Bosnien und Zagreb. Budapest ist mir immer näher als Skopje, Makedonien, gewesen. Und dann die Zugehörigkeit zur Mittelschicht: Zwei Kinder und eine Zwei-Zimmerwohnung – das ist das typische Nachkriegsjugoslawien. Dazu kam damals der Austausch zwischen den verschiedenen regionalen Kulturzentren: das war sehr produktiv. Wenn sie jetzt mal einen serbischen Film in Kroatien zeigen, dann nur mit Untertiteln. Das ist grotesk. In Zagreb gehen viele nur ins Kino, um über diese albernen Untertitel zu lachen: Da steht genau das selbe, wortwörtlich, was die Schauspieler sagen. Was die da jetzt machen, das ist alles künstlich, demgegenüber hat sich Jugoslawien organisch entwickelt – in 200 Jahren, und zwar immer wieder partisanisch.

  • Als ich vor einiger Zeit mal in der „Shrinking City“ Guben war, nutzte ich die Gelegenheit, mehr üder die Geschichte der Spezial-Einsatzkräfte zu erfahren, denn dort wurde zuletzt die erste deutsche Spezialeinheit aufgerieben.

    Eine der letzten Verteidigungs-Fronten des Zweiten Weltkriegs verlief entlang der Neisse – mit den zu „festen Plätzen“ ausgebauten Städten Guben, Forst und Muskau. Wobei die reiche Textilstadt Guben während der neunwöchigen Kämpfe fast vollständig zerstört wurde. 1997 erschien dort ein Buch des Geschichtslehrers Andreas Peter :“Guben 1945/46″ – mit Augenzeugenberichten aus diesen Jahren. Mehrmals wird darin die „Waffen-SS“ sowie eine „Strafdivision“ erwähnt. 1993 erschienen bereits die Erinnerungen „Bewegte Jahre“ von Christiane Rösler. Sie erwähnt ein seit Januar 1945 in Guben eingesetztes „SS-Bewährungsbatallion Dirlewanger“. Quasi von der anderen – sowjetischen – Seite stammt der Bericht „Die Befreiung der Lausitz“ von Max Pilop, 1985 vom sorbischen „Domowina-Verlag“ veröffentlicht. Hier wird unter den „Gegnern“ u.a. die „36. SS-Waffengrenadierdivision“ erwähnt. Dabei handelt es sich um die SS-Sturmbrigade Dirlewanger, die an die Neisse versetzt und dort am 3.März 1945 auf Befehl Himmlers zur „36.Waffengrenadierdivision der SS“ aufgestockt worden war, wobei neben politischen Häftlingen auch reguläre Heeresteile unter das Kommando von Dirlewanger kamen. Von ihren verlustreichen Kämpfen zeugen noch heute etliche Soldaten-Friedhöfe in der Umgebung Gubens. In dem etwa zehn Kilometer entfernten Dorf Horno – das zwischen 1990 und 2006 erneut umkämpft war – diesmal, weil der Braunkohlekonzern Laubag (Vattenfall), den sorbischen Ort mit Großbaggern platt machen wollte – findet sich auf der Kriegsgräberstätte ein Kreuz mit der Aufschrift „Soldat Dirlewanger, gest. am 22.4.45“, auf einem anderen Kreuz steht „Oberst Walter Freiherr von Uckermann – gefallen als Soldat infolge der Maßnahmen vom 20.Juli 44“.

    Statt zu Kriegen zwischen Staaten kommt es – seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs -mehr und mehr zu Bürgerkriegen bzw. Kämpfen gegen Befreiungsbewegungen. In den USA aber auch in der BRD gibt es deswegen seit einiger Zeit Bestrebungen, die Heere zu Partisanen-Bekämpfungseinheiten umzuwandeln. Der ehemalige faschistische Staatsrechtler Carl Schmitt hatte bereits in den Fünfzigerjahren gemeint: „Partisanen lassen sich nur mit Partisanen bekämpfen“. Im Mai 1962 berichtete der Spiegel über eine neue Sondereinheit des US-Militärs, die im Vietnamkrieg eingesetzt wurde. Das Nachrichtenmagazin nannte sie „Kennedys Partisanen“. Diese „Green Berets“ waren teilweise Ukrainer, die zuvor als nationalistische Partisanen gegen sowjetische, polnische und jüdische Partisanen gekämpft hatten, von den Deutschen unterstützt – mindestens toleriert. Bei den Franzosen wandelte sich Teile der Fremdenlegion bereits während des Algerienkriegs zu speziellen Partisanen-Bekämpfungseinheiten. In der Bundesrepublik kam es erst kürzlich zum Aufbau von sogenannten Krisen-Spezial-Kräften (KSK). Insgesamt stellen diese Einheiten derzeit noch eine allzu „knappe Ressource“ dar, wie sich zwei Bundeswehr-Generäle gerade ausdrückten, und die deswegen dagegen waren, dass man sie nun einfach bei der Vergeltung des New Yorker Terroranschlags in Afghanistan einsetzt – wo sie möglicherweise sofort vernichtet werden.

    Die Idee für all diese Spezialeinheiten geht auf die Nationalsozialisten zurück: im März 1940 ließ Heinrich Himmler die im Reich inhaftierten Wilddiebe ins KZ Oranienburg überstellen, wo sie zu einer Scharfschützen-Kompanie zusammengefaßt wurden. Mit der Führung dieses später so genannten SS-Sonderkommandos, das bald Kompaniestärke erreichte, wurde der ebenfalls vorbestrafte Dr. Oskar Dirlewanger betraut. Er ließ seine Männer zunächst im besetzten Polen ausbilden, wo sie erst in Lublin und dann in Lemberg jüdische Arbeitslager bewachten. Weil sie dabei plünderten und mordeten, wurde Ende 1941 ein Ermittlungsverfahren gegen das Sonderkommando eingeleitet. Um dem zuvor zu kommen, ließ der SS-Gruppenführer Gottlob Berger die Spezialeinheit nach Weißrußland verlegen, wo SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski sie zur „Partisanenbekämpfung“ einsetzte. Im Mai 1942 wurde das Sonderkommando durch ukrainische Freiwillige, erpreßte russische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge sowie mit 1000 Turkmenen verstärkt (später kamen noch mehrere tausend islamische Antikommunisten – u.a. „Ostmuselmanen“, Tschetschenen, Krimtataren und Aserbaidschaner – dazu). Am Ende erreichte das „SS-Sonderbataillon Dirlewanger“ Regimentsstärke.

    Der inzwischen zum SS-Sturmbannführer beförderte Dr. Oskar Dirlewanger konnte damals bereits auf eine lange Erfahrung in der Partisanenbekämpfung zurück blicken. Als ehemaliger Weltkrieg I-Teilnehmer tat er sich nach 1918 als Kommandant des „Freikorps Holz“ mehrfach bei der Niederschlagung von Arbeiteraufständen hervor. Im Kampf gegen Max Hoelz und dessen „Rote Armee“ erlitt er 1921 in Sangerhausen einen Kopfschuß. 1922 promovierte er mit einer Schrift „Zur Kritik des Gedankens einer planmäßigen Leitung der Wirtschaft“. 1933 wurde er Leiter des Arbeitsamtes Heilbronn, wo er jedoch bald wegen einiger Orgien, an denen minderjährige Mädchen beteiligt waren, von der NSDAP fallen gelassen und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Nach seiner Entlassung trat der nunmehr 42jährige der Legion Condor bei – eine gegen die internationalen Brigaden in Spanien eingesetzte deutsche Guerilla-Bekämpfungseinheit. Sie wurde 1939 nach dem Sieg Francos aufgelöst – und der „neuzeitlich ausgebildete Dirlewanger“ (!) bekam, nachdem sich sein ehemaliger SA-Kamerad Gottlob Berger, der inzwischen bei der SS Karriere gemacht hatte, für ihn verwandt hatte, das Kommando über die „Wildschützen-Einheit“. Zu seinem Stellvertreter wurde später der (wegen Mißhandlung von Untergebenen) ebenfalls vorbestrafte SS-Hauptsturmführer Kurt Weisse ernannt. Beide bekamen 1943 bzw. 44 das Deutsche Kreuz in Gold verliehen. Um die Kontrolle über ihren gepreßten Haufen zu behalten, arbeiteten sie mit harten Strafen und Todesurteilen. Ihre großenteils vorbestraften Kriminellen durften sich dafür an der Zivilbevölkerung schadlos halten. Himmler hielt schützend seine Hand über sie: „Dirlewanger ist ein braver Schwabe, wurde zehnmal verwundet, ist ein Original“, erklärte er auf einer Gauleitertagung in Posen. Dieses „Original“ lief z.B. gerne mit einem lebenden Affen auf der Schulter herum und hielt sich einen „Harem“, bestehend aus jungen jüdischen und russischen Mädchen, der immer wieder erneuert wurde, indem Dirlewanger die alten erschießen und neue einfangen ließ. An seinen Vorgesetzten Berger kabelte er am 11. 3. 1943: „Die gewünschten Russinnen werden am Montag eingefangen…Preis…pro Russin 2 Flaschen Schnaps“.

    Bei seinen Partisanen-Bekämpfungs-„Aktionen“ in Weißrußland mußten sich die Neuzugänge der Truppe – Russen und Ukrainer aus Kriegsgefangenenlagern z.B. – dergestalt bewähren, daß man die Bevölkerung eines Dorfes nackt an einer zuvor von ihnen ausgehobenen Grube hinknien ließ, und die „Neulinge“ hatten sie einzeln zu erschießen: „Zwei sind vorgeschrieben, weitere wählst du nach deinem Gutdünken. So viele du nimmst, soviel bist du wert in den Augen der Deutschen! Und das wird sofort belohnt – mit Zigaretten. Du übergibst die Pistole dem nächsten ,Fremdländer‘ (so nannten die Deutschen alle Einheimischen), und bekommst zwei Zigaretten“. Das berichtet Ales Adamowitsch in seinem Buch „Henkersknechte“ – in dem es um das Wirken des SS-Sonderkommandos in Weißrussland geht. Es erschien 1982 in der DDR und 1988 in der BRD – und basiert auf Verhörprotokollen einiger nach dem Krieg in der Sowjetunion angeklagter Ukrainer aus dem Dirlewanger-Regiment. Insbesondere thematisiert es die Vernichtung des Großdorfes Borki: „Erschossene Einwohner 1112, Vom SD liquidiert 633, Auf der Flucht erschossen 282“ – so die diesbezügliche Erfolgsmeldung von Dirlewanger selbst. Diese Quoten wurden hernach von Bergers Adjudanten SS-Brigadeführer Graf Pückler als „sehr beachtliche Erfolge“ bezeichnet. Insgesamt soll das SS-Sonderkommando Dirlewanger allein in den Oblasten Minsk und Mogiljew 150 Dörfer vernichtet und insgesamt 120.000 Menschen getötet haben. Ein ehemaliger Angehöriger der Einheit gab nach dem Krieg in der BRD zu Protokoll: „Bei Einsätzen wurden die Dörfer umzingelt und in Brand gesetzt. Es wurden also auch Frauen und Kinder erschossen oder sonstwie getötet…Hierbei war Dirlewanger zugegen und leitete die Einsätze. Er war nicht feige und stürmte oftmals mit“.

    In der ersten Hälfte des Monats Mai 1943 wurden bei den Aktionen „Draufgänger I und II“ fünf partisanenverdächtige Dörfer vernichtet. Im Monat darauf war das Sonderkommando im Rahmen der Aktion „Cottbus“ laut eigenen Angaben an der Tötung von „14.000 Partisanen und Zivilisten“ beteiligt, daneben wurden „5000 männliche und über 1000 weibliche Arbeitskräfte“ für den Transport nach Deutschland erfaßt und weitere „1000 Menschen gefangengenommen“. Zu solchen und ähnlichen „Großunternehmen“ gegen „Partisanen“ und „unnütze Esser“, die komplette „tote Zonen“ und zerstörte Städte hinterließen, wurden nicht nur weitere Mordkommandos, Einsatzgruppen und SS-Divisionen sowie Polizei-Einheiten eingesetzt, sondern auch die spanische „Blaue Division“, das französische Infantrieregiment 638, Teile der 8. Italienischen Armee, die slowakischen Infanterieregimenter 101 und 102, sowie die VIII. Ungarische Armee.

    Rechte deutsche Historiker bezeichnen deswegen diese konzertierten „Bandenbekämpfungs-Aktionen“ (beim Großunternehmen „Cottbus“ kamen insgesamt 16.662 Mann zum Einsatz) gerne als eine Vorwegnahme der NATO. Tatsächlich stießen die deutschen Methoden der Partisanenbekämpfung schon gleich nach dem Krieg bei den Westmächten auf großes Interesse. Wie der Berliner Historiker Christian Gerlach in seinem 1200-Seiten-Werk über „Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland“ (1999) nachwies, haben u.a. die US-Streitkräfte bereits sehr früh die deutschen Partisanen-Bekämpfungserfahrungen studiert und – im Korea- sowie im Vietnamkrieg – dann auch angewandt. Ihre Experten empfahlen dabei insbesondere die Schaffung von „Ground-Zero“-Zonen durch Umsiedlung und Massenmord sowie das deutsche Wehrdorfkonzept (wofür ab 1966 u.a. John Wayne Propaganda machte). „Ähnliches praktizierten die US-Truppen auch auf den Philipinen und die Briten in Zypern…“.

    Umgekehrt erwähnt Reuben Ainsztein in seiner Geschichte des „Jüdischen Widerstands im deutschbesetzten Osteuropa“ (1993) einige erfolgreiche Guerilla-Aktionen gegen das SS-Sonderkommando Dirlewanger. So gelang es z.B. 1943 den Partisanen-Einheiten von Dmitrij N. Medwedew, 600 SS-Männer, von denen viele zum Dirlewanger-Kommando gehörten, zu töten. Als Erich von dem Bach-Zelewski als „Chef der Bandenkampfverbände“ Anfang August 1944 die Führung bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands übernahm, war ihm auch Dirlewangers Regiment wieder unterstellt. Ein Teil wurde dabei von den polnischen Elite-Bataillonen Miotla und Zoska geschlagen, die anschließend 347 Gefangene, die meisten waren Juden, aus dem Gefängnis befreien konnten. Doch zuletzt waren die Aufständischen den Deutschen unterlegen. Am 11. August mußten sie aus dem Wola-Viertel weichen: „Nun konnten Dirlewangers Kriminelle – unterstützt von Einheiten der Kosaken Wlassows – beginnen, zehntausende Zivilisten zu vergewaltigen, zu berauben und zu ermorden“. Hitlers Befehl lautete, alle Aufständischen zu erschießen, ebenso den nicht-kämpfenden Teil der Bevölkerung, und anschließend die Stadt dem Erdboden gleich zu machen.

    In seiner soeben erschienenen Studie „Der Warschauer Aufstand“ schreibt der Historiker Wlodzimierz Borodziej: „Dieser Befehl wurde in Wola hauptsächlich von der Brigade Dirlewanger durchgeführt“. An anderer Stelle heißt es: „Mit dem Erfolg Dirlewangers, der von Massenexekutionen und anderen Exzessen seiner Soldateska begleitet wurde, war das Austandsgebiet in drei Zonen aufgespalten“. Die letzten überlebenden polnischen Kämpfer flüchteten durch die Kanalisation aus der Stadt.

    Das SS-Sonderkommando Dirlewanger wurde zwei Monate später bei der Niederschlagung des slowakischen Nationalaufstands eingesetzt – zusammen mit den „SS-Panzergrenadierdivisionen Tatra und Horst Wessel, den Divisionen Prinz Eugen und Estland, der Kampfgruppe Schill und der SS-Brigade Dänemark, der 60. Motorisierten und der 17. Infanteriedivision sowie zahlreichen Polizei- und anderen Kräften“, wie der in die Slowakei eingeflogene sowjetische Partisanen-Kommandant Alexej N. Asmolow in seinen Memoiren (1977) schreibt. Die Aufständischen konnten zwar ihr Hauptquartier in Banska Bystrica gegen die deutsche Übermacht nicht halten – und mußten in die Berge zurückweichen, aber anders als in Warschau rückte hier die Rote Armee noch rechtzeitig vor ihrer vernichtenden Niederlage ein. In der Zwischenzeit nahm speziell das SS-Sonderkommando Dirlewanger Rache an der Zivilbevölkerung, indem es mehrere Dörfer einäscherte und hunderte von Menschen erschoß. Darüberhinaus wurden insgesamt „10.000 Aufständische von den Deutschen gefangen genommen“, heißt es auf einer aktuellen Internet-Seite zum „55.Jubiläum des Slowakischen Nationalaufstands“.

    Im Dezember 1944 war ein Richter des Feldgerichts der 16. SS-Panzergrenadier-Division, Dr. Bruno Wille, zu Dirlewangers Sturmbrigade in die Slowakei versetzt worden. In einem Verhör äußerte er sich 1946 über „die Zustände“, die er dort vorfand: „Die Einheit war weder ihrer Zusammensetzung noch ihrer Führung nach eine SS-Einheit,…die wenigsten trugen eine SS-Uniform…Dirlewanger regelte alle ihn betreffenden Fragen direkt mit Himmler…oder seinem intimen Freund SS-Obergruppenführer Berger, der alles für ihn tat…Die Rechtspflege bei der Brigade war erschütternd…Dirlewanger erledigte alles selbst…Die Führung der ganzen Einheit war nur auf Prügel aufgebaut…Als ich Dirlewanger darauf hinwies, daß das, was bei der Brigade geschehe, glatter Mord sei, kam es zum Bruch…Ich wurde dann aus Gründen meiner persönlichen Sicherheit zu einer anderen Einheit versetzt“. Der für die Niederschlagung des Aufstands in der Slowakei verantwortliche SS-Obergruppenführer Höffle äußerte sich nach dem Krieg vor einem tschechoslowakischen Gericht ähnlich. Als das Sonderkommando im Dezember 1944 bei Sahy an der Grenze zu Ungarn, wo die Stadt Ipolysag heißt, operierte, „kam es zum Konflikt zwischen ihm und Dirlewanger“. Die Militärpolizei sowie die Geheime Feldpolizei hatte wiederholt Deserteure aus dem Sonderkommando aufgegriffen, „die ihre Waffen an die Partisanen verkauft hatten und nun zu einer Belastung für die kämpfenden deutschen Truppen geworden waren“. So schreibt die faschistisch-empiristische US-Zeitschrift „Siegrunen“ in ihrer Ausgabe 42 (1987), die der „36. Waffengrenadierdivision der SS“ gewidmet ist. Bei den Deserteuren handelte es sich um Kommunisten und Sozialisten aus verschiedenen KZs – 2000 waren allein am 17. Dezember der Dirlewanger Brigade überstellt worden. Von ihnen liefen bald hunderte zur Roten Armee über. Anfang 1945 zog man das Sonderkommando zurück – in die Nähe von Pressburg, wo es reorganisiert und mit weiteren Mannschafts-Überstellungen aus KZs wieder aufgefrischt wurde. Es gab neue Aufgaben:

    Am 4. Februar erreichte das Sonderkommando die Neisse, wo es zur „36. Waffen-Grenadier-Division der SS“ erweitert wurde. Zwei Tage später eroberten Teile von Dirlewangers Truppe zusammen mit anderen deutschen Einheiten bereits den von der Roten Armee eingenommen Ort Sommerfeld, südöstlich von Guben. Dann wurden sie jedoch auf die westliche Neisse-Seite zurückgedrängt, wo sie sich zwischen Forst und Griessen festsetzten. Am 18.April begann der Angriff der 1.Gardearmee der 1 Ukrainischen Front auf den „Hornoer Berg“, bereits am darauffolgenden Tag fielen 24 deutsche Soldaten, u.a. der trotz seiner Degradierung als Kompanieführer eingesetzte von Uckermann. Am 24. April wurde Horno aufgegeben – die Deutschen zogen sich in Richtung Guben zurück. Dort hatten inzwischen andere Kompanien der Brigade Dirlewanger an der Mückenberg-Kaserne Feinberührung gehabt.

    Im Stadtzentrum entwickelte sich dann im Laufe des Monats ein regelrechter Stadtguerilla-Kampf – einen „Kleinkrieg“ nennt ihn der Zeitzeuge Hans Georg Lengauer in einem Sonderheft des „Gubener Heimatbriefs“ (1998): „So kam es, daß die Sowjets (z.B.) die linke Seite der Seeckt-Straße besetzt hielten, die rechte Straßenseite dagegen in eigener Hand war“. Der Autor Behauptet, daß „die 36. Waffen-SS-Grenadierdivision bereits ab dem 16.März die militärische Einheit darstellte, die bis zur Aufgabe der Stadt Guben verteidigte“. Die „Adolf-Wolf-Höhe“ – im heutigen Gubin – und andere Erhebungen „wechselten oft bis zu zehnmal am Tag die Besitzer“. Die einstige „Perle der Lausitz“ verwandelte sich dabei in ein „Monte Cassino des Ostens“. Die Bevölkerung, die zuvor massenhaft Flüchtlinge aus dem Osten aufgenommen hatte, war am 6. Februar evakuiert worden. Zuvor hatte man noch ein letztes Aufgebot – den „Volkssturm“ – zusammengestellt. Und die „Gubener Zeitung“ druckte einen Durchhalte-Artikel Himmlers ab: „Der Herrgott wird am Ende unserem tapferen Heldenvolk und damit dem wahren Europa den Sieg schenken“.

    Der Ortskommandant Werner Theermann bekam jedoch Skrupel, dabei auch noch die Jugendlichen zu verheizen, er beging am 27. Februar mit seiner Familie Selbstmord. Einen Tag später wurde Oberst Berger Kommandeur aller „in Guben eingesetzten Verbände, einschließlich der Brigade Dirlewanger und einigen Volkssturmbataillonen: Es hagelte Verbote, Anweisungen und Strafandrohungen. Ein schnell zusammengestelltes Stand- und Schnellgericht sollte Fahnenflucht und Desertation verhindern. Als Fahnenflucht galt schon das ungenehmigte Überwechseln vom Ost- zum Westufer der Neisse“. Im Hof der Schule am Sportplatz wurden z.B. an einem Tag „sechs Landser, die versucht hatten, das Westufer der Stadt zu erreichen, erschossen“ – schreibt Lengauer. Zuvor hatte bereits der Regionalforscher Gerhard Gunia im „Gubener Heimatkalender“ (1966) einen ähnlichen Vorfall erwähnt: „Ein Zug von etwa 40 Angehörigen des Strafbataillons 999 zog durch die Stadt. Sie hatten die Front verlassen. Alsbald entwaffnete die SS die ganze Kolonne…und mähte mit Maschinengewehren die 40 Soldaten nieder“. Auch einige in die Brigade Dirlewanger gepresste politische Häftlinge aus verschiedenen KZs starben auf diese Weise in und um Guben, wie der Oldenburger Historiker Hans-Peter Klausch in seiner gründlichen Studie über die SS-Sonderformation, in der er sich insbesondere mit den „Antifaschisten in SS-Uniform“ befaßte, herausfand.

    Nachdem alle Brücken gesprengt und die Armee- sowie SS-Einheiten zurückgezogen worden waren, wurde Guben am 16.April auch von den dort noch vorhandenen Volkssturmeinheiten geräumt. Am 24. April zogen die Truppen der 1. Weißrussischen Front zusammen mit einigen polnischen Einheiten in die Stadt ein. Für Guben war damit der Krieg beendet.

    Dennoch bezeichnet der Zeitzeuge Lengauer den „20. Juni 1945 in Guben“ befremdlicherweise als den „schwärzesten Tag in der Geschichte der Stadt“: An diesem Tag zwangen „Einheiten der 7. Polnischen Infanteriedivision“ alle Deutschen, die sich im Ostteil der Stadt, dem heutigen Gubin, befanden, mit ihren wenigen Habseligkeiten die Neisse zu überqueren – sie waren von nun an „Vertriebene“ aus Polen.

    Die 36. Waffen-Grenadier-Division der SS hatte sich Ende April kämpfend in Richtung Cottbus zurückgezogen. Ein Teil geriet am 27. Und 28. April bei Halbe in einen Kessel und wurde vernichtet. Der Haupteil wurde am 29. April von der Roten Armee gefangen genommen. Einigen kleineren Truppenteilen gelang es jedoch, am 3. Mai die Elbe zu überqueren, wo sie sich in amerikanische Gefangenschaft begaben. Das war aber nicht das Ende ihres Kommandanten Dr.Oskar Dirlewanger: Der hatte bereits bei einem Unfall im Februar 1945 einen Schädelbruch erlitten und war in ein Württemberger Reservelazarett eingeliefert worden. Zu seinem Nachfolger wurde Brigadeführer Fritz Schmedes ernannt. Der Berliner Verleger von SS-Geschichten Rolf Michaelis schreibt in einem Buch über „Das SS-Sonderkommando“: Nach seiner Genesung im Lazarett wurde Dirlewanger „bei einer Fahrt durch Althausen von einem ehemaligen jüdischen KL-Häftling erkannt und deshalb verhaftet“. Der Ortsarrest befand sich bereits in französischer Hand, die Wachmannschaft bestand aus Polen. „In der Nacht vom 4.6. auf den 5.6.45 wurde Dirlewanger…dreimal aus der Zelle geholt“ – und von den Wachen tot geschlagen. Im Protokoll heißt es wenig später, er sei „eines natürlichen Todes“ gestorben: Wahrer kann man es nicht ausdrücken! Die Leiche von Dirlewanger wurde 1960 exhuminiert und identifiziert. Desungeachtet behauptet Ales Adamowitsch in seinem Buch „Henkersknechte“ noch 1982: „Schon in unseren Tagen wurden die sterblichen Reste des Oskar Paul Dirlewanger, der in Lateinamerika friedlich verstorben war, sorgsam in die BRD übergeführt und in Würzburger Erde bestattet“.

    Als gesichert kann hingegen gelten, daß einige Unterführer des SS-Sonderkommandos nach dem Krieg beim CIA-Sender „Radio Liberty“ unterkamen und von den einfachen Dienstgraden etliche später bei der Aufstellung der ersten Vietkongbekämpfungseinheiten „Green Berets“ Verwendung fanden. Derzeit gibt es ferne eine schwedische Rockband namens „Dirlewanger“.

    Beim Soldatengrab in Horno kann man nur vermuten, daß seine Truppe ihrem verwundeten Führer damit einen letzten Dienst erweisen wollte, indem sie einfach einen unbekannten Soldaten unter dem Namen Dirlewanger bestattete – um ihm das Untertauchen ins Nachkriegs-Zivilleben zu erleichtern. Der Kriegsforscher Paul Grünitz hält eine solche „Verschleierung“ für durchaus möglich. Als ehemaliger Landser und Partisanenbekämpfer weiß er auch aus eigener Erfahrung, wie leicht dies mit den Erkennungsmarken und Soldbüchern der Soldaten möglich war. Die in und um Guben herumliegenden Leichen ließ damals die Rote Armee beseitigen, wobei sie auf die ortsansässige Bevölkerung zurückgriff: „Das war fast so wie heute – eine erste Form von ABM: für die Bestattungsarbeit bekamen wir was zu essen“, erinnert sich ein sorbischer Bauer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert