Im böhmischen Mittelgebirge kämpft eine Bürgerinitiative gegen den Bau einer EU-Autobahn
Das böhmische Mittelgebirge (Ceske Stredohori) war erst keltisch, dann markomannisch und schließlich tschechisch, bis es von (Sudeten-)Deutschen herrschaftlich dominiert wurde, die dann jedoch, ab 1945, fast alle „heim ins Reich“ vertrieben wurden. Zuvor hatten die Deutschen dort die KuK-Garnison Theresienstadt zu einem jüdischen Ghetto und die vorgelagerte Kleine Festung in ein KZ umgewandelt. Heute ist Terezin eine Museumsstadt mit mehreren Gedenkstätten, wo Ausstellungen und Symposien über den Nationalsozialismus und die Judenvernichtung stattfinden.
Das böhmische Mittelgebirge, das sich von Usti nad Labem (Aussig) bis Ceska Lipa (Böhmisch Linde) erstreckt, gleicht einer Ebene, auf der sich etwa 100 erloschene Kegelvulkane, bis zu 850 Meter hoch, erheben. Eine ähnliche Landschaft gibt es sonst nur noch in Japan. Sie ist sehr fruchtbar: Es wird dort u.a. Obst und Gemüse angebaut. Die Gegend um Litomerice und dem nahen Terezin nennt man deswegen auch „Böhmens Garten“. Die barocken Kleinstädte und Dörfer sind zum großen Teil gut erhalten – und ihre Ortskerne seit der „samtenen Revolution“ teilweise wie mit Kamelhaarpinseln renoviert, außerdem haben sich dort amerikanische Banken (vor allem General Electric) und westdeutsche Supermärkte (Lidl und Kaufland) breit gemacht. Auf vielen Kegelbergen befinden sich „romantisch verfallene“ Burgen oder gar Schlösser, von denen einige zu Kurhotels, Seniorenheime und Restaurants umgebaut wurden, andere stehen zum Verkauf.
Vom Tafelberg Rip aus soll einst der Urvater Cech mit seiner Sippe beschlossen haben: „Hier bleiben wir!“ Und so begann vom böhmischen Mittelgebirge aus die tschechische Siedlungsgeschichte. Später haben sich auch Goethe und Alexander von Humboldt für diese Landschaft begeistert, das so genannte „Humboldt-Plateau“ am Buchberg erinnert noch daran. Die tschechische Gründungssage wurde von etlichen Dichtern, u.a. von Jaroslav Seifert, bearbeitet. Und es kamen viele die Gartenarbeit liebende tschechische Künstler und Intellektuelle, die ihre Datschen im böhmischen Mittelgebirge errichteten bzw. in leerstehende Bauernhäuser zogen. Dadurch bewahrten sie die Dörfer vor dem Aussterben.
Einige Kegelberge des Mittelgebirges weisen eine Besonderheit auf: In ihren Hohlräumen und Kavernen speichern sie sommers die warme Luft und geben sie im Winter nach oben hin ab, so daß sich dort nie Eis und Schnee hält. Auf einigen Bergen hat sich deswegen oben Lebermoos (Targionia hypophylla) angesiedelt, das nur im Winter wächst. Im Sommer, wenn die Berge kalte Luft oben ausströmen, verdorrt es. Das böhmische Mittelgebirge ist schon seit langem Naturschutzgebiet und die mit Lebermoos bewachsenen Berge sind seit 1951 Naturdenkmäler.
Die in diese Gegend gezogenen Städter haben nicht nur alte Höfe und Wirtschaftsgebäude restauriert, sondern kümmern sich auch um Naturschutzbelange – sie pflanzten z.B. in Eigenregie Alleen und renaturierten Dorfteiche. Neuerdings sind sie in einer Bürgerinitiative namens „Kinder der Erde“ organisiert, die gegen den Bau einer Autobahn kämpft. Es handelt sich dabei um die E55 zwischen Hamburg und Istanbul, deren tschechischer Abschnitt, die D8, durch das böhmische Mittelgebirge geführt werden soll. Die Planung dafür wurde bereits 1968 erstellt. Als man sie vor einigen Jahren wieder hervorholte, weil Deutschland und die EU für die Realisierung großzügige Subventionen versprachen, lehnte der tschechische Umweltminister die Streckenführung zunächst ab, woraufhin der Ministerpräsident ihm den Rücktritt nahelegte. Weil der Umweltminister aber seinen Job behalten wollte, stimmte er der Autobahnplanung schließlich doch zu.
Die 1994 gegründete Bürgerinitiative der Intellektuellen wird von den Alteingesessenen nur zögernd unterstützt: „Die Protestunterschrift einer Oma ist mir lieber als die von zehn Städtern,“ meint z.B. der Bürgermeister des kleinen Dorfes Borec, wo u.a. ein Italiener, der in den Fünfzigerjahren vor der Mafia flüchtete, ein Engländer, der Londonder Busse sammelt, ein junger Psychiater aus Prag und der bekannte Botaniker Doktor Faustus leben. Der Protest der Naturschützer und -liebhaber weitete sich trotz der Zurückhaltung der einheimischen Dorfbevölkerung langsam aus. Die Bürgerinitiative (siehe: www.tunelkubacka.cz) möchte zum einen die Autobahntrasse aus dem Mittelgebirge raus durch das Braunkohletagebaugebiet von Most führen und fordert zum anderen zwischen den Orten Dobkovicky und Radejcin den Bau eines 3,35 Kilometer langen Tunnels.
Zwar hat der Investor bereits grünes Licht aus Prag für den oberirdischen Autobahnbau bekommen, gleichzeitig haben aber der Ombudsmann im Amt für Bürgerrechtsschutz und einige andere Kontrollbehörden Bedenken dagegen angemeldet. Ihre Berichte stehen inzwischen im Internet. Unterstützung findet die Bürgerinitiative darüberhinaus bei der Architekturfakultät der Technischen Universität (CVUT) von Prag, die sich in einem Gutachten ebenfalls für den Tunnelbau ausspricht. Daneben haben sechs von einer oberirdischen Trassenführung betroffene Anwohner Klagen gegen den Autobahnverlauf eingereicht, was erst einmal eine aufschiebende Wirkung beim Bauvorhaben hat. Die Bürgerinitiative verspricht jedoch, wenn die Bezirksregierung von Usti nad Labem sich für den Bau des Tunnels entscheidet, werde sie ihre Klagen zurücknehmen.
Der Tunnel hätte ihrer Meinung nach zudem folgende Vorteile: Die Strecke würde sich um 640 Meter verkürzen; sie hätte keine Steigungen oder Gefälle; den Dörfern Prackovice und Litochovice bliebe der Autolärm erspart; die Touristen würden die Nichtverschandelung der Landschaft honorieren; es käme zu keinen Verkehrsunfällen mit Wild und Vögeln; und der Berg müßte nicht gegen Erdrutsche abgesichert werden.
Tschechien erlebte nach 1989 durch die Verschleuderung des Volkseigentums an ausländische Investoren bzw. Konzerne zunächst einen scheinbaren Wirtschaftsboom. Inzwischen stagniert die ökonomische Entwicklung jedoch und es droht auch hier die Abwanderung ganzer Industriezweige – in weiter östlich gelegene Länder, wo die Löhne noch niedriger sind. Da den markt- und privatwirtschaftlich orientierten Politikern jedoch bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze die Hände gebunden sind, können sie fast nur noch durch große Bauvorhaben wie Behördenunterkünfte, Autobahnen, Flughäfen etc. regionale Wirtschaftskonjunkturen induzieren bzw. simulieren.
Insofern kommt dem „Streit“ um die Streckenführung der D8 durch das böhmische Mittelgebirge eine wichtige Bedeutung zu, die weit über Tschechien hinausreicht. Schon haben ähnliche Bürgerinitiativen in Sachsen, wo im Zuge des E55-Baus bereits eine Umgehungsstrecke für Dresden fertiggestellt wurde, mit der böhmischen BI Kontakt aufgenommen. Gerade in den von besonders hoher Arbeitslosigkeit betroffenen ostdeutschen Ländern lassen sich die Politiker immer gewagtere und größere Bauvorhaben einfallen, wobei nicht nur zigtausende von Hektar Ackerland oder Wald versiegelt werden, sondern ganze Dörfer verschwinden müssen.
Bislang kam es hier zu solchen Flächenenteignungen nur, wenn Belange der Landesverteidigung, der nationalen Rohstoff- bzw. Energieversorgung und des Infrastrukturausbaus (Straßen, Brücken, Kanäle etc.) tangiert waren. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit sind die Gerichte jedoch zunehmend bereit, auch aus ganz anderen, niederen Gründen Enteignungen zuzulassen, wenn die Bauherren nur vollmundig genug versprechen, dort viele neue Arbeitsplätze zu schaffen bzw. bereits vorhandene mit ihren Bauvorhaben langfristig zu sichern.
So sollen z.B. die von Experten so genannten „Nonsens-Airporte“ in Hof/Plauen und Kassel-Calden nun gigantisch ausgebaut werden, letzterer für 151 Mio Euro. Die brandenburgischen Großprojekte Cargolifter und Lausitz-Ring erwiesen sich bereits als Fehlplanungen, ähnlich wie hunderte von überdimensionierten Kläranlagen und Gewerbeparks auf dem Land und die neue Chipfabrik in Frankfurt/Oder sowie das Space-Center in Bremen, das schon kurz nach der Einweihung Konkurs anmelden mußte. Bei all diesen Pleiteprojekten ging es primär um vom Staat forcierte und großzügig geförderte Arbeitsplatz-Schaffungsmaßnahmen. Auch beim Autobahnbau im böhmischen Mittelgebirge meinen viele Experten, dass er gänzlich überflüssig sei, weil der Gütertransport ebenso gut und wie bisher – mit Schiffen auf der Elbe und auf Schienen – erfolgen könnte.
Desungeachtet eröffnete der Verkehrsminister Manfred Stolpe im Sommer 2005 ein weiteres Teilstück der Autobahn 17 zwischen Dresden und Prag. Die gesamte Strecke soll bis 2007 fertig sein. Ähnliche Konflikte wie auf dem Abschnitt, der durchs Böhmische Mittelgebirge führt, gibt es seit einiger Zeit auch beim Bau einer neuen Autobahn im „Böhmischen Paradies“ (Cesky ráj).
Diese „Felsenstadt“ liegt auf halbem Wege zwischen Prag und Zittau. Dort soll nun eine Autobahn Liberec mit Hradec Králové verbinden. Um die einzigartige Felsenlandschaft zu retten, haben sich dort Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen zu einem Kampfbündnis „SOS Böhmisches Paradies“ zusammengeschlossen. Gleichzeitig beantragte die Region Cesky ráj bei der Unesco, dass ihre „Felsenstadt“ als Naturdenkmal anerkannt wird. Derzeit sind drei Streckenvarianten im Gespräch: So ließe sich die bestehende R 35 vorsichtig ausbauen. Die EU hingegen favorisiert zwei andere Lösungen – eine „Südvariante“ um das Böhmische Paradies herum, für die sich auch die Gemeinden und Umweltschutzorganisationen aussprechen. Im Gespräch ist zudem ein „Nordkorridor“, der allerdings das Böhmische Paradies „berühren“ würde.
Die im 13.Jahrh. von den
böhmischen Königen ins Land gerufenen Bauern aus ganz Europa-mitnichten „deutsche Siedler,schon garnicht „sudetendeutsche Siedler “ schufen genau diese wunderbare Landschaft indem sie Wälder rodeten und Sümpfe trockenlegten und durch ihre Arbeit den Wohlstand der böhmischen Herrscher mehrten. Von der TAZ sollte man sorgfältiger recherchierte Artikel erwarten können-mein Probe-Abo wird mit Sicherheit nicht verlängert –