Eine zeitlang bestand meine Haupt-Aushilfshausmeisterfunktion darin, Texte von ausländischen Autoren zu korrigieren bzw. zu übersetzen oder mir diktieren zu lassen. Es wurden immer mehr, aber dann reduzierte es sich plötzlich: Einer starb, eine andere ging zurück nach Moskau, eine weitere nahm statt meiner ihren neuen deutschen Ehemann, einer hörte auf zu schreiben usw.. Schließlich blieben nur noch mein mongolischer Kollege Batjargal, mit dem ich neben der Zeitung „Super-Nomad“ noch gelegentlich zusammen Artikel schreibe, sowie Wladimir Kaminer , der allerdings demnächst laut BILD-Zeitung von heute für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidieren will und außerdem noch Lilli Brand, die mir ihre Texte diktiert. Wir haben zusammen so viele Artikel geschrieben, dass sie daraus 2005 ein Buch machte: „Transitgeschichten“, es geht darin vor allem um die „Schlepperbande“, die sie zwei Mal von Kiew nach Berlin brachte sowie um ihre Erlebnisse hier als ukrainische Prostituierte. Aber eine Geschichte befaßt sich auch mit dem „Recht auf Glück in Deutschland“:
Ich gehöre zu den einfachen Menschen, die immer davon träumten, reich zu werden oder zumindestens so viel zu gewinnen, dass sie nicht mehr arbeiten müssen. Deswegen bin ich überhaupt nach Deutschland gekommen. Aber nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass ich hier so schnell zu den Auserwählten gehören würde. Anfang 1999 passierte nämlich Folgendes:
Als ich meine Post durchschaute – Rechnungen, Rechnungen, Rechnungen, – stieß ich auf einen Eilbrief der Wiener Firma „Europa Warentest“ – mit der Aufschrift: „Achtung! Frau Ludmila Brand: Wir schulden Ihnen DM 200.000,00 DM in Bar! Schuldschein inliegend!“ Als ich ihn öffnete, erfuhr ich, dass ich „an einem Sonntag als Gewinner“ gezogen worden war. Eine tolle Überraschung – zumal ich mich an gar keiner Auslosung beteiligt hatte. Selbst mein Vorgewinner Robert Gutkas war überrascht, denn er beglückwünschte mich in dem selben Brief mit den Worten: „Damit hätte ich nie gerechnet, Frau Brand“. Da die Versandfirma verlangte, dass man gleichzeitig mit der Bestätigung des Gewinns auch eine kleine Warenbestellung aufgab, entschied ich mich – testhalber – anhand eines beiliegenden Katalogs für einen 49 DM 90 teuren „sprechenden Wecker“. Statt der Ware kam ein zweiter Brief. In diesem wurde mir mitgeteilt, dass ich nunmehr auch noch einen „Mercedes SLK Coupé“ gewonnen hätte. Auch das war mir ganz recht.
Schon am nächsten Tag übergab der Postbote mir ein Paket – mit einer riesigen „Safe-Uhr“ für 99 DM. Dieses Mißverständnis schickte ich postwendend und per Einschreiben zurück. Enttäuschenderweise meldete die Firma „Europa Waren-Test“ sich daraufhin nie wieder bei mir. Ich verlor jedoch die Hoffnung nicht! Und beschäftigte mich mit weiteren Postwurfsendungen – die mich seitdem unerklärlicherweise ebenso persönlich wie regelmäßig erreichten.
So gewann ich z.B. Ende der Neunzigerjahre kurz vor Weihnachten beim „Alpen-Versand“ einen Sony-Farbfernseher „absolut gratis“ – und dazu „25.000 DM in bar“. Auch hier sollte ich dafür nur ein paar Kleinigkeiten bestellen. Für 154 DM orderte ich, um meine Mutter zu erfreuen – rechtzeitig zum Fest: eine Uhr, die man auf Tabletten-Einnahmezeiten programmieren konnte, einen Fleckenentferner, Kosmetika von Lorena, Magneten gegen Nackenschmerzen, einen Terminkalender sowie 12 Gel-Kompressen. Meiner Mutter gefielen die Geschenke. Ich wartete dagegen vergeblich auf meine Gewinne – aus 6961 Wolfurt-Bahnhof. Mit einem Brief versuchte ich mich dort in Erinnerung zu bringen, gleichzeitig wies ich die Firma darauf hin, das sich mein Vorname mit „iou“ schreibe, auch mein Geburtsdatum korrigierte ich.
Da meine Gewinnabsichten durch solche Korrespondenzen immer mehr stiegen, fing ich auch noch an, Lotto zu spielen – wöchentlich bis zu 20 DM. Einmal gewann ich sogar – 2500 DM. Darauf wagte ich mich an die großen Klassenlotterien – Faber, Glöckle, SKL und NKL, was ich mir etwa 200 DM im Monat kosten ließ – ohne dabei jemals etwas zu gewinnen. Dafür bekam ich einen Bargeld-Geschenkgutschein von der Firma „Edelweiß-Versand“ – in Höhe von 8000 DM, mit der Bemerkung „Sie sind ja ein richtiges Glückskind, Frau Brand“. Um zu kassieren, mußte ich jedoch wie gehabt, erst einmal etwas bestellen. Ich entschied mich für ein 6-teiliges Reisetaschen-Set, das früher 70 DM, aber jetzt nur noch 59.90 DM kosten sollte. Statt eines Pakets bekam ich ein weiteres Schreiben vom „Edelweiß-Versand“: Ich hätte vergessen, meine Bestellung zu unterschreiben, außerdem wollte die Firma mir noch mitteilen: „Unsere Geschäftsleitung hat sich entschlossen, ganz besonderen Kunden ein ausgefallenes Geschenk zu machen, dazu gehören auch Sie, Frau Brand“. Es handelte sich dabei um einen Videorecorder von Philips für 480 DM. Auch diese Bestellung unterschrieb ich. Daraufhin bekam ich zwei 6-teilige Reisesets zugeschickt, eins schickte ich gleich zurück, aber nach einer Woche stellte es mir der Postbote erneut zu – mit der knappen Mitteilung versehen: „Leider können wir das Reiseset nicht zurücknehmen, da es sich dabei um ein Angebot aus unserer ‚Sparwoche‘ handelte“. Ich meinerseits weigerte mich – bis heute – dafür zu zahlen. Inzwischen beläuft sich die Forderung des hessischen Edelweiß-Versands schon auf 248, 50 Euro. Aber noch immer bekomme ich von der Geschäftsführerin Karin Reitmeier zum Jahresende jedesmal eine freundliche Postkarte zugeschickt.
Etwas anders verlief dann meine Erfahrung mit der Rotterdamer Firma „Bellador“, die mich zur Teilnahme an Ihrem Weihnachtsgewinnspiel aufforderte – und wo ich dann auch prompt 20.000 DM gewann. Gleichzeitig hatte man mir ein „Riesen-Schmuck-Überraschungs-Paket“ im Wert von 250 DM für nur 69.99 DM reserviert. Ich freute mich auch riesig, schickte die „Unterlagen“ sofort ausgefüllt zurück – und wartete. Als ich den „Qualitäts-Schmuck“ in den Händen hielt, mußte ich enttäuscht feststellen, dass es sich dabei um vergoldetes Silber handelte, die Perlen und Steine waren unecht und alle Stücke winzig klein. Wütend schickte ich das Paket zurück. Leider verfiel daraufhin mein gesamter Geldgewinn.
Dafür war ich jedoch plötzlich vollwertiges, d.h. „Platin“-Mitglied, im „European Winners Club“ geworden, bei deren Preisausschreiben ich 200facher „Millionär“ werden konnte, wenn ich mitmachte. Der Amsterdamer Gewinnerclub schickte mir ganze Porträtreihen von Leuten, die bereits alle mitgemacht – und auch schon zum Teil erhebliche Summen gewonnen hatten. Die Clubpräsidentin schrieb mir: „Jetzt sind Sie an der Reihe – und vielleicht stammt der nächste Erlebnisbericht ja von Ihnen. Nehmen Sie uns beim Wort – um so mehr, als Sie keinen einzigen Pfennig riskieren…Sie müssen nur mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse in so vielen europäischen Preisausschreiben wie möglich stehen – das ist alles!“ Umgehend füllte ich das beiliegende Formular aus, wobei es erst einmal um einen zu gewinnenden gelben Sportwagen ging sowie um diverse Luxus-Ferienreisen. Leider meldete sich die Firma nie wieder bei mir.
Stattdessen aber eine andere – mit dem schönen Namen „Bargeld-Vergabe Neue Edition“. Auch bei dieser Firma war viel Geld zu gewinnen (ein Scheck über 75.000 DM lag bei), sie wies jedoch ehrlicherweise darauf hin: „Die Gewinn-Ziehungen werden zu Werbezwecken vorgenommen, deshalb finden die Ziehungen nur unter Kunden (Bestellern) statt“. Ich bestellte zwei Jeans und einen Pullover – für 144 DM. Alles verlief reibungslos, nur dass ich nie wieder auf meine Gewinn-Chance angesprochen wurde. Deswegen verschob ich auch die Überweisung der 144 DM immer wieder – bis ich sie vergaß.
Ganz ähnlich verläpperte sich dann auch meine Glückssträhne beim „Euro-Versand“, nur dass es hier Kosmetika waren, die ich bestellte und dass hier ein Notar der Versandfirma namens Dr. Jan-Dieter Boven sich persönlich für meinen Gewinn in Höhe von 25.000 DM verbürgte. Als daraufhin trotzdem wieder nichts passierte, ging ich selbst zu einem Anwalt. Er meinte, dass ich genauer lesen lernen müsse: Auf all diesen Schecks und Gewinnmitteilungen stünde entweder immer „Muster“ oder „Kopie“, deswegen hätten sie keinen Wert – außer als Reklame, bzw. um an neue Adressen heranzukommen, zudem sei bei den Verlosungen stets der Rechtsweg ausgeschlossen, was heißt, das die Firmen machen könnten, was sie wollen. Für diese Auskunft mußte ich ihm 80 DM zahlen. Seine abschließende Warnung, keiner Werbepost in meinem Briefkosten mehr zu trauen, war kostenlos.
Meine Gier nach Reichtum war jedoch inzwischen derart gestiegen, dass ich trotzdem weiter machte. Erst einmal abonnierte ich „Veras Glücksratgeber“ aus Bonn. In dieser Monatszeitschrift findet man nicht nur regelmäßig die Lösungen für alle großen Preisrätsel – z.B. von Maggi, Nutella, Müllermilch und Erasco, es gibt daneben auch eine Leserbörse, über die Veras Abonnenten untereinander ihre doppelten und dreifachen oder unwillkommenen Gewinne austauschen. So schrieb darin z.B ein Herr Krupka, er habe schon über 100 Uhren gewonnen und hätte jetzt genug davon. Glücklicher war dagegen die „Gewinner-Karriere“ von Frau Busch, die mit Hilfe des Glücks-Ratgebers erst 5000 DM in bar bei einem Palmolive-Gewinnspiel gewann, und dann „Reisen nach Mallorca, New York, Arizona, Jordanien, ins Allgäu und vor kurzem nach Südafrika…außerdem 5 Fahrräder, 1 Mikrowelle, 2 Radiorecorder, Kuscheltiere und mehr!“ Viele Dauergewinner und -spieler verrieten in Veras Glücks-Ratgeber ihre Tricks: z.B. „Die Hoffnung nie aufgeben und immer weiter machen!“ „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ oder „Nicht immer nur nach dem Gewinn schielen, sondern aus Spaß an der Sache mitmachen!“ Der „Gewinnkönig“ Dieter Rathsfeld gab den Tip: „Führen Sie zur Gewinnkontrolle eine genaue Statistik!“ Dazu erwähnte er sogar ein spezielles Computerprogramm, mit der man seine Gewinne und Verluste ausrechnen konnte. Mit diesem „Pfadfinder zum Glück“ aus Bonn war ich derart gut ausgerüstet, dass ich monatlich mindestens 200 Teilnahmepostkarten ausfüllte und an die Firmen verschickte, oftmals gleich mehrere auf einmal, weil man damit laut Veras „Insider-Spieltips“ die Gewinnchenchancen enorm steigern konnte.
Und tatsächlich: Schon bald stapelte sich die Billigware aus Hongkong und Taipeh in meiner Wohnung. Nicht nur bekam ich fast täglich Briefe, Pakete und Kataloge, auch immer mehr Besuch von meinen Freundinnen, denn ich hatte bald für jede Geschenke parat. Auch der Postbote bekam was ab, sowie seine Kollegen im Postamt Nestorstraße, wo ich fast täglich irgendwelche Briefe aufgab, oft als Einschreiben. Einmal fragte mich der Schalterbeamte, ob ich allen Ernstes daran glaube, zu gewinnen. Da war ich aber schon so realistisch geworden, dass ich ihm antwortete: „Man bekommt immer nur ganz kleine und oftmals nutzlose Dinge!“ Dann gaben mir aber die Länder der unbegrenzten Möglichkeiten doch wieder Auftrieb, d.h. es meldeten sich Versandhäuser und Glücksspielfirmen aus New York, Toronto, Los Angeles und Melbourne bei mir. Sie alle wollten mich – auf Englisch – reich und berühmt machen sowie luxuriös ausstatten – und hatten Namen wie „El Dorado“, „El Gordo Draw“, „Prizemasters“, „Equity Funding“ und „National Lottery“. Hier ging das Mitspielen wirklich ins Geld, weil „one game“ Minimum 49 Dollar kostete. Dafür waren die Gewinne dann auch immer gleich in Billionen-Höhe. Damals konnte ich noch kein Englisch und deswegen mußte ich für die Korrespondenz immer irgendwelche Dolmetscher einschalten, die Geld dafür nahmen.
Das Schöne an den englischsprachigen Gewinnspielen war, dass man schon vor dem „Finale“ wertvolle Autos gewinnen konnte, wobei einem die Firma bereits vorab die Autoschlüssel dafür zuschickte. Leider blieb es immer bei den Schlüsseln. Auch an Gewinnspielen von privaten Radiosendern beteiligte ich mich eine zeitlang. Veras Glücks-Ratgeber hatte dazu ebenfalls wertvolle „Telefontips“ gegeben. Aber entweder waren die Nummern immer besetzt oder ich landete in Warteschleifen. Einmal kam ich bei „Arno und der Morgencrew“ durch, es ging um das Knacken eines Tresors mit 1 Million DM darin. Man mußte dazu nur sein Geburtsdatum wissen. Mein Datum paßte aber nicht und auch den Trostpreis von 50 DM, den man mir anschließend überweisen wollte, habe ich nie bekommen.
Nun wollte ich es aber wirklich wissen – und ging direkt ins Spielcasino an einen der Black-Jack-Tische im Forumhotel. Im Morgengrauen wankte ich – glücklich aber müde – mit 3000 DM nach Hause. Leider verspielte ich das Geld schon in den nächsten Tagen an den Glücksspielautomaten des Casinos am Los-Angelesplatz, und dazu noch meine ganzen Ersparnisse. Ich hatte mir Veras Rat „Nicht aufgeben!“ wirklich zu Herzen genommen, anschließend bekam ich jedoch vor lauter Gewissensbisse Kopfschmerzen. Um mich zu erholen, blieb ich zu Hause und starrte in den Fernseher. Um mein Glück nicht ganz aus den Augen zu verlieren, beteiligte ich mich an einigen TV-Game-Shows, kam aber nie durch mit meinen Anrufen.
Inzwischen bin ich so realistisch geworden, dass ich nur noch einmal im Monat für 5 Euro 25 im Lotto spiele – „Mit System Permu zum Erfolg“. Wenn ich gewinne, werde ich endlich die Schuldeneintreiber der diversen Versandhäuser, die mir bis heute auf den Fersen sind, abschütteln. Rückblickend kann ich sagen, dass ich trotz meiner Verluste wertvolle Erfahrungen gesammelt und dazu den Unterschied zwischen dem großen Reklame-Glück und dem kleinen Zeilenhonorar in Deutschland kennen gelernt habe.
P.S.: Lillis „Transitgeschichten“ sind zusammen mit diesem Text inzwischen auch auf Serbisch erschienen. Eigentlich wollten wir uns danach an das nächste Buch machen, aber sie hat nie mehr Zeit, weil sie inzwischen mit einem Araber liiert ist, der mindestens ebenso glückssüchtig ist wie sie. Und dabei kommt ihnen der Boom der Wettbüros entgegen, d.h. die beiden rennen derzeit von einem Laden zum anderen, um ihre paar Kröten auf irgendwelche Pferde oder Boxer in England oder Kuwait zu setzen. Lilli geht schon lange nicht mehr in Bordellen Anschaffen, aber ob sie von diesen Wetten leben kann, möchte ich bezweifeln.
Alle paar Wochen ruft sie mich jedoch an, um einen Termin mit mir zu verabreden, weil sie wieder so viele Geschichten auf Lager hat, die sie unbedingt loswerden will – aber dann kommt sie nicht. Zuletzt rief sie mich vorgestern an und wollte sich mit mir treffen, um einen Passus im Verlagsvertrag zu ändern, in dem es heißt, dass im Falle des Ablebens von mir oder von ihr die Rechte auf den jeweils anderen übergehen. Ich wußte nicht, was sie damit bezweckte, war jedoch zu jeder Schandtat bereit. Obwohl oder weil ich mir sicher war, dass sie auch diesmal wieder den Termin nicht einhält.