vonHelmut Höge 10.02.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Eine kurze historische Überkreuz-Bewegung Ecke Clayallee – Potsdamer Chaussee:

1884/1885 fand in Berlin die “Afrika-” bzw. “Kongo-Konferenz” statt, auf der die europäischen Mächte den “schwarzen Kontinent” aufteilten, der bis dahin laut Hegel bloß “geschichtslos” vor sich hingedämmert hatte. Auch Deutschland sicherte sich einen “Platz an der Sonne” – als Siedlungsgebiet für Arbeitslose. Die deutsche Herrschaft dort dauerte nur 30 Jahre, die Siedler begreifen sich jedoch noch heute als Deutsche, wie sie zuletzt Helmut Kohl versicherten. 120 Jahre später jährte sich der deutsche “Genozid” an den Völkern Ost- und Westafrikas zum 100. Mal – und die Überlebenden verlangen “Wiedergutmachung”, was die Bundesregierung mit erhöhter Entwicklungshilfe abwehrt.

2004 erinnerten mehrere Bücher an den Aufstand der Herero und Namas in Deutsch-Südwestfrika, u.a. ein ebenso  dicker wie dichter Roman von Gerhard Seyfried, dem Aufstandsforscher (u.a. in der taz) jedoch vorwarfen, darin immer noch zu sehr die Sicht der deutschen Soldaten favorisiert zu haben. Inzwischen gibt es etliche Darstellungen von Überlebenden sowie auch von namibischen Forschern und europäischen Afrikanisten.

2005 widmete sich eine Konferenz von Afrika-Solidaritätsgruppen in der Neuköllner “Werkstatt der Kulturen” sowie eine Tagung von Missionswerken/gesellschaften im Deutschen Historischen Museum dem “Maji-Maji-Krieg” in Deutsch-Ostafrika (Tansania). Auf beiden Veranstaltungen übernahmen Deutsche Verantwortung für deutsche “Vernichtungsfeldzüge”, wenn auch – wohl vom genius loci Zeughaus beflügelt – Professor Helmut Bley z.B. zu bedenken gab, noch nirgendwo in der Geschichte habe es eine Modernisierung ohne soziale Kosten gegeben. Mit anderen Worten: Wo gehobelt wird, da fallen Späne!.

Einen nicht-deutschen  Standpunkt gegenüber den Aufständen nahm am Wochenende ein “Symposion” im gleichnamigen griechischen Restaurant in Zehlendorf ein. Hier ging es recht eigentlich – ausgehend von Friedrich Kittlers Aufsatz “Medien und Drogen in Pynchons Zweiten Weltkrieg”  und einer namibischen Studie von Selmeci und Henrichsen “Das  Schwarzkommando – Thomas Pynchon und die Geschichte der Herero”  – um neue Waffen!

D.h. man wollte und konnte wohl auch nicht länger der auf den “Macy-Konferenzen” ab 1946 entwickelten  kybernetischen Kriegsforschung, die in Computer- und Gentechnik gipfelte, hinterherhinken – oder wohlmöglich wie die Nachfolgebanden der Aufständischen heute mit veralteter (westlicher) Kriegstechnik dagegen antreten. Stattdessen hoffte man Näheres zu erfahren über die damals zum Einsatz gekommenen Drogen: sei es das “Maji-Maji” in Deutsch-Südwestafrika und bei den jetzigen Mungiki in Kenya oder das  “Mai-Mai” verschiedener Milizen im Kongo. Und ob der Aufstand der Hereros und Namas 1904-08 nicht zuletzt deswegen scheiterte, weil es in Namibia im Gegensatz zu Tansania an einer solchen – die Stämme einigenden – Droge gefehlt hat?

Hierzu erwähnte einer der Anwesenden die Rolle der Orden (u.a. der Sufis) und ihrer besonderen Kriegsmedizin – bei der Einigung der kurdischen Stämme im Kampf gegen äußere Feinde. Ähnliche stammesübergreifende Organisationen habe es auch bei den Aufständen der Beduinen gegeben. Dagegen wurde eingewandt, dass es 1904 in Namibia nicht mehr um Stämme ging, sondern um eine Gesellschaft im Umbruch.

Was nun die Zusammensetzung und Wirkung der Droge “Maji-Maji” (Wasser auf Deutsch) betrifft, auch hier gingen die Meinungen auseinander: So behaupteten die einen, gestützt auf diverse Studien, dass es sich dabei um geweihtes Wasser handelte, dass der “Prophet Kinjikitile” an seine  Antirassismus-Krieger in Form von Amuletten austeilen ließ. Es sollte sie – verbunden mit Keuschheit und Besitzlosigkeit – vor den Kugeln der deutschen Gewehre schützen, also unverwundbar machen. Einige andere behaupteten dagegen, dass diese “Kriegsmedizin” versprach, die Kugeln des Feindes in Wasser zu verwandeln. Sie beriefen sich dabei auf den Bremer Forscher Jigal Beez, der dazu tansanische Kriegsteilnehmer interviewt hat. Dabei fragte er sich: Wieso das Maji noch weiter  “funktionierte”, obwohl tausende von Krieger erschossen wurden. Zum einen konnten die Boten des Propheten, dem man nach der Unabhängigkeit  ein Denkmal in Tansania   errichtete, im Falle einer Schußwunde trotz Maji argumentieren: Ihr wart nicht enthaltsam genug und geplündert habt ihr auch. So argumentierte zuletzt auch noch Alice Lukwena – eine kriegerische Prophetin im Kongo. Zum anderen schlossen sich dem “Maji-Maji-Krieg” zwanzig Stämme an, die sich dabei erstmalig vereinigten, und einige auch ohne die Maji-Medizin. Sie meinten,  ihre eigenen Heiler hätten ebenso gute  Mittel – z.B. solche, die sie und ihre Dörfer im Falle einer Gefahr unsichtbar machen würden, indem sie sie in Termitenhügel oder Wälder verwandeln. Genau um diese (An-) Verwandlung ging es auf dem Symposion, wobei klar war, dass das nicht ohne “Drogen” funktioniert – wenn überhaupt.

Dabei dachte man jedoch nicht an irgendwelche “Psychodrogen” (mit denen Geheimdienste operieren), sondern an eine – jedenfalls für die hiesigen Verhältnisse – ganz neue Waffe. Das ganze artete dann auch in eine regelrechte Waffenkonferenz aus – bis jemand die Verwandlungstechnik der südamerikanischen Schamanen (mithilfe von Pilzen bzw. Stechapfel ) ins Spiel brachte, wobei es ihm darum ging, dass man sie zwar lernen könne, aber niemand die “Erfahrung” zwei mal machen könne. Was dem Credo der westlichen Wissenschaft von der Wiederholbarkeit von Experimenten, um gesicherte Erkenntnisse (Daten) zu bekommen, völlig zuwider laufe…Vielleicht basiere ja auch die Maji-Maji-Erfahrung auf diesem Prinzip der Sigularität. Im übrigen würden alle Völker oder Stämme zu allen Zeiten sich, wenn sie in den Krieg zögen, mindestens mit einem magischen Amulett ausrüsten – als notwendige Wunderwaffe gegen den statistischen Zufall (als Treffer). Die Frage sei also falsch gestellt: Nicht, ob oder wie wirkte diese Droge, sondern wo und bei wem bzw. in welcher Auseinandersetzung half sie. Thomas Pynchon ließ die Überlebenden seines  Herero-Schwarzkommando nach 1945 in der Lüneburger Heide zu der Einsicht kommen, dass die politische Konfrontation im Zweiten Weltkrieg nur ein Scheingefecht war, ein Manöver, um einer neuen (intelligenten!) Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Man kann sich dabei also leicht verrennen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/02/10/kriegsmedizin/

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kommentare

  • Hi,Helmut, sehr spannende Zusammenhänge…Hätte gerne mal den Kittler-Aufsatz gemailt..Geht das???

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