vonHelmut Höge 19.09.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Alle Schachspieler loben die Homepage über das Berliner Schachleben, die von Frank Hoppe betreut wird – eherenamtlich. Von Beruf ist er Hausmeister. Überhaupt wird der „Geistessport“ Schach meist von Leuten betrieben, die nicht sonderlich pekuniär eingestellt sind. Deutschland hat inzwischen die meisten Schach-Koryphäen weltweit, weil selbst die „Meister“ nicht sonderlich teuer sind. Sie kommen zudem oft aus den verarmten Schachländern Russland, Armenien und der Ukraine, aber auch aus Indien, komischerweise so gut wie nie aus Island, wo Schach ein Breitensport wie nirgendwo sonst ist. Nicht weniger dieser Schachmeister spielen im Schachverein Kreuzberg. Erwähnt sei der junge Großmeister Gabriel Sargissian. Aus persönlichen Gründen und weil ich von ihm viele Schachdetails erfahren habe, sei außerdem noch Wolfram Burkhard erwähnt, der lange pausierte, aber nun wieder spielt – und zwar im SC Nichtraucher Steglitz. Er ist kein Hausmeister, sondern Gründer des in Moabit domizilierten Kulturverlags Kadmos. Als eine Art Aushilfshausmeister (eines Mitte-Clubs) kann man jedoch den passionierten Schachspieler Thomas Hämmerlein bezeichnen, der im SV Berolina Mitte spielt. Daneben organisierte in Mitte , d.h. im Mon-Bijou-Park, die auf 1-Euro-Job-Basis als Aushilfshausmeisterin tätige Ekaterina Beliaeva gelegentlich Schachturniere. Zwar spielt die halbe Schach-Weltspitze inzwischen in der BRD, aber leben können davon höchstens 100 der weltbesten. Nicht wenige Schachspieler verdienen deswegen ihr Geld mit Pokerspielen. Das war in den Zwanzigerjahren in Berlin bereits so. U.a. berichtete Franz Jung in eigener Sache darüber. In Steglitz betreibt ein Schachmeister ein mit Schachbüchern gut sortiertes Antiquariat. Der Regisseur Andreas Goldstein, der an einem Film über das Spiel um die Weltmeisterschaft zwischen Spasski und Fisher 1972 in Rejkjavik arbeitet, hat sich dort sein Wissen geholt. In der Schönhauser Allee gab es mal eine Zockerkneipe, die jetzt ein Schach-Café ist. Turniere veranstaltet der Verein der Firma Gilette. Beliebt ist außerdem das „Aeroflot-Open“ in Moskau und das „Dubai-Open“. Viele Berliner Schachspieler/Hausmeister würden daran gerne teilnehmen – wenn sie denn das Geld dafür übrig hätten.

Zu den Hausmeistern zählen auch die Nachtwächter. Einer – in Tansania – heißt Raphael Tukiko. Er spielt zwar nicht Schach, hatte aber eine tragende Rolle in dem ebenso wichtigen wie aufrüttelnden Film von Hubert Sauper: „Darwins Alptraum“. Es geht darin um den Victoriabarsch – und wie seine unkontrollierte Vermehrung und Vermarktung eine ganze Region am Victoriasee verarmen ließ. Der Fisch wird vornehmlich nach Europa exportiert – von ukrainischen Luftfahrtgesellschaften, die auf dem Hinweg angeblich Waffen nach Tansania schmuggeln, für die einheimische Bevölkerung bleiben nur die Gräten und der Kopf. Weil Saupers Film über diese Riesensauerei der tansanischen Regierung anscheinend das Geschäft vermasselte, wurde jetzt vom Parlament erklärt, „daß alle Mitwirkenden als Staatsfeinde bestraft werden“, teilte der Regisseur der internationalen Presse mit. Unter anderem wurde der Nachtwächter Tukiko unter Hausarrest gestellt, er bat daraufhin Sauper um Hilfe. Am Drehort Mwanza soll es zu einer von der Regierung gelenkten Demonstration gekommen sein, auf der die Bestrafung der an dem Film Beteiligten verlangt wurde, u.a. wurde dabei „das Blut“ des dort lebenden Journalisten Richard Mgamba gefordert, der über das Victoriabarsch-Problem geschrieben hatte. Ihm droht nun die Abschiebung nach Kenia. Den Vorwurf, der Film „Darwins Alptraum“ habe nach seiner weltweiten Ausstrahlung den Fischhandel am Victoriasee zusammenbrechen lassen, wies der Regisseur unterdes von sich. Das mag taktisch klug und im Interesse von Mgamba und Tukiko sein, dennoch muß man sagen, dass sein Film durchaus etwas bewirken wollte und dies auch tat: Jedenfalls kenne ich keinen, der „Darwins Alptraum“ sah – und sich anschließend nicht schwor, nie wieder einen dieser verdammten Victoriabarsche zu essen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/09/19/hausmeister-freud-und-leid/

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kommentare

  • “Neoliberale Moral” – ein Paradoxon…

    Essen Sie auch so gerne Fisch wie ich? Geben sie jedem zarten Zanderfilet einem unter Gammelfleischverdacht stehendem Nackensteak den Vorzug? Wer aber den Film Darwins Alptraum (OmU) gesehen hat, wird um zumindest einen Fisch einen großen Bogen mach…

  • Dieses Knastblatt soll einen Überblick geben über das, was in den Bereichen Knast, politische Prozesse und Bullenterror in den letzten zwei Wochen gemacht wurde. […] Dieses Knastblatt macht […] aus allen längeren Berichten der Anti-Springer Presse und der alternativen linken Zeitungen Kurzmeldungen.“ (aus dem Vortext zu Nr.44)
    Der Schachmeister, der nun in Steglitz einen Schachladen führt, ist Ralf-Axel Simon, der früher das „KnastBlatt“ herausgab, und dafür ins Gefängnis kam. Gesundheitlich angeschlagen, eröffnete er seinen Laden und spielt gelegentlich für einen Schweizer Schachverein.
    „Das KnastBlatt erschien in einer hohen Auflage und wurde zu Beginn als Beilage von Zitty, radikal, Was Lefft und anderen Stadtzeitungen vertrieben.
    Repression: Der Herausgeber Ralf-Axel Simon wurde als „Überzeugungstäter“ im Januar 1983 zu einer Haftstrafe von 16 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Vorangegangen waren fünf Prozesse in fünf Jahren, insbesondere wegen des wiederholten Gebrauchs des Wortes ‚Bulle‘ in der Zeitschrift.“

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