vonHelmut Höge 08.04.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Diese Forderung stellt sich immer dringender – angesichts der zunehmeden Privatisierung von Infrastruktur-Einrichtungen und Sozialbauwohnungen.

Vor kurzem fand in der TU der von Attac, BUKO, AG bäuerliche Landwirtschaft und mehreren Selbsthilfe-Netzwerken lange geplante erste Kongreß über “Solidarische Ökonomie” statt. Zugrunde lag ihm der antidarwinistische Gedanke, dass es nicht der Kampf jeder gegen jeden ist, die eine Art (hier der Mensch) vorantreibt, sondern die vom Lamarckisten Kropotkin so genannte “Gegenseitige Hilfe” bzw. Kooperation. Seit der neoliberalen “Wende” haben sich dazu hierzulande die Genossenschaften als marktwirtschaftlich gerade noch mögliche Unternehmensform vermehrt. Inzwischen greifen aber nicht nur – seltsam genug – soziale Einrichtungen und Vereine auf dieses “Modell” zurück, sondern ganze Städte entscheiden sich, das von den Staatserwaltungen zur Verschleuderung vorgesehene Volkseigentum – wie Wohnungsbau, Gas- Elektrizitäts- und und Wasserwerke – nicht zur Privatisierung frei zu geben, sondern mit einer Genossenschaft zu vergesellschaften.

Hierzu lagen dem Kongreß etliche Projektapiere, aber auch Erfahrungsberichte zugrunde. So referierte der taz-Geschäftsführer sowie die Leiterin der taz-Geno-Abteilung ausgehend vom einstigen Kampf der Belegschaft um die “kleine Lösung: Genossenschaft” über die bisherige Entwicklung dieser alternativen Wirtschaftsorganisation gegenüber ihrem ehemaligen “Vorbild Libération” in Paris, wo man sich für die “große Lösung: Monsieur le Capital” entschied. Dies kam kürzlich zu einem unrühmlichen, jedoch kapitallogischen Ende, indem die Libé nun endgültig privatisiert wurde – und zwar ausgerechnet vom deutschen  Springerkonzern!

In der Vergangenheit endete auch so manche Genossenschaftsgründung derart – elendig. In der Mongolei fanden gerade militante Demonstrationen statt von geprellten Mitgliedern mehrerer Genossenschaftsbanken, die zu hohe Zinsen versprochen hatten und dann “zusammengebrochen” waren – wobei alle Ersparnisse verloren gingen. In diesem Zusammenhang wurde der Leiter der mongolischen Bankenaufsicht erschossen. Desungeachtet findet auch in der Mongolei gerade eine wahre Genossenschaftsgründungswelle statt – vor allem in der Form von Produktions- und Einkaufs- bzw. Verkaufs-Genossenschaften. In Ostdeutschland haben dagegen viele Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, so sie überlebten, die Wirtschaftsform “GmbH” bzw. “AG” angenommen, die ihnen mehr “Spielraum” versprach als eine West-“Genossenschaft”.

Dies wurde auf dem Kongreß in einem Attac-Beitrag noch einmal bestätigt: Anders als in den  romanischen und lateinamerikanischen Ländern fehle es dafür hierzulande an “politischer Unterstützung”. Mehr noch: Genossenschaften werden hier gegenüber anderen “Rechtsformen” sogar benachteiligt. Die Arbeitsagenturen und Existenzgründerberater pushen nur Ich- statt Wir-AGs. Auch fehle es an staatlicher bzw. kommunaler Hilfe bei Betriebsübernahmen durch Belegschaften. Desungeachtet wollen In Bad Iburg und in Bremen die Bürger jetzt das städtische Gasnetz selbst “vergenossenschaften”, damit es nicht privaten Investoren in die Hände fällt. Der Freiburger Bürgervotum, das selbe mit dem kommunalen Wohnungsbestand zu tun, wurde ebenfalls diskutiert.
Für Berlin stellte Wolfgang Fabricius vom Gesundheitsladen” die von  ihm so genannten “Hartz IV-Genossenschaften” vor. Dazu erklärte er: “Der Berliner Senat hat 2004 für 2 Milliarden Euro 65.000 GSW-Wohnungen an den amerikanischen Rentenfonds Cerberus verkauft. Das sind etwa 30.000 Euro pro Wohneinheit.  Wenn diese Wohnungen den Mietern zum Kauf angeboten worden wären, hätte selbst ein Harz IV-Empfänger mit seinen 360 Euro Wohngeld pro Monat (2/3 Schuldendienst, 1/3 Betriebskosten, Renovierung, Instandhaltung) diese Summe bei 5%-iger Verzinsung nach spätestens 15 Jahren getilgt. Nach dieser Zeit hätte der Senat dann die Wohngeldzahlungen um 2/3 reduzieren und damit Steuergelder sparen können. So aber fließt dieses Geld jetzt in amerikanische Rentenkassen und ist für Bürger und “ihre” Stadt für immer verloren.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über finanzielle Nothilfen für Berlin ist wohl trotz aller Proteste der Verkauf der restlichen 277.000 Wohnungen vorgesehen und zwar zu 5 Milliarden Euro, das sind pro Einheit nur 18.000 Euro. Damit die betroffenen Mieter ihre Wohnungen selbst kaufen können, wäre es erforderlich, entsprechende Genossenschaften zu gründen.”

Für die ebenfalls anstehende Vergesellschaftung  der Berliner Wasserwerke wurden Formulare an potentielle Mitglieder einer “Wasser in Bürgerhand Berlin eG” verteilt. Diese Genossenschaft will erst einmal die Wasserwerke gemeinsam mit dem Berliner Senat betreiben, “ist jedoch auch bereit, “den Senatsanteil kostenneutral zu übernehmen.” Da es diesbezüglich aber einen “Geheimvertrag” gibt – mit den “Profiteuren”, die 1999 die Werke zur Hälfte übernahmen und denen der Senat eine achtprozentige Rendite garantierte – muß die Wasserwerks-Genossenschaft i.G. erst einmal die juristischen und politischen Möglichkeiten für einen Ausstieg aus dem Vertrag “prüfen”, wobei sie als Druckmittel auch “außerparlamentarische Aktionen” nicht ausschließt.

Kritisiert wurden in diesem Zusammenhang die vom Europa-Büro Saran Wagenknechts gerade veröffentlichten Papiere über die Berliner Sparkasse und die Wasserbetriebe, die der Attac-Theoretiker Alexis Passadakis bzw. der Diplompolitologe Benedict Ugarte Chacón erstellten. Die beiden plädieren nicht für ihre Vergenossenschaftung sondern für  eine “Rekommunalisierung”. Einer von beiden schrieb mir später jedoch, das stimme gar nicht.

Auf alle Fälle stimmt aber:

“Das Ich ist nicht nur hassenswert, es hat nicht einmal Platz zwischen Uns und dem Nichts.” (Claude Lévy-Strauss)

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/04/08/genossenschaften-gruenden/

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kommentare

  • “Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, dass ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben – besitzen.” (Karl Marx)

    Über sahra.wagenknecht@europarl.europa.eu sind zwei Broschüren zu beziehen, die sich mit Alternativen zu Privatisierungen befassen:

    1. “Die Berliner Wasserbetriebe – Von Kommerzialisierung und Teilprivatisierung zu einem öffentlich-demokratischen Wasserunternehmen” -. von Alexis Passadakis (FU-Politologe und Attac-Kader)

    2. “Der Verkauf der Berliner Sparkasse. Kritik und Alternativen” – von Benedict Ugarte Chacón (FU-Politologe und Aktivist in der Initiative Berliner Bankenskandal)

  • Schade das hier nicht so viel neues steht – die Überschrift war auf jeden Fall schon vielversprechend 😉
    Aber mal im Ernst: Dass die genossenschaftliche Organisationsform (subjektiv?) wieder etwas, auch medialen, Auftrieb bekommt, wird sicherlich Zeit. Zwar fehlt es mir an entsprechendem Fachwissen und praktischer Erfahrung, aber so viel kann ich auch als Laie sagen: Genossenschaftlich organisiertes “wirtschaften” leuchtet vom Konzept her ein und verspricht (Teil-)Lösungsansätze, die in Zeiten allgemein herbeikritisierter wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit verdienen, nicht einfach mit einem “altbacken”-Stempel versehen und vom Tisch gewischt zu werden. Nach langer Durststrecke wurden ja sogar Reförmchen der hiesigen Gesetzeslage angestrengt, ausgehend von europäischen Angleichungsbestrebungen. Würde eine stärkere mediale Aufmerksamkeit (aka gesellschaftliche Debatte) nicht dazu führen, diesen wohl nötigen Prozess evtl. zu beschleunigen? Die taz zumindest kann man in dieser Hinsicht ja nichts vorwerfen 🙂

    Was mich im Moment konkret umtreibt ist die Frage, inwiefern die Rechtsform der eG speziell für andere (Print)Medienunternehmen geeignet wäre – denn abgesehen von der taz als prominentes Beispiel (und mehr oder weniger der jw) tut sich da ja, soweit ich das beurteilen kann, nicht so viel. Gewiss, eine bestimmte Mindestgröße und entsprechend enge “Kunden”-Bindung sind wohl zwingende Voraussetzungen, aber die sind doch nicht nur bei der taz gegeben. Auf gescheiterte Projekte (Göttinger WZ oder div. Buchverlage) stößt man da zwar vergleichsweise häufig, aber…

    Um das ganze noch einen Schritt weiter zu spinnen: Gerade vor dem Hintergrund, dass Zeitungen ihre Funktion als bloße Informanten immer weiter einbüßen und vor allem eine eindeutige Position vermittelt werden muss, die stark kommentierend als “Richtschnur” durch die oder an die unübersichtliche Welt da draußen heranführt, ist es verwunderlich, das man solche Beispiele nicht öfter sieht. Denn das das oben beschriebene eben vollends nur durch eine möglichst große finanzielle Unabhängigkeit, aka Genossenschaft möglich ist, liegt doch auf der Hand. Odernicht?

  • Es gibt ja das eigentliche “ich” und das uneigentliche “ego”.
    Das eine ist fordernd und hat so viel mit mir gar nicht zu tun, wird sich mal rausstellen. Das andere ist mein Inneres im eigentlicheren Sinn und hat wenig mit dem zu tun, was so als
    Ego-Stärkung (Auftreten, Wollen) zu tun. Es ist das Produkt
    eines Umfelds, das nicht so viel mit dem “ich” anfangen kann.
    Das ego verschwindet, je mehr man das eigentlichere in sich entdeckt.
    Sagt ein spiritueller Mensch, das “ego” gibt es nicht, heißt das nicht, daß es den individuellen Mittelpunkt nicht gibt, den man
    “ich” nennt.
    Das Konstrukt meines Auftretens, wie privat und in der Öffentlichkeit zu beobachten, das gibt es nicht oder es hat meistens nichts oder wenig mit dem eigentlichen Zentrum der Person zu tun. Seltsamerweise ist aber das hier oft gefordert.
    Der Westen weiß eigentlich nicht viel über das Ich, hat sich
    nicht viel drum gekümmert. Stattdessen, was will ich, was muss
    ich? Wer bin ich wurde nicht gefragt, wenig untersucht, weil diese Frage potentiell so viel in Frage stellt.
    Am besten kann man es sich vielleicht an Hand eines älteren Japaners vorstellen. Da ist es sehr deutlich. Der muss nach
    außen so und so agieren, hauptsächlich wegen der Ehre und so.
    Innen ist er wer ganz anderes, wenn er das Glück hat, das zu bemerken.
    Bei uns ist es weniger die Ehre oder versteckter zumindest, als lustig sein, cool sein, diese ganzen Attribute. Logisch wird gefordert, sachlich, alles andere ist dummes Zeug (heißt es oft). Vor allem realistisch. Sicher im Auftreten usw.

    MfG

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