vonHelmut Höge 20.02.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Nicht zuletzt dank des neuen Controllers veranstaltet die taz demnächst ihre erste “Schwarze Zahlen Party”.  Früher waren “die Zahlen” immer rot – was nur im Sozialismus (Drüben also) etwas Positives war, nämlich “Planerfüllungszahlen”. Früher waren aber auch die Inhalte der taz zumeist “rot”, das sind sie nun ebenfalls nicht mehr. Die taz ist eine Arbeitsplatz-Erhaltungseinrichtung geworden – sie setzt auf Dauer und nicht mehr auf Ziele (z.B.: Sturz der Regierung, Einrichtung einer Rätedemokratie, Abschaffung des Kapitalismus, d.h. der Warenproduktion – und stattdessen Gebrauchswertproduktion, Volksbewaffnung, Solidarität mit anderen Freiheitskämpfern (“Waffen für El Salvador!”), Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Verbot von volksverdummender Propaganda usw.). Die taz hat keine geldgeilen Aktionäre, sondern geduldige Genossenschaftler.
Aber auch anderswo ging es immer darum und erst recht darum, aus den roten Zahlen zu kommen bzw. nicht in die roten Zahlen zu geraten…So vereinigten die Konzerne Siemens, AEG und Brwon, Boveri & Cie 1935 noch 95% der Martkanteile auf sich. Und das ließ sich auch nach 1945 noch alles ganz gut an – mit ihrem Weltkartell IEA, d.h. mit Heimatmarktschutz-Abkommen – “Home-Protection Agreement (das absurderweise z.T. noch immer gilt – so gibt es hier z.B. immer noch kaum GE-Produkte), Abkommen über gegenseitige Patentlieferungen und Lizenzbauten (Patent-Pools mit Cross-Licensing-Agreements), Kampfmaßnahmen gegen Außenseiter des Kartells (Fighting Proceedings against non-members), Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern usw..

Aber dann geriet die Welt der Elektro-Multis in Bewegung – Anfang der Achtzigerjahre:

Da trat der US-Konzern General Electric – unter Jack Welch – aus der IEA aus und krempelte den ganzen Laden um. U.a. wurden 100.000 Mitarbeiter entlassen und GE stellte sich dem internationalen Wettbewerb.

AEG tat das nicht – und ging über einige Umwege unter.

Der Schweizer Konzern Brown Boveri suchte den Ausweg durch Fusion mit dem schwedischen Konzern Asea (zu ABB), wobei der neue Chef Percy Barnevik angeblich ebenfalls aus der IEA austrat. Die englische GE tat sich derweil mit dem französischen Konzern Alsthom zusammen.

Bei Siemens kam es erst 1999 zu einem Konzernumbau (Pierers 10-Punkte-Programm – und zu Massenentlassungen (die andauern). 1999 soll angeblich auch die IEA endgültig aufgelöst worden sein.

Auf alle Fälle bot sich nach 1990 infolge der weltweit anstehenden Privatisierungen, die natürlich massenhaft Korruption von Staatsbediensteten nach sich zogen, die Einrichtung von Schaltstellen für Korruptionszahlungen (aus “schwarzen Kassen”) an. Das war der Zeitpunkt, da Siemens darauf drängte, in die bis dahin nur für Banken zugelassene Bank aller Banken “Clearstream” aufgenommen zu werden – und zwar mit “unveröffentlichten Konten”.

Auch ABB hat zuletzt mindestens europaweit verantwortliche Leute geschmiert – und flog deswegen neulich auf: stellte sich jedoch als Kronzeuge zur Verfügung und muß deswegen nun im Gegensatz zu Siemens kein dickes Bußgeld an die EU zahlen. Ob ABB dafür ebenfalls “unveröffentlichte Konten” bei Clearstream hatte oder hat, ist noch nicht klar.

Auf alle Fälle sollten sich die Untersuchungsrichter und Staatsanwälte nun auf “Clearstream” in Luxemburg und auf das Brüsseler Pendant konzentrieren – wenn sie dazu in der Lage sind. Der “Clearstream”-Mitbegründer Ernest Backes, der nach Gesprächen mit ihnen immer wieder erschreckt darüber war, wie wenig Ahnung all diese Juristen von Wirtschaftsvorgängen haben und wie unengagiert sie diesbezüglich sind, bezweifelt, dass sie dazu überhaupt willens und in der Lage sind. Wahrscheinlich muß man sie wie die Trüffelschweine zu den ganzen “Vorgängen” hintragen. Von dem von Siemens eingestellten  Staatsanwalt Noa wissen wir, dass er sich bereits jetzt – nach 10 Tagen oder weniger – nur noch als Trüffelesser versteht.

Die SZ läßt Andreas Oldag heute im Wirtschafts-Kommentar daran erinnern: “Der Lebenszyklus von Konzernen ist begrenzt. Vor allem Konglomerate mit einem Sammelsurium von Produkten haben kaum eine Überlebenschance. Noch in den 90-er Jahren waren diese Megakonzerne in Mode, doch ihre angeblichen Vorteile erweisen sich inzwischen als Nachteil: So können die Konglomerate die Probleme einzelner Bereiche theoretisch dadurch ausgleichen, dass es in anderen Bereichen gerade gut läuft. Doch in der Praxis funktioniert dies nur selten…Sie verlieren gegenüber kleineren, flexibleren Konkurenten.”

Genau dies verkündete Kurt Rudolf Mirow bereits 1990 – in seinem Buch “Konzerne am Ende? Eine Chance für die schöpferische Kraft des Mittelstandes”.

Siemens ist so ein typisches “Konglomerat” – mit angeblich 1 Million Produkte im Angebot! Wie man da aus der zunehmenden Unflexibilitäts-Not durch Einführung eines weiteren Produkts eine Tugend macht, hat ein Jahr nach Einführung seines 10-Punkte-Programms Heinrich von Pierer einmal sehr schön erläutert – auf einer Pressekonferenz:

Meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie in ungewohnter Umgebung: Zwischen Rollfeld und Autobahn, umgeben von der Dynamik eines hochausgelasteten und besonders schnell wachsenden Air-ports.

Ich begrüße Sie aber nicht nur an einem neuen Siemens-Standort, unserem Center of E-Excellence. Sondern vor allem auch auf einer virtuellen Baustelle, und zwar nicht irgendeiner, sondern der größten E-Business-Baustelle der Welt! Siemens ist im Um-bruch! Und weil ich weiß, dass viele von Ihnen genauso wie ich unter dem Druck stehen, auch komplexe Themen auf griffige Formeln verkürzen zu müssen, dann könnte man mit einem Satz sagen: “Wir schaffen New Economy mit Substanz”.

Das war die Kurzfassung. – Jetzt kommt die etwas ausführlichere Version:

Worum geht es? – Deutlich wird das an einem Beispiel zum Thema Knowledge-Management: Unsere Gesellschaft in Malaysia wollte für den Multimedia-Supercorridor zwischen Kuala Lumpur und dem neuen Flughafen ein glasfaserbasiertes ADSL-Projekt – also ein Hochgeschwindigkeitsdatennetz – akquirieren. Wer den Stellenwert des MSC in Malaysia und speziell bei Präsident Mahathir kennt, kann einschätzen, dass hier das Prestige von Siemens auf dem Prüfstand war, aber dass eben auch ein großes Ge-schäft winkte.

Die Not unserer Mitarbeiter vor Ort war groß. Denn ihnen fehlte das erforderliche Wissen, und sie wollten die Waffen schon strecken und bei der Ausschreibung nicht mitmachen. Dann kam einer auf die Idee, unser gerade entstehendes internes Sharenet zu befragen. Und jetzt kommt’s: Sharenet ist ein intelligentes Knowledge Management- System im Siemens-Intranet, das bei ICN entwickelt worden ist und jetzt im ganzen Unternehmen eingeführt wird. Funktionieren tut es so: Man gibt das eigene Problem in eine Datenbank mit Suchmaschine ein. In der Datenbank sind Projekte, Projektbearbeiter und Lösungen weltweit gespeichert. Die Suche im Sharenet brachte zutage, dass Kollegen in Dänemark ein vergleichbares Projekt der dortigen Telekom gewonnen hatten und bereits realisierten. Die Mitarbeiter in Kuala Lumpur konnten darauf zurückgreifen und haben umgehend den Auftrag für das erste Pilotprojekt erhalten. Jetzt haben wir beste Aussichten, einen erheblichen Teil des gesamten ADSL-Projekts in Malaysia zu gewinnen. Immerhin liegt das Gesamtvolumen des Vorhabens bei einer Milliarde US-Dollar.

Es ging eigentlich um etwas ganz Naheliegendes: im richtigen Moment auf das Wissen des gesamten Unternehmens zurückgreifen zu können. Und das mit System und nicht per Zufallstreffer. Manchem von Ihnen fällt jetzt sicher das geflügelte Wort ein, das wir im übrigen in einem Anfall von Selbstironie selbst erfunden hatten: “Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß”. In Zukunft geht es andersherum: “Siemens weiß, was Siemens weiß”. Und damit werden wir bei der Neuakquisition von Aufträgen unser ganzes Wissen zugunsten unserer Kunden einsetzen, und wir werden dem Motto gerecht: Siemens: the global network for your success.

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