vonHelmut Höge 15.03.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Als Nomaden werden meist umherziehende Viehzüchter bezeichnet. Die nach Kollektivierung und Zusammenfassung in Kolchosen erneut – auf privatwirtschaftlicher Basis – umherziehenden Viehzüchter bezeichnet man als “Neue Nomaden”. In Ulaanbaatar gibt es neuerdings ein Restaurant namens “Modern Nomads”, darunter versteht man in der Mongolei annähernd das selbe wie ein FAZ-Kolumnist neulich, als er über diese sich globalisierende neue Szene von Intellektuellen, Künstlern, Programmierern und Projektemachern schrieb, von denen in den nächsten Jahren allein die EU-Ländern 20 Millionen brauchen würden. Die FAZ zählt diese  noch kleine Gruppe der Gewinner auf dem sich globalisierenden Arbeitsmarkt zu den Arbeitsmigranten, deren Zahl in die Zigmillionen geht. Und jeden Tag kommt hierzulande eine weitere Belegschaft hinzu, die irgendwo entlassen wurde – in agrarisch geprägten Ländern ganze Dorfgemeinschaften, die sich auf der Suche nach einem neuen Lebensunterhalt in eine Stadt aufgemacht hat. Die Slums in den Megastädten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sind bereits die am schnellsten wachsenden Siedlungen. In aller Regel entstehen sie durch illegale Landbesetzungen, die dann von der Stadt sozusagen angenommen werden.

Von Migranten unterscheiden sich die Flüchtlinge – und zwar dadurch, dass sie ihre Länder nicht aus freiem Willen verlassen haben, wie man so sagt. Theoretisch genießen die Arbeitsmigranten den Schutz ihrer Heimatländer, während den Flüchtlingen internationaler Schutz zukommt. Praktisch vermischen sich aber Flüchtlinge und Migranten ständig, indem beide Gruppen auf Arbeitsuche sind und dabei meist nur auf prekäre bzw. halb- bis ganz legale Beschäftigungen hoffen können. So werden aus Flüchtlingen Arbeitsmigranten und aus diesen – wenn sie polizeilich gesucht werden – wieder Flüchtlinge. Mit den privilegierten Modernen Nomaden der Neuen Ökonomie, auch “Jobnomaden”  genannt, haben sie gemeinsam, dass sie den Kapitalströmen und Konjunkturen folgen. Das geht bis in die einzelstaatlichen Entwicklungshilfen und internationalen NGOs, die gestern Schwerindustrie, heute Gender- und Ökoprojekte und morgen  Neue Medien fördern.

All diese Arbeitsmigranten eint, dass sie von A nach B gehen und dann nach C usw., während es den alten, ebenso wie den neuen Nomaden – Viehzüchter, Jäger  und Sammler – auf den Weg dazwischen ankommt. Zwar kennen auch die Nomaden Orte – Wasserstellen, Treffpunkte, Winterquartiere – aber sie sind den Wegen, die diese bestimmten, untergeordnet. Orte sind für die Nomaden vor allem Menschen, auf der Suche nach ihnen begibt man sich deswegen direkt dorthin – zu ihnen, d.h. ohne A, B oder C anzusteuern, da sie in Bewegung sind,  man weiß selten genau, wo sie sich befinden. Die meisten Staaten der Welt versuchen deswegen, sie zur Seßhaftigkeit zu zwingen. Nach Revolutionen und Staatsstreichen kommt es jedoch meist zur Tolerierung der nomadischen Lebensweise. Diese – so hoffen die neuen Machthaber – werde sich mit der Modernisierung des Landes von selbst wieder auflösen. Indem man z.B. Straßen baut, an denen sich links und rechts die Nomaden ansiedeln. Beginnend mit denen, die aufgrund sinkender  Fleisch-, Leder- und Wollpreise bei gleichzeitig knapper werdendem Weideland zu verarmt sind, um sich weiterhin eine Herde leisten zu können. Und das Weideland wird weniger, weil immer mehr Flächen privatisiert und industriell genutzt werden. In Europa geschah und geschieht Analoges mit dem  sogenannten “Bauernlegen”. In Deutschland und Österreich, wo heute noch alle 90 Minuten ein Bauer seine Landwirtschaft aufgibt, spricht man von “Wachsen oder Weichen”.

Daneben versucht man hier aus den nicht mehr gebrauchten Arbeitsmigranten, die einst als Gastarbeiter und politische Flüchtlinge kamen, Selbständige zu machen: “Mutige Migranten” nannte die FAZ kürzlich diese  Ich-AG-Gründer, die sich nicht selten zu Modernen Nomaden entwickeln, indem sie z.B. ein “Projekt” nach dem anderen zwischen hier und ihrem ehemaligen Heimatland initiieren. Für solche grenzüberschreitenden Projekte gibt es neuerdings besonders viele Fördermittel. Dazu gehört im übrigen auch die Mobile Akademie von Hannah Hurtzig in Berlin – mit ihrem wandernden “Schwarzmarkt des Wissens”, hervorgegangen einst aus der “Rollenden Roadshow” der Volksbühne. Der letzte “Schwarzmarkt” am vergangenen  Wochenende  hatte die “Migranten” zum Thema.

Genaugenommen hat jede Kunst den Anspruch: grenzüberschreitend zu sein bzw. zu wirken. Immer öfter thematisiert sie dabei auch den Migranten selbst. Neben solchen oder ähnlichen Migrantenprojekten gibt es auch noch die  sogenannten Migranten-Wellen, ferner  Migranten-Anlaufstellen, und die   “Migranten-Gewalt”, der die Polizei mir immer neuen “operativen Gruppen” entgegentritt. Wohingegen es die  Migranten-Kunst zwar der Sache, aber nicht dem Wort nach gibt, höchstens die  Migranten-Literatur. Sie stammte nicht selten von Kosmopoliten bzw. von Internationalisten. Heute spricht man wieder öfter von wahren “Weltbürgern” – meistens jedoch nur in Nachrufen des  Feuilletons, wo es sich auf vielgereiste Großbürger mit Meriten bezieht: die Elite der Jobnomaden sozusagen. In der bedeutend kleineren Welt der alten und neuen Nomaden dagegen versuchte noch jeder von jedem alles zu wissen. Das artete nicht selten in endloses Palaver aus – jedenfalls unter den Männern. Der Afrikareisende Amerikaner Denis Johnson schreibt: “Die Männer gingen schlafen, wenn die Frauen aufstanden, um anfingen zu arbeiten”. Dies hat sich jedoch beim Übergang vom alten zum neuen Nomadentum insofern umgedreht, als dass heute die Frauen nicht selten das Kommando in den nomadisch lebenden Gemeinschaften übernommen haben: “Die Frauen haben die Ideen und wir Männer setzen sie um,” so sagte es ein mongolischer Viehzüchter in der Wüste Gobi.

Auch in den internationalen Vereinigungen der großenteils nomadisch lebenden sogenannten indigenen Völker sind die Frauen tonangebend. Zudem versuchen alte wie neue Nomaden sich – nicht zuletzt über diese globalen Zusammenschlüsse – gegen weitere oder erneute Seßhaftmachung zu wehren. Entweder indem sie auf Landrückgabe, mindestens Entschädigung klagen oder aber, indem sie für die Einrichtung von Reservaten – für sich und andere Nomadengruppen  kämpfen. Es könnte also sein, dass heute die Seßhaftmachung der letzten Nomadenvölker nicht mehr möglich ist, weil sich gleichzeitig der Nomadismus von den Industrieländern her global ausbreitet und immer mehr Seßhafte zwingt, sich mit dieser Lebensweise vertraut zu machen. Das heißt wahrscheinlich: Dem stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse ein  vielstimmiges Palaver entgegenzusetzen.

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