vonHelmut Höge 08.03.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Die Integration der unfreien Bevölkerung in den freien Bauernstand” wurde laut Georges Duby im Mittelalter forciert. Gleichzeitig wurden jedoch aus freien Bauern zunehmend unfreie. In den germanischen Gesellschaften gab es dagegen mehr Widerstand als in den romanisierten, wo sich auch das Recht, Waffen zu tragen und an Raubzügen zu beteiligen zu einer Pflicht der Landbevölkerung zum Militärdienst schneller wandelte. “Somit waren die Grenzen zwischen der Freiheit und den milderen Formen der Sklaverei bis zur Unkenntlichkeit verwischt und die Bedingungen für das allmähliche Verschwinden der Freiheit gegeben”.

Als immer größere Teile der (überflüssigen) Landbevölkerung in die Städte und “Industrien” vertrieben – und zu einer “Gefahr” wurde, übernahmen die Unternehmen die militärischen Organisationsmodelle  (auch andere Institutionen – bei Synanon, in den Knästen und anderen Resozialisierungseinrichtungen – herrscht bis heute militärische Disziplin, der man eine besondere Wirksamkeit speziell bei süchtigen und sonstwie labilen Menschen zuschreibt). Vorreiter war hier laut Max Weber das unternehmerische Deutschland Bismarcks – und das Modell war hier die preußische Armee.

Bei Siemens hießen die Angestellten “Beamte”. “Ende des 19.Jahrhunderts hielt erstmals ein militärischer Umgangston Einzug in die Sprache der Investitionsentscheidungen”, schreibt Richard Sennett in seinem Buch “Die neue Kultur des Kapitalismus”.

Man könnte diesen ganzen (historischen) Prozeß auch als eine Umwandlung von Bauern/Partisanen in Soldaten/Arbeiter bezeichnen. Und dieser Verlauf dreht sich nun um: Nicht nur begreift man Wirtschaftsprozesse und Markt-“Strategien” neuerdings in Begriffen des Guerillakrieges und weitet den “Terrorismus” auf immer mehr Eigenmächtigkeiten aus, auch die Theoriebildung ist derart rückwärts gerichtet.

Erinnert sei nur an den US-Bestseller “Guerillamarketing” von Jay Conrad Levinson und die “Wolfsstrategien”  Twyman L. Towery. Ersteres nennt sich auch ein “Handbuch für kleine und mittlere Unternehmen – und hat inzwischen schon eine Fortsetzung gefunden: Nach “Guerilla Marketing” von Jay Conrad Levinson kam die “revolutionäre Taktik” von Levinson, Gallagher, Wilson – mit dem deutschen Titel: “Guerilla Verkauf” auf den Markt. Die Autoren haben dazu sogar eine Organisation namens “Guerilla Marketing International” geschaffen. Was früher die marxistische Klassenanalyse war, mit deren Hilfe das Aufstandspotential eingeschätzt wurde, sowie auch “Bündnispartner”, “schwankende Zwischenschichten” und “tendentielle Verräter”, hört sich heute so an: “Zwar lassen sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich sieben Persönlichkeitstypen unterscheiden, doch als Verkäufer haben Sie vor allem mit drei Typen zu tun. Da diese Typen sich bereits nach kurzem Kontakt identifizieren lassen, können sie die Verkaufspräsentation auf einen jeden individuellen Interessenten abstimmen und sich auf dessen Bedürfnisse und Motivation mit größter Präzision einstellen. Nun kann der Guerilla an die maßgeblichen Beweggründe des Interessenten appellieren und ihn auf direktem Wege zur Kaufentscheidung führen”.

Der andere Amiquatsch wurde bereits Vorbild für das letzte Buch der Paderborner Erfolgsschriftstellerin und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler – mit dem manager-affirmativ gemeinten Titel “Wölfin unter Wölfen”. Towerys Titel heißt auf Deutsch etwas umständlich: “Die Weisheit der Wölfe – Wolfsstrategien für Geschäftserfolg, Familie und persönliche Entwicklung”. Geschrieben hat es ein Unternehmensberater aus Tennessee: Twyman L. Towery, der auf “Managementsystematisierung”, what ever that is, spezialisiert ist.

Sein Schulungstext beginnt mit der wahren Bemerkung: “Heute ist auf der ganzen Welt ein wieder auflebendes Interesse an Wölfen zu beobachten.” Aber dann geht es los: “Die Sozialordnung des Wolfs ist hoch entwickelt… Das Alphamännchen ist buchstäblich der Rudelführer … Wölfe sind wichtig für die Erhaltung einer gesunden, natürlichen Umwelt… Sie fressen die Schwachen, Kranken und Alten anderer Tierpopulationen … Am allermeisten freilich brauchen wir die Wölfe – für die Gesundheit unseres Geistes.” Oha.

Dann folgenSätze, die so blöd sind, dass man sogar die Wölfe dagegen in Schutz nehmen möchte: “Nicht nur war und ist das Teamwork der Wölfe untereinander entscheidend für ihren Erfolg, sondern zugleich hat die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Wölfen dazu beigetragen, die Lebensumwelt für beide Spezies qualitativ zu verbessern… Die Einstellung des Wolfs kann man in wenigen Worten zusammenfassen: Sie besteht in einer ständigen Vergegenwärtigung von Erfolg… Das Wolfsrudel ist zwar möglicherweise die effektivste Jagdmaschine der Natur, aber es hat dennoch eine Misserfolgsrate von annähernd neunzig Prozent … Es gibt deswegen im Leben des Wolfs keinen Ersatz für Beharrlichkeit… Das Naturgesetz vom Überleben des Tauglichsten ist in der Welt des Wolfs weiterhin wirksam…”

Zusammenfassend kann man abschließend mit dem Autor sagen: Ohne wölfisch zu werden, laufen die ganzen “Total-Quality-Management (TQM)-Programme” völlig ins Leere! Das ist auch meine Meinung.

(Inzwischen ist dieser TQM-Blödsinn derart durch, dass sogar Richard Sennett ihn ganz ernsthaft in seinem eigentlich fast kapitalismuskritischen letzten Buch diskutiert, wob ei man sagen muß, dass die angloamerikanischen Autoren und Wissenschaftler sowieso dazu tendieren, etwas, was es gibt und einflußreich genug ist, als eine Irgendwie-Wahrheit zu behandeln, d.h. zu akzeptieren: Nur nicht radikal werden – d.h. unrealistisch bei ihnen. Neulich nahm ich an einer deutschen Uniumfrage unter blog-vollschreibern teil – und die Interviewer fragten mich auch schon ganz  ernsthaft, in welchem Zusammenhang  mein blog mit einer  “Qualitätsverbesserung” der taz stünde. Ich kann jedoch im Zusammenhang mit Texten dem Wort Qualität nichts abgewinnen: Ein blödes Gestottere kann interessanter und aufschlußreicher sein, als das edelfederhafteste Geschreibsel. )

Als Beispiel für eine gelungene Entmilitarisierung von Unternehmen erwähnt Sennett IBM: 1993 übernahm Louis Gerster “einen Konzern,  dessen Bürokratien als ‘stahlhartes Gehäuse’ der rigidesten Art gelten konnten. Und 1996 war das meiste davon zerschlagen.”

Für Siemens gilt das unter Pierer ab 1999 – mit seinem “10-Punkte-Programm”, das Kleinfeld dann fortführte. Man spricht dabei managerauf- und abwärts von einem “Konzernumbau”, bei Siemens, das neben der Verbeamtung auch eine altersabhängige Beförderung kannte, wobei genau festgelegt war, auf wieviel Quadratmeter Bürofläche inklusive Bildergröße an der Wand man ab einer bestimmten Karrierestufe quasi ein Anrecht hatte, bewirkte der “Umbau” hundertfache persönliche Krisen mit manchmal tödlichem Ausgang unter den davon “Betroffenen”. Aber vorher war Siemens eine Aktiengesellschaft deren Aktionäre an “langfristigen Gewinnen durch Dividenden” interessiert sein mußten, denn von einer “Performance der Siemensaktie” konnte genaugenommen keine Rede sein –  sie ähnelte einer Staatsanleihe.  Und  der multinationale Konzern war ja auch – wie alle anderen damals ebenfalls – noch eng mit “seinem” jeweiligen Nationalstaat verknüpft. Nach ihrem “Umbau” wurden diese Konzerne vor allem für “Investoren”  interessant,  die  nur auf  “kurzfristige Gewinne aus Aktienmärkten” spekulierten. Für die Beschäftigten bedeutete das – wie der Betriebsrat bei Schering gerade bitter bemerkte: Es gibt keine “Planungssicherheit” im Leben mehr, besonders gilt dies für junge Leute, die neu im Konzern anfangen zu arbeiten. Auch wenn die Politiker, Ideologen und Manager das marktwirtschaftlich gestimmt anders sehen, Sennett besteht darauf, “dass diese Veränderungen den Menschen keine Freiheit gebracht haben”.

Dafür nehmen sich nun andere die Freiheit:

Einige Gewerkschaften machen sich gerade auf Plakatflächen für nennenswerte Lohnerhöhungen bei den nächsten Tarifauseinandersetzungen stark. Und einige Regierungsmitglieder unterstützen sie sogar darin. An höheren Löhnen verdient der Staat über die Steuern mit. Und zwar nur noch daran, denn die Konzerne verabschieden sich einer dem anderen von den Finanzämtern:

“So verlegte z.B. Siemens seinen Konzernsitz steuerrechtlich ins Ausland. Von den 2,1 Milliarden Mark Gewinn des Geschäftsjahres 1994/95 bekam der deutsche Fiskus nicht einmal mehr 100 Millionen, im Jahr 1996 zahlte Siemens gar nichts mehr. Auch im Geschäftsbericht 1994 von Daimler-Benz heißt es nur lapidar, die Ertragssteuern seien «im wesentlichen im Ausland» angefallen. Und selbst Commerzbanker Kohlhaussen bewies Ende März 1996, daß seine Steuerexperten inzwischen gelernt haben, wie sich die Steuerpflicht legal aushebeln läßt. Wie zum Trotz legte er drei Wochen nach dem Einfall der Fahnder in sein Büro eine Bilanz vor, die einer Verhöhnung des gewöhnlichen Steuerzahlers gleichkommt. Demnach verdoppelte sich der Commerz-Gewinn 1995 gegenüber dem Vorjahr auf 1,4 Milliarden Mark, die Abgaben an den Staat halbierten sich jedoch auf weniger als 100 Millionen, so H.P.Martin und H.Schumann in ihrem Buch “Die Globalisierungsfalle”.

Über Siemens heißt es darin an anderer Stelle: “Das Imperium Siemens führte noch 1991 fast die Hälfte des Gewinns an die 180 Staaten ab, in denen es Filialen unterhält. Binnen vier Jahren schrumpfte diese Quote auf nur noch 20 Prozent. Somit entscheiden aber nicht mehr demokratisch gewählte Regierungen über die Höhe der Besteuerung, vielmehr legen die Dirigenten der Kapital- und Warenströme selbst fest, welchen Beitrag sie zur Erfüllung staatlicher Aufgaben noch leisten wollen. Wie bewußt dies so manchem Global Player inzwischen ist, brachte Ende April 1996 Jürgen Schrempp, der Vorstandschef von Daimler-Benz, den Haushaltsexperten des Deutschen Bundestages schmerzhaft bei. Mindestens bis zum Jahr 2000, erklärte Schrempp beiläufig während eines gemeinsamen Abendessens mit den Abgeordneten, werde sein Konzern in Deutschland keine Ertragssteuern mehr bezahlen. Schrempp: «Von uns kriegt ihr nichts mehr.»”

Genaugenommen dürfte der Staat nun nicht mehr als Schlichter auftreten, denn er profitiert immer mehr von den Arbeitskämpfen, die um höhere Löhne geführt werden. Diese wird es allerdings nicht mehr lange geben, die Belegschaften neigen – ihrer wenigstens teilweisen Weiterbeschäftigung zuliebe – eher zu  Lohneinbußen und “Nullrunden”.

Im Bismarckschen Deutschland wurde einst das militärische Modell (des Drills und der Unterordnung) auf Unternehmen und andere Einrichtungen übertragen. Mit dem Umbau entmilitarisieren sich die Unternehmen wieder – planen in “Projekten” und experimentieren mit “flachen Hierarchien”, wobei sie immer mehr Beschäftigte “freisetzen” – derenwillen der Staat sich nun erneut  militarisiert – von inländischen HartzIV- Einsätzen bis zu  Bundeswehr-Auslandseinsätzen. Dort werden die Überflüssigen also nun vernutzt. Auch wenn die “Kriegsziele” (Sauber geharkte Wälder, ein talibanfreies Afghanistan) noch alles andere als sinnvoll sind. Aber das galt und gilt auch für die meisten modernen Industrieprodukte – deren Entstehung im übrigen oft militärischer Notwendigkeit geschuldet war.

Die Not des Staates zeigt sich darüberhinaus vor allem in seinen nichtsnutzigen “Kampagnen”, die das Privatleben reglementieren: Schwulenehegesetze, Raucherverbote, Glühbirnenverbote, Sicherheitsschleusen und Videoüberwachung von Behörden, Tagungsorten, etc… Sowie im Verschleudern seiner Infrastruktur, die damit aufhört, Infrastruktur zu sein, wobei die neuen Privateigentümer auch noch alles daransetzen, sich der Belegschaften zu entledigen und dafür die ihm zugeschanzten volkseigenen Immobilien zu versilbern: So will z.B. die Telekom einerseits zigtausende in Beschäftigungsgesellschaften abschieben und andererseits den Fernsehturm am Alex verkaufen. Wir haben es hier nicht mehr mit einem staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) zu tun, sondern mit einem multipolkapitalistischen Staatsbankrott (Mukastab).

Verlassen wir diesen unfreundlichen Staatsscheiß (“das kälteste aller kalten Ungeheuer”, laut Nietzsche) . Hier ist die letzte Siemens-Meldung:

Die Affäre um schwarze Kassen im Technikkonzern Siemens zieht in den USA juristische Kreise. Nach Informationen des Handelsblatts hat ein amerikanischer Siemens-Aktionär den gesamten Vorstand und Aufsichtsrat der Siemens AG verklagt. Auch Siemens-Vorstände und Aufsichtsräte sind betroffen, darunter Josef Ackermann.

Die Rechtsabteilung des Konzerns weist den Siemens-Aufsichtsrat, der hauptberuflich die Deutsche Bank führt, darauf hin, dass er damit rechnen muss, bei einem Besuch des US-Bundesstaates New York an der Grenzkontrolle ein Schriftstück präsentiert zu bekommen. Dessen Inhalt: die Klageschrift eines Siemens-Aktionärs gegen Vorstand und Aufsichtsrat des Münchener Technik-Riesen.

Damit hat der Skandal um schwarze Kassen im Siemens-Telefonbereich Com eine neue, spezifisch amerikanische Dimension erhalten. Der amerikanische Siemens-Aktionär Robert Johnson, in Florida beheimatet, verklagt die gesamte Führung von Siemens auf Schadensersatz.

Er tut dieses stellvertretend für die Siemens AG und wirft der Führung des Unternehmens schwere Pflichtverletzungen vor.

Derartige „Shareholder Derivative Suits“ sind in den USA sehr populäre Instrumente, um Verstöße gegen die Grundsätze der Unternehmensführung (Corporate Governance) zu attackieren.

Dabei tritt der Aktionär im Namen der geschädigten Firma auf und klagt auf Schadenersatz für die Firma. Mit im Boot sind oft prominente Anwaltskanzleien, die es auf die üppigen Prozesskostenerstattung abgesehen haben. (Business News)

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/03/08/der-stamokap-im-umbau/

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kommentare

  • Herr Hoege,

    mir imponiert der nonchalante Esprit, der aber nötig ist, um diese Furchtbarkeiten zu kommentieren, ohne dass dem Leser schlecht wird.
    Nur wenige schreiben so federleicht über so Grobes!

    Gruß und vielen Dank,

    Michael Bischof

  • Wie wahr!

    “Ein blödes Gestottere kann interessanter und aufschlußreicher sein, als das edelfederhafteste Geschreibsel.”

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