vonHelmut Höge 08.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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– als es noch eine gemeinsame taz-Willensbildung gab, die sich in vollversammelten Strategiediskussionen äußerte (5.4.1983):

 “Wenn Du ein zum Scheitern Berufener bist, so scheitere vor allem nicht irgendwie.”
(Henri Michaux)

Nach dem üblichen Rechenschaftsbericht, der wie üblich in den Roten Zahlen endete, sollten “eine Reihe von Problemen” besprochen werden, tatsächlich drehte sich die Diskussion in den zwei Tagen die meiste Zeit aber nur um einen Punkt: die Einrichtung eines Ressorts für kafkaeske Ereignisse und die Bezahlung von vier Redakteuren samt Büro in Prag. (im Juni jährt sich erneut Kafkas Geburtstag).

Von der Frauenredaktion wurde zweimal wortgewaltig das Stichwort “Milena” dazu uns Spiel gebracht, aber außer einer Kürzung von vier auf drei Stellen, wobei die vierte zu einem späteren Zeitpunkt von einer Frau besetzt werden soll, erreichte dieser Einwand nichts (was dann am nächsten Tag sinnfällig auf der taz-Frauenseite dokumentiert wurde). Ausgangspunkt für das Kafka-Ressort war ein taz-Leserbrief von Thomas Schmid, der natürlich vom unbeliebten Kafka-Forscher Wagenbach nur vorgeschickt worden war, Thomas Schmids persönliche Neigungen gehen eher in die Politik. Aber auch dafür wurde Sorge getragen. In einem Antrag (Paket genannt) – das Kafka-Ressort betreffend – begründete einer der späteren Prag-Redakteure seine Wünsche.

Da ist noch viel mehr rauszuholen. An Aktualität. Und deswegen auch Prag. Die Frage ist doch, mit Kafka zu sprechen: “Wie wird man in der eigenen Sprache Fremder, Zigeuner, Nomade?” Und, um diese Frage sogleich mit Kafka zu beantworten: “Indem man auf einem Seil tanzt.” All das war mehr oder weniger beeindruckend, um nicht zu sagen spannend. Wenn auch die Seiltanz-Formel für den Geschmack vieler noch zu sehr im Metaphorischen steckte. Für andere war sie schlicht banal. Man konnte sich immerhin vorstellen, daß eine kontinuierliche und konzentrierte Arbeit vor Ort dem späterhin noch abhelfen würde. Diesem -äh-Mangel.

Viele störten sich aber an dem arroganten Auftreten, mit dem die zukünftigen Prager Redakteure ihre Paket-Theorie vortrugen. (Man erinnere sich an David Coopers Kritik an der “Paket-Theorie”: es ist gar nicht wahr, daß man entweder nur ein großes Paket Zuneigung oder Liebe für jemanden packt oder viele kleine für viele, das ist völliger Unsinn!) Aber wenigstens dem einen der zukünftigen drei Prag-Redakteure hielt man zugute, daß er – während der letzten Bombardierungen von Beirut -dort in den Luftschutzbunkern seine Berichterstattung aufgeschlagen, besser installiert hatte. Ich will das Ergebnis der teilweise heftigen Beratungen auf dem Nationalen Plenum schon mal vorwegnehmen: sowohl das Ressort als auch die Redaktion vor Ort samt Ausstattung wurden genehmigt. Auf dem Hintergrund dieser Entscheidung kann ich jetzt zum “Atmosphärischen übergehen, mit Kafka zu reden: der Ort, wo das Ich zum Er wird.

In den schon erwähnten “Papieren” war mehrfach vom “Doppelcharakter” des taz-Projekts die Rede gewesen – einerseits effizienter Großbetrieb, andererseits alternative Großfamilie, ebenso vom sich verschlechternden Betriebsklima bzw. Beziehungsgefüge. Wobei gar nicht unbedingt die Gründe dafür wichtig zu sein brauchen. Es ist klar, eine – sagen wir Klassengesellschaft besitzt für ihre Utopie einer klassenlosen Gesellschaft das Refugium der Kunst bzw. Kultur. Im Maße sich die ehemaligen Protagonisten einer sozialen Bewegung für diese Ausdrucksform von Utopie entscheiden, sind sie statt zu kollektiven zu individuellen Perspektiven gezwungen, auch und gerade wenn sie anfangen das Ich mit dem “man” zu vertauschen. Was natürlich in gewisser Weise auch einer kleinen Befreiung entspricht.

Um aber auch hier gleich etwas vorwegzunehmen: obwohl in den vorgeschickten “Papieren” immer wieder die pathetisch ausgedrückt -“zwischenmenschliche Dimension” herausgearbeitet worden war, bediente man sich auf dem 1. Plenum hernach zumeist der Maschinen- oder Apparatesprache, dies in einer Weise, die auf einer anderen Ebene in etwa dem Verhältnis von “Bruttosozialprodukt” zu “Schwarzarbeit” entsprechen würde. Das ging bis hin zu dem zwischendurch eingenommenen Mittagessen: Am Nebentisch war ein Gedeck noch frei und jemand schaute sich suchend um. “Willst Du auch was essen?” Antwort: “Tendenziell”.

Andere Lieblingsvokabeln waren: “Struktur-“/ “inhaltlich”/ “funktionell”/ “Anforderungsprofil”/ “durchdachtes Paket”/ “Prioritätenliste”/ “Kleine Managementtruppe wählen”/ “Konzept, das umsetzbar wäre”/ “Präferenzliste”/ “Nach außen hin offensiv angehen”/ “Was wir für 1.20 DM versprochen haben”/ “Kamikaze-Papier”/ “Wir produzieren eine Automatik der Ideologisierung per Routine” (das war bedauernd bzw. kritisch gemeint)/ “Nachrichtensicherheit”/ “In den Wahrnehmungsorganen der Regionalredakteure”/ “Berechenbarkeit der eigenen Wahrnehmung”/ “Absicherung”/ “Qualifikation der Redakteure”/ “Wir brauchen Beschlüsse und Linien”/ “Analytischere Artikel”/ “Das muß politisch diskutiert werden”/ “Daß die Leser auch aktiver…”/ “Enger Kontakt vor Ort”/ “Das ist noch nicht entscheidungsreif”/ “Erst einmal ein Tendenzbeschluß”/ “Verfahrensantrag”/ “Das muß überreichlich abgeklärt werden”/ “Das Papier, und zwar nicht inhaltlich, sondern mit seinen Vorschlägen”/ “Das ist keine Tatsache, sondern Fakt”/ “mehr Licht!” “Pause!”/ “Wir können ohne Diskussion jetzt darüber abstimmen, es ist ja keine Presse anwesend!”/ “Solidarische Berichterstattung”/ “Wir befinden uns doch alle in einem Argumentations-Recycling”/ “Ein produktiv zu nutzendes Spannungsverhältnis ist anzustreben”/ “Das Problem ist, daß ich – als Mitglied dieses hohen Hauses -einen GO-Antrag gestellt habe”/ “Wir wollen den Schritt nach vorne”/ “Keine Ausnahmen bei Frauenbeschlüssen, die haben wir ja schließlich alle mal mit abgesegnet”/ “Schlage vor, ihm eine außerstellenplanmäßige Stelle zu genehmigen”/ “Sowie Einrichtung einer Struktur-AG”/”Ich plädiere vehement dafür, daß”/ “Das Problem Milena -als Sozialfall in Anführungsstrichen -das sehe ich auch”/ “Die Stelle in der Prager Redaktion ist doch nur für ein halbes Jahr, wozu brauchst Du da die Fahrtkosten für ein Jahr jetzt schon?”/ “Personaldebatte”/ “Es geht doch -äh darum, diesen ganzen Apparat dort zu durchdringen”/ “geschlechtsneutrale Ausschreibung”/ Ich beantrage eine nicht-personengebundene Stelle für Bettina”/ Abstimmung über den Sockelbetrag für Freie”/ Und immer wieder “Struktur”…

Hinter mir saß einer der zukünftigen Prager Redakteure, er war natürlich über diese ganze kafkaeske Versammlung hocherfreut, er hielt in der einen Hand einen Gedichtband von H.M.Enzensberger, eine Zeile daraus schien ihm besonders gut gefallen zu haben, er zitierte sie mehrmals: “Die Wölfe gegen die Schafe verteidigen”. Ein kümmerliches Nietzsche-Plagiat. Ein Kafka-Plagiat hätte da  nähergelegen: Die Araber gegen die Schakale verteidigen. Oder umgekehrt. Wie auch immer. Bleibt noch zu erwähnen, daß man sich nach zwei Tagen Nationalem Plenum in leidlich gutem Einvernehmen wieder trennte. In der Zwischenzeit – bis zum nächsten Plenum im Herbst – würde sich mehrmals die “Struktur-Kommission” treffen. Da sie wie weiter oben erwähnt -mit zwei “Strukturen” befaßt sein wird, gab man ihr einen, genauer gesagt zwei Sätze von Kafka mit auf den Weg:

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreis rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind -vielleicht eilt dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzt in die Manege, riefe das ‘Halt’ durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters. Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet, vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen-zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Salto-mortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die Kleine vom zitternden Pferd hebt, auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will, da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schwerentraumversinkend, weint er, ohne es zu wissen.

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