vonHelmut Höge 15.09.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Das eigentliche „Friesland“ (im engeren Sinne) hat sich mir erst kürzlich erschlossen: Es ist grob gesagt die Gegend zwischen Wesermarsch und Wangerland, Wilhelmshaven, Leer und Jever. Dazu gehört auch noch die Insel Wangerooge, wohin man mich als Kind zwei mal im Sommer „zur Erholung“ verschickte.

In Jever zeigte man mir 2004 die barocke Bibliothek des dortigen Gymnasiums, die eine eigene Buchrestauratorin beschäftigt. Diese war gerade dabei, über die in ihren Buchbeständen gefundenen Lesezeichen eine Ausstellung vorzubereiten.

Beim zweiten Besuch 2006 machte die im Jever Museum angestellte Kunsthistorikerin eine Schloßführung für uns. Zuvor war ich bereits einmal in Wilhelmshaven gewesen, wo ich mich primär für die dort situierte „Künstlersozialversicherung“ interessierte – sowie mehrmals in Dangast, einem Badeort am Jadebusen: Einmal wegen einer dort in der Nähe wohnenden Frau namens Diane, die eine außergewöhnlich schöne Handschrift hat und zuletzt auf einem russischen Kreuzschiff im Mittelmeer arbeitete. Und zum andere wegen des Flohmarkts dort, auf dem u.a. auch antiquarische Bücher verkauft werden. Außerdem, weil Wladimir Kaminer im alten Kurhaus eine Lesung hatte, organisiert von seiner Agentin Petra, die ebenfalls aus Friesland stammt und in Jever zur Schule ging.

Von Dangast aus besuchten wir im Wangerland den Vorsitzenden des Bundesverbands für Windenergie Peter Ahmels, der dort in einem sehr schönen und sehr großen Bauernhof lebt, den vornehmlich seine vier Söhne bewirtschaften. Seine Frau arbeitet als Zahnärztin in Wilhelmshaven und er ist meist in seinem Berliner WKA-Büro. Auf ihren Äckern im Wangerland bauen die Ahmels Weizen an sowie Elefantengras (aus dem Heizbriketts gepresst werden). Daneben haben sie noch zwei Windkraftanlagen etwas abseits vom Hof in Betrieb.

Keine Berliner Bank wollte Ende der Neunzigerjahre dem Russen Kaminer ein Konto einrichten – da sprang die Jever Sparkasse ein, sie heißt genaugenommen Landessparkasse zu Oldenburg. Und weil sie in ihrem friesischen Wirkungsraum auch noch Kulturarbeit leistet, deswegen baute sie z.B. den alten überflüssig gewordenen Lokschuppen in Jever zu einem Veranstaltungssaal um, wo sie dann Kaminer, der inzwischen zu ihren Großkunden zählt, eine Lesung finanzierte. Zwei Jahre später gleich noch einmal – im Bürgerhaus von Schortens/Heidmühl, ein friesischer Doppelort, der 2006 zur Stadt erklärt wurde.

Von der Kunsthistorikerin im Schloß zu Jever erfuhren wir anschließend einiges über die Geschichte dieses für mich Vierten Frieslands – nach West-, Ost- und Nordfriesland. Es war kein Wunder, dass ich es bis dahin quasi übersehen hatte, denn es unterscheidet wesentlich von den anderen dreien.

Das beginnt mit der dort mit einem Denkmal neben der Schloßeinfahrt geehrten friesischen Häuptlingstochter Maria von Jever (1500 – 1575) – als ihr die „Herrschaft“ über das Jeverland zufiel. Wie alle Mächtigen wollte Maria ihr „Amt“ sogleich vererbbar machen, das wurde ihr jedoch von den Friesen verwehrt. Die Vererbbarkeit von Titeln und vermeintlichem Eigentum – das ist sozusagen die Ursünde jedes lebendigen Gemeinwesens (siehe dazu Jacques Derridas Schrift über sogenannte „Schurken“- Staaten).

Der Vererbung von Ländereien mit oder ohne lebendem Inventar an mehr oder weniger schwachsinnige Nachkommen folgt auf dem Fuße die Erklärung der jeweiligen Herrschaft als gottgewollt und natürlich. „Das Geheimnis des Adels ist die Zoologie,“ konnte Karl Marx deswegen sagen. Daraus folgt dann alles andere: dass es Menschen gibt, die zum Herrschen geboren sind und solche, die auf ewig dienen müssen z.B.. Und dieser ganze reaktionäre Quatsch endet noch lange nicht in der Eugenik, Genetik und Evahermanisierung des gesamten Landes…

Demzufolge kann man heute im friesischen (Internet-) „Familienforum“ lesen: „Maria hat viel für ihr Land getan. Sie erhob 1536 Jever zur Stadt, vergrößerte ihr Herrschaftsgebiet durch Neueindeichungen, erbaute Siele, förderte die Rechtspflege und unter ihrer Herrschaft blühte der Handel. Geheiratet hat sie nie. Doch scheint sie auch eine harte Herrscherin gewesen zu sein. Der Sage nach gab es einen jungen Mann namens Jan van Cleverns. Er war ein undankbarer Sohn, der seine Mutter schlug. Maria ließ ihm die Hand abhacken, damit er diese nicht mehr gegen seine Mutter erheben könne. Als sie 1575 starb, fürchtete man eine erneute Machtergreifung der Ostfriesen. Daher wurde ihr Tod geheimgehalten. Ihr Zimmer wurde verschlossen, das Essen vor die Tür gestellt. Ein Diener aß heimlich die Teller leer, damit niemand Verdacht schöpfen konnte, bis der rechtmäßige Erbe, Graf Johann VII von Oldenburg eingetroffen war.

Die Täuschung gelang so perfekt, dass noch heute die Sage geht, Maria sei nicht verstorben, sondern durch einen unterirdischen Gang verschwunden, durch den sie eines schönen Tages auch wieder zurückkehren werde. Daher läute man noch heute jeden Abend die Marienglocke, im Sommer um 22 Uhr, im Winter um 21 Uhr, um ihr den Weg zu weisen. Während der französischen Zeit haben die Franzosen das Läuten mehrfach verboten. Doch der Sage nach läuteten die Glocken von allein zur üblichen Zeit trotzdem. Der tatsächliche Hintergrund des Läutens ist allerdings die Polizeistunde, die Maria eingeführt hatte um ihren treuen Bürgern pünktlich nach Hause zu verhelfen. Maria ist noch heute mehr als eine historische Persönlichkeit. Sie ist in der Stadt allgegenwärtig und das sicherlich nicht nur für die Touristen. Niemand vor oder nach ihr hat so viel für das Jeverland getan.“

Das ist völlig unfriesischer unterwürfiger Regionalkitsch wenn nicht gar faschistisches Provinzdenken! Weil Maria „ihr“ Jeverland damals (noch) nicht vererben durfte, verschenkte sie es an den Herzog von Oldenburg – mit der Maßgabe, dass es in Zukunft doch weitervererbt werden durfte – auch in weiblicher Linie. Auf diese Weise fiel Friesland (der Landkreis mit dem heutigen Autokennzeichen „Fri“) 1796 über die zoologisch-genealogisch verwickelten Verwandtschaftsbeziehungen des deutschen Kleinadels an die unbedeutende Prinzessin von Anhalt-Zerbst, die sich dann allerdings überraschend zu Katharina der Großen hochmendelte. Und damit gehörte Friesland plötzlich zu Russland.

Noch heute hängt das Bild der Zarin im Schloß zu Jever, unter dem dazumal Recht gesprochen wurde – aber jetzt nur noch mehr oder weniger kurzfristige Ehen geschlossen werden. Katharina hatte sich damals den Übergang von der Malerei auf Holz zur Leinwandmalerei zunutze gemacht – und sich quasi ständig von irgendwelchen renommierten Malern porträtieren lassen. Diese Porträts schickte sie zusammengerollte in jedes Amt ihres sich immer weiter gewaltsam ausdehnenden russischen Riesenreiches, womit sie sozusagen die ganzen Schweinereien und Willkürakte ihrer Beamte mit ihrem eigenen Bild – ikononenmäßig – von oben absegnete. Darüberhinaus ließ sie ihr Konterfei auch noch auf alle russischen Münzen prägen.

Nun war das Jeverland jedoch anders als große Teile Russlands von ebenso selbstbewußten wie reichen Marschbauern besiedelt, sie besaßen z.T. sogar Handelsniederlassungen in der Stadt (Jever). Und immer wieder mußte ihre Herrschaft, der von Oldenburg eingesetzte Statthalter Katharinas der Großen vor Ort, die friesischen Bauern ermahnen, weniger edel und kostbar gewandet herum zu laufen, oftmals üppiger als der Adel selbst, so dass sie diese damit in Frage stellten und sich überhaupt für devote Untertanen ganz schlecht benahmen.

Aber um es kurz zu machen, Friesland wurde nach seiner letzten Regentin Maria von Jever nacheinander russisch, niederländisch, französisch und dann wieder russisch beherrscht. Im Schloß hängt noch ein Ölschinken vom Einzug der Kosaken in Jever 1813 – sie vertrieben die Franzosen. Sehr schön ist daneben auch ein an Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ erinnerndes Bild vom letzten Wolf im Landkreis, der 1738 erschossen wurde. Es ist das Lieblingsbild der Kunsthistorikerin.

1818 wurde dieses arg abseitig gelegene kleine russische Herrschaftsgebiet an die Oldenburger quasi zurückgeschenkt. Und 1933 entstand daraus das Amt Friesland im Rahmen der Oldenburgischen Verwaltungsreform aus der Vereinigung des bisherigen Amtes Jever mit dem größten Teil des Amtes Varel. Am 1. Januar 1939 erhielt das Amt seine heutige Bezeichnung „Landkreis Friesland“.

Zunächst wurde Wittmund neue Kreisstadt. „Aufgrund verschiedener Verfassungsklagen vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof in Bückeburg wurde die Kreisreform in Teilen als verfassungswidig festgestellt und dem niedersächsischem Landtag eine Überarbeitung des Gesetzes für den Raum Ammerland/Friesland nahe gelegt. Zum 1. Januar 1980 wurde die Reform zurückgenommen und die Landkreise Ammerland, Friesland und Wittmund in ihrer bisherigen Form wiederhergestellt. Kreisstadt ist seitdem wieder die Stadt Jever.“ So steht es etwas pingelig in der entsprechenden Wikipedia-Eintragung, der man ja angeblich nicht trauen kann und darf. An anderer Stelle heißt es im Internet: Ausgehend von Maria von Jever „kam es nach über 400 Jahren zur Vereinigung von Ostfriesland und Friesland als Weser-Ems-Gebiet“.

Heute ist von der einstigen Russifizierung Frieslands kaum noch etwas zu spüren, sieht man von den Porträts im Schloß – von Katharina der Großen und ihrer Söhne/Nachfolger auf dem Zarenthron – ab, sowie von den gutbesuchten und fast schon regelmäßigen Lesungen Wladimir Kaminers im Jeverland. Aber noch immer gibt es dort in der Marsch etliche „dicke Bauern“. Neben der Pferde- und Rinderzucht verdienen sie am Tourismus sowie neuerdings auch am Windenergieboom.
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Die Mehrheit ist nie produktiv, nur Minderheiten! meinten die französischen Marxisten Gilles Deleuze und Félix Guattari. Im Bürgerhaus der größten friesischen Stadt – Schortens/Heidmühle – las im Frühsommer wie bereits oben erwähnt Wladimir Kaminer einige Kapitel aus einem neuen noch unveröffentlichen Buch über seinen Schrebergarten in Pankow vor. Die Friesen sind eine Minderheit in Deutschland und die Russen in Berlin auch – erst recht im heutigen Friesland, aber beide eint, dass sie einen starken Hang zur Gartenarbeit in ihren Schrebergärten bzw. Datschen haben, wobei jedoch hervorgehoben werden muß, dass die diesbezüglich wahren Weltmeister die Tschechen sind.

So besteht z.B. das halbe Werk ihres ersten Nationaldichters Karel Capek aus Gartenliteratur, erwähnt sei sein „Jahr des Gärtners“. Ihr zweiter Nationaldichter Bohumil Hrabal leerte alljährlich ausgerechnet während der 1.Mai-Demonstration in Nymburk die Fäkaliengruben – um seine Landsleute an diesem Festtag olfaktorisch an die wahre Bestimmung des Lebens zu erinnern, außerdem schrieb er die meisten seiner Romane in der Datschensiedlung Kersko, wo jetzt alljährlich der Datschenverein ein Hrabal-Gedächtnisfest organisiert. Zu erinnern sei ferner an die berühmten Prager Dissidenten Vaclav Havel und Pavel Kohuth, die sich nach 1968 auf ihre Datschen zurückzogen, von wo aus sie den Widerstand gegen die Okkupation organisierten und dazu die „Charta 77“ ausarbeiteten. Kohuth ließ sich damals für seine Gartenarbeit sogar von einem Gärtner ausbilden.

Erwähnt sei ferner, dass auch die Bezeichnung Land-„Kreis“ für eine politische Einrichtung mit Verwaltungsaufgaben aus dem Tschechischen kommt – sie geht auf das Wort „kraj“ (Land) zurück und ist wahrscheinlich den hussitischen Freiheitskriegen zu verdanken. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuchte der Preußische Staatsmann Freiherr vom Stein eine seit den Bauernkriegen anstehende und nunmehr nachholende Modernisierung einzuleiten – d.h. nach dem Modell der Städteordnung von 1808 auch im ländlichen Raum die „Selbstverwaltung der Bürger“ einzuführen. Realisiert wurde sein Vorschlag erst in den achtziger Jahren, als die ersten „Kreisordnungen“ erlassen wurden, z.B. für die preußische Provinz Westfalen 1886 und die Rheinprovinz 1887. Heute werden diese und ähnliche „Selbstverwaltungen“ mehr und mehr steuerrechtlich sowie verwaltungszentralistisch ausgehöhlt.

Zurück zu den Friesen: Auf meine Frage, ob sie auch so eine Kleingartenmacke haben, antworteten mir die uns in der Kreisstadt begleitenden Sparkassenmanager unisono: „Und wie!“ Auf unseren Fahrten kreuz und quer durchs Jeverland sahen wir dann jedoch vor allem Männer, die ihren Vorgartenrasen mähten – und das selbst an Sonn- und Feiertagen. In allen Variationen: elektrisch, mit Motor, mit Muskelkraft, mit Mähbalken, mit Rasenkantenschere, auf einem gelben, roten oder grünen Selbstfahrgerät usw.. Selbst links und rechts der Landstraßen und der langen Privatalleen, die zu den großen alleinstehenden Bauernhöfen führten, war der Rasen auf 3-3,5 Zentimeter gestutzt.

Auch Wladimir kam dann in seinen Texten über die Pankower Kleingartenkolonie und speziell über sein Laubenleben immer wieder auf das Rasenmähen zurück. Es stand ihm dort eine Kommission des Kleingartenvereins ins Haus, die für den ordnungsgemäßen Zustand der Gärten Punkte verteilte und z.B. gerne verwilderte Rasenflächen kritisierte. Das erinnerte mich an einige Westberliner Kleingartenkolonien, in die ab Ende der Siebzigerjahre ein Linker nach dem anderen einsickerte (so wie jetzt die Russen in die Pankower Kolonie) – und dann mit dem Vereinsvorstand wahre Kämpfe führten, um ihre kleinen Rasenflächen nicht ständig mähen zu müssen. Hierbei kamen ihnen die Türken und die Grünen entgegen. Erstere, indem sie einen öffentlichen Rasen nach dem anderen, an denen Schilder „Betreten verboten“ standen, als Liege-, Spiel- und Grillwiesen benutzten. Die Deutschen taten es ihnen später nach. Und die Grünen setzten es dann durch, dass z.B. in den Parks immer mehr Rasenflächen nicht mehr gemäht wurden, weil man sie arbeitskräftesparend als „Langgraswiesen“ ausschilderte.

In den Westberliner Kleingartenkolonien gab es gegen so etwas berechtigten Widerstand: „Da wehen die ganzen Unkrautsamen in meinen Garten!“ Dennoch setzte sich auch hier langsam der nahezu ungemähte Langgrasrasen durch – und trug so mit dazu bei, dass inzwischen die Flora und Fauna in der Stadt weitaus artenreicher ist als auf dem Land, das man mit seinen agrarischen Monokulturen geradezu als verödet, wenn nicht gar tot bezeichnen muß, weswegen es zunehmend unverständlicher wird, warum die Umwelt- und Naturschützer sich nach wie vor auf das Land konzentrieren – und nicht auf die Städte, von wo aus schon immer der Fortschritt ausging. Irgendwann wird man also auch im Jeverland den letzten Rasenmäher ins Museum tragen – und die Ferien-auf-dem-Erlebnishof-Touristen bekommen vom Bauern-Animateur eine Sichel in die Hand, wenn sie sich partout in kurzes Gras legen wollen.

Im übrigen hat natürlich auch dieses anhaltend Böse etwas Gutes bewirkt: So sehen z.B. die Drosseln und Stare die Regenwürmer auf Kurzrasen schneller, was bewirkt, dass die Regenwürmer immer schneller werden müssen, um sich in Sicherheit vor ihren Freßfeinden zu bringen, was widerum bewirkte, dass auch die Drosseln und Stare immer schneller und pfiffiger wurden – kurzum: das ewige Rasenmähen in Mitteleuropa hat die hier lebenden Drosseln, Stare und Regenwürmer immer intelligenter und kreativer gemacht. Das ist angeblich wissenschaftlich erwiesen. Auch die ganzen Parteipolitiker und Staatsbediensteten ließen sich vielleicht so – durch ständiges Kurzhalten – fördern, meinte ein Soziobiologe neulich.

Als dilettierender Biosoziologe lag mir dagegen die Intelligenz der Regenwürmer sowie der Drosseln und Stare mehr am Herzen, deswegen nutzte ich neulich kurzerhand meine Position als Aushilfshausmeister, indem ich mir ein Dutzend Regenwürmer aus einem Investorenpleitegrundstück in der Schlesischen Straße besorgte, um sie unter den Grassoden der taz-Dachterrasse frei zu lassen. Bisher gab es diese Humusproduzenten dort noch nicht (nahm ich an). Aber nun dürfen wir gespannt sein, wie sie sich zusammen mit ihren Freßfeinden – im Maße die Büroleute regelmäßig den Rasen mähen – geistig weiter entwickeln.

Dazu besorgte ich als Aushilfshausmeister der vor allen anderen im „Büro“ zuständigen Rasenmäherin Lizzi einen neuen Kantenschneider aus der „Domäne“ am Halleschen Tor – für 18 Euro 30. Sie lehnte seine Benutzung jedoch ab, ohne ihn überhaupt ausprobiert zu haben. Da ich andererseits jedoch bald die Quittung dafür verlor, konnte man ihn nicht mehr umtauschen. Mit dem Regenwurm-Experiment auf der taz-Dachterasse hat das jedoch nur buchstäblich am Rande was zu tun.

Dafür nahm ich mir dann, nachdem Wolf den Hausmeisterjob wieder übernommen hatte, Darwins Aufsatz „Die Intelligenz der Regenwürmer“ vor, in dem ebenfalls schon von einigen Regenwurm-Experimenten die Rede ist. Der Text wurde zuletzt im dicken Reader „Mammut“ des MÄRZ-Verlags in Schlechtenwegen (Vogelsberg) abgedruckt – und ist ein Kapitel aus Darwins umfangreicher Schrift aus dem Jahr 1882: „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer mit Beobachtung über deren Lebensweise“.

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Weitere Literatur:

Während der Sohn, Gerichtspräsident Daniel Paul Schreber, mit seinen „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ und durch die Freud’sche Analyse seiner Paranoia berühmt wurde, ist sein Vater, Professor Daniel Gottlieb Moritz Schreber, wegen seiner Leipziger Grün- und Sportflächeninitiative für sozial benachteiligte Familien bekannt geworden. Daraus entwickelte sich um die Jahrhundertwende die „Schrebergarten“-Bewegung. In Wien sprach man von „Heimgärten“, was auf Peter Roseggers gleichnamige Literaturzeitschrift zurückging.

Auch in Berlin gibt es seltsamerweise eine Kolonie „Heimgarten“: am Steglitzer Munsterdamm 53. Sie feierte am 21. August 2004 ihr 100-jähriges Jubiläum – mit dem „Heimgarten-Quartett“ und eigenen, von den chinesischen, jugoslawischen, türkischen sowie deutschen Kleingärtnern zubereiteten Spezialitäten. Einer, der Kolonist Gerhard Niederstucke (Pfarrer i. R.), hat dazu rechtzeitig eine „Festschrift“ im Steglitzer Christian Simon Verlag veröffentlicht.

Ihr kleiner „Garten Eden“ war wie das große Vorbild immer wieder bedroht: 1931 wurde ein Teil des Geländes planiert und es entstand dort eine „rauchfreie Siedlung“ (also Wohnungen, die nicht mehr mit Kohle und Holz, sondern mit Fernwärme vom Kraftwerk Teltow geheizt wurden). 1932 baten die verbliebenen 83 Vereinsmitglieder, die in ihrer Mehrheit arbeitslos geworden waren, das Bezirksamt, den Pachtzins von 6,5 Pfennig pro Quadratmeter auf 2 zu senken. 1934 wird ihnen eine Reduktion von 2,5 Pfennig bewilligt, gleichzeitig ist jedoch von einem „Stadtgruppenführer“ die Rede und dass die Laubenpieper fortan im „Reichsbund der Kleingärtner“ zusammengefasst sind.

Wenig später will man aus der Kolonie „Heimgarten“ gar ein paramilitärisches „Ertüchtigungsgelände“ machen.

Dieser Kelch ging jedoch an den Steglitzern – zusammen mit dem Dritten Reich – vorüber. Ihre Selbstversorgungsanlage wurde zunächst – nach 1945 – sogar noch aufgewertet: mit Hühner- und Kaninchenställen, während des Ersten Weltkriegs hielt einer dort sogar eine Kuh.

Aber 1972 beschließt das Bezirksamt den Bau eines Berufsbildungs-Oberstufenzentrums – und kündigt 64 Kleingärtnern ihre Parzellen – insgesamt eine Fläche von fast 40.000 Quadratmetern. Die verbliebenen 31 Mitglieder der Kolonie „Heimgarten“ verfügen danach nur noch über 8.780 Quadratmeter, wovon sie auch noch durch Abtrennung von Gartengelände acht gekündigten Mitgliedern neue Parzellen einrichten. Zwei der altruistischen Abtreter behalten sich aber bei einigen Obstbäumen bzw. -sträuchern ein „Mitpflückrecht“ vor: Man spricht deswegen in der Folgezeit vom „Helke-Apfel“ und von der „Hartlep-Brombeere“.

Die Berufsfachschule wird wegen Asbestverseuchung schon Mitte der Achtzigerjahre wieder geschlossen und 1995 abgerissen. Dafür entsteht dort zusammen mit einem Sportplatz ein noch größeres Oberstufenzentrum für Farbtechnik und Raumgestaltung, dem die „Heimgarten“-Kolonie als „Erweiterungsfläche“ dienen soll.

Dies kann jedoch der einst eher arbeiterlich und links orientierte Verein zusammen mit der Nachbarkolonie „Schutzverband“ (die von Beamten dominiert und einst „gleichgeschaltet“ war) verhindern.

Zwei „Heimgärtner“ traten nach dem Krieg der SED bei, wovon der eine, Gartenfreund Skubisch – er war bis 1933 Vorsitzender der Steglitzer SPD gewesen -, regelmäßig Urlaub auf der Krim machte. Der Gartenfreund Tworoger war dagegen in der CDU, sowie Steglitzer Baustadtrat und Mitglied in der Jüdischen Gemeinde. Die Politik war und ist jedoch Privatsache bei den Laubenpiepern.

Deswegen kam es 1983 auch zu einem Konflikt, als der Sohn des Kolonisten Reiß die Parzelle in Abwesenheit seines Vaters zu einem „Friedensgarten“ umfunktionierte und dort Zusammenkünfte so genannter „Friedensfreunde – darunter Ausländer“ organisierte. Der Vereinsvorsitzende Hartleb wandte sich dieserhalb an seinen Steglitzer Bezirksverband sowie an die Rechtsabteilung des Landesverbandes der Kleingärtner. Letztere befand, dass solche Meinungsäußerungen auf den Parzellen gestattet sein müssten.

Der Chronist Niederstucke merkt dazu an, die vom Studenten Reiß damals veranlasste Diskussion in der Parzelle 1a sei „eine der vielen tausend kleinen Beiträge dazu gewesen“, dass die raketenbestückte Ost-West-Konfrontation nicht tödlich endete. Seine Chronik schließt mit einer Vorstellung all der seitdem neu hinzugekommenen „Ausländer“ in der Steglitzer Kolonie „Heimgarten“ – und einem großen Gruppenfoto in Farbe.


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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/09/15/uberfriesen-4/

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kommentare

  • Ja, der „Fall“ des Landkreises Friesland deutet an, das die Friesen ein Problem mit den Bezeichnungen ihrer Heimatländer haben. So kommt es eben heute häufig zu der missverständlichen Annahmen, dass die Bewohner des Landkreises Friesland eben jenen Begriff – Friesland – für sich gepachtet haben und auch die einzigen sind, die sich „Friesen“ nennen dürfen. Alle anderen sind eben West-, Ost- oder Nordfriesen.
    Das funktioniert natürlich nicht, denn Friesen sind die alle und Friesland kann man auch das gesamtgebilde nennen. Die Bezeichnung „Friesland“ für das schöne Land um Jever und Varel ist eben eine „Ortsbestimmung“ innerhalb Oldenburgs. Das führt zu dem lästigen Umstand, dass man immer, wenn man von diesem Friesland spricht, es als „Landkreis Friesland“ oder „oldenburger Friesland“ bezeichnen muss, um Verwechselugen mit dem großen Ganzen auszuschließen.
    Ein viertes Friesland ist es aber mitnichten. Auch wenn natürlich deutliche regionale Unterschiede bestehen, bildet der Landkreis Friesland mit Ostfriesland, Butjadingen, Wursten und dem Saterland das „östliche Friesland“. (Im Friesenrat die „Sektion Ost“, im touristischen Sprachgebrauch auch gerne „Ost-Friesland“.) Wenn hier ein Landstrich den Titel „Viertes Friesland“ verdient hätte, dann wäre es das Saterland.
    Die Friesische Bezeichnungsverwirrung ist aber nicht nur auf die östlichen Friesenlande beschränkt, aber aus Platzgründen erspar ich mir hier, das weiter breitzutreten. Ist ja nicht mein Blog…

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