vonHelmut Höge 26.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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1. Seltsam – die Hälfte aller Siemens-Einträge in diesem taz-blog werden von Google nicht registriert.

2. Die öko-taz war schon immer relativ ignorant gegenüber dem Wirtschaftsleben und erst recht den Arbeitern darin. Ihr erster Bruch bestand darin, die Arbeitskämpfe, die proletarische Bewegung  weniger wichtig oder interessant zu finden als die Anti-AKW-Auseinandersetzungen und dann die Hausbesetzerbewegung sowie den Punk, wobei ihre Aufmerksamkeit für letzteres sich zu einem immer größeren Interesse erst für Pop und dann für Glamour, schließlich für Promis und  Autoritäten aller Art (und sei es eine bayrische Landrättin) fortentwickelte, was stickum zu einem zweiten Bruch führte: zu einem biestigen Desinteresse an allem, was nach Bewegung aussah und -sieht.

Am Beispiel von Siemens bzw. der Hauptversammlung des Konzerns gestern kann man das sehr schön verdeutlichen. Neben einem Vorort-Stimmungsbericht gab es dazu heute nämlich noch “eine kleine Chronologie der Skandale” bei Siemens:

Diese beginnt mit der BenQ Mobile – Pleite, “bei der 1950 Beschäftigte ihren Job verloren”, sowie mit der “Gehaltserhöhung von Siemens-vorstandsmitglieder um 30%”. Und fährt dann folgendermaßen fort:

“Jahrelang war Siemens führender Anbieter von Atomreaktoren und Kraftwerkssystemen. Mittlerweile ist es die französische Framatome ANP, an der Siemens mit 34 Prozent beteiligt ist. Über die Beteiligung an Voith Siemens liefert der Konzern Generatoren und Turbinen für Staudammprojekte in ärmere Länder, die sich durch den Kauf noch stärker verschulden.
Proteste erntet Siemens auch wegen des Baus des weltweit größten Wasserkraftwerks, den Drei-Schluchten-Damm in China. Er soll den Jangtse auf einer Länge von rund 650 Kilometern aufstauen und 18.000 Megawatt Strom erzeugen. Dafür werden rund 1,3 bis 1,9 Millionen Menschen zwangsumgesiedelt. Die Betroffenen behaupten, dass zugesagte Entschädigungszahlungen weitgehend veruntreut worden seien. Gegen Menschen, die in Indien gegen das Kraftwerksprojekt Maheshwar protestieren, geht die Polizei mit brutalen Maßnahmen vor.
In Deutschland hat Siemens in der Vergangenheit alle Reaktoren konstruiert. Auch Reaktoren, die im Ausland abgelehnt wurden. Ein Reaktor, der in Österreich aufgrund von Protesten der Bevölkerung nie fertiggestellt wurde, ist im bayrischen Isar noch immer in Betrieb, obwohl er als hoch gefährlich gilt.
Auch das deutsche AKW Biblis A ist von Siemens und wegen seiner Sicherheitsmängel heftig umstritten. Ein neuer Reaktor entsteht derzeit in Finnland. In den 70er und 80er Jahren kooperierte Siemens mit Militärregimen in Argentinien Brasilien und dem Iran, um dort Atomreaktoren zu bauen, deren Nutzung auch militärisch motiviert war. ”

Immerhin beginnt der Vorort-Berichterstatter mit dem Hilfshausmeister des Veranstaltungssaals, in dem die Siemens-Hauptversammlung stattfand:

Der nette Herr Seitz vom Wachdienst breitet seine Arm aus und sagt: “Na, hier dürfen Sie nicht raus.” Journalisten hätten von nun an keinen Zutritt mehr zum Publikumsbereich. Eingesperrt in den Pressebereich, fernab der Kleinaktionäre. “Weisung von ganz oben”, entschuldigt sich Herr Seitz und zeigt mit dem Zeigefinger in Richtung Hallendecke.

Zwar kommt der Berichterstatter dann nicht mehr auf den “netten Herrn Seitz” zurück, sondern entert ohne Erlaubnis die Sitzreihen der Kleinaktionäre, aber dafür erwähnt er dann deren Sprecherin Dagmar Bergdolt (die ich gestern zehn mal falsch Bergholt genannt hatte) und läßt obendrein auch noch einen Siemensianer zu Wort kommen:

“So unschuldig, wie sie tun, sind die Herren nicht.” Seit 24 Jahren arbeitet der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, für Siemens Networks. Noch. Bald heißt sein Arbeitgeber Nokia Siemens Networks. An der Loyalität zu seinem Arbeitgeber wird das aber nichts ändern: “Ich habe ja keine Angst um meinen Arbeitsplatz.” Trotzdem oder gerade deswegen ist die “Sache mit der Korruption” für den Mann ein einziges “Verschleudern von Geld”.

Hier sind gleich zwei Fehler drin: Zum einen wird es immer unwahrscheinlicher, dass Nokia die anvisierte “strategische Partnerschaft mit Siemens” auch vertraglich besiegelt. Und zum anderen ist bestechen und korumpieren gerade kein “Verschleudern von Geld”, sondern gut investiertes Geld, aber es ist eben verboten – weil nicht marktwirtschaftlich.

Erwähnt sei zum Schluß noch, dass es aus Anlaß der Hauptversammlung heute insgesamt sieben Texte in der taz gab – so etwas hat es glaube ich noch nie gegeben. Leider verhallt auch hier wie bei allen anderen taz-themen Nietzsches Diktum unbeachtet: “O Mensch gib acht/ Der Tag ist tiefer als der Tag gedacht!” Soll heißen: Dranbleiben, in die Tiefe gehen, nachlegen, und immer noch einen drauflegen.

Zufällig findet sich heute irgendwo in den Medien ein längerer Text darüber, dass immer mehr  Redaktionen genau dies tun, indem sie auf einmal  bearbeitete  Themen oder Fälle  früher oder später noch mal zurückkommen: Was ist eigentlich daraus geworden? Das hat wahrscheinlich etwas mit der zunehmend inaktueller werdenden Aktualität zu tun, die ständig von Ödeldödel-Sendern und Presseerzeugnissen derart durchgenudelt wird, dass man einfach darüber hinausgehen muß, wenn man noch alle Tassen im Schrank hat.

Was zählt, ist der Augenblick und das Jahrhundert!  Und das Jahrhundert des “Siemens-Systems” kommt in diesem Augenblick wahrscheinlich zu einem Ende – was nicht heißt, dass es in den daraus hervorgehenden Fraktalen für die darin übrig bleibenden “Mitarbeiter”  besser wird, im Gegenteil. Dieser Prozeß der “schöpferischen Zerstörung”, der intern als “Autokannibalismus” empfunden wird, begann bereits mit  Pierer – und hat bereits hunderten von “Siemensianern” über Magengeschwüre, Herzattacken, Wutfraß und sonstigen Leiden das Leben gekostet.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/01/26/nachtrag-zur-siemens-hauptversammlung/

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