vonHelmut Höge 23.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Komischerweise geht das hinter 1986 zurückreichende taz-archiv, das bisher nur intern zu nutzen ist und noch viele Fehler hat, nur bis 1983 zurück. Die fehlenden mindestens vier Jahre – bis 78/79 – werden hoffentlich auch noch kommen… Zur Unterpflasterung der Rudi-Dutschke-Straße, die – wie ich heute sah – schon mit einem großen schwarz-weißen Transparent am taz-haus „begrüßt“ wird.

Hier ein taz-text vom 5.1. 1983, in dem es um die sich aus der Elektronbranche herausmendelnde Elektronikbranche in situ geht – konkret um das dabei auf der Strecke gebliebene Grundig-Werk…

Das gescheiterte Elektronik-Kartell

Nürnberg – 650 Beschäftigte des zum Grundig-Konzern gehörenden Video-Werkes in Nürnberg-Langwasser sollen demnächst entlassen werden. Wenn der Grundig-Konzern wie angekündigt an den französischen Multi Thomson-Brandt verkauft wird, dürfte diese Entlassungsaktion nur der Anfang sein. Ein “ Unternehmer alter Schule“ hat sich im Gewirr der real existierenden kapitalistischen Konkurrenz verheddert. Thomson-Brandt hat am Montag offiziell beim Bundeskartellamt in Berlin die Absicht angemeldet, eine Mehrheitsbeteiligung an der Grundig AG (Fürth) zu übernehmen.

Max Grundig’s Spruch: „Ich muß nicht, ich will verkaufen“, gehört zur Imagepflege eines souveränen Chefs alter Schule. Dabei ist die Lage der Firma alles andere als rosig. Nach Verlusten in den Geschäftsjahren 80/81 und 81/82 von 187 bzw. 35 Mio. in den offiziellen Bilanzen wäre eine Gewinn für dieses Geschäftsjahr bitter nötig.

Die rapide Entwicklung in der Mikro-Elektronik zwingt zu ständig neuen Investitionen. Durch die Verwendung von hochintegrierten Elektronik-Bausteinen werden Arbeitskräfte und Geld in der Produktion eingespart. Bei den Grundig-Farbfernsehern z.B., die im nächsten Frühjahr in Produktion gehen sollen, findet die gesamte Elektronik auf einer nur 10 cm x 5 cm großen Leiterplatte Platz. Für die Fertigung von zwei Millionen dieser Geräte werden nach Angaben des Vorstands 3.000 Arbeitskräfte weniger als bisher benötigt.

Die Einführung von neuen, arbeitssparenden Technologien kostet jedoch in der Anfangsphase viel Geld. Grundig hätte gerne größere Stückzahlen, um die Kosten schneller wieder hereinzuholen. Dafür wäre ein größerer Marktanteil recht. Mit dem Kauf der Firma Telefunken aus dem Nachlaß der AEG sollte dies erreicht werden. Grundig beabsichtigte, seine Geräte unter dem Markennamen Telefunken auf den Markt zu bringen. Gleichzeitig wäre Grundig billig an das Know How von Telefunken gekommen. Bei Telefunken würden dementsprechend Arbeitskräfte „freigestellt“.

Die Einführung von rationellen Produktionsverfahren größeren Stils, wie sie sich Max Grundig ausmalte, erfordert Forschungs- und‘ Entwicklungsaufwendungen, die die (finanziellen) Kräfte eines Unternehmers wie Max Grundig überfordern, i

In dieser Lage bot sich für Max Grundig eine elegante Lösung. Ihm schwebte eine EU-RO GmbH vor, ein Verbund der europäischen Hersteller von Unterhaltungselektronik, der sich die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen teilen und gemeinsame Vertriebswege beschreiten sollte. Der Markt sollte untereinander aufgeteilt werden, wobei man bereits die Anteile großzügig miteinbezog, die man der japanischen Konkurrenz abnehmen wollte.

Als Partner wurden Bosch, die ITT-Ableger in Europa, Philipps und Siemens sowie Thomson-Brandt anvisiert. Das Kartell sollte mit dem Hinweis auf die japanische Konkurrenz zusammengebracht werden und gegenüber der Öffentlichkeit mit der angeblichen Sicherung von Arbeitsplätzen begründet werden. Grundig wollte in diesem Superkartell die Branchenriesen gegeneinander ausspielen und sich selbst die ‚industrielle Führung‘ als Krönung seiner unternehmerischen Laufbahn zuschanzen.

Doch die künftigen Europartner zeigten sich spröde und die Verhandlungen zogen sich den ganzen Sommer 82 hin. Für Grundig aber begann die Zeit zu drängen. Die Japaner drückten nämlich im Sommer ihre z.T. jahrealten Überproduktionen auf den deutschen Markt -gezielt wie Max Grundig behauptet. Damit erwies sich Grundigs Kalkulation, im Videogeschäft den schnellen Reibach zu machen, den er braucht, um seine Position zu stärken, als tragischer Trugschluß. Seine profitträchtigen Luxusrecorder Video 2000 gingen immer schlechter gegenüber den japanischen Billigrecordern über die Ladentheken. Gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest boten Horten und Quelle Geräte unter 1000 DM an. Grundig wurde gezwungen, seine Preise zurückzunehmen, was ihm voraussichtlich Verluste in der Größenordnung von ca. 100 Millionen DM beschert. Auf seine Mitarbeiter im Videobereich kommt nun eine Bescherung anderer Art zu: Ihnen droht nämlich die Entlassung. Im Frühjahr, so wurde angekündigt, sollen 650 Mitarbeiter entlassen werden. Immer mehr geriet Grundig so gegenüber seinen künftigen Kartellbrüdern ins Hintertreffen.

An dieser Stelle bricht der Text ab und fährt quasi bruchlos mit Neuigkeiten über die Waffen-SS, die HIAG und andere postfaschistische Aktivitäten von Altnazis fort.

Einen Zusammenhang zwischen dem Unternehmer Grundig, der anscheinend nicht die Flucht nach hinten (wie der Westberliner Unternehmer Wolfgang Bogen) antrat, sondern nach vorne – ins IEA-Elektrokartell, zwischen dem Grundig-Ende und dem Rechtsradikalismus-Revival sehe ich erst mal noch nicht.

Sehr wohl sehe ich jedoch hier und da noch Grundig-Fernsehgeräte in irgendwelchen Kaufhäusern zum Verkauf stehen – sogar große moderne mit Plasma-Bildschirmen .

Hier, die Wikipedia-Eintragungen über Grundig – d.h. die Kapitel „Aufstieg, Niedergang, Zerschlagung“:

[Bearbeiten]

Die Geschichte des Konzerns begann 1930 mit der Gründung des Radio-Vertrieb Fürth, Grundig & Wurzer (RVF). Nach Kriegsende 1945 erkannte Max Grundig den Absatzmarkt für Radios und leitete die Produktion des Gerätebausatzes „Heinzelmann“ ein. 1947 wurde der Grundstein für ein Fabrik- und Verwaltungsgebäude an der Fürther Kurgartenstraße gelegt, das schon nach kurzer Bauzeit als Hauptfertigungsstandort fungierte. Ein sichtbares Zeichen für die Verbindung mit der Stadt Fürth war die Aufnahme des Fürther Kleeblatts in das Firmenlogo. 1951 wurden die ersten Fernsehempfänger in einer neuen Fabrikhalle gefertigt – der Standort und das Unternehmen wuchsen rasant. Grundig war zu dieser Zeit Europas größter Rundfunkgerätehersteller. Unternehmen aus Nürnberg, Frankfurt am Main und Karlsruhe wurden aufgekauft. 1960 entstand die erste Fertigung im Ausland – Tonbandgeräte wurden in Irland gefertigt. Auch auf der Fürther Hardhöhe und in Nürnberg-Langwasser entstanden neue Fertigungshallen. 1972 wurden die Grundig-Werke GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Niedergang [Bearbeiten]

1984 verkaufte der Firmengründer Max Grundig das Unternehmen an den niederländischen Elektrokonzern Philips, der es 1998 aufgrund unbefriedigender Entwicklung an ein bayrisches Konsortium unter Führung von Anton Kathrein (persönlich haftender Gesellschafter der Kathrein Werke KG) abgab. Ende Juni 2000 wurde der Firmensitz von Fürth in das benachbarte Nürnberg verlegt. Das Unternehmen erwirtschaftete 2001 einen Umsatz in Höhe von 1.281 Millionen Euro, machte dabei jedoch 150 Millionen Euro Verlust. Die Banken verlängerten daher im Herbst 2002 die Kreditlinien nicht mehr, und der Konzern musste Mitte April 2003 Insolvenz anmelden.

Zerschlagung [Bearbeiten]

Ende der 80er Jahre hatte Grundig noch über 38.000 Beschäftigte, 2003 waren bei dem Unternehmen noch rund 3.500 Mitarbeiter angestellt. Die hohen Pensionsbelastungen stellten bei den Verhandlungen um einen potentiellen Investor eines der entscheidenden Probleme dar.

Anteilseigner an der Grundig AG waren BEB Bayerische Elektronik-Beteiligungs GmbH & Co. KG (Kathrein, Bayerische Landesbank Girozentrale, Bayerischer Sparkassen- und Giroverband, HypoVereinsbank AG, Bayerische Landesbank für Aufbaufinanzierung).

Im Januar 2004 wurde der Bereich Home Intermedia System (HIS) der Grundig AG von dem türkischen Elektronikhersteller Beko Electronic A.S. und dem britischen Unternehmen Alba Radio Ltd. zu einem Kaufpreis von rund 80 Millionen Euro übernommen.

Der Bereich Bürogeräte wird von der jetzt selbständigen Grundig Business Systems GmbH weitergeführt.

Der ehemalige Geschäftsbereich Grundig Car InterMedia System wurde am 17. November 2003 von der Delphi Corporation übernommen. Neben den Bereichen Autoradio usw. zählen auch OnBoard-Units für Mauterfassungssysteme zum Produktspektrum (Toll Collect).

Zum 1. Mai 2004 wurde die Grundig SAT Systems (GSS) GmbH als Management-Buy-out gegründet. Sie übernimmt die Tätigkeiten des ehemaligen Grundig-Bereichs „Kopfstationen und Satelliten-Systeme“.

Auf der webpage „grundig.de“ findet sich der Hinweis auf die neuen Plasmabildschirme:

„Großformatige Plasma-TV’s – eine Zierde für jedes Wohnzimmer und eine Wohltat für die Augen. Mit dem Tharus 110 präsentiert Grundig einen äußerst flachen Plasma-TV mit einer 106cm-Bildschirmdiagonale, bei der sofort Kino-Flair aufkommt: Gestochen scharfe Bilder, leuchtkräftige Farben, eine hohe Plastizität und ein faszinierender Klang, dank Magic-Fidelity System, machen Fernsehen so zu einem aufregenden und unvergleichlichen Erlebnis.“

Zur weiteren Firmengeschichte steht dort:

Am 1. Mai 2004 nimmt die Grundig Intermedia GmbH ihren Geschäftbetrieb auf. Sitz der Gesellschaft ist Nürnberg.

Damit ist eine viel versprechende Zukunft des Bereichs Home Intermedia System der Grundig AG, zu dem vor allem die klassischen Sparten der Unterhaltungselektronik, der Bereich Forschung und Entwicklung, sowie die Service Aktivitäten gehören, nach intensiven Verhandlungen gesichert – Zurück zu alter Stärke lautet nun das Motto!

Aber auch die anderen Bereiche der Traditionsunternehmen überleben die Insolvenz und führen noch heute die Marke Grundig im Namen:

Delphi Grundig Grundig Car InterMedia System GmbH

GSS Grundig SAT Systems GmbH

GBS Grundig Business Systems GmbH

So oder so ähnlich endeten auch die o.e. Konzerne AEG und Telefunken, die heute vor allem für Unternehmenshistoriker interessant sind – und so gibt es denn auch zwei dicke Bücher über diese Firmen – vom Anfang bis zu ihrem So-gut-wie-Ende. Auch über das Werk für Fernsehelektronik in Oberschöneweide, dass nach der Wende von Samsung weitergeführt und ausgebaut wurde, dann jedoch 2006 überraschend stillgelegt wurde (sie stellten keine Plasmabildschirme her), gibt es noch keine Firmenchronik von Anfang bis Ende. Wohl aber das Gewerkschaftsgerücht, dass Samsung es mit seinem Vorstoß auf den deutschen Markt, wo sogar – in Oberschöneweide – die Europa-Zentrale des koreanischen Mischkonzerns entstehen sollte – bis in die Aufnahme im Elektrokartell IEA schaffte, dafür sich jedoch dann sukzessive von dem von Siemens als „home country“ beanspruchten deutschen Markt zurückziehen mußte – und nun in Polen groß auftrumpft – mit Firmenzentralen, Fabriken, Verkaufshauptquartieren, Wohnvierteln etc. . Ähnliches hatten zuvor auch die Generel Electric Manager „einsehen“ müssen, als sie die Elpro AG übernehmen wollten. Bis heute gibt es in Deutschland keine GE-Kühlschränke, Glühbirnen etc. zu kaufen – hat schon mal jemand darüber nachgedacht oder geschrieben, warum das so ist?

Um es mit den leicht abgewandelten Worten von Till Necker, mit denen er uns 1992 auf der Rostocker Betriebsrätekonferenz überraschte, zu sagen: „In der Elektrobranche hat es nie eine Marktwirtschaft gegeben – Ende der Durchsage!“

Der Kartellexperte Rudolf Mirow schrieb im selben Jahr der Treuhandchefin Birgit Breuel in einem Brief:

„Es besteht der Verdacht, daß dieses Kartell sich jetzt den Markt der Neuen Deutschen Bundesländer untereinander aufgeteilt hat… und daß Mitglieder der IEA erneut mit ‚combat-‚ auch ‚fighting proceedings‘ genannt, gegen sogenannte ’non- members‘ vorgehen… Es wäre bedauerlich, wenn auf Grund der Unkenntnis der Organisationsformen der Elektroindustrie jetzt möglicherweise veraltete, aber doch sanierungsfähige Betriebe geschlossen würden, die Mitgliedern der IEA einmal Paroli und Wettbewerb bieten könnten. Da alle Untersuchungen zeigen, daß es in der Elektroindustrie nie eine Marktwirtschaft gegeben hat, werden sich die Probleme der ostdeutschen Unternehmen akso auch vorerst nicht mit reinen marktwirtschaftlichen Instrumenten lösen lassen“.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/01/23/aus-der-siemens-geschichte/

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kommentare

  • Malte-Ogger Brandt (Husum)

    Bis übermorgen wird allen Unkenrufen zum Trotz die Siemensaktie „neutral“ bleiben. Der finanztreff.de meldet:

    Siemens werde am 25. Januar vor Handelsbeginn die Ergebnisse des ersten Fiskalquartals 2007 bekannt geben. Des Weiteren werde an diesem Tag die Jahreshauptversammlung des Unternehmens stattfinden. Nach Einschätzung der Analysten sei mit Auftragseingängen in Höhe von 22,4 Mrd. EUR sowie einem Umsatz von 18,2 Mrd. EUR zu rechnen. Den Nettoerlös (inklusive der Sparte COM) sehe man bei 1,1 Mrd. EUR.

    Die Analysten hätten ihre Gewinnprognosen für Siemens überarbeitet und infolgedessen das Kursziel für die Unternehmensaktie von bisher 83,00 EUR auf nun 84,00 EUR heraufgesetzt. Nachdem Siemens im Fiskaljahr 2006 ein EPS von 3,38 EUR erzielt habe, liege die EPS-Schätzung der Analysten für das Fiskaljahr 2007 bei 5,33 EUR. Auf dieser Grundlage lasse sich ein 2007-KGV von 14,5 ermitteln. Für das Fiskaljahr 2008 erwarte man ein EPS-Wachstum auf 6,25 EUR (KGV: 12,4).

    Vor diesem Hintergrund vergeben die Analysten von J.P. Morgan Securities das Rating „neutral“ für die Siemens-Aktie. (16.01.2007/ac/a/d) Analyse-Datum: 16.01.2007

    Gut analysiert – kann man da nur sagen, wobei allein schon das Wort Analyse auf Amerikanisch ein fieser Fausthieb gegen alles Aufklärerische ist. Das kommt, weil die amerikanische Revolution gar keine war, sondern einzig die vorher herschenden Eliten dort gestärkt hat. Wozu also noch Aufklärung?!

  • Klaus Delbrück (Passau)

    „Sumpf und Filz“ gibt es nicht nur in München – bei Siemens, sondern auch in Berlin, wo Siemens herkommt und während der DDR-Privatisierung auch wieder – mit einer Hauptstadtzentrale – hinging, die es nach getaner Arbeit jedoch wieder dicht machte. Zu dem o.e. parlamentarischen Treuhandkontrolleur und Aubis-Gründer Neuling hier noch dies – aus der „linken zeitung“:

    Bankenskandal und kein Ende!

    In Berlin ist es nicht nur möglich, daß Kriminelle ganz einfach durch Toilettenfenster entkommen, auch Großbetrüger aus der Wirtschaft können sich offensichtlich leicht der Justiz entziehen.

    Zunächst wird der ehemalige Geschäftsführer der Gauner- und Pleitefirma AUBIS, Klaus-Hermann Wienhold, im März dieses Jahres von einer Berliner Amtsärztin als verhandlungsunfähig erklärt. Der AUBIS-Prozeß gegen Wienhold wegen Betrugs, Untreue und schwerer Untreue wird ausgesetzt und beginnt zu platzen. Wienhold war lange Jahre für die CDU Mitglied im Abgeordnetenhaus von Berlin und Landesgeschäftsführer.

    Erst jetzt kommt heraus, daß auch sein Komplize und Mitgeschäftsführer der AUBIS GmbH, Christian Neuling von einer Berliner Amtsärztin bereits im Mai „aus physischen und psychischen Gründen“ Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt bekommen hat. Der AUBIS-Prozeß scheint damit nach „Meinung hochrangiger Justizmitarbeiter“ beendet (rbb-online vom 19.08.06). Christian Neuling war viele Jahre Bundestagsabgeordneter der CDU.

    Der Bankenskandal hat damit eine neue Dimension erreicht:
    Zwei Hauptangeklagte, die wegen krimineller Handlungen vor Gericht stehen, entziehen sich durch angebliche Verhandlungsunfähigkeit – während sie gleichzeitig fröhlich in der Welt herumspazieren und bei Wienhold sogar der dringende Verdacht besteht, daß er neuen Tätigkeiten nachgeht – der Justiz.
    Während sich jeder Kaufhausdieb zu Recht vor der Justiz verantworten muß, können Großbetrüger wie Wienhold und Neuling Kredite der Bankgesellschaf (diese gehört zu 81 % dem Land Berlin) in Höhe von 600 Millionen DM veruntreuen und sich der weiteren Verfolgung entziehen.

    Wie bekannt ist, erhielten Wienhold und Neuling die Kredite von ihrem Parteifreund, dem ehemaligen CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky. Dieser vergab die horrenden Kreditsummen als Vorstandsvorsitzender der Berlin-Hyp, einer Tochter der Bankgesellschaft, gegen die Einwände seiner damaligen Kreditabteilung an die völlig marode Firma AUBIS. Diese hatte keinerlei Eigenkapital und Erfahrung in Immobiliengeschäften. Wienhold und Neuling kauften rund 16.000 Plattenbauwohnungen, die praktisch nichts wert waren.

    Als Dank erhielt Landowsky in seinem Vorstandsbüro bei der Berlin Hyp von Wienhold die berüchtigte Parteispende von 40.000 DM, die 2001 den „größten Bankenskandal der Nachkriegsgeschichte“ (Der Tagesspiegel) ins Rollen brachte.

    Aus den bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geht hervor, daß Wienhold und Neuling erhebliche Teile der Kredite in jeweils zweistelligen Millionenbeträgen zu Lasten der Bank und damit des Landes Berlin und der Berliner Bürger in ihre eigenen Taschen gelenkt haben.

    Wie ist es möglich, daß Neuling schon seit Mai als verhandlungsunfähig gilt, dadurch einer der wichtigsten Prozesse im Nachkriegs-Berlin zum Platzen kommt, aber die Justiz den Vorgang erst auf Nachfrage von Journalisten Ende August bestätigt?

    Wie ist es möglich, daß Wienhold schon seit März als verhandlungsunfähig gilt, aber ganz offensichtlich fröhlich in Berlin herumspaziert?

    Schlimmer noch: In dem Buch „Tod im Milliardenspiel“, hervorragend recherchiert durch die ehemaligen SFB-Journalisten Olaf Jahn und Susanne Opalka, wird detailliert dargelegt, daß Wienhold und Neuling am Selbstmord oder Mord ihres ehemaligen EDV-Spezialisten und wichtigsten Zeugen im AUBIS-Prozeß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beteiligt waren. Der Berliner Kurier stellt am 20.08.2006 zu Recht fest: „Aus Neulings und Wienholds Krankheit folgt: Der West-Berliner Filz bleibt so dicht wie er ist.“

    Hinzugefügt sei: Dass er derzeit jedoch abgewickelt wird. Landowsky nennt das „Die Rache der Linken“, womit er jedoch nur beweist, dass sein Weltbild während dieser ganzen demütigenden Prozedur noch nicht gelitten hat, obwohl ihn die Parteigenossen, zumal die zugereisten, die jetzt hier die große Schnauze haben, im CDU-Glashaus und in der Konrad-Adenauer-Stiftung vis à vis, schon wie einen Leprakranken behandeln.

    Die Junge Welt schrieb Ende August 2006:

    Wowereit enttäuscht über Aubis-Prozeß

    Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat die vorläufige Einstellung eines Kernprozesses zur Berliner Bankenaffäre gegenüber ddp als enttäuschend und unbefriedigend bezeichnet. Der Prozeß gegen die ehemaligen Manager des Plattenbau-Unternehmens Aubis, Klaus Hermann Wienhold und Christian Neuling, ist – wie erst am Wochenende bekannt wurde– bereits im Mai ausgesetzt worden. Beide Angeklagte sind laut einem amtsärztlichen Attest verhandlungsunfähig. (ddp/jW)

  • Jens Grosser

    Hier noch mal etwas ausführlicher ein paar Informationen über die „Top-Aufklärer“, die Siemens sich ins Haus geholt hat, damit der Fall auch intern gelöst wird:

    1.Michael Hershman – laut Handelsblatt:
    Sie wollen wissen, warum sich junge Araber in die Luft sprengen? Interessiert es Sie, wie sich Terroristen ihre Gelder beschaffen? Oder würden Sie lieber erfahren, wie Regierungen in der Dritten Welt bestochen werden? Kein Problem: Michael Hershman hat auf diese und noch eine Vielzahl anderer Fragen die Antworten.

    Wenn es um Terrorismus oder Korruption geht, ist der 61-Jährige in Amerika so etwas wie Franz Beckenbauer im deutschen Fußball: Er war in der Vergangenheit so erfolgreich, dass ihm heute jeder zuhört und er zu jedem Thema etwas sagen kann – auch zum System schwarzer Kassen, das derzeit Siemens erschüttert.

    Deshalb hat der Münchener Konzern dem Sicherheitexperten einen Beraterauftrag gegeben: Hershman soll die nötigen Strukturen schaffen, damit das Traditionshaus künftig vor Betrügereien seiner Mitarbeiter geschützt ist. Für Hershman ist der Auftrag nichts Besonderes. Seit fast 40 Jahren lebt er davon, korrupte Beamte zu verfolgen und Terroristen zu bekämpfen. Erst war er beim Militär, dann arbeitete er für den Staatsanwalt in New York. Im Anschluss war der Manager dabei, als der Senat in Washington die Watergate-Affäre aufklärte. Später gründete er die Fairfax Group, eine Beratung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Der Mann mit dem typisch amerikanischen strahlenden Lächeln und den blitzend weißen Zähnen gehört auch zu den Gründern der Antikorruptionsvereinigung Transparency International.
    (Deren Chef Weltbankmanager Peter Eigen übrigens – darauf 1995 angesprochen – noch nie etwas vom Elektrokartell IEA gehört hatte, noch nicht einmal als Leser von Thomas Pynchons Roman „Die Enden der Parabel, in der ein Kapitel „Byron die Birne“ dem Elektrokartell „Phoebus“ gewidmet ist.)
    Hershman wird hierzulange gelegentlich auch als „Watergate-Aufklärer“ bezeichnet – wahrscheinlich war er jedoch eher als Gegengewicht zu den beiden Washington-Post-Journalisten in der Regierung als „Watergate-Aufklärungsverhinderer“ eingesetzt worden. So wie Rudolf Mirow seinerzeit die Berliner Kartellverhinderer im Amt umgekehrt als „Kartellschützer“ bezeichnete, nach einem Gespräch mit ihnen in Tempelhof.

    2. Über Ex-Kruppchef Cromme war gestern bereits die Rede.

    3. Der Ex-Oberstaatsanwalt Daniel Noa, nunmehr Chief Compliance Officer bei Siemens, war in Stuttgart während 20 Jahren für Wirtschaftskriminalität zuständig und hat die Antikorruptionsabteilung der Treuhandanstalt Berlin mit aufgebaut.

    Bei yahoo.biz heißt es über ihn:
    Auf den gebürtigen Thüringer aus Gera war man bei Siemens bereits in den 90er Jahren aufmerksam geworden. Damals leitete Noa die «Stabsstelle für besondere Aufgaben» bei der Treuhandanstalt, die mit der Bekämpfung von Straftaten im Zusammenhang mit der Überführung von ehemaligen DDR-Betrieben in Kapitalgesellschaften betraut war. «Diese Abteilung hat relativ gut eingeschlagen und war auch Vorbild für eine Reihe von Unternehmen», berichtet Noa. Bereits damals wollte Siemens ihn als so genannten Chief Compliance Officer einstellen. Doch die Sache verlief im Sande. Nun wurde man sich einig. Auch wenn Noa zuletzt als Oberstaatsanwalt die Abteilung Verkehrsdelikte leitete, sieht er sich für seine neue Aufgabe gut gerüstet.

    Kein Kommentar. Und leider fehlen mir derzeit die Unterlagen über Noas Wirken in der Treuhand-Untersuchungsabteilung und das Auffliegen des parlamentarischen Treuhand-Kontrollgremiums, dessen CDU-Vorsitzender Neuling sich seinerzeit dergestalt hervorgetan hatte, dass er bei einem Schmieröl-Bereich der Raffinerie Schwedt selbst zugriff. Derzeit ist er wegen des Aubis-Skandals in Berlin angeklagt, bekam jedoch wegen seines Gesundheitszustandes Prozeß- und Haftverschonung…(siehe oben).

    4. Die „New Yorker Kanzlei“ Debevoise & Plimpton – man hätte natürlich hierbei auch von „Frankfurter Anwaltskanzlei“ sprechen können, denn bei D&P handelt es sich um einen internationalen Justizkonzern – mit luftgekühlten Großraumbüros in Bockenheim, Washington, New York, London, Paris, Moskau, Hongkong und Shanghai. Zu seinen „Areas of Practise“ gehört an erster und zweiter Stelle „Bankruptcy & Restructuring“ sowie „Corporate Governance“, gleich danach kommen aber schon die Managergehälter (Executive Compensation). Letzteres liegt angeblich ja ebenfalls im Argen bei Siemens.

    Das ist die saustarke Gurkentruppe, die Siemens sich jetzt ins Haus geholt hat, damit alles wieder gut wird. Das Handelsblatt (s.o.) hat ihre Aufgabe mit aller Deutschlichkeit benannt: Sie sollen die Strukturen schaffen, damit das Traditionshaus künftig vor Betrügereien seiner Mitarbeiter geschützt ist!

    „Betrügereien seiner Mitarbeiter“…Besser kann man es nicht ausdrücken, worum es bei der ganzen zigmillionenteuren internen  „Aufklärung“ gehen soll.

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