vonHelmut Höge 11.09.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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„Sich durch die Dinge bewegen wie eine Ratte im Schilf…“ (Michel Foucault)

Heute erfuhr ich, dass Detlef Kuhlbrodt gerade für einige Tage eine Ratte in der Wohnung hatte, die ihn ängstigte und aus seinen gewohnten Bahnen warf (er wird darüber die nächsten Tage in der taz-offline berichten), und dass Peter Berz an seinem Wochenendhaus, einem Bahnwärterhäuschen hinter Königs-Wusterhausen, mal ein Hornissenest hatte. Als er nachts unter der Stehlampe ein Buch las, kam eine durchs offene Fenster. Interessiert schaute er ihrem Treiben im Zimmer zu, als sie jedoch wieder rausflog, schloss er das Fenster. Kurz darauf sah er, wie erst eine und dann immer mehr durch einen Spalt im Fensterrahmen hereinkamen. Irgendwann bekam das etwas sehr Bedrohliches. Wir waren uns nun einig, dass Hummeln und Mäuse einerseits sowie Hornissen und Ratten andererseits für den normalen Menschen (Naturforscher) auf einer ganz ähnlichen Respekt-Skala rangieren.

Die von mir kurz erwähnten Horrorfilme über Ratten kannte Kuhlbrodt natürlich: Sie hießen „Willard“ und „Ben“, sagte er. Hier die „Plot-Zusammenfassung für „Ben“ (1972): „Ein einsamer Junge, gespielt von Lee H. Montgomery, wird gut Freund mit Ben, einer Ratte. Diese Ratte ist auch der Führer einer Schar schändlicher Mörderratten und tötet z.B. Kammerjäger. Die Behörden versuchen, die Ratten um Ben zu töten. Sie lassen den Jungen in den Untergrund, wo sie leben, dort wird er – gerade noch rechtzeitig – von seinem Freund Ben entdeckt – und gerettet!“ (Dies ist die geglättete Computerübersetzung eines englischen Textes, ich bezweifel, dass er den „Plot“ richtig wiedergibt).

Hier zwei Original „Plot Summary“ für „Willard“ (2003): “ Willard is a social misfit who is made fun of by his co-workers. When he is squeezed out of the company started by his deceased father, his only friends become a couple of rats he’s been raising at home. However, when one of the rats is killed at work, Willard goes on a rampage–exacting revenge by using his rats to attack those who have been tormenting him. Led by the unusually intelligent, and deadly rat, Ben, an army of rats descends upon the office, committing a series of grisley murders.“

„Willard is an awkward, inept young man ostracized by the world around him. His gloomy existance takes a turn for the weird, though, when he discovers that his connection with a pet rat has gained him acceptance among the ranks of rodentia, and soon, Willard is using his newfound army of vermin to get revenge on everyone who’s done him wrong.“

Am Samstag wollte ich endlich zur Ausstellung „Von Mäusen und Menschen“ in der Auguststraße, sah dann aber noch rechtzeitig, dass die Werbeplakate dafür schon wieder einem nächsten Event Platz gemacht hatten: nicht von den „Kunstwerken“, sondern von „Versatel“ – der Spruch dafür heißt: „Quälen Sie Ihre Maus. Schonen Sie Ihre Mäuse“. Ich weiß nicht, wofür diese Firma wirbt, auf alle Fälle ist es nichts Künstlerisches. Deswegen beschränkte ich mich darauf, mir im Internet einige Rezensionen zur Ausstellung durchzulesen (oder sagt man „runterzuladen“?).

Die Kuratoren selbst schrieben: “ Die Ausstellung Von Mäusen und Menschen entfaltet sich wie ein Roman, eine Geschichte mit verschiedenen Charakteren und Persönlichkeiten, die deren private Schicksale und universelle Ängste offen legt.“

Der Kunstkritiker Carsten Probst schreibt:

„Hätte man die Ausstellung nicht selbst gesehen, man könnte es vermutlich gar nicht glauben. Die Berlin Biennale, bislang eher der Ort hauptstädtischer Selbstbespiegelung mit Hang zum Trendigen und Obercoolen, wo in früheren Jahren auch schon so nachhaltig von spätpubertierenden Kunsthochschulabsolventen Kunst als Pop, Design, Disco und so weiter behauptet worden ist – diese Berlin Biennale atmet plötzlich so etwas wie ästhetischen Weltgeist. Obwohl man verschiedene Orte entlang der traditionsschweren Auguststraße bis hin zu einzelnen kleinen Privatwohnungen bespielt, ist das Thema dieser Ausstellung erstmals nicht Berlin und seine Bedeutung für den Rest der Welt.“

Die taz schrieb:
„Das Institut für Genetik und Zytologie in Minsk hat seit 1986 die Auswirkungen permanenter Niedrigstrahlung auf Mäuse beobachtet und dabei eine erschreckende Erkenntnis gewonnen. Während die Erbschäden in den ersten Generationen noch relativ unbedeutend waren, stellten die Forscher bei den später geborenen Mäusen eine zunehmende genetische Instabilität fest. Zwar sind Menschen keine Mäuse. Doch eine ähnliche Entwicklung bei den Enkeln und Urenkeln der heute in der Region lebenden Menschen ist nicht unwahrscheinlich, warnt Rose Goncharova, Leiterin des Genetischen Sicherheitslabors in Minsk. “

Wenig später merkte Harald Fricke, ebenfalls in der taz, noch einmal über die Ausstellung an:

„Ein gemeinsamer Nenner, ein Thema oder gar Programm ist jedoch nirgends zu erkennen. „Von Mäusen und Menschen“, so der Untertitel nach einer Erzählung von John Steinbeck, ist vor allem Ornament. Ein „Monster mit vielen Gesichtern“ (Gioni), das durch die zahllosen Räume und Apartments mäandert. Visuell einprägsam, oft dekorativ und mit einem Hang zu privaten Mythologien im Miniaturformat.“

Während die Ratten ihn beobachtete bzw. belauschte, machte sich auch Kuhlbrodt über diese Nager im Internet kundig. U.a. fand er folgenden Eintrag – in der „Netzeitung“: „Mit Ratten-Spermien, die in Mäusehoden gereift sind, haben Forscher Rattenjunge erzeugt. Der Nachwuchs vom artfremden Leihvater ist gesund und selbst fortpflanzungsfähig, berichten japanische Forscher. Sie sehen Anwendungsmöglichkeiten der Technik in der gentechnischen Veränderung von Tieren und im Artenschutz.“

Außerdem fand Kuhlbrodt auch noch Zahlenangaben über die in Berlin lebenden Ratten: Es sind etwa 7 Millionen. In den hiesigen Labors werden etwa 60.000 im Jahr vernutzt. Auch die Zahl der in Berlin lebenden Mäuse wird auf etwa 7 Millionen geschätzt. Hierbei gibt es jedoch starke Schwankungen: Viele Feldmäuse kommen erst im Herbst in die Stadt, wo es wärmeer ist und sie mehr Nahrung finden. Das ist auf dem Land ähnlich, wo die Feldmäuse im Herbst ebenfalls in die Häuser und Scheunen drängen, wo dazu noch oftmals Getreide lagert, das erst später, wenn die Preise dafür wieder steigen, zur Mühle gefahren wird. Außerdem findet sich in den Strohballen noch genug unausgedroschenes Korn und in den Heuballen ebenfalls jede Menge Samenkörner.

Über Mäuse- und Rattenkönige, wie sie zustandekommen und in welchen Museen sie ausgestellt sind, gibt es inzwischen eine Wikipedia-Eintragung. Außerdem sind noch mehrere Romane mit dem Titel „Rattenkönig“ lieferbar. Und im Roman von Haruki Murakami „Wilde Schafsjagd“ heißt die männliche Hauptfigur „Ratte“. Es gibt noch zwei weitere Bücher von diesem Autor, in dem Schafherden eine Rolle spielen. Damit will ich dessen Bücher jedoch nicht empfehlen.

Ich erwähne diese ganzen neuerlichen Eintragungen zum Stichwort Mäuse und Ratten hier nur, weil neulich in FAZ, taz, Süddeutsche oder Spiegel jemand meinte, dass mit dem Internet sei ja alles ganz schön und gut, aber wie in dem Märchen vom Volksfest fehle es dabei an einem „König“, der das ganze koordiniert, damit nicht alle das selbe zum Fest mitbringen bzw. einige wichtige Dinge von niemandem mitgebracht werden. Demgegenüber – und das deutet das obige Ratten-Zitat der Franzmänner bereits an – denke ich, dass das Interessante nicht so sehr jenes ist, was man unter den Stichworten findet – z.B. unter dem Wort „Rattenkönig“, sondern was man für sich selbst bereits im Suchfeld eingibt – an Verknüpfungen – „Regen, Ratte, Humboldt-Universität, Würmer“ oder was auch immer. Zu diesem ebenso willkürlichen wie unsinnigen Beispiel findet man übrigens 224 Eintragungen – und das ist ja doch nicht nichts.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/09/11/von-mausen-und-menschen-forts/

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