vonHelmut Höge 12.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Als eine Art Transmissionsriemen zwischen den hiesigen Russen und dem taz-Russlandbild wunder ich mich immer wieder, wie unterschiedlich die  Sichtweisen sind  – besonders wenn es sich um  Schurken-Exrepubliken handelt – um Lukaschenkos  Weissrussland  z.B..
Als Gremliza von “konkret” vor einiger Zeit Wladimir Kaminer bat, sich dazu einen Text einfallen zu lassen, arbeitete dieser eine ganz andere Darstellung als die zwischen Washington und Berlin herrschende heraus. Da die “konkret” in der taz nicht gelesen wird,  habe ich darüber bisher nur bruckstückhaft berichten können, heute schickte mir der Autor aber seinen Text noch einmal – als Email:

Lukaschenko
 Europäer lachen gerne über Amerikaner, die sich außerhalb ihres Landes
nicht auskennen und ihre geographische Kenntnisse nur aus Actionfilmen
beziehen. Unrasierte Schwarzhaarige, die auf amerikanischen Leinwänden
den bösen Russen darstellen, reden oft unter einander albanisch, das
kränkt meine Landsleute sehr.  Was hat die Welt gelacht, als der aktuelle
amerikanische Präsident seine geographische Unkenntnis öffentlich zur
Schau stellte. Inzwischen lacht kaum noch jemand über ihn, man will dem
Mann eher unter die Arme greifen - ein überforderter Fahrer am Lenkrad
eines riesigen Staates, voll beladen mit explosivem Zeug, verloren auf
der neuen Autobahn, ohne Navigator.  Aber was weiß der Europäer über die
heutige Welt? Auch hier beziehen die meisten ihre Weltkenntnis aus
Werbespots und Nachrichtenreportagen.  Von Afrika kennt man die
hungernden Kindern und bis zum Hals bewaffneten Rebellen, von Australien
- Känguruhs und Eukalyptusbäume, von Japan - Sake und Sushi, von
Osteuropa - einen (polnischen) Trinkspruch. Weißrussland war schon immer
ein weißer Fleck auf den Karten des Westens, einer Art Naturpark mit
Partisanen, im Krieg völlig zerstört, zu Zeit der Sowjetunion nicht
wirklich wiederaufgebaut. Erst durch Lukaschenko ist das Land auf dem
internationalen Parkett präsent geworden. Der Mann mit Schnurrbart wird
zur Zeit auf dem westlichen Schurkenmarkt hoch gehandelt - als der
letzte wahre Diktator Europas.  Sein Foto mit knirschenden  Zähnen und
schwingender Faust, aufgenommen vor fünf Jahren auf der weißrussischen
Volksversammlung bei der Verabschiedung des damaligen Fünfjahresplanes,
wird immer wieder in den Zeitschriften des Westens abgedruckt.  Das Bild
paßt zum "letzten Diktator". Lukaschenkos Gesichtsausdruck darauf läßt
vermuten, das er sich gerade anschickt, jeden Oppositionellen mit
eigenen Händen zu erwürgen. Sein Blick ist Stahl, mit Bin Ladens
Butteraugen nicht zu vergleichen, ein richtig böser Bösewicht. In
Wirklichkeit wetterte Lukaschenko damals gegen die westlichen Investoren
- auf gut Deutsch "Heuschrecken" genannt. "Wir haben unser Land mit
großer Mühe und Not aus dem Müll und der Kacke gezogen und wieder
zusammengeschraubt, Schraube um Schraube, Fabrik um Fabrik. Wir lassen
es uns von niemanden wegnehmen." sagte er, die Fäuste ballend.  Heute
investieren die Chinesen in Weißrußland eine Milliarde jährlich und in
jedes Geschäft, das Lukaschenko startet, wollen sofort Amis, Deutsche
und Russen einsteigen, weil der Diktator wirtschaftlich erfolgreich
handelt.  Im Bund der sozialistischen Republiken war Weißrussland neben
der Landwirtschaft für die Produktion von Chemikalien und Maschinen
zuständig. Das Land hatte eine entwickelte Industrie: Von Gasherden bis
Waschpulver wurde dort so ziemlich alles produziert. Die weißrussischen
Chemieprodukte galten schon damals auch im kapitalistischen Ausland als
preisgünstig und ebenso giftig wie effektiv.  Japan und die USA kauften
bei den Weißrussen gerne Chemikalien ein, die sie für zu gefährlich
hielten, um sie bei sich zu Hause zu produzieren. Darüberhinaus
versorgten die weißrussischen Atomkraftwerke die halbe Sowjetunion mit
Strom, die weißrussischen Kartoffeln wurden dadurch jedes Jahr größer,
die Bevölkerung strahlte.  Nach dem Fall der Sowjetunion kam in
Weißrussland wie in allen anderen Republiken eine prowestliche nationale
Demokratie an die Macht. Dringend wurde nach einer neuen Ideologie
gesucht, nach einer unverwechselbaren weißrussischen Identität. Die
weißrussische Sprache, früher von den Sowjets verächtlich als "Dialekt"
abgetan, sollte ihren Ausdruck in einer eigenen Schrift finden, die
ganze vergangene Geschichte wurde nach dafür tauglichen nationalen
Vorbildern durchkämmt. Professoren aus Amerika und Kanada halfen dabei.
In der Schule mußten die Kinder Aufsätze schreiben: "Warum bin ich ein
Weißrusse" Gleichzeitig sollte ein freier, ein absolut freier Markt
entstehen, der Staat wurde verkleinert und korrumpiert, die neuen Herren
nahmen die weißrussische Industrie auseinander, verkauften die besseren
Teile weiter und legten den Rest flach. Unter den wenigenm die sich
dabei bereicherten, gab es so gut wie überhaupt keine Weißrussen. Die
meisten Einheimischen landeten auf der Straße.  Kriminalität und
Sextourismus blühte, die Heizung wurde im Winter bei den
Nichtkapitalisten abgeschaltet, dafür durfte man, wie es sich in der
freien Welt gehört, gegen einen kleinen Aufpreis Softpornos im Fernsehen
glotzen.
 Das West - Modell "Demokratie" ist eine komplizierte Braut. Auf den
Laufstegen der Welt und im Fernsehen macht sie stets eine gute Figur. Im
Alltag ist sie oft schwierig. Alle ehemaligen Sowjetrepubliken haben
Demokratie auf eine unnatürliche Weise, quasi im Internet kennengelernt.
Außer einem Foto mit der knappen Bemerkung:  "Flexibel, offen,
vielseitig, liebt Kino, Theater, Sport." gab es so gut wie nichts über
sie nachzulesen. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen - und groß
die Enttäuschungen.  Aus der politischen Unabhängigkeit gleitete das
Land blitzschnell in eine neue Abhängigkeit, die schlimmer war als die
sowjetische Diktatur.  Und viele, sehr viele sogar fragten sich, ob
diese Veränderungen wirklich der Sinn der Erneuerung sein sollten. Nach
drei Jahren wurden die unabhängigen weißrussischen Nationaldemokraten in
einer freien demokratischen Wahl von einem ehemaligen
Kolchosvorsitzender abgelöst - trotz ausgeklügelter
Wahl-Veranstaltungen und -Hilfe von westlichen Politprofis. Lukaschenko
bekam schon damals einen für eine Demokratie ungeheuren Prozent an
Wählerstimmen.  Unter seiner Führung ging  Weißrussland dann den
sogenannten "dritten Weg" - ein kapitalistischer Sozialismus mit starkem
Staat und kooperativen Elementen. Sowjetmacht minus Kommunistische
Partei plus kapitalistische Lohnaufteilung minus freie Presse plus
Aktienmarkt - der Traum der gescheiterten Sowjetunion wurde auf einer
kleinen Fläche zur Realität. Alles war erlaubt und zugleich verboten.
Die Eigeninitiative wurde gefördert, aber auch bestraft. Man handelte
nach Gefühl. Lukaschenko, der von vielen Weißrussen halb zärtlich halb
ironisch "Papulchen" genannt wird (kleiner Papa), sorgte dafür, das Arm
und Reich die gleiche Zimmertemperatur haben und in die gleiche
Kartoffel beißen. Diese Zimmertemperatur lag in manchen Jahren bei 12
Grad. Dafür erwärmte die Leute das Gefühl, das ihr Nachbar es auch nicht
besser hat, selbst wenn er fünf Mal mehr verdient. Lukaschenko handelt
pragmatisch, sein Credo lautet "Ein Volk - ein Schicksal - eine
Meinung". Mit der nationalen weißrussischen Sprache machte er gleich zu
Beginn seiner Karriere als Präsident kurzen Prozeß. "Liebe Brüder und
Schwestern", sagte er in einer Fernsehansprache an sein Volk. "Mir sind
zwei große Sprachen auf der Welt bekannt: Russisch und Amerikanisch.
Macht euch nichts vor, wählt eine aus."  Es wird in Weißrussland
folgendermaßen regiert: Das weißrussische Parlament produziert im
Auftrag der Regierung eine Menge von Gesetzen, beschäftigt sich aber
nicht mit der realen Politik. Die Macht hat der Präsident und seine
Administration, die hierarchisch wie eine Partei aufgebaut ist. Die
einzige Ideologie, das Programm dieser Partei, ist jedoch nur die Treue
zum Präsidenten, der gleichzeitig ihr Arbeitgeber und Staatsoberhaupt in
einer Person ist. Offiziell ist Lukaschenko parteilos. Große
Volksparteien wie im Westen, die für das gleiche Programm mit
unterschiedlichen Krawatten werben, werden in Weißrußland nicht
geschaffen, um die Bürokraten nicht unnötig zu vermehren. Das wichtigste
Instrument der weissrussischen Politik ist die Volksversammlung. Diese
Versammlung findet einmal in fünf Jahren statt. Der Präsident muß dort
für seine Politik Rede und Antwort halten, ein neues Fünfjahresplan muß
vorgestellt, ausdiskutiert und verabschiedet werden. In die Versammlung
werden in der Regel die Kolchosvorsitzenden, die Betriebsleitung und die
Fabrikdirektoren gewählt, mit einem Wort alle, die Aktien der
"Weißrussland AG" besitzen. Jeder Clan, jede Vereinigung schickt
jemanden nach Minsk. Fast drei tausend Delegierte - aus einem Land mit
Acht Millionen Einwohnern, das ist sehr viel. Auf diese Weise
kommuniziert Lukaschenko, als Chefmanager mit seinen Aktionären, "Ihr
seid die Elite der Nation, ihr habt unseres Land nach vorne gebracht"
schmeichelt er ihnen.  Bei der letzten Versammlung vor einem Monat ging
es wieder sehr pragmatisch zu. Das Land soll nicht nur produzieren,
sondern auch eigene Vertriebsnetze aufbauen, weisrussische Firmen wollen
ihre Exportprodukte selbst im Ausland anbieten. Innenpolitisch setzte
Lukaschenko die Prioritäten in der Familienpolitik. Die demographische
Situation soll dringend verbessert werden, jede Familie mit drei Kindern
bekommt eine kostenlose Wohnung vom Staat. An zweiter Stelle steht die
energetische Unabhängigkeit des Landes.  Lukaschenko gehört zu jenen
Menschen in Weißrussland, die vor fünfzehn Jahren die westliche Braut
von der falschen Seite kennenlernten und noch immer unter Schock stehen.
Deswegen mißtrauen sie allem, was aus dem Westen kommt, sie glauben, der
Westen bringt dem Land nur Armut und Not. In jeder Opposition wittert
Lukaschenko Verrat gegen sein Land, von dem er sich nicht trennen kann.
Trotzdem hat er bei der letzten Wahl angeblich seine eigene Stimme dem
prowestlichen Kandidaten der Opposition gegeben, "damit er sich nicht
alleingelassen fühlt". Lukaschenko bekam 82 %, der Konkurrent 6%, was
nicht einmal schlecht ist, für einen Politiker, von dem noch vor acht
Wochen noch niemand wußte, das es ihn überhaupt gibt.
 

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