vonHelmut Höge 05.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Ich träume immer noch von einem Welt-Traktoristentreffen – als ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebshelfer. Die gestrige Frage an den Biobauern Matthias Stührwoldt aus Schleswig-Holstein, ob er schon immer einen Fendt-Trecker besaß, hat er nicht nur heute mit Ja beantwortet, sondern dazu auch gleich noch eine Geschichte geschrieben. Hier erst mal seine Antwort:

” Nichts geht über Fendt, klar. Leider sind die so teuer geworden und das Geld so knapp, dass der letzte Fendt in diesem Jahr 22 wird. Außerdem haben wir noch einen Case IH von 94 und einen Landini (ital. Billigmarke, aber okay) von 2002.Und auf dem Trecker kommen garantiert die besten Ideen, bei anspruchlosen Arbeiten…Habe einen brandneuen Text über den Fendt geschrieben…Viele Grüße    Matthias”

MEIN FENDT

Es war im Jahre 1985. Es wurde Herbst; die Straßen waren von der Maisernte schon ganz eingeschmoddert. Langsam wurde es auf meinem Moped ungemütlich.

Ich fuhr eine Zündapp K80. In meiner ganzen Clique fuhr man ausschließlich Zündapp. Wir wollten die Japsen nicht, keine Hondas, Yamahas oder Kawasakis, sollten sie auch noch so viel billiger, besser und schneller sein. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft ich schon von fernöstlichen Leichtkrafträdern versägt worden war. Manchmal war das schon demütigend gewesen, wenn ich mich auf dem Moped liegend bei schrill kreischendem Vollgas der Aerodynamik wegen hinter der kleinen Verkleidung versteckte, während irgendein fetter Typ mich aufrecht sitzend und mit einem gut durch den Winter gekommenen blonden Friseusenazubi auf dem Sozius lächelnd hochschaltend überholte. Aber stolz und trotzig fuhr ich meine Zündapp, und wenn sie kaputt war – und das war sie oft – brachte ich sie zu Uwe Stender, unserem Dorfschlosser, und der machte sie wieder heil. Eines weiß ich: An meinen Kumpels und mir hat es nicht gelegen, dass Zündapp pleite ging. Sie bauten einfach den letzten Scheiß, und irgendwann wollte das keiner mehr kaufen.

Jetzt war ich siebzehn. Seit ich mit sechzehn den Führerschein 1B gemacht hatte, fuhr ich mein Moped. Zwei Sommer und einen kalten Winter lang fuhr ich jeden Tag zur Schule und zurück. Die Eisblumen auf der Innenseite des Helmvisiers sahen wunderschön aus, und es war immer ein gutes Gefühl, wenn wieder Gefühl in die steifgefrorenen Finger kam.

Wieder stand also ein Winter vor der Tür. Für die Fahrten zur Schule brauchte ich Klump, wie ich mein Moped liebevoll zu nennen pflegte, nun nicht mehr; denn ich konnte bei Siggi mitfahren, der schon einen gelben alten Audi sein eigen nannte. Aber nachmittags, am Abend, am Wochenende, was sollte ich da tun? Die Autofahrten zur Schule hatten mich verweichlicht. Einen weiteren Winter mit klammen Eiern auf Klump durch die Gegend zu bleiern, immer in großer Furcht vor dem nächsten Kolbenfresser—das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Da kam der neue Fendt wie gerufen. Bislang hatten wir zwei kleinere Fendts gehabt, ohne Allrad, mit zerfledderten Verdecken. Die machten nichts her, fuhren bloß 32 Stundenkilometer, und es war genauso kalt wie auf dem Moped. Aber damals kostete der Weizen noch was, und mit den Schweinen und den Rindern und der ganzen Arbeit, die sie von morgens bis abends nicht aus den Dreckklamotten heraus kommen ließ, verdienten meine Eltern gutes Geld. Irgendwann meinte der Alte, nun sei es soweit, nun sei es an der Zeit für einen neuen Fendt. Es wurde ein Favorit 611 LSA, mit allem Schicki-Micki. Es fehlten nur Balkon, Dachterrasse und Swimmingpool. Einhundertundfünfzehn PS, 40-KMH-Schnellganggetriebe, Allrad, eine Kabine halb so groß wie ein Einfamilienhaus, Sonnendach, luftgefederter Fahrersitz, gepolsterter Beifahrersitz daneben, Scheibenwischer, funktionierende Heizung, Cassettenradio, Zigarettenanzünder, beleuchteter Aschenbecher, Bierflaschenhalter und elektronische Hubwerksregelung, die ich bis heute noch nicht ganz durchschaut habe; denn wir fahren ihn immer noch, seit fast zweiundzwanzig Jahren. Heute hat er mehr als 11000 Betriebsstunden auf der Uhr, das sind fast anderthalb Jahre reine Laufzeit! Und er läuft und läuft und läuft…

Anfangs zierte ich mich, vor zweiundzwanzig Jahren. Ich dachte, vielleicht schreckt das die Mädels eher ab, wenn ich mit dem dicken Trecker komme und einen auf dicke Hose mache, aber scheiß drauf, er war warm und gemütlich und mit Sicherheit sicherer als ein Moped. Auch Vadder wollte eigentlich nicht, dass ich ihm abends den schönen neuen Trecker entführte, schließlich hatte er ihn doch gekauft, um damit höchstselbst durchs Dorf spazieren zu fahren und den Bekannten zuzuhupen, aber Mutter meinte, so müssten sie mich wenigstens nicht irgendwann von der Leitplanke kratzen, sie habe ein besseres Gefühl, wenn ich mit dem Trecker führe. Also fuhr ich.

Es war der Himmel. Ich nahm mir von meinen Lieblingsplatten einige wunderbare Mixtapes auf und hing zur standesgemäßen Dekoration einige wilde Tücher vor die Seitenscheiben. Ein Patschuli-Räucherstäbchen, ein paar Kerzen im Trecker verteilt, die frühen Crosby Stills Nash auf Cassette, und eine öde Fahrt wurde zum bunten Trip. Wenn ich den Mühlenberg runterfuhr, schaffte ich großartige 45 Sachen (mit vollem Güllewagen hintendran und ausgekuppelt sogar über 60! Meine Güte! Der Fendt und ich waren autobahnreif!). Am liebsten hätte ich noch den Ellenbogen lässig aus dem Seitenfenster gucken lassen, aber die Scheibe war zu weit weg, und außerdem wäre dann ja kalte Luft reingekommen in meine warme Hippiehöhle. Denn die Heizung funktionierte tatsächlich!

Überhaupt, die Kabine! Welch ein Platz, selbst auf dem gut erreichbaren Beifahrersitz! Wer jemals versucht hat, sich in einem Case IH aus den neunziger Jahren auf dem zwar vorhandenen, aber praktisch nicht zu entdeckenden Notsitzchen niederzulassen, weiß, welch ein Segen ein solch geräumiger Beifahrersitz ist. Dieser Case—wochenlang suchte ich im Benutzerhandbuch nach einer Wegbeschreibung zum Notsitz. Die gab es nicht. Es gab nicht einmal einen Weg! Entweder, man wurde auf diesem Sitz geboren, oder man würde ihn niemals erreichen…

Als zum ersten Mal ein Mädchen im Fendt mitfuhr -der ganze Dekorations- und Räucherstäbchenaufwand sollte sich schließlich auszahlen—da hoffte ich so sehr, sie würde sich irgendwann mit ihrer Hand auf meiner Schulter abstützen. So würden wir uns vielleicht näherkommen; zufällige Berührungen wirken ja manchmal Wunder.

Es war auf dem nächtlichen Rückweg von der Landjugendfete in Schmalensee. Gönnerhaft hatte ich ihr angeboten, sie heimzufahren, mit meinem coolen, höhergelegten Geländewagen, wie ich sagte. Als sie mein Fahrzeug sah, lachte sie sich schlapp. Als sie wieder Luft bekam, stieg sie trotzdem ein.

Die Strecke von Schmalensee nach Stolpe ist kurvenreich und hügelig. Scharf fuhr ich die Kurven an, immer in der Hoffnung, sie würde das Gleichgewicht verlieren, sie würde endlich nach meiner Schulter greifen, um nicht vornüber zu fallen. Ich wollte endlich ihre Hand, ihre Wärme auf meinem Pulli, auf meiner Haut spüren. Aber es war vergebens. Sie hatte eine gute Körperbeherrschung. Sie hielt sich aufrecht wie ein Storch. Wir kamen Stolpe immer näher, doch sie und ich, wir traten auf der Stelle, beziehungsmäßig. Es tat sich nichts. Eine grelle, lilafarbene Verzweiflung explodierte in mir, und ich geriet leicht in Panik.

Da hörte ich die Musik. Plötzlich sang Stephen Stills: „ If you can`t be with the one you love, Honey, love the one you`re with! Love the one you`re with! Love the one you`re with!” Keine Frage, das war keine Bitte, das war ein Befehl! Wir fuhren gerade an King Kackes Hof vorbei, und ich sah den riesigen Güllepott im gleißenden Scheinwerferlicht metallisch glänzen. Ein Ruck am Lenkrad, und wir umkreisten den Pott. Einmal, zweimal, dreimal, immer rundherum, mit Vollgas. Wir legten uns in die Kurve. Da merkte ich, dass ich falsch herum fuhr. Die Fliehkraft drückte sie von mir weg statt zu mir hin. Oh, Herr, wirf Hirn vom Himmel!

Ich machte eine Kehrtvolte und raste weiter, wieder um den Güllepott herum. Jetzt war die Richtung richtig. Mit jeder Runde neigte sie sich mehr zu mir hin. Nach der elften Umdrehung landete ihre Hand auf meiner Schulter. Ich blickte sie an. Sie war weiß im Gesicht und überlegte offensichtlich, ob sie mich erst umarmen oder sich erst übergeben sollte. Sie umarmte mich, dann stießen unsere Köpfe zusammen, und für einen kurzen Moment küsste sie mich. Aus den Augenwinkeln sah ich King Kacke in Gummistiefeln, Unterhose und Unterhemd mit der Schrotflinte im Anschlag aus seinem Haus kommen. Schnell weg, dachte ich, und kehrte auf die Landstraße zurück. Leider hatte ich einen ziemlichen Drehwurm. Ich bleierte von einer Straßenseite zur anderen und nagelte nach ein paar Metern das Ortseingangsschild von Stolpe um. Knack und weg. In diesem Augenblick kam es ihr…hoch. Zum Glück hatte ich den neuen Teppich noch nicht verlegt. Als sie fertig war, flüsterte sie: „Bitte bring mich nach Hause.“

Und das tat ich. Sie fragte mich nicht, ob ich noch auf ein Holsten mit reinkommen wolle. Ich glaube, sie war froh, noch am Leben zu sein. „Tschüß, du Spinner!“, sagte sie, als sie ging. Das war gründlich in die Hose gegangen. Trotzdem blieben wir Freunde.

Noch ein halbes Jahr lang—bis ich den Autoführerschein gemacht hatte—fuhr ich mit dem Fendt von Fest zu Fest. Landjugendfeten, Dorfdiscos, Zeltfeste. Niemals kam ich einer Eroberung näher als an diesem ersten Abend. Den eigens nachträglich eingebauten Liegesitz habe ich noch nicht gebraucht.

Bis heute nicht. Aber man kann nie wissen. Vielleicht sollte ich die Liebste mal zu einer Spritztour einladen. Im Sommer, am Abend, ins Moor. Zäune kontrollieren. Nach den Jungtieren und den Trockenstehern gucken. Am besten mit einer Flasche gutem Weißwein. Natürlich aus ökologischem Anbau.

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