Das ebenso wunderbare wie praktische Evolutions-Nachschlagewerk von Lynn Margulis und Karlene Schwartz „Die fünf Reiche der Organismen – ein Leitfaden“ endet seltsamerweise nicht mit dem Menschen oder den Menschenaffen oder überhaupt irgendwelchen Affen, sondern mit einem Schwan. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich denke, nein.
Im Zuge der Geflügelpest-Hysterie, die nur ein kleines Aufschäumen in einer ununterbrochenen Kette von von oben inszenierten Hysterien war – nach Rinderwahnsinn, Sars, 11.9., Anthrax, Saddam-Hitler, Irak-Atombombe und Propangasflaschen-Bombern – kam es in einer Charlottenburger Parkanlage nächtens zur Tötung von drei Schwänen. Wahrscheinlich hatten zwei oder mehr junge Leute unter dem Einfluß von Alkohol sie mit Stöcken erschlagen. Sie verknüpften dabei ihre eigene Gesundheitsvorsorge mit dem Schutz des ganzen Gemeinwesens vor einer tödlichen von Vögeln übertragbaren Seuche. Sie handelten also ebenso gewissenhaft wie nachhaltig. Und das genau machte sie zu kleinen miesen faschistischen Arschlöchern!
Wenig später stieß ich beim Spazierengehen am Urbanhafen auf einen toten Schwan, keiner beachtete ihn, ich auch kaum, nur dass ich kurz kuckte, ob auch er erschlagen wurde oder ob er eines quasi natürlichen Todes gestorben war. Die verdummungsfördernde Hysterie hatte sich bereits anderen vermeintlichen „Gefahren“ für Volk und Nation zugewandt. Noch vor acht Wochen hatte ein Freund von mir, der auf dem Land lebt und Hühner hält, den halben Staatsapparat wegen dieser Scheiße mobilisiert. Ihm waren vier Hühner von einem Hund totgebissen worden. Traurig packte er sie in sein Auto, als er am nächsten Tag in die Kreisstadt fahren mußte. Unterwegs stieg ihm der Gestank der toten Hühner neben sich auf dem Boden unangenehm in die Nase und ihn packte die Wut. Kurzentschlossen hielt er an und schmiß die vier Kadaver einfach in den Straßengraben. Als er Stunden später wieder zurück fuhr, war die Stelle großräumig von der Polizei mit rotweißen Plastikbändern abgesperrt, Seuchenexperten in weißen Kitteln untersuchten den Fundort und alle Autos mußten durch Desinfektionswannen fahren – sein ganzes Dorf hatte man mittlerweile unter Quarantäne gestellt. Mein Freund lachte sich schief. Jahre, ach jahrzehntelang hatte er versucht, alles mögliche „anzuschieben“ – betrieblich, sozial, ökologisch, politisch, die Begrünung seines Mietshauses in der Stadt, die Einrichtung eines Spielplatzes usw.. Aber nie hatte er dabei die Behörden derart schnell und so massiv mobilisieren können – wie mit dieser kleinen, fast unabsichtlichen Wegwerfaktion. Biopolitik von oben und von unten. Daran mußte ich denken, als ich noch auf den verschmutzten Schwanleichnam am Urbanhafen starrte. Vom Ufer kam derweil langsam ein lebender Schwan angewatschelt, als er ungefähr zwei Meter von mir entfernt war, fauchte er. Ich sollte wahrscheinlich dem toten nicht zu nahe kommen – also ging ich weiter.
Früher hatte ich Angst vor Schwänen gehabt, das hatte meine Mutter mir eingeflößt, die als BDM-Mädel auf einem Bauernhof eingesetzt worden war, wo sie ständig von einem Ganter verfolgt und gebissen wurde. Das hatte ihr großen Respekt vor allen Gänsevögeln eingeflößt. Und deswegen durfte ich später z.B. nie Schwäne füttern, erst gegen Ende der Sechzigerjahre, als sowieso alles etwas durcheinander geriet, gelang es es mir, meine gewissermaßen vererbte Gänsevögelangst verhaltenstherapeutisch anzugehen, ja mehr noch: aus einer Phobie eine Philie zu machen. Und das kam so:
1967 eröffnete der indische Großtierhändler George Munro in Bremen einen Zoo, der gleichzeitig eine große Handelsstation war, daneben besaß er noch eine kleinere in Kalkutta. Ich fing als Übersetzer bei ihm an – für seine Frau, die Büroleiterin war und nur englisch und hindi sprach. Da die beiden jedoch nicht genug Tierpfleger hatten, war ich die meiste Zeit mehr draußen als drinnen beschäftigt. Das fing schon morgens an: Als erstes hatte ich vier kleine Kragenbären in ihr Freigehege zu tragen – jeweils zwei auf einmal, die ich am Kragen gepackt von mir weghielt, weil sie währenddessen versuchten, mich herzhaft in die Hand zu beißen.
Dann kamen zwei halbwüchsige Orang-Utans dran, die ich mit dem Schlauchboot auf eine kleine Affeninsel in einem See zu bringen hatte. Auf dem Weg dorthin nahm ich sie an die Hand, sie bissen mir dafür ständig in den Fuß oder ins Bein. Auf der Insel mußte ich erst einmal die Tür eines kleines Häuschens aufsperren, damit sie bei Regen darin Schutz suchen konnten. Einmal sprangen mir währenddessen die beiden Orangs wieder zurück ins Schlauchboot – und ich befand mich allein auf der Insel, während die Affen über den See trieben und sich halb totlachten: Vor Freude hüpften sie auf die Wülste des Schlauchboots und kreischten. Zum Glück kam gerade Buddha, der kleine Sohn der Munros, vorbei. Er krempelte sich eilig die Hose hoch, stieg ins kalte Wasser und bekam nach kurzer Zeit das Schlauchboot zu fassen.
Auch seine Schwester, Jenny, half mir gelegentlich – nach der Schule. Sie war mit allen möglichen Tieren groß geworden und kannte sich gut mit ihnen aus, während ich mit vielen zum ersten Mal zu tun hatte. So flößten mir z.B. in den Volieren zunächst die riesigen Schnäbel der Doppelnashornvögel den allergrößten Respekt ein: Sie saßen auf Ästen und man mußte gebückt unter ihnen durchgehen, um einen Eimer voll Obstsalat in ihren Näpfe zu verteilen: Was, wenn sie einem dabei in den Kopf hackten? Jenny zeigte mir, wie harmlos sie waren und wie vorsichtig sie ihre Schnäbel einsetzten – man konnte sie mit der Hand füttern. Ähnliches galt für die Flughunde, die trotz ihrer scharfen Zähnen ebenfalls kindlich-freundliche Obstesser waren.
Schwieriger war es mit dem Einfangen von Tieren, was regelmäßig vorkam, da es sich bei dem Zoo um eine Handelsstation handelte. Auch hierbei half mit Jenny oft – wir freundeten uns immer mehr an. Am Schönsten war es, wenn wir uns beim Zubereiten von mehreren Eimern Obstsalat in der Küche hinter den Volieren heimlich küssten. Am Unangenehmsten war es dagegen, Kraniche oder Reiher einfangen zu müssen: Sie wehrten sich mit ihren langen spitzen Schnäbeln sowie mit ihren Flügeln und den scharfen Sporen am Bein – und auf all diese fünf Waffen zugleich konnte man unmöglich achten. Mehr als einmal gelang es diesen Vögeln, mich zu verletzen, mindestens mir die Hosenbeine aufzuschlitzen.
Einmal sollte ich elf Schwäne, die vorübergehend im leeren Freigehege für Geparden untergebracht worden waren, einfangen und umsetzen. Dieser Auftrag machte mich vollends ratlos. Die elf Schwäne schwammen im Wassergraben des Geheges: Mit dem Schlauchboot trieb ich sie erst einmal an Land und dann in einer Ecke des Geheges zusammen. Weil ich mich nicht traute, mir einfach blitzschnell einen zu packen, gelang es den Tieren immer wieder, zurück in den Wassergraben zu flüchten, von wo aus ich sie dann wieder an Land und in eine Ecke des Geheges scheuchte…Hin und her – bis der Sohn des Chefs, Buddha, kam und mir half: Wir drängten sie zu zweit erneut in eine Ecke des Geheges – und Buddha schmiß sich einfach auf den erstbesten Schwan, packte ihn, nahm ihn hoch und trug ihn in das gerade fertiggestellte neue Gehege für Teichvögel, wo er den Schwan einfach ins Wasser gleiten ließ. Es sah ganz einfach aus. Ich ließ mir das auch nicht zwei mal zeigen – und tat es ihm nach. Sogleich gelang es mir, einen Schwan zu umfassen, so daß er nicht mehr mit seinen Flügeln um sich schlagen konnte, seine kurzen Beinchen hielt er von selber still und seinen Schnabel hielt ich mit einer Hand fest. Die andere Hand presste ich an seinen Bauch.
Nach ein paar Schritten merkte ich, wie weich dort die Federn waren und wie schön es sich anfasste. Ich ließ seinen Schnabel los und griff mit meiner anderen Hand an seine Brust – die war sogar noch weicher. Und weder versuchte der Schwan mir mit seinem Schnabel ins Gesicht zu hacken, noch fing er an zu schreien, im Gegenteil: er kuschelte seinen Kopf leicht an meinen Körper und fiepte nur leise. Ich streichelte ihm den Hals und ging glücklich zum neuen Teich der Wasservögel, wo ich ihn am Rand ins Gras setzte. Mit einem Satz und einem kleinen Schrei sprang er ins Wasser, um sich schnell in der Mitte des Sees in Sicherheit zu bringen. Ich ging zurück, um den nächsten Schwan zu holen. Alle reagierten ähnlich friedfertig, wenn wir sie erst einmal fast umfaßt hielten.
Leider war Buddha so schnell, dass wir schon bald zehn Schwäne gefangen hatten, den letzten, elften, schnappte ich mir – trug ihn aber nicht gleich in sein neues Freigehege, sondern ging mit ihm auf dem Arm noch eine Weile spazieren: Er war nicht schwer und fühlte sich ebenfalls wunderbar an, außerdem roch er gut. Tagelang hätte ich so mit ihm herumlaufen mögen. Seitdem sehe ich Bilder wie „Leda mit dem Schwan“ oder das Ballett Schwanensee, aber auch Lynn Margulis‘ Schwan am Ende der Chain of Being – als quasi der Weisheit letzter Schluß – mit anderen Augen.
Hallo Herr Höge, habe mit Interesse den Artikel gelesen über den Tierpark in Oberneuland. War selber dort 1966 im Büro angestellt und habe genau wie sie nebenbei die Tiere zusammen mit den Tierpflegern versorgt. Habe damals auch miterlebt, daß ein Pfau dem Pfleger Peter Buttler von hinten auf den Kopf flog und ihm die Kopfhaut zerkratzte.
Abends bekam er starke Kopfschmerzen und somit fuhr ich ihn ins große Krankenhaus in Bremen, wo ihn die Ärzte kostenlos behandelten, weil die Pfleger damals alle illegal beschäftigt waren und somit auch nicht versichert. Dies ist eine kleine Geschichte, die ich erlebt habe. Es war eine wunderschöne Zeit in dem Tierpark und ich möchte sie auch nicht missen. Herzliche Grüße Anne Reinking