In der taz gab es gerade eine kleine Auseinandersetzung in bezug auf die letzten Nachrichten aus Somalia bzw. Mogadischu – nämlich darüber, ob es nun „international anerkannte Regierung“ heißen darf oder ob nur Staaten anerkannt sein können/dürfen…In einem Kommentar von Dominic Johnson hieß es nämlich: “ Wenn die international anerkannte ‚Übergangsregierung‘ jetzt die Klugheit besäße, sich in Mogadischu nicht als Sieger aufzuführen, könnte diese Chance vielleicht genutzt werden…“ usw.
Statt über diese Wortklauberei jetzt allen Ernstes nachzudenken, empfehle ich, sich noch einmal die Situation in Mogadischu zu vergegenwärtigen – bevor die von der Übergangsregierung verscheuchten Islamofaschisten dort die nicht minder schrecklichen Warlords verdrängten:
Die im Anschluß an die Oktoberrevolution entstandene sowjetische Bürgerkriegsliteratur gehört zu der großartigsten, die es überhaupt gibt. Man vergißt darüber fast das Schreckliche daran. Dabei heißt einer der berühmtesten und modernsten Bürgerkriegsromane – von Artjom Wesjoly: „Russland in Blut gewaschen“. Der athenische Reformer Solon machte es einst im Bürgerkriegs für jeden zur Pflicht, sich einer der bekämpfenden Parteien anzuschließen. Später kritisierte er zwar dieses sein eigenes Gesetz, aber tatsächlich macht es gerade die Dynamik eines Bürgerkriegs aus, dass sich ihm so gut wie niemand entziehen kann, nicht einmal die ins Ausland geflüchteten. Dies legen jetzt noch einmal die Bücher des somalischen Schriftstellers Nuruddin Farah nahe: Zuletzt erschien auf Deutsch von ihm ein Band Gespräche mit Exilierten: „Yesterday, Tomorrow“ und nun der Roman „Links“, in dem es um einen Rückkehrer nach Mogadischu geht, der Hauptstadt, die noch immer geteilt ist in zwei Einflußspähren von Warlords. Sie rekrutieren ihre Truppen unter den arbeitslosen Nomaden im Süden. Diese werden als Bodyguards an ausländische Delegationen vermietet. Daneben kassieren sie Schmier- und Schutzgelder von ausländischen Firmen, die in Somalia Geschäfte machen. Auch die Einheimischen müssen zahlen: Mautgebühren für die Straßenbenutzung und Zölle für alle Waren, die sie an den Kontrollposten der Warlords vorbeischleusen. Die Truppen der Warlords agieren halbautonom, es sind zumeist Jugendliche, die mitunter aus reinem Vergnügen irgendwelche Passanten oder Kinder erschießen. Die Warlords sichern sich ihre Loyalität, indem sie sie mit Munition und billigen Drogen versorgen.Der Rückkehrer sucht seine alten Freunde auf, sie diskutieren darüber, was der Bürgerkrieg bewirkt hat, auch in ihnen. Da es sich um gebildete Somalier handelt, sehen sie den Konflikt als einer zwischen dem modernen „Ich“ und dem traditionellen „Wir“, das nach den Kämpfen als Clanverbundenheit neu erfunden wurde. In den Industrieländern würde man es genau andersherum sehen, d.h. das „Ich“ als blutsverwandtschaftlich gebundenes Warenanhängsel, das „Wir“ dagegen als freie wahlverwandtschaftliche Assoziation.
Somalia wird schon seit langem kolonialisiert: Erst kamen die Araber, dann die Italiener, die Russen und schließlich die Amerikaner. 1992 auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs wurde der Diktator Siad Barre vertrieben, woraufhin der Staat im Krieg zwischen verschiedenen „Kriegsherren“ (als „Kräfte des freien Marktes“) unterging. Die wirkliche Zerstörung des Landes bewirkten jedoch die neoliberalen Erpressungsaktionen von IWF und Weltbank: Bis in die 70er-Jahre hinein war Somalia eine ländliche Tauschwirtschaft von Hirtennomaden und Kleinbauern. Aber dann wurde die Viehhaltung kommerzialisiert und Brunnen sowie Weideland privatisiert. Die Hirtennomaden sollten verschwinden – sie verarmten; auf dem besten Land wurden Agrarprodukte für den Export angebaut, dem Staat wurde ein strenges Sparprogramm auferlegt. Er mußte jedoch immer mehr Getreide importieren, der auf den Märkten billig verkauft wurde, was die lokalen Erzeuger verdrängte und die Ernährungsgewohnheiten veränderte. Bald schwand auch die Kaufkraft der Stadtbevölkerung und die Infrastruktur brach zusammen. Gesundheits- und Erziehungsprogramme wurden eingestellt. Zugleich strömten weitere Nahrungsmittel-„Hilfen“ ins Land. Diesen ökonomischen Hintergrund des Bürgerkriegs diskutieren Farahs „Helden“ nicht, dafür gehen sie seinen Folgen bis in ihre Sprache nach. Einmal besuchen einige „selbsternannte Clanführer“ den reichen Rückkehrer und bitten ihn um Geld, damit ihre einzigen beiden Kampfwagen (Pick-Ups mit aufmontierten MGs und Granatwerfern) repariert werden können. Nur mit diesen können sie ihren „rechtmäßigen Platz unter den Subclans behaupten,“ meinen sie. Der Rückkehrer gibt ihnen kein Geld – und verweigert sich damit seiner Zuordnung zu einer der Bürgerkriegslager („Die Hölle, das sind die Verwandten“) – was ihm den Aufenthalt in und zwischen den Ruinen Mogadischus nicht angenehmer macht. Am Ende gelingt es ihm dennoch, da heil wieder raus zu kommen und das Land zu verlassen, allerdings noch „ehe sich der Nebel in seinem Geist gelichtet hatte“. Will der im Exil lebende Dichter uns damit sagen, dass er den somalischen Bürgerkrieg noch immer nicht richtig versteht und deswegen weiter am Thema dran bleibt?