vonHelmut Höge 04.03.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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In Berlin kam es laut den sogenannten Hauptstadtmedien in den letzten Tagen besonders dicke:

Beim Antibabypillenhersteller Schering fallen knapp 1000 Arbeitsplätze durch die Fusion mit Bayer mit. Die Beschäftigten protestieren und sehen “den sozialen Frieden gefährdet” – whatever that is. Vor allem beklagen sie jedoch, dass es nunmehr – besonders für junge Beschäftigte – nie mehr eine “Planungssicherheit” für ihr Leben geben wird. Die Frage ist, ob das wirklich was Wünschenswertes ist: Lebensplanungssicherheit? Also, dass man mit 20 schon sein ganzes beschissenes Leben verplant hat…
Bei der Telekom, die sich ebenso wie Post und Postbank zum “Global Player” mausern will, sollen 6500 Vollzeitarbeitsplätze in den Festnetzbereichen gestrichen werden – sie sollen in die Telekomtochter T-Service überführt werden. Ausgelagert sind bereits die Beschäftigten der albernen T-Punkt-Ladengeschäfte. Weitere Stellenstreichungen stehen dann bei der Großkundensparte T-Systems an, wo die Telekom einen “Partner” (wie Bayer?) sucht. Nicht erwähnt wird in den Medien, dass auch viele Teilzeit-Arbeitsplätze wegfallen werden, wie der zuständige Verdi-Mitarbeiter Mike Döding weiß. Ist das jetzt eigentlich der Sohn des ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft Narhungsmittel, Genuß, Gaststätten (NGG) – über den es immer hieß: “Drei Dinge braucht der Mann – sein Ding, ihr Ding und Döding!”?

Gegen Arbeitsplatzabbau protestieren auch gerade die Beschäftigten der deutschen Airbus-Fertigungsstätten. Hier sollen 3700 Arbeitsplätze wegfallen und einige Bereiche ganz dicht gemacht werden. Vor zwei oder drei Jahren haben die Hamburger Airbus-Beschäftigten noch gegen die Obstbauern im Alten Land protestiert, die ihre Obstwiesen und damit ihre Arbeitsplätze nicht enteignen lassen wollten – zugunsten einer Erweiterung der Landebahn für den neuen Airbus. “Äpfel oder Arbeitsplätze” – hieß es damals. Die FAZ spricht nun von den “Airbus-Versagern” – meint damit jedoch vor allem die Konzernmanager, in Sonderheit den Deutschland-Chef Gerhard Puttfacken: Dessen Einschätzung der Debatte – “Das Management sei schuldlos an der Krise von Airbus” – hält das Kapitalorgan für einen der “kuriosesten Beiträge” zur Airbus-Krise. Puttfacken ist Plattdeutsch und heißt auf Hochdeutsch Schmierfink. Das muß sich auf seinen Beitrag im Konzern-Sparprogramm “Power8” beziehen. Für mich kommt der kurioseste Beitrag zur Debatte jedoch von der SZ – die titelte: “Airbus streicht weniger Stelllen als befürchtet”. Die Münchner machen jetzt anscheinend einen auf optimistisch in dieser Vor-Weltbürgerkriegsphase.

Darüberhinaus freut sich die SZ über die Fortsetzung des VW-Prozesses: Dabei geht es – anders als bei der Siemens-Gewerkschaft AUB um eine andere Form von Beeinflussung von Gewerkschaftern und Betriebsräten, damit z.B. die – wie die SZ schreibt – “temperamentvollen spanischen VW-Arbeiter” ruhig bleiben. Gemessen am Konzerngewinn, den diese Bestechungspolitik VW einbrachte, waren die paar Milliionen Euro für Luxusflüge und -nutten also eine prima Investition – und kein Schaden bzw. Betrug.
Ziemlich bescheuert ist dagegen der Beitrag des IG-Metall-Strategen Detlef Wetzel (in der Berliner Zeitung) – zu den ganzen o,ä. Stellenstreichungen bei gleichzeitigen Riesenprofiten: “Es gibt zu wenig soziale Verantwortung” meint er. “Das Arbeitsleben wird zunehmend unfair. “Es stimmt. Wir haben alle große Probleme, mit diesen globalen Veränderungen fertig zu werden. Und wir – die Gewerkschaften – haben es sogar strukturell schwerer als das Kapital. Die Gier greift allenthalben um sich.”

Zu dieser “Gier” des Kapitals hat bereits Robert Kurz 2006 – im Anschluß an das Manifest des französischen Bauernkämpfers Joseph Bouvé – Stellung genommen. An einer Stelle hieß es bei Bouvé, ähnlich argumentierend wie die deutschen Gewerkschaften – über die Möglichkeiten, für die Bauern heute zu überleben:

“Die Bäuerliche Landwirtschaft muß…wirtschaftlich effizient sein. Sie muß, gemessen an den eingesetzten Produktionsmitteln und im Hinblick auf die produzierten Mengen, eine hohe Wertschöpfung aufweisen. Nur unter dieser Bedingung können die Bauern mit relativ bescheidenen Produktionsmengen zurechtkommen, und nur unter dieser Bedingung kann die Landwirtschaft eine große Anzahl von Arbeitskräften beschäftigen. Eine in dieser Form effiziente Produktion ist Voraussetzung für die Produktion von Qualität”.
Robert Kurz hat den dergestalt antiglobalistisch auftretenden französischen Bauern um Joseph Bouvé 2005 vorgeworfen: “sie denken selber in den Kategorien der Ware und wollen sich gar keine Vorstellung über eine Welt jenseits davon machen…Was dann als vermeintliche Kritik einer Welt der Waren übrig bleibt, ist nichts als eine verkürzte und nebelhafte Denunziation von (subjektiver) ‘Profitgier’ und ‘Geldgeilheit’…Das Geld ist aber nur die Erscheinungsform der universellen Warenproduktion, nicht deren Wesen, das in ‘abstrakter Arbeit’ und Wertform gründet.”

Im “Freitag” hat Robert Kurz kürzlich zu den fortdauernden Massenentlassungen auch und erst recht in profitablen Großkonzernen sowie zu den Siemens-Skandalen Stellung genommen – unter dem Titel “Die neue Skandal-Kultur steht in voller Blüte”:

Nichts geht mehr, aber alles ist möglich. So könnte die postmoderne Devise für die deutsche demokratische Bananenrepublik lauten. Eine seifige Affäre jagt die nächste. Das Korruptionsnetz im Siemens-Konzern enthüllt sich in seinen Dimensionen erst allmählich. Kaum hat Vorstandschef Kleinfeld die jüngst entdeckten schwarzen Kassen mühsam heruntergeredet und die “Rechtschaffenheit” des Unternehmens als Legende beschworen, ergeben sich neue Indizien für Bestechungsgelder zwecks Aufträgen in China ausgerechnet bei der Mobilfunksparte, die auf dubiose Weise an den taiwanesischen BenQ-Konzern verschenkt worden war. Mit dem bekannten Ergebnis einer ebenso dubiosen Pleite samt Massenentlassung. Wie es scheint, ist die Geldwäsche kein Privileg der Mafia mehr.

Das gehört jetzt zum stinknormalen “business as usual”. Die Rekordgeldbuße der EU-Kommission gegen Siemens wegen Kartellabsprachen fällt da kaum noch auf. War da was? Und wenn schon, die aus dem Image-Olymp gestürzten Götter fallen weich. Deutsche-Bank-Chef Ackermann, der nach dem Mannesmann-Prozess die Rolle des medialen Buhmanns an Kleinfeld weiterreichen durfte, hat es vorgemacht: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich´s gänzlich ungeniert.

Das gilt auch für Peter Hartz, der sich als geständiger Vorstandspensionär des Skandalkonzerns Volkswagen jetzt endlich “vorbestraft” nennen darf. Seine subventionierten Bordellbesuche in trauter Gemeinschaft mit den Betriebsratsfürsten gehören noch zu den Peanuts der schmierig gewordenen Geschäfts- und Mitbestimmungspraktiken. Peinlich nur, dass es sich um den stolzen Erfinder des nach ihm benannten größten Sozialkahlschlags in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte handelt. Dem Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, fällt dazu nur ein, dass die glorreiche Arbeitsmarktreform lieber nicht mehr “Hartz” heißen soll. “Der Begriff ist diskriminierend”, so der gewaschene und rasierte Struck in aller Treuherzigkeit.

Die Wut ist groß, aber wo geht sie hin? Ein Vertreter der Siemens-Kleinaktionäre hat vor Kühnheit zitternd die Forderung nach “personellen Konsequenzen” erhoben. Das Fußvolk will Köpfe rollen sehen. Und Bild durfte sich über die Luxusrente des um eine Gefängnisstrafe herumgekommenen Sozialpartnerschafts-Kriminellen Hartz von 25.718 Euro monatlich erregen. Aber das eilfertig inszenierte Haberfeld-Treiben verliert seinen Unterhaltungswert, je mehr es inflationiert wird. Jede Gesellschaft hat die Personage, die sie verdient, wie schon Karl Marx wusste. Da nützt es auch nichts mehr, die Charaktermasken rotieren zu lassen. Es ist kein Zufall, dass mit Siemens und Volkswagen gerade die Ikonen des Wirtschaftswunders im Sumpf der Korruption versinken.

Im Sog der Globalisierung wird offenkundig die Deutschland AG abgewickelt. Das ist auch das Ende einer Unternehmenskultur, in der die “Siemens-Familie” ebenso gedeihen konnte wie der VW-Korporatismus. Ohnehin war diese Kultur in der Volksgemeinschafts-Ideologie des Nationalsozialismus verwurzelt. Jetzt zerfällt die soziale Integration der fordistischen Epoche, ohne dass ein neues Paradigma an ihre Stelle treten kann. Die Auflösung des institutionellen Gefüges geht mit einer um sich greifenden moralischen Verwahrlosung einher. Nichts Neues in der Geschichte. Und die Mafiotisierung der Verhältnisse ist auch keine Spezialität der ins Schleudern geratenen Deutschland AG. Ob in Japan, in der EU, in Osteuropa oder in den angelsächsischen Ländern, ganz zu schweigen vom neuen Weltwirtschaftsstar China: Überall wird die Aufschwung-, Sachlichkeits- und Gerechtigkeitsrhetorik der offiziellen Repräsentanzen und ihrer Galionsfiguren konterkariert durch eine Lawine von Affären.

Zumindest in der Korruptions-Weltmeisterschaft ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die “harten Hunde” mit kantigem Durchsetzer-Kinn ebenso wie die coolen Karriere-Frauen in Management und politischer Klasse entpuppen sich als Attrappen einer nicht mehr vorhandenen Seriosität. Kein Wunder angesichts der Instabilität einer globalen Defizit-Konjunktur, in der es keine tragfähigen Strategien mehr gibt. Die Kurzatmigkeit von Quartalszahlen-Erfolgsdruck und simulativen Wahlkampagnen verführt dazu, nicht immer mit dem Gesetzbuch unter dem Arm herumzulaufen. Es ist die gesellschaftliche Perspektivlosigkeit, in der die neue Skandal-Kultur blüht. Was in Wissenschaft und Medien an Bewältigungskonzepten verkauft wird, ist selber ein einziger intellektueller Gammelfleisch-Skandal. Und wenn es sachlich nichts mehr zu sagen gibt, wird es persönlich. Alle sägen am Stuhl der anderen und damit am eigenen. Die Affären werden begleitet von undurchsichtigen Machtrangeleien auf allen Ebenen, beim Spiegel genauso wie beim Suhrkamp-Verlag oder in der CSU. Jeder kann jedem etwas anhängen; Dreck am Stecken haben fast alle.

Der Königsmord und das Guru-Legen werden zum Sport, weil niemand mehr weiter weiß. Und die Kronprätendenten sehen auch immer seltsamer aus. Die Gesellschaft mutiert zu einem großen Gesamt-Intrigantenstadl. Die Gleichgültigkeit der Inhalte gebiert einen “mentalen Kapitalismus” mit seiner “Ökonomie der Aufmerksamkeit”, in der es nur noch auf den kurzlebigen persönlichen Platz in den “Charts” ankommt, um für die berühmten fünf Minuten berühmt zu sein und schnell noch ein wenig Geltung samt Geldwert abzustauben. In dieser Situation wird das erlösende Wort einer neuen radikalen Gesellschaftskritik mit Sicherheit nicht vom moralisierenden Linkspopulismus gesprochen. Für die notwendige Umwälzung der Verhältnisse bedarf es einer anderen Perspektive, als bei der allgemeinen Personalisierung der Krisenprobleme mitzumischen, weil nur noch die nostalgische Sehnsucht nach einem integren Arbeitsplatz-Kapitalismus auf der Agenda steht.

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Zu Siemens und ihrer quasi hauseigenen Gewerkschaft AUB sei noch eine Nachricht aus der SZ nachgetragen:

Die Handball-Damenmannschaft des 1. FC Nürnberg ist seit Jahren Spitze in Deutschland, und wer so erfolgreich spielt, hat natürlich auch einen Premiumsponsor, wie das im Sportjargon heißt.

Ungewöhnlich ist nur, dass es sich in diesem Fall nicht um ein Unternehmen handelt, sondern um eine Art Gewerkschaft: die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB).

Auch die Handballteams des VfB Forchheim, Dresdner Volleyballer und andere Klubs werben für die AUB, die nach eigenen Angaben 32.000 Mitglieder zählt und 19.000 Betriebsräte stellt.

Die AUB koste das keinen Cent, sagt Traute Jäger, Mitglied des Bundesvorstands. Geldgeber der Vereine sei vielmehr der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Wilhelm Schelsky, der ein ,,großes Herz‘‘ habe, gerade für den Sport.Den AUB leitet Schelsky ehrenamtlich, hauptberuflich betreibt er eine Unternehmensberatung in Nürnberg und andere Firmen. Bei seinem Sport-Sponsoring habe er bescheiden im Hintergrund bleiben wollen und deshalb die Trikotwerbung der AUB überlassen, erzählt Jäger. ,,Er wollte uns etwas Gutes tun.”

Dazu gibt es einen Leserbrief:

Die AUB stellte die Mehrheit im Betriebsrat bei der Mitte 2005 an BenQ verkauften Mobilfunk Sparte von Siemens. Ende 2003 wurde bereits eine Entwicklungsabteilung mit ca. 150 Mitarbeiter des Mobilfunkbereichs an Infineon verkauft. Abgewickelt ohne viel Aufsehen der Presse und auch mit dem Segen des BR/AUB.

Fraglich bleibt welche Interessen die AUB in diesen Fällen mehr vertreten hat, die der Arbeitnehmer oder die der Siemens AG….

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/03/04/skandal-kultur/

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kommentare

  • apropos den sozialen Frieden gefährdet;

    Diese Sätze verstehe ich noch:

    “Freiheit findet in Verantwortung vor dem Mitmenschen statt. Ihre Schranken findet die Freiheit des einzelnen ­deshalb dort, wo die Freiheit des anderen berührt ist.” aus dem PARTEI-Programm

    aber dieses Flickdeutsch geht mir einfach nicht in den Brägen-aus dem Parteiprogramm der LINKEN

    “Ziel des demokratischen Sozialismus, der den Kapitalismus in einem transformatorischen Prozeß überwinden will, ist eine Gesellschaft, in der die Freiheit des anderen nicht die Grenze, sondern die Bedingung der eigenen Freiheit ist.”

    -in der die Freiheit des anderen die Bedingung der eigenen Freiheit ist??

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