vonHelmut Höge 18.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Früher haben wir gelegentlich taz-Ausgaben nach Ostberlin geschmuggelt. Sie waren dort sehr begehrt  und die taz sehr beliebt. Das hat sie nach der Wende leider komplett vermasselt – vor allem mit ihrer Anti-Stasi-Hatz.  Ich habe daneben ein paar Mal Haschisch von Amsterdam nach Berlin geschmuggelt. Beim letzten Mal  verstaute ich meine  paar Gramm in der  Zugtoilette  mithilfe eines Schraubenziehers kunstvoll hinter der Wandverkleidung,  aber zu meiner Enttäuschung kam dann gar keine Kontrolle – ja, es gab nicht einmal mehr eine Grenzstation: der Zug fuhr einfach durch. Mein Haschischtransport war also kein Schmuggel mehr.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens vermehren sich ansonsten jedoch die Grenzen – und damit die Schmuggler. Man könnte auch sagen: Mit zunehmendem Bürgerkrieg nehmen die Grenzen und ihre Kontrollen zu. Das geht bis hin zu mobilen Milizkommandos, die plötzlich irgendwo Schlagbäume aufstellen oder sonstwie den Verkehr kontrollieren. In der Regel geht es ihnen um Geld/Zoll bzw. Waren – statt Steuern/Staatsgehalt. Die Personenkontrollen sind ihre Landwirtschaft. Wo sie nebenbei auch noch die seßhafte Bevölkerung drumherum ausplündern, ist diese gezwungen, vom Produktions- in den Informationssektor überzuwechseln. Dabei nutzt sie ihre Ortskenntnis aus – und bringt z.B. Menschen oder Waren, meist im Dunkeln, über die Grenze, die auch ein Fluß oder ein Meer sein kann.

In Indonesien wird dieses Geschäft u.a. von „Seezigeunern“ (Sea-Gypsies) betrieben, die man seit einigen Jahren mit den Resten der NVA-Flotte jagt. In Südostasien wird daneben in immer mehr Staaten Schmuggel von oben betrieben, wobei es den Militärs dann nur noch um die Verteidigung ihrer Monopolstellung geht – bei der Schmuggelbekämpfung.  Den polnischen Schriftsteller Jerzy Stempowski kann man als Schmuggel-Experten von unten bezeichnen. Er gilt als der Erfinder des polnischen Essays – eine Verbindung von Adelsgeplauder und humanistischer Aufklärung. Eine kleine Sammlung veröffentlichte 1998 der Hamburger Rospo-Verlag unter dem Titel „Bibliothek der Schmuggler“.

Stempowski wuchs auf einem Gutshof am Dnjestr auf, wo es heute noch bzw. schon wieder viele Grenzen und somit Schmuggler gibt. Er emigrierte dann von Krakau in die Schweiz und unternahm auch nach 1945 immer wieder lange Wanderungen, bei denen er auf Schmuggler angewiesen war. Daneben machte er sich aber auch ganz grundsätzliche Schmuggelgedanken. Denn zwischen seiner Geburt 1894 und seinem Tod 1969 veränderten sich die Grenzen in Osteuropa ständig und dazwischen zog es die Menschen in Massen mal hier hin und mal dort hin. Bis zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland vor allem von Ost nach West: ins Rheinland, nach Hamburg und Frankfurt am Main. Dann kam es wegen des Mauerbaus 1961 zu einer Beruhigung, aber ab 1990 ging es wieder los. „Der Drang nach Osten war immer eine politische Phrase“, schreibt Stempowski. 1946 bemerkt  er über die Menschen im zerbombten München: „die Scham weicht der Kameradschaft, die einzige Ware, die sich noch auf dem Markt befindet, ist das Wohlwollen der Leidensgenossen, das man nicht kaufen kann und das man sich ehrlich verdienen muß“. Für ihn beginnt damit die wahre „Umerziehung Deutschlands“. Das heißt aber auch, dass der herzensbildende Anfang mit Schwarzhandel, Schmuggel und Hehlerei anhub.

Von Frankfurt am Main aus operierte nach 1945 sogar einmal eine Schmugglerbande, die aus ehemaligen KZ-Häftlingen und SS-Soldaten bestand. Zuvor hatten die Häftlinge sich Partisanen, die gegen die Deutschen kämpften, angeschlossen gehabt und diese kooperierten nicht selten mit Schmugglerbanden. So berichtet Gino Vermicelli z.B., dass die „Autnomen Partisanen“ im norditalienischen Ossola-Tal auf die Hilfe von weiblichen Schmugglerbanden angewiesen waren, wobei der Autor sich in eine der Frauen verliebte. Sie halfen ihnen später, in die Schweiz zu entkommen. „Die kriminellen Banden und Schmuggler, die jeden Pfad und Übergang kannten, waren für uns unverzichtbar,“ schreibt Vermicelli.

In Polen verließen sich die jüdischen Partisanen lieber auf vertrauenswürdige polnische Kommunisten, aber auch auf katholische Nonnen, die ihnen mit Unterkünften, Papieren, Waffen und Lebensmitteln halfen. Hersch Mendel berichtet in seinen „Erinnerungen eines jüdischen Revolutionärs“, dass die professionellen Schlepperbanden – in Galizien z.B. – um nichts weniger ehrenwert und vertrauenswürdig waren.  Die Menschenschmuggler wurden im Jiddischen auch „Macher“ genannt. Für das meiste hatten die jüdischen Untergrundgruppen jedoch eigene – weibliche – Kuriere, weil es dabei vor allem auf einen „sicheren Auftritt“ ankam, wobei junge, hübsche Frauen es leichter bei den Kontrollen hatten als Männer.

Heute gibt es in Berlin sogar eine Schlepperbande, die Osteuropäer von West nach Ost über die Grenze bringt (für 500 Euro). Bei ihren Kunden handelt es sich meistens um Leute, die ihr Touristenvisum überzogen haben. Aus naheligenden Gründen übertreiben die Staatsorgane gerne die „Durchlässigkeit der Grenzen“: Allein im kleinen Neisse-Städtchen Gubin vermutete die Polizei jüngst noch vier Schmugglerbanden, die mit allem – von Tomaten bis Menschen – handeln würden. In Wirklichkeit wird das Schmuggeln dort jedoch wie Schwarzfahren praktiziert: d.h. jeder macht es mal und es ist eigentlich kein Thema mehr.

Im heutigen Business as Usual versucht sowieso eher die andere Seite, Militär und Staatsorgane, den Aspekt der Herzensbildung herauszustreichen – auch und erst recht bei ihren Kontrollen. So heißt es z.B. beim Zoll an der deutsch-polnischen Oder-Grenze auf einem Schild „Dieser Betriebe bildet aus. Haben Sie deswegen bitte Verständnis für längere Wartezeiten!“ Dem Kosmopolen Stempowski hätte das sicher gefallen. Weil Geldschmuggeln immer heikel ist, haben die Grenzgänger schon seit langem „lettre de change“ eingeführt, die Araber und Chinesen, die auch fliegende Banken kennen, nutzen solche auf Vertrauen basierende „Kreditbriefe“ schon seit langem. In Europa war laut Stempowski Casanova der erste Abenteurer, der sich solcher Reiseschecks bediente. Schmuggeln ist überhaupt Vertrauenssache, „es gibt keine notariellen Akte und die Geschäfte werden ad personam gemacht“. Gleichzeitig ist das Schmugglersein mit der Fähigkeit verbunden, sich immer wieder neuen Umständen anzupassen – bis zur Unauffälligkeit.

Als ich neulich in der Gegend des abgebaggerten Lausitzer Dorfes Horno spazieren ging, wurde ich alle paar Minuten von einer Mot-Patrouille des Bundesgrenzschutzes angehalten und nach dem Woher und Wohin ausgefragt – mein Paß reichte ihnen nicht: Wenn man dort zu Fuß herumläuft, kann man eigentlich nur ein illegal über die Neisse-Grenze gekommener Flüchtling sein. Auch bei den letzten Elbe- und Oder-Flutkatastrophen gab es wieder jede Menge Schmuggler. Da die überfluteten Gegenden von der Polizei gesperrt wurden, brachten sie gegen Geld Katastrophentouristen und -journalisten trockenen Fußes dort hin – notfalls mit einem Boot.

2002 erschien aus der Viadrina in Frankfurt/Oder  eine Aufsatzsammlung von Eva Horn: „Grenzverletzer – Von Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten“ (im Kulturverlag Kadmos Berlin)

Und kürzlich ein dicker Sonderband der Zeitschrift „Osteuropa“ mit dem Titel „Prostitution“, der sich – pro und contra – auch mit Menschen- bzw. Mädchenschmuglern (vulgo Frauenhändlern) befaßt.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/11/18/spiel-nicht-mit-den-schmuggel-kindern/

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