vonHelmut Höge 04.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Matthias Stührwoldt  ist Biobauer in Schleswig-Holstein und Kolumnist der Zeitschrift „unabhängige  Bauernstimme“. Als vor einigen Jahren sein erster Erzählband „Verliebt Trecker fahrn“ veröffentlicht wurde, bestritten wir zusammen eine Lese- und Diskussions-Veranstaltung auf der Grünen Woche – in der Halle von Frau Künast, die organisatorisch von Ulli Frohnmeyer betreut wurde. Ich las damals ein paar „Agronauten“-Kolumnen vor. Als nächstes planen wir eine weitere im taz-café – und sind darüber bereits mit der Organisatorin Aliki Koutras im Gespräch.
Nach Lektüre seiner Texte aus den letzten Jahren habe ich zwei Gewißheiten gewonnen: 1. müssen seine arrondierten Flächen nahe an eine Autobahn grenzen, denn immer mal wieder läuft ihm ein Rind weg und droht dort überfahren zu werden  oder umgekehrt – droht von da ein Auto auszubrechen und sich auf seinem Land fest zu fahren. 2. scheinen ihm die besten Ideen auf seinem Trecker zu kommen – und er sitzt viel auf dem Trecker, denn mehrmals ist es mir schon passiert, dass ich bei ihm zu Hause angerufen habe und eines seiner Kinder mir sagte: „Papa ist draußen!“ – was so viel heißt wie: „Auf dem Trecker“. Leider weiß ich nicht, ob er schon immer einen Fendt-Traktor fuhr (den Mercedes unter den Traktoren) – vielleicht kann er sich dazu hier demnächst selbst äußern, ich hänge hier schon mal eine kleine allgemeine Treckerrecherche von mir hinten ran. Nun aber erst einmal die letzte Kolumne von Matthias Stührwoldt.  Sie heißt „Die Weihnachtsfrau“:

Schon wieder war Heiligabend. Und ich hatte ein Problem. Ich hatte der Liebsten versprochen, mich um einen Weihnachtsmann für die Bescherung zu kümmern. Aber die Zeit war wie im Flug vergangen; jetzt war Heiligabend; es war noch eine Stunde bis zur geplanten Bescherungszeremonie mit Weihnachtsliedern und Gedichten und aufgeregten Kindern und dem ganzen Brimborium, und ich hatte noch nicht einmal jemanden gefragt.

Vor einigen Jahren noch hatten wir einen regelmäßigen Weihnachtsmannaustausch mit einer befreundeten Familie. Machst du meine Bescherung, dann mach ich deine. Dieses Arrangement hatte allerdings keinen Bestand mehr, nachdem der Weihnachtsmann dort sich bei seinem letzten Auftritt beschwert hatte, dass fünf übervolle Säcke bei zwei popeligen Gören ja wohl der totale Konsumoverkill seien und dass sein Rücken so weh tue und hoffentlich sei das nun nicht der lang befürchtete Bandscheibenvorfall. Auf die Frage eines sehr eifrigen Kindes, ob er denn noch ein Gedicht hören wolle, hatte er nur geantwortet: „Ach, halt doch die Klappe!“ Und er hatte die Säcke stehen lassen und war gegangen.

Keine Chance also, auf die alte Regelung zurückzugreifen. Vor zwei Jahren dann hatte ich es selbst gemacht. Unsere drei großen Kinder waren eingeweiht. Die Show war nur für Carla und Jon, damals sechs und drei Jahre alt. Kurz, bevor wir den Weihnachtsmann erwarteten, musste ich dringend in den Stall. Draußen warf ich mir schnell mein Kostüm über und klopfte an die Tür. Carla öffnete und rannte vor mir her in das schummrig beleuchtete Wohnzimmer. Mit verstellter Stimme sagte ich meine Sprüche auf. Mittendrin schlich sich Carla zu Birte und rief: „Irgendwie erinnert der Weihnachtsmann mich total an Papa! Die Stimme! Und guck mal, die schiefen großen Füße!“ Vor Lachen biss ich in den Plastikbart, aber irgendwie brachte ich meinen Auftritt in Würde zuende und verabschiedete mich. Als ich wenig später wieder aus dem Stall, wo angeblich plötzlich eine Kuh gekalbt hatte, ins Haus kam, lief Carla mir schon entgegen und rief: „Papa, der Weihnachtsmann ist schon wieder weg! Der hatte ganz viel Ähnlichkeit mit dir! Ich soll dich schön grüßen!!“ „Echt? Danke!“, sagte ich und freute mich. Das war noch mal gut gegangen.

Beim letzten Mal dann hatte es nur eine Bescherung light gegeben. Wieder hatte ich kurz in den Stall gemusst, welch seltsamer Zufall, und in der Zeit hatte der Weihnachtsmann geklopft, den Sack vor die Tür gestellt und im Weglaufen den enttäuschten Kindern an der Tür zugerufen: „Hoho, ich muss ganz schnell los! Meine Rentiere haben Dünnsch…äh Durchfall und ich muss alle Geschenke zu Fuß verteilen! Sagt euren Eltern die Gedichte auf!!“ Und weg war er. Das hatte zwar geklappt, aber alle waren etwas betrübt gewesen ob dieser glanzlosen Vorstellung.

Diesmal also war klar: Wir brauchten wieder eine richtige Bescherung, und per Akklamation der Liebsten war ich zum Cheforganisator bestellt worden. Dass wir jetzt schon Heiligabend hatten, kam für mich etwas überraschend. Grübelnd saß ich auf dem Trecker. Ich wusste nicht weiter, aber jetzt musste ich erst einmal den Futtermischwagen befüllen. Gerade hatte ich einen Siloblock abgeschnitten und war ein Stück vom Silohaufen weggefahren, als urplötzlich eine silberfarbene Luxuslimousine an mir vorbeiflog. Sie kam geradewegs von der Autobahn, durchbrach unseren Zaun, segelte zwischen Trecker und Silohaufen hindurch mitten in den knietiefen Modder des Treibweges der Milchkühe. Dort blieb der Wagen stecken und sah nicht mehr besonders silbern aus.

Ich kletterte aus dem Trecker, um zu schauen, ob jemandem etwas passiert sei. Der Wagen hatte ein schwedisches Kennzeichen, soviel konnte ich sehen. Die Frau, die drinnen saß, fluchte laut. Mit Vollgas versuchte sie, aus dem Modder rauszukommen. Sie buddelte sich nur tiefer ein. Mir wurde klar: Verletzt war sie nicht, und auch ihr Auto sah noch funktionstüchtig aus. Aber eines war klar: Sie war auf meine Hilfe angewiesen. Und ich auf ihre. Mir kam ein blendender Gedanke.

Sie erblickte mich, öffnete die Tür und begann, aus dem Auto auszusteigen. „Vorsicht!“ wollte ich noch sagen, da verschwanden ihre wahrscheinlich sündhaft teuren, metallisch glänzenden Pumps schon im Modder. Wieder fluchte sie, auf Schwedisch, ich hörte diese ulkigen Kehllaute und freute mich. Ich hatte es offensichtlich mit einer wohlhabenden schwedischen Geschäftsfrau zu tun. Sie trug ein kurzes, dunkelgraues Kostüm, und wenn sie noch lange so stehen bliebe, würde sie bald kalte Füße bekommen.

„Spreken Ssie Deutz?“ , fragte sie mit diesem süßen skandinavischen Akzent. „Nee, nur Platt!“, lachte ich, „Und fahren tu ich Fendt!“ Sie verstand das Wortspiel nicht, blickte mich nur traurig an, mit einem fragenden Blick, wie sie wohl aus diesem für sie nicht eben angenehmen Paralleluniversum wieder herauskäme. „Könen Ssie mir hjelpen?“ „Logisch!“, antwortete ich, „Sie stecken ja ganz schön in der Scheiße! Aber zuerst müssen Sie mir helfen! Ich glaube nämlich, dass der Himmel Sie schickt!“

Sie verstand natürlich nicht. Ich wollte es ihr erklären, aber zuerst musste sie aus dem Modder raus. Als sie ihre Beine rauszog, waren ihre Füßchen nackt. Die Pumps waren im Sumpf kleben geblieben. Für einen Augenblick sah ich ihre rotlackierten Fußnägel. Na, da hab ich einen Fang gemacht, dachte ich, dann nahm ich sie und trug sie zum Kuhstall. Sie erzählte, dass sie um halb sieben mit dem Auto in Kiel sein müsse, um die Fähre nach Göteborg noch zu bekommen und am nächsten Tag mit ihrer Familie in Schweden Weihnachten feiern zu können. „Okay!“, sagte ich. „Ich sorge dafür, dass Sie rechtzeitig da sind. Und jetzt habe ich eine Bitte an Sie.“ Und ich erklärte ihr, dass ich dringend einen Weihnachtsmann brauche. Zur Not nähme ich auch eine Weihnachtsfrau. „Was mus ik maken?“, fragte sie. Und ich erzählte es ihr und holte schnell das Weihnachtsmannkostüm, dicke Socken und meine Gummischluppen, Größe 47. Während sie sich umzog, machte ich noch fix die Futtermischung fertig. Dann ging ich rein zum Kaffeetrinken. „Na, hast du dir was einfallen lassen?“, fragte die Liebste spitz, als ich in die Küche kam: „Dein Karren steckt ja ganz schön im Dreck!“ „Meiner nicht, keineswegs…“, antwortete ich. Erstaunt blickte sie mich an. Ach, ich liebe sie, fühlte und dachte ich plötzlich.

Als wir am Kaffeetisch saßen, klopfte es. Brüllend liefen die Kinder zur Tür. Da stand er, der weibliche schwedische Weihnachtsmann, mit dem weißen Bart und den viel zu großen Gummischluppen. Unbeholfen stolperte er in die Stube. „Hej Hej, Kiender, warrt ihr ssön brav?“, fragte er mit verstellter Stimme. Natürlich bejahten sie eifrig, obwohl mir gleich das ganze dumme Zeug einfiel, das sie im Laufe des Jahres verzapft hatten. Die arme Schwedin wurde regelrecht mit Weihnachtsgedichten bombardiert. Einmal verrutschte der Bart, und ein großer silberner Ohrring und die knallrot geschminkten Lippen wurden sichtbar. Kein Kind bemerkte es. Als alle Texte aufgesagt waren, sangen wir noch ein Weihnachtslied, wie immer in einem äußerst schwierigen achtstimmigen Arrangement. Schließlich verteilte der Weihnachtsmann die Geschenke. Hellrot leuchteten dabei die lackierten Fingernägel seiner feingliedrigen Hände. Als der Sack leer war, entschwebte der Weihnachtsmann grazil stolpernd zurück in die Dämmerung. Fast hätte er dabei seine Schuhe verloren.

„Das war aber eine schöne Bescherung!“, riefen die Kinder und machten sich daran, das neue Spielzeug kaputt zu machen. Ich gab der Liebsten einen zarten Kuss. „Wo hast du die denn aufgetan?“, fragte sie. „Beim Universum bestellt, und dann flog sie direkt vor mir in die Matsche. Und jetzt ziehe ich sie raus.“ Ich verließ das Haus, zog meine Stiefel an und holte den Fendt.

Der Wagen lief noch. Wahrscheinlich hatte er Beulen und Kratzer, aber die konnte man bei dem Dreck nicht sehen. Notdürftig wischten wir die Scheinwerfer frei, dann verabschiedeten wir uns. „Tack sa mycket!“, radebrechte ich. „Vielen Dank!“, hauchte sie. Dann drückte sie mir einen schmierigen Schmatzer auf die Wange; die Spuren des Lippenstifts veranlassten die Liebste, mir bitterböse Blicke zu schenken, aber ich sagte nur: „Kein Grund zur Sorge, Schatz! Das war doch bloß der Weihnachtsmann!“ Erst am dritten Tag wurde ich die hartnäckigen Spuren wieder los, als ich es in einer letzten verzweifelten Anstrengung mit Melkmaschinenreiniger versuchte.

Ein so schmutziges Auto wie das der Weihnachtsfrau hatte die Stena-Fähre noch nie zuvor befördert, und die Passagiere wunderten sich über die Schwedin in dem dunkelgrauen Kostüm mit dicken Socken und grotesk großen Gummischuhen. Egal, sie würde rechtzeitig bei ihrer Familie sein.

Ihre silbernen Pumps aber, die stecken immer noch in der Matsche, irgendwo hinter unserem Stall.

Der Treckermarkt ist in Bewegung

Als es schon niemand mehr zu hoffen gewagt hatte, öffnete sich plötzlich ein riesiger landwirtschaftlicher Raum im Osten – u.a. für die Traktorhersteller. Die Händler und Unterhändler von John Deere, Ford, Deutz, Fendt, Massey Ferguson, Mercedes-Benz, Renault, Fiat, Mc Cormick, Lindner, Kramer. Schlüter, Same, Steyr. New Holland usw. machten sich sofort auf den Weg. Und dort war man auch ganz scharf auf die neue Westtechnik, aber bis sich ein Händler- und Reparatur- sowie Ersatzteil-Netz mit „Stützpunkten“ aufgebaut hatte, kam schon der Rubelverfall – und die meisten Bestellungen wurden erst einmal storniert.

Umgekehrt hatten sich aber auch die weißrussischen, tschechischen und rumänischen Traktorbauer mit ihren Marken Belarus, Zetor und (dem nahezu baugleichen) Ursus inzwischen bemüht, auf dem Westmarkt Fuß zu fassen. Das gelang ihnen auch, denn die Westtrecker werden immer teurer und reparaturanfälliger, während die Osttrecker auf den Landmaschinenmessen schon allein wegen ihrer Preise Neugierige anziehen. Jetzt stehen wahrscheinlich Fusionen und feindliche Übernahmen an – z.B. in Polen bei dem Lanz-Bulldog-Nachbauer Ursus.

Auch in Sachsen-Anhalt hatte ein DDR-Traktorwerk, das zum Kombinat „Fortschritt“ gehörte, überlebt. 1993 übernahm die „Landtechnik Schönebeck“ (LTS) die Produktion der bayrischen Schlütertraktoren, zwei Jahre später gab die Treuhand-Firma diesen Traktorbau jedoch wieder ab – an die bayrische Egelseer GmbH, stattdessen führte sie dann mit geringfügigen Veränderungen den Bau des „MB-Trac“ von Mercedes-Benz weiter. Daneben wurden in Schönebeck noch Feldhäcksler und kommunale Mehrzweckfahrzeuge hergestellt.

Ende 1998 rückten 300 wütende LTS-Mitarbeiter mit ihren Produkten bei der Treuhand-Nachfolgerin BvS am Alexanderplatz an. Den Haupteingang hatte eine Voraus-Brigade kurz zuvor bereits mit einem Transparent verhängt: „Traktorenwerker aus Schönebeck kämpfen um ihre Arbeitsplätze“.  Die riesige westdeutsche Landtechnik-Konkurrenz Claas war an einer Übernahme der LTS interessiert, die immer noch nach Osteuropa und sogar darüberhinaus lieferte – damals beispielsweise gerade 16 Feldhecksler in den Irak.

1997 hatten die Traktorenwerker schon einmal mit einer „Mahnwache“ vor der BvS protestiert. Damals wollte das westdeutsche Unternehmen Liebherr ihren Betrieb übernehmen, aber die BvS ließ den Interessenten abblitzen. Den Protestierenden vor der Tür versprach damals „ihr“ Privatisierungsmanager Schwegmann, das Liebherr- Konzept noch einmal zu prüfen, aber am Ende wurde nichts daraus. Ähnliches befürchteten die Schönebecker jetzt erneut: „Die BvS tut nur so, als würde sie ernsthaft verhandeln, in Wirklichkeit will sie uns abwickeln.“ Ihr IG-Metall-Bevollmächtigter Detlev Kiel nannte die Behörde einen „Sauhaufen“. Diesmal wollte ein „harter Kern“ der Schönebecker deswegen so lange ausharren, bis sie ein „konkretes Ergebnis“ der Verhandlungen zwischen der Firma Claas und der BvS mit nach Hause nehmen könnten: „Notfalls bleiben wir bis Weihnachten.“ Für die darauffolgenden Wochen oder gar Monate hatte die IG Metall ihnen Nachtquartiere besorgt, außerdem ein geräumiges Wohnmobil als Infozentrum, sowie Campingmöbel, Handys und jede Menge Regenschirme.

Ihre Feuertonne brannte bald die ganze Nacht. Sie wurde von verfrorenen Journalisten umlagert.  Auch die Presseleute waren nicht gut auf die BvS zu sprechen: Die Treuhand-Nachfolgerin hatte nur noch eine Pressesprecherin und die mußte sich erst einmal kundig machen. Gegen Mittag begab sie sich mutig in die wütende Menge: beschwichtigte, vertröstete und steckte schweigend Beleidigungen weg. „Es ist wieder wie früher“, meint ein Pressefotograf aus Hamburg zynisch. Etwas hatte sich aber doch geändert: „Jetzt sind es konkret die Banken, die den letzten BvS-Betrieben den Todesstoß versetzen und damit die Arbeitsplatzpolitik der neuen – rotgrünen – Regierung abbremsen.“

Den Traktorbauern drohte bereits die Gesamtvollstreckung, nachdem das Landgericht Berlin ihre Klage gegen die BvS abgewiesen hatte. Es ging dabei um einen Kredit der Deutschen Bank in Höhe von 4,3 Millionen DM, für den die BvS 1992, als alleinige Gesellschafterin der Landtechnik Schönebeck, gebürgt hatte. In der Zwischenzeit war der Betrieb über eine Management KG, die Lintra GmbH, privatisiert worden. Deren Hauptgesellschafter, unter anderem der ehemalige McKinsey-Unternehmensberater Emans, zogen sich jedoch schon bald aus dem „Ost-Geschäft“ zurück. Die Landtechnik Schönebeck (LTS) fiel zusammen mit der Lintra quasi wieder an die BvS, die daraufhin eine Zweitprivatisierung versprach.

„Seit 1990 hatten wir 12 Geschäftsführer und wahrscheinlich ebenso viele Unternehmensberater in unserem Betrieb gehabt, insgesamt wurden dafür, sowie für Abfindungen und Fehlinvestititionen, Kredite in Höhe von über 100 Millionen DM verbraucht“, faßte der LTS-Betriebsratsvorsitzende Udo Simon das Wirken der BvS in seiner Firma zusammen.

Zur Übernahme durch Claas kam es nicht, weil zwar die sachsen-anhaltinische Regierung finanzielle Unterstützung versprach, nicht jedoch die BvS. Diese weigerte sich sogar, weiter für die von ihr damals verbürgten Kredite geradezustehen, so daß die Deutsche Bank alle LTS-Konten inklusive Guthaben sperrte. Die LTS-Geschäftsführung mußte daraufhin die Treuhand-Nachfolgeorganisation verklagen. Die Traktorbauer  sowie auch die IG Metall waren sich sicher, daß die BvS ihren Betrieb schon seit langem abwickeln wollte und nur vorgab, an seiner Zweitprivatisierung zu arbeiten. Bereits 1997 sei der BvS-Leitungsausschuß davon ausgegangen: „Die sind sowieso bald in der Gesamtvollstreckung!“ Der BvS-Chef Bohn hätte ihnen dann Anfang 1998 „Herzliches Beileid“ gewünscht.  Als der Richter am Landgericht die Klage der LTS abwies und damit die Pfändung ihrer Konten freigab, tröstete er die Kläger zwar: „Das hat die BvS noch nie gemacht!“, aber bei der LTS war man sich da nicht so sicher: Angeblich hätte „ihr“ BvS-Privatisierungsmanager Schwegmann noch am selben Tag die Landesregierung Sachsen-Anhalts informiert: „Jetzt stellen wir fällig!“ Das sollte heißen: Jetzt ist die LTS endlich am Ende. Die BvS- Sprecherin verkündete jedoch weiterhin stereotyp: Es sei noch alles offen – d.h. nichts entschieden!

Es ging dann so weiter, daß statt des Erntemaschinenherstellers Claas die Doppstadt GmbH, eine Firma für Kiesabbaumaschinen und Recyclingstechnik aus Kelve, die LTS übernahm – mit ungefähr der Hälfte der Belegschaft. Dafür investierte sie jedoch und baute das Vertriebsnetz aus, im nahen Calbe beteiligte man sich außerdem an einem Landmaschinenhandel.

Die Schönebecker Tracs – mit 80, 180, 200 und 280 PS – werden inzwischen nach Japan, China, Südeuropa und sonstwohin verkauft. Dort hat „MB“ einen besonders guten Klang.

Hierzulande ist der Landmaschinenkäufer jedoch eher konservativ. Und der erste Treckerkauf ist für jeden Bauer ein „Schlüsselerlebnis“. Er bleibt bei seiner Traktormarke. Obwohl der Traktor ansonsten ein Symbol für allerlei rustikale Wünsche ist – seitdem er beim Aufbau der Sowjetunion eine herausragende Rolle auf dem Land spielte.

In der legendären russischen Traktorenfabrik, in Wolgograd, die eine eigene Zeitung „Traktor“ herausgibt, heißen erst die landwirtschaftlichen Zugmaschinen mit Ketten  „Traktoren“, was die Umrüstung der Fabrik in eine Panzerproduktionsstätte erleichtert. Hier würden wir solche Traktoren eher Bulldozer nennen.

Auf dem Land gibt es eine ganze Treckerkultur: Traktorclubs, Oldtimer-Sammler und -händler, Kneipen, Fußballvereine und Punkgruppen, die „Traktor“ heißen, und vom Wettpflügen über Traktorrennen bis zu den Landmaschinenmessen ein großes Interesse an allen Traktorneuheiten. Dafür sorgt schon der am Ort ansässige und in aller Regel einflußreiche Landmaschinenhändler, der mit immer wieder überraschenden neuen Modellen aufwartet. Im Gegensatz zu den PKWs und ihren Besitzern sind jedoch die Trecker ebenso wie die obendrauf sitzenden Bauern zäh – d.h. sie werden uralt. Fast könnte man von einem traktoriellen Senioritätsprinzip sprechen. Wären da nicht die unermüdlichen Traktoringenieure, die sich laufend irgendeinen neuen Mist ausdenken: immer mehr Hightech und sonstigen Firlefanz, dazu vollklimatisierte Fahrerkabinen, mit Fernseher, CD-Anlage und Kühlschrank usw ausgerüstet. Damit haben sie viele Traktoristen und Bauern bereits derart ausgetrickst, daß es schon Nebenerwerbslandwirte gibt, die mehr PS haben als Quadratmeter, die sie nach Feierabend noch bewirtschaften. Aus hochmotorisierten Bauern werden so tiefromantische  „Treckerirre“.

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