vonHelmut Höge 02.03.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

Schon wieder habe ich ein von der Bibliothek ausgeliehenes Buch wochenlang überzogen. Es war die Bibliothek der Biologen an der Humboldt-Universität – hinter dem Museum für Naturkunde. Die junge Frau am Tresen war jedoch so nett, mir einen kleinen Ausweg, eine Ausrede, zu lassen, so dass ich statt 60 nur 40 Euro zahlen mußte. Dafür hätte ich mir das Buch jedoch auch schon zwei mal kaufen können. Jetzt muß ich ein weiteres Buch schnell verlängern oder es zurückgeben. Ich hoffe, dass ich nächste Woche dazu komme – da bin ich sowieso auf Besorgungen eingestellt, weil ich mal wieder den Hausmeister vertrete, der eine gewerkschaftliche Fortbildung besucht. Ich glaube, es geht um Globalisierung die Folgen für Arbeitnehmer oder so. Einer der Geschäftsführer unkte: “Irgendwann sind wir der letzte Betrieb mit einem Betriebsrat.” Ich ergänzte: “Und zwar mit einem hochqualifizierten!”

Zurück zum Bibliotheks-Buchrückgabeschalter. Eine Nachbarin und Freundin von Lilli Brand arbeitet an einem solchn in der FU. Und weil sie Lilli immer mal wieder was über die faulen Ausreden der Studenten erzählte, schrieb diese irgendwann einmal alle diesbezüglichen Geschichten auf:

Laut Michel de Certeau haben die Menschen in den modernen, elektronisierten Großstädten kaum noch eine Möglichkeit, deren engmaschigen Systemen zu entkommen, ihnen bleibe  als   “Individuen” nur die Chance, sie immer wieder zu überlisten, auszutricksen,  “Coups zu landen”. Im Endeffekt gehe es dabei um eine “Lebenskunst”, die den partisanischen Tugenden und Taktiken ähnlich ist – um im Dschungel der Interessen und Informationen individuell zu bestehen und sogar erfolgreich zu sein.

Aber die andere Seite schläft auch nicht! Regine A. z.B.: Sie arbeitet seit vielen Jahren an der Ausleihe einer Berliner Universitätsbibliothek.  Dabei wird sie täglich mit den Ausreden von  Benutzern konfrontiert, die es nicht geschafft haben, ihre Bücher rechtzeitig wieder zurückzugeben. Weil die an der Ausleihe Beschäftigten mit steigenden Mahngebühren irgendwann diesen Auseinandersetzungen nicht mehr gewachsen waren, installierte die Bibliotheksleitung ein Ausleihprogramm mit Benutzerkonten. Damit werden seitdem die Mahnungen nach Ablauf der Ausleihfrist automatisch erstellt. Die dritte Mahnung geht per Einschreiben raus – was für den Empfänger teuer wird.

Dieses neue Verfahren hält die Bibliotheksbenutzer jedoch nicht davon ab, den Mitarbeitern an der Ausleihe weiterhin zuzusetzen. Regine A. berichtet: “Die  rufen z.B. nach der dritten Mahnung bei mir an  oder kommen persönlich zur Ausleihe und verlangen eine Verlängerung der Bücher. Nach Überprüfung ihres Benutzerkontos sage ich Ihnen: ‘Aber Sie haben schon eine Mahnung’. Darauf der Kunde: ‘Bei mir ist nichts angekommen…Vielleicht ist sie bei der Post verloren gegangen?  Kann ich meine Bücher trotzdem verlängern?’ ‘Ja, aber die Mahngebühren müssen Sie dennoch zahlen.’ ‘Ich war krank.’ ‘Kein Problem, bringen Sie Ihre Krankmeldung, dann erlassen wir Ihnen die Gebühren.’ ‘Ich war aber nicht krank gemeldet, ich hatte starke Rückenschmerzen und konnte mich kaum bewegen.’

Andere Kunden behaupten: ‘Ich war verreist’, ‘Ich war nicht in Berlin’, oder ‘Ich hatte die  Ausleihquittung verlegt.’ Gelegentlich heißt es auch: ‘Ich habe zwei Wohnsitze, das muß an die falsche Adresse gegangen sein’ oder  ‘Ich war so beschäftigt, dass ich nicht dazu gekommen bin, meine Korrespondenz zu erledigen’. Darauf erwidere ich: ‘Sie hätten Ihre Bücher auch telefonisch, per Fax oder Email verlängern können. Stattdessen sind sie jetzt sogar umständlicherweise persönlich erschienen.’ Aber was soll man solchen Leuten antworten, alten Universitätsangehörigen z.B., die nur Rumstottern: dass sei Ihnen noch nie passiert, in den letzten 30 Jahren nicht. Einer hat zum Beweis dafür sogar mal eine ganze Akte mit Ausleihquittungen vorgelegt. Ein anderer brach fast in Tränen aus und klagte: ‘Was für eine Gesellschaft, die mich zum Lügen zwingt…’ Dem entgegnete ich: ‘Sagen Sie doch einfach die Wahrheit!’

Manche behaupten auch, sie hätten  die Bücher per Email verlängert und auch eine Bestätigung dafür bekommen. Diese Leute werden an die Ausleihleitung weitergeleitet, da können Sie Ihre Version vortragen – und zu beweisen versuchen. Manchmal kommt es tatsächlich zu ‘elektronischen Irrtümern’ im Ausleihprogramm, deswegen wird vor der dritten Mahnung noch mal im Büchermagazin kontrolliert, ob die Bücher dort nicht doch stehen. Meistens liegt jedoch der Irrtum bei den Kunden. Einige fragen uns  dann: ‘Bin ich jetzt ein Verbrecher?’ Andere meinen, wir würden ‘immer alles auf das System schieben’. Manche werden aggressiv – und einige sogar gewalttätig. Viele Bibliotheken stellen deswegen Sicherheitspersonal ein. Bei uns an der Universität hat man das leider noch nicht für notwendig befunden.

Wieder andere gehen bis vors Gericht, um gegen unsere Mahnungen zu klagen. Solchen Leuten geht es nicht selten ‘ums Prinzip’: Sie sind sich sicher, dass sie die Bücher zurückgegeben – und z.B. nicht verloren haben. Daneben gibt es auch Benutzer, die  versuchen die angemahnten Bücher einfach in die Bibliothek zurück zu  schmuggeln – und dort irgendwo abzulegen. Wenn wir sie da finden, müssen wir dem Ausleiher die Mahngebühren erlassen. Einmal kamen wir so jemandem aber auf die Schliche: Er tobte und schrie: ‘Darf ich jetzt gar keine Bücher mehr ausleihen?!’ Dann schmiß er sie alle auf den Boden und verließ schimpfend  das Gebäude.

Ein andern Mal kamen zwei Taubstumme und gaben einen Stapel Bücher zurück. Ich konnte ihre Ausleihkonten im Computer nicht finden, mich aber auch nicht richtig mit ihnen verständigen, die beiden redeten die ganze Zeit in Gebärdensprache auf mich ein, schließlich hielt ich einen ‘elektronischen Irrtum’ nicht mehr für ausgeschlossen und nahm die Bücher an. Später stellte sich heraus, dass sie eigentlich ganz woanders hingehörten und die beiden sie nur schnell bei uns entsorgen wollten. Manche Kunden versuchen es mit Charme, indem sie die Ausleihe regelrecht becircen – sogar mit Geschenken. Eine Doktorandin hat einem Kollegen mal derart den Kopf verdreht, dass sie die Bücher unbegrenzt lange behalten durfte, sogar vorgemerkte.  Nicht minder merkwürdig sind Ausleiher, die ihre Mahngebühren, manchmal über hunderte von Euro, geradezu freudig bezahlen. Das sind nicht selten solche, die sich als alte Linke einbilden, damit die kulturelle Errungenschaft öffentliche Bibliothek, die ‘Waffe Wort’, finanziell zu fördern – ohne das von der Steuer absetzen zu wollen. Nur leider kommt ihr Geld uns gar nicht zugute. Es macht uns nur ein schlechtes Gewissen.”

Noch ausgeklügelter sind im übrigen die Ausreden der Schwarzfahrer vor den dafür extra eingerichteten acht Zahlschaltern in der BVG-Zentrale: Wenn man dort arbeitet, wird man geradezu von einer Lügenlawine überrollt. Der BVG-Mitarbeiter Dieter S. meint: “Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich fix und fertig!”

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/03/02/faule-ausreden/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • die ausreden der uni-bib-mitarbeiter, wenn sie partout keine bücher annehmen wollen, sind aber auch nicht schlecht. vor ein paar jahren wollte ich (pünktlich) der amerikanistik-bibliothek an der fu (“john f kennedy-institut”) ein paar bücher zurückbringen. ich kam während der öffnungszeiten und legte die bücher auf den tresen. die dortige mitarbeiterin machte – obwohl offensichtlich nicht beschäftigt – keine bewegung in meine richtung, so dass ich sie ansprach. ihre antwort: “wir haben geschlossen”. “aber die tür ist offen, es sind nutzer da, ich bin da, sie sind da, offensichtlich ist doch noch geöffnet.” sie: “ja, die bibliothek ist geöffnet, aber die ausleihtheke hier ist geschlossen, schauen sie draußen auf das schild” und drehte sich um. tatsächlich, draußen befand sich ein schild: geöffnet 10-19 uhr, ausleihe 10-17 uhr. es war 17.10 uhr. ich ging wieder hinein. “stimmt, dort steht, die ausleihe sei ab 17 uhr geschlossen, ich möchte aber gar nicht ausleihen, sondern das gegenteil, nämlich zurückbringen, also nehmen sie mir bitte die bücher ab”. sie “jetzt wollen wir aber nicht frech werden, wenn da steht, die ausleihe ist geschlossen, dann ist die ausleihe geschlossen, das heißt, diese theke hier ist geschlossen, ich habe feierabend. sie können sich gern bei meinem vorgesetzten beschweren.” auf die idee war ich noch gar nicht gekommen, also bedankte ich mich dafür und fragte nach dem aufenthaltsort des vorgesetzten. sie wies mir den weg in einen gegenüberliegenden gang. auf der tür stand “bibliotheksleitung, sprechzeit 10-15 uhr”

    ich ließ die bücher dann auf der theke liegen und verzichtete auf den rückgabebeleg. das empörte hinterherrufen der bibliothekarin konnte ich durch etwas geräuschvolleres schließen der tür übertönen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert