vonHelmut Höge 03.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

Dank des ehemaligen taz-Mitarbeiters Ronny Golz fand ich mich – einmal ist kein mal – als hochbezahlter  “Teamer” der ÖTV wieder – im Ver.di-Bildungszentrum am Großen Wannsee. 36 Angestellte des öffentlichen Dienstes aus soundsoviel Bundesländern verbrachten dort ihren Bildungsurlaub. Sie wurden aufgeteilt in vier “Werkstätten”: Kreatives Schreiben, Theater und Kabarett, Malen und japanisches Tuschen sowie Zeitung-Machen. Ich leitete letzteres. Erst einmal besuchten wir dazu die taz, wo wir dann auf Geschäftskosten auch zu Mittag aßen, außerdem knipsten wir den Killer-Cocker der Leserbriefredakteurin – für unser Cover. In den Jahren davor hatte ich schon öfter solche Zeitungen gemacht – mit Betriebsräten, mongolischen Akademikern, Steglitzer Gymnasiasten, polnischen Punks etc.. Diesmal hatten wir jedoch nur fünf Tage Zeit dafür und außerdem waren die zehn Leute darauf programmiert, täglich um sechs Uhr Feierabend zu machen, daneben wollten sie auch noch dies und das in der Großstadt erleben. Da kam ihnen mein nicht-direktiver Führungsstil direkt entgegen.

Bei der Eckkneipen-Forschung beschränkte sich einer auf ein paar kleine Internet-Recherchen – z.B. über die Fußballer-Kneipe “Holst am Zoo”. Zwei Schalkefans fuhren mit dem Fahrrad zum Olympiastadion und schrieben über die Spezialeinsatzgruppen, die dort nach der unblutigen Sicherung des Bush-Besuchs ein umso blutigeres Fußballturnier veranstalteten. Drei Arbeitsamtsmitarbeiter aus Goldenstedt besuchten eine Freundin, die in den Hackeschen Höfen eine Goldschmiedewerkstatt betreibt – und porträtierten sie anschließend. Ein saarländischer PDSler schrieb seine Impressionen von einer Berliner Demo auf. Ich interviewte Rüdiger, einen sechzigjährigen Hausmeister bzw.  Platzwart des Truppenübungsplatzes E91 in Meppen, der sich in keiner der vier Werkstätten integrieren ließ und deswegen meist alleine auf der Veranda in der Sonne saß – und Edward Saids Buch “Am falschen Ort” las. Er galt als ein bißchen debil, aber dass er ein solches Buch – mit diesem Titel auch noch – eingepackt hatte, machte mich neugierig. Und er enttäuschte mich auch nicht. Als “Gastkommentar” nahmen wir einen Beitrag von Claudia aus der Werkstatt für Kreatives Schreiben ins Blatt: “Berlin im Mai” – der sich im wesentlichen mit ihrer einstigen Berliner Jugendliebe – “Hermann, den Statiker” – befaßte. Die wichtigste Person der Werkstatt war Conny aus Essen, der auf die Schnelle kein Thema eingefallen war und die sich stattdessen an den Computer setzte, um alle unsere Texte und Photos zu bearbeiten. Gleichzeitig mußte sie auch noch die Leute aus den anderen Werkstätten wegbeißen, die ebenfalls an den Rechner wollten. Dieses “ungewerkschaftliche Verhalten” wurde ihr anschließend von unserer Gruppe mit einer Flasche Wodka Gorbatschow belohnt. Ich bekam dagegen einen guten Rotwein zum Abschied geschenkt. Außerdem heimste ich unverdienterweise auch noch den Lob für die taz-Titelseite mit der Bush-Rede ein, die im ganzen Ver-di-Bildungszentrum Begeisterung auslöste. Anscheinend auch in Wannsee, denn schon um 9 Uhr 30 gab es dort nirgendwo mehr eine taz zu kaufen. Abends saßen wir im kommerziellen Begegnungszentrum “Loretta am Wanssee”, wo sich nicht nur sämtliche gewerkschaftlichen Bildungsurlauber trafen, sondern auch die Stipendiaten des Literarischen Colloquiums, der American Academy und der nahen Yacht- bzw. Segelclubs. Diese Abende bei Loretta gehörten noch mit zu meinem Job. Nach Feierabend streunte ich dafür ein bißchen in Wannsee herum. Dabei verfestigte sich bei mir der Gedanke:

Dort begann 1961 das, was man später die Berliner Subventions-Ökonomie genannt hat: Vorne zur Stadt-Mitte hin wurden nach dem Mauerbau blitzschnell erst die großen und dann nach und nach auch die kleinen Produktionsbetriebe nach Westdeutschland umgelagert, hinten im Süden Westberlins wurde dafür mit landserhaftem Durchhaltewillen und sozialdemokratischen Jetzt-Erst-Recht-Parolen deren wirtschaftliche Kompensation aus Bonn verplant: mit Forschungs- und Fortbildungsstätten sowie Rehakliniken und Tagungszentren en masse. Man hat gedacht, mit dem Mauerfall würde es damit langsam Schluß sein – das Gegenteil ist jedoch der Fall: dieser Bereich wird jetzt – seit der Wiedervereinigung – sogar noch kräftig ausgebaut und verfeinert: als neue Hauptstadt-Ökonomie, denn nun muß man auch noch die abgewickelte Industrie im Osten Berlins kompensieren. Während der Sozialstaat sich überall “gesundschrumpft”, wird er hier bloß veredelt:  “Das Modell Bad Wannsee ist eine Art angewandte Sozialpartnerschaft,” so erklärte es mir Rudi, der Hausmeister eines nahen Pfadfinder-Schulungszentrums und Stammgast im Gartenlokal “Loretta am Wannsee” – denn hier würden sich nicht nur die Teilnehmer der ganzen Bildungseinrichtungen aus den unteren Klassen treffen, sondern auch die Fellows aus den unterschiedlichsten Eliteeinrichtungen – bis hin zu den Atomphysikern aus dem Hahn-Meitner-Institut. “Einer brachte immer einen Geigerzähler und einen radioaktiven Stein aus der Kalahari mit ins Loretta – war interessant, mal was anderes”. Und dann nicht zu vergessen, die Wassersportsfeunde hier, die sich laut eigener Einschätzung “eher zur Unternehmerseite” rechnen.

Willem, der ehemalige Gärtner und jetzige Wirt der Kneipe am Bildungszentrum der Bundespost an der Lieper Bucht wendete dagegen ein, dass letztere doch eher das Elend der Zuspätgeborenen verkörpern – bezogen auf das deutsche Flottenprogramm von Admiral Tirpitz. Wie meinst du das, Willem? “In den Fünfzigerjahren sangen sie noch ‘In meiner Badewanne bin ich Kapitän!’ und nach dem Mauerbau dann ‘Auf meiner Uschi II bin ich der Commodore’ – nach der selben Melodie. Am Wannsee siedeln und segeln seitdem die Subventionsgewinner. Das ‘Notopfer Berlin’ – hier wurde und wird es in klingender Münze ausbezahlt. Deswegen befand sich dort bis vor kurzem auch der englische Kanuclub und der amerikanische Golfplatz, und sogar noch der Neuköllner Kaufhauserpresser Dagobert alias Arno Funke hat immer wieder von ‘Loretta am Wannsee’ aus telefonisch mit der Polizei über die Geldübergabe-Modalitäten verhandelt. Das ist doch kein Zufall!”  Gewiß, aber ist da nicht auch was enorm Positives bei rausgekommen? Darüber schweigt Willem, wohl weil er nicht zugeben will, dass auch er von diesem “Modell” stets profitiert hat. Einer der reichsten Bauunternehmer der Stadt, Carsten Klingbeil, dem enge Beziehungen sowohl zur CDU als auch zur SPD nachgesagt werden und der mit seinem 12-Meter-“Böötchen” gelegentlich an der Lieper Bucht anlegt, meinte einmal, dass das “eine verlorene Generation” sei, die sich hier heute treffe: “Wir sind früher mit unseren Mädchen im Kanu immer ins Schilf gefahren. Kein Mensch hat uns da entdeckt. Aber heute ist das streng verboten. Dafür sorgt das Röhrichtschutzgesetz. Wo sollen all die jungen Leute aber jetzt hin? Ach, seitdem es die Grünen gibt, wird die Welt immer ungemütlicher!” Den Einwand, daß die Umweltschützer doch bloß eine Reaktion auf die zunehmende Ungemütlichkeit sind, will er nicht gelten lassen. Zugeben muß er jedoch, dass diese enorme Konzentration von Forschungs- und Fortbildungseinrichtungen am Wannsee bereits zu einem eigenständigen Jargon geführt hat, den man als Synthese aus Fischbüro und FreieUni bezeichnen könnte. Ein typischer Dialog am Tresen von Loretta geht so: “Machen wir noch eine Cognacforschung oder eine Kleistdenkmalforschung?” “Ich muß jetzt erst mal eine Kloforschung machen!”

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/03/hausmeister-strukturen-2/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert