vonHelmut Höge 28.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Schon seit Wochen soll ich der Assistentin  helfen, eine der Pflanzen im Büro der Chefredakteurin, wo es aussieht wie in einem Gewächshaus, umzutopfen. Das ist quasi noch ein Überhangmandat aus meiner Aushilfshausmeistersommerperiode. Dabei gilt: Wer jetzt nicht umtopft, der tut es nimmermehr – bzw: der kann es auch bis zum Frühjahr lassen.

Die Hummeln und Wespen haben sich längst eingegraben und nur noch einige in Dauerstaaten lebende Bienen wagen sich kurz raus – an späte Balkonblumen z.B.. Bei den Topfpflanzen regt die nördliche Sonne ihre verinnerlichten Chloroplasten nicht mehr genug an, um groß Wachstum zu produzieren. “Jetzt ist die schönste Jahreszeit,” sagt der Vogelwart auf Trischen (in Schleswig-Holstein), denn die Vögel haben ihr “Brutgeschäft” erledigt, aller Zank und Ärger liegt hinter ihnen, sie  machen nun sozusagen Urlaub – bevor der Winter kommt und es wieder härter für sie wird. Ähnliches gilt auch für die Insekten und Pflanzen. Wir müssen uns also nicht groß beim Umtopfen der Pflanze im Chefredaktionsbüro beeilen.

Der Asparagus, der im Sommer das Wasser literweise verbraucht hat, kommt jetzt mit einem Glas täglich aus, er wächst jedoch weiter, wenn auch weniger drängend; die Goethepflanzen, die man förmlich wachsen sah und die bereits in ihrem ersten Halbjahr hunderte von Nachkommen produzierten, geben jetzt sogar ihre untersten Blätter auf – sie lassen sie einfach absterben, die anderen Blätter haben hektische rötliche Flecken bekommen. Eine geschenkte Bonsai-Tamarinde hat sich – wahrscheinlich weil es bei mir kühler ist und ihr Umzugsschock noch nachwirkt – erst mal ihre “Bewegung” so gut wie ganz eingestellt, immerhin entfaltet sie morgens ihre Blätter noch zur Sonne hin, aber um drei macht sie schon wieder Feierabend.

Vor einiger Zeit hatte ich das Glück, den Blumengroßhändler Wenner auf einer Besichtigungstour zu den  Blumen-Großmärkten rund um Berlin zu begleiten: d.h. er fuhr und ich lotste ihn anhand eines Falkplans. “Blumisch” warb der Blumenhandel gerade auf seinen  Plakatwänden in der Stadt. Während der Fahrt erfuhr ich Näheres über diese Branche.

Blumen gehören zu den schon lange globalisierten Produkten, dementsprechend umtriebig müssen die Blumen-Großhändler sein. Es gibt 14  Großmärkte am Stadtring, von denen die Einzelhändler ihre Ware beziehen. Hinzu kommen Blumenmärkte, die nicht nur den Wiederverkäufer, sondern auch den Endverbraucher bedienen und meist als Cash-&-Carry- oder Garten-Center firmieren. Daneben erweitern die Supermärkte, Tankstellen und Heimwerkermärkte ihr Blumenangebot.  Schlechte Zeiten also für den Fachhandel, die Blumenläden in Berlin, sollte man meinen. Zumal die Leute bei steigenden Lebenshaltungskosten zuerst an den Blumen sparen.

Andererseits kommt es laufend zu neuen Büro- und Geschäftseröffnungen sowie Umzügen von Verbänden, Vereinen und ganzen Ministerien. Der Markt ist in Bewegung, wie man so sagt.  Darüber hinaus legen in den Behörden und Botschaften auch die Mitarbeiter sozusagen privat großen Wert auf Blumen und Topfpflanzen in ihren meist noch kahlen Büros. Eine Floristin in Mitte, die jetzt schon viele ihrer Flobs (floristische Objekte) an Regierungsangestellte verkauft, meint, dass die meisten von ihnen ihre Büropflanzen beim Umzug aus Bonn mitgebracht hätten. Berlin habe einen schlechten Ruf, was die Qualität der Blumen betreffe. Das mag in Westberlin an den vielen Studenten und Singles liegen, die sich eher theoretisch mit Blumen befassen. Erinnert sei an FU-Seminare über “Das Spießige der Nelke” und “Der Faschismus von Topfblumen”. Selbst beim regelmäßigen Plündern der Hanfpflanzen im Botanischen Garten bewiesen die angehenden Akademiker nicht immer Sachkenntnis. Grad neulich schenkte ein Mitarbeiter der Grünen einer Frau einen Strauß Frühlingsblumen – ohne zu merken, dass er ihr aus Versehen Stoffblumen gekauft hatte. Die (parteilose) Beschenkte war erschüttert.

In Ostberlin war man “blumenbewusster”. Dort gab es zwar kaum Importblumen, aber wegen des ständigen Kaufkraftüberhangs waren die DDR-Bürger in der Lage, geradezu Unsummen für Blumen auszugeben. Das Angebot wurde zudem durch die vielen Kleingartenbesitzer ergänzt. Die Massenware kam aus den volkseigenen bzw. genossenschaftlichen Großgärtnereien. Berühmt waren deren Nelken und Chrysanthemen sowie die Kamelien aus Leipzig.

In Westberlin gab es nur den genossenschaftlichen Blumengroßmarkt an der Friedrichstraße, der sich vor 113 Jahren aus der Linden-Markthalle entwickelte. Nach der Wende musste dieser Markt einen Teil seiner gepachteten Flächen abgeben, dafür wurde dann für mehrere Millionen Mark die Halle renoviert.  Viele Westberliner Gärtner und Großhändler klagen über starke Umsatzeinbrüche seit den blühenden Achtzigerjahren. Einige von ihnen treffen sich regelmäßig auf der Trabrennbahn Mariendorf, wo sie eigene Rennställe besitzen.

Westdeutsche Blumenhändler meinen, seit den vielen Blumengroßmärkten am Stadtring sei das Angebot in der Stadt besser geworden: Konkurrenz belebe das Geschäft. Es gebe jetzt jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Märkten. So sei die Ware auf dem Cash-&-Carry-Markt in Rangstedt miserabel, und der Laden werde lieblos geführt. Der in Buchholz sei jedoch ganz prima. Der Holländer am Olympiastadion habe gute Sonderangebote und Kölle im Einkaufscenter Havelpark zu viel Kitsch im Angebot.

Die Schnittblumen kommen mittlerweile von überall her. Die Rosen der nächtlichen Rosenverkäufer stammen aus Venezuela. Sie werden eingeflogen. Das sei günstiger und auch sinnvoller, als sie hier in Gewächshäusern mit Kunstlicht und wärme zu produzieren, sagen die Blumendealer. Die Großhändler kaufen ihre Schnittware auf Versteigerungen. Anders bei den Topfpflanzen, die meist aus Europa kommen. Hierbei müssen die Großhändler die Gärtnereien kennen: Eine Warenprobe reicht nicht. Sie müssen die Kulturen sehen, das heißt regelmäßig dort hinfahren. Dabei kommen schnell 100.000 Kilometer im Jahr zusammen, Dafür kennt jeder jeden: “Wir sind eine große Familie”, heißt es “und informieren uns telefonisch ständig über alles Neue”.

Die in Deutschland so beliebten Margeriten kommen etwa aus der Nähe von Genua, Alpenveilchen aus Dänemark, Topfrosen aus Polen, Araucaria und Pseudo-Bonsai-Bäumchen aus Sizilien, Azaleen aus Sachsen. Und die zu Figuren geformten Koniferen und Liguster sind eine Spezialität der Toskana.  Belgische Gärtnereien boten heuer Geldbäume in Zinkeimern an und die süddeutschen ungespritztes Katzengras in flachen Schälchen sowie vierblättrigen Klee – als Glücksgeschenke. Sie wurden jedoch von den Kunden nicht gerade überschwänglich angenommen.

Überall arbeitet man an neuen Züchtungen. Die Mode bei den Pflanzen ebenso wie bei den Flobs (floristischen Objekten) wechselt immer schneller. Gerade ziehen die Zimmerpalmen wieder an. Ein holländischer Händler bezieht seine Palmensamen – mit Schwarzgeld – aus Australien, anschließend verkauft er sie an Gärtnereien in Spanien.  Noch immer wird der größte Teil des Blumenumsatzes vom Einzelhandel (der ca. 50 Prozent draufschlägt) erbracht, die Supermärkte machen nur 15 bis 22 Prozent aus. Sie kalkulieren flacher, dafür ist ihr Angebot meist ungepflegter. Ein Lastwagen mit rund 20.000 Topfpflanzen kostet von Palermo nach Berlin etwa 4000 Euro. Auf solche Speditionen haben sich vor allem die Holländer spezialisiert.

Die Blumengroßmärkte versuchen durch Fusionen voranzukommen. So wie die US-Supermarkt-Kette Wall Mart, die hier auch durch Aufkäufe Fuß fassen wollte  und in diesem Zusammenhang ihren zukünftigen deutschen Blumenlieferanten zu “strategischen Allianzen” riet. Dadurch sollten zum Beispiel die Lieferstrecken verkürzt werden.  Unlängst verbanden sich die beiden Branchengrößten NBV (Neusser Blumen-Versteigerung) und UGA (Union gartenbaulicher Absatzärkte) – beides westdeutsche Gärtnerei-Genossenschaften, die sich nun auch und vor allem im Osten ausbreiten. Einer ihrer Großmärkte befindet sich in Langerwisch. Daneben betreibt der schleswig-holsteinische Großgärtner Petersen zwei Märkte bei Berlin: in Buchholz und in Fretzdorf. Dort hat er zusammen mit einem Holländer noch eine weitere Großgärtnerei aufgebaut.  Im Gegensatz zu den Genossenschaften haben die Privaten nichts gegen den Endverbraucher als Kunden (z.B. Hotels), auch sind ihre Öffnungszeiten nicht auf den frühen Morgen beschränkt, wie es beim Kreuzberger Blumengroßmarkt der Fall ist.

Der Branche fehlt es mittlerweile an” Fachpersonal mit Führungsqualitäten”, deswegen kann ein guter Marktleiter 6000 Euro monatlich verlangen. In den Gärtnereien arbeiten mehr und mehr Polen, Tamilen und Russlanddeutsche. Der Gartenbau ist aber auch immer noch ein beliebter Lehrberuf. Die Ernüchterung bei den Lehrlingen, dass sie es bloß mit einer Massenware zu tun haben, die mehr und mehr künstlich hochgepäppelt und sogar gedopt wird, kommt schnell. Bei den FloristInnen geht die Entwicklung hin zum kunsthandwerklichen Objekt, wobei die Blume bzw. Pflanze nur noch Beiwerk ist.  Generell geht der Anteil der Topfpflanzen am Umsatz zurück, zugunsten von Schnittblumen, die immer frühzeitiger ins Angebot kommen müssen: Tulpen also möglichst schon im Oktober, Love-Parade-Sonnenblumen ganzjährig – und die Flobs (floristische Objekte) mehrsprachig. “Sag es mit Blumen!”, hieß einmal der Werbespruch des westeuropäischen Blumenhändler-Netzwerks Fleurop.

Der Schnittblumentrend wird mit der “neuen Mobilität” erklärt, der immer mehr Leute zwingt, sich jobmäßig umzutun – daheim vertrocknen derweil ihre Topfpflanzen. Dieses Elend wird zum Teil dadurch kompensiert, das immer mehr Büro- und Einkaufszentren mit großen exotischen Pflanzen-Arrangements – und kleinen Wasserfällen wohlmöglich noch obendrauf – protzen. Vom “Tropical Island” in den Hallen des pleite gegangenen Lausitzer “Cargo-Lifters” ganz zu schweigen.

So nähert sich die postmoderne  Dienstleistungsgesellschaft immer mehr dem Botanischen Garten an – und dieser ist gezwungen, sich seinerseits immer mehr zu Verdienstleistungs-centern, d.h. für sich auf Plakaten zu werben und tolle  “Events” zu kreieren. Bereits beliebt sind seine  audiovisuellen nächtlichen Veranstaltungen im Großen Tropengewächshaus: “Der Urwald erwacht!” Daneben eröffnenen immer mehr Cafés im Garten. Die Leitungsebene dieser universitären Einrichtung würde gerne noch mehr machen, aber alle ihre Einnahmen müssen sie abgeben – stattdessen bekommen sie wie eh und je ein jährlich festgelegtes Budget zugewiesen.

Darüber sprach ich einmal mit einem der Botaniker des Botanischen Gartens, wozu auch noch ein Botanisches Museum gehört. Das Interview steht hier im blog “Der Botanische Garten” (zwischen der “Hausmeisterkunst” 13 und 14). Daneben befaßt sich noch ein zweiter “blog” speziell mit der Beschilderung der Flora des Botanischen Gartens sowie mit der sich daran anschließenden Frage, inwieweit man dort vor lauter Schildern den Baum bzw. den Wald nicht mehr sieht – was wiederum zu einer Reihe von Sichtweisen auf den Wald (schlechthin) führte. Der blog heißt “Schilder/Wald” – und ist ein “work in progress”, wie man heute sagt: eine Arbeit in Arbeit (das “schreckliche Lifelonglearning,” von dem Gilles Deleuze spricht).

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/28/blumisch/

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kommentare

  • […] > Leider bleiben die Medien und damit die Öffentlichkeit bei dieser > Debatte auf der Frage pro und kontra GrGT stehen, dabei geht es um > viel mehr als das. Es geht um unsere Freiheit und Demokratie gegen > die industrielle Verwertung von uns und unserem Leben. Freiheit und Demokratie sind nur Schlagworte. Du schreibst selbst, wie wenige die Dinge bestimmen und wer diese wenigen sind. Freiheit ist nicht Freiheit schlechthin, sondern Freiheit des Marktes. Demokratie ist nicht Demokratie schlechthin, sondern buergerliche Demokratie. Jemand der reich ist wird automatisch mehr Einfluss haben, als jemand der arm ist. Und auf voellig legale Weise. Natuerlich wird jemand der Geld fuer irgendwas gibt (Parteisepende, der Investiert, ein Denkmal stiftet, Sport foerdert etc.) eher von Politikern empfangen als einer der von Staatskohle lebt. Wer hat den die Hartzgesetze geschrieben? Ein Arbeitsloser oder ein Topmanager? Und wessen Interessen sollten Medien dienen, die Privatbesitz sind, als den Interessen der Eigentuemer? • • • • […]

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