vonHelmut Höge 09.04.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Noch einen drauf auf den Mafia-Vorwurf der SZ setzt die Berliner Zeitung zu Ostern: Mit jedem verhafteten Siemens-Manager, so ihr Kommentator, werde „deutlich, dass hier nicht Täter zur Verantwortung,  sondern arglose Opfer in den Schmutz gezogen werden. Denn sie alle haben nichts anderes getan als das, was im Hause Siemens schon immer gang und gäbe war.“ Die korrupten Manager werden von der Berliner Zeitung als „Traditionalisten“ bezeichnet: „Über Traditionen aber und deren Verfechter hat kein Richter zu urteilen, sondern die Geschichte.“

Mit Tradition ist hier die staatliche Wirtschaftsförderung der BRD gemeint, die es bis 1999 erlaubte, Schmiergelder im Ausland als „nützliche Aufwendungen“ abzusetzen. Ja, es gab vom Wirtschaftsamt sogar Broschüren für Exporteure, in denen genau aufgelistet war, mit was für Bestechungssummen sie in welchem Land rechnen müßten, um erfolgreich zu sein.

Der Kommentator zitiert dazu Puschkin, der in seinem Roman „Die Hauptmannstochter“ einen Kriegsrat in einer von Rebellen belagerten Stadt sagen ließ: „Ich bin der Meinung, Exzellenz, dass man weder offensiv noch defensiv vorgehen soll…Exzellenz, gehen Sie korruptiv vor.“

Am Schluß erwähnt die Berliner Zeitung noch, dass Siemens schon einmal eine Anti-Gewerkschaft gründete: 1906 – den so genannten „Werkverein“ der Siemenswerke, „dem sich schon 1914  80% aller Siemensarbeiter angeschlossen hatten.“ Wenn der aus der U-Haft entlassene Siemens-Manager Feldmayer etwas Ähnliches mit der AUB im Sinn hatte, dann war auch das „Ausdruck gelebter Tradition“.

Als zu ehrlich und offenherzig hat sich demgegenüber der Siemens-Gesamtbetriebsratschef positioniert. Die Heidenheimer Zeitung schreibt:

„Siemens-Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann (IG Metall) schloss in einem Interview nicht aus, dass auch IG-Metall-Betriebsräte bei Siemens in den Skandal verwickelt sein könnten.

Laut „Euro am Sonntag“ sagte er: „Wir gehen davon aus, dass auch in unseren Reihen Fälle hochkommen werden.“ Am gestrigen Freitag aber relativierte er seine Äußerungen: „Weder kenne ich einen IG-Metall-Betriebsrat bei Siemens, auf den Begünstigungsvorwürfe zutreffen würden, noch habe ich Indizien dafür.“ Die IG-Metall-Zentrale verschickte – laut Gewerkschaftssprecher Jörg Köther im Auftrag Heckmanns – eine klarstellende Erklärung des Betriebsrats. Demnach wollte der Siemens-Gesamtbetriebsratschef mit seinen Äußerungen deutlich machen, „dass ich zu einer rückhaltlosen Aufklärung stehe und bei einer derart großen Anzahl von Betriebsräten bei Siemens, nicht für alle meine Kollegen die Hand ins Feuer legen kann. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Möglicherweise habe ich mich an dieser Stelle missverständlich ausgedrückt.“

Zuvor hatte Heckmann in dem Interview gesagt: „Ich möchte nicht für alle der mehr als hundert IG-Metall-Betriebsratsvorsitzenden bei Siemens meine Hand ins Feuer legen.“ Dieter Scheitor, Siemens-Beauftragter der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied des Elektrokonzerns, widersprach Heckmann: „Wir gehen felsenfest davon aus, dass die 1200 IG-Metall-Betriebsräte bei Siemens integer und sauber sind“, sagte Scheitor.

Die Zeit schlüsselte daraufhin Heckmanns Einkommen auf:

„Demnach erhält Heckmann als außertariflich bezahlter Mitarbeiter monatlich 8000 bis 9000 Euro Grundgehalt. Hinzu komme eine erfolgsabhängige Sonderzahlung von bis zu 50 Prozent des jährlichen Grundgehalts, hieß es in dem Bericht. Als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender erhalte Heckmann außerdem jährliche Bezüge von 169.000 Euro, die er fast vollständig an die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung abführen müsse“

Ähnlich wie die Berliner Zeitung reagierte nun auch die Süddeutsche Zeitung auf den „Siemens-Skandal“ – indem sie Kleinfeld und Pierer in einem Kommentar mit dem Titel „Ohne Rückrat“ vorwirft, sich nicht hinter den verhafteten Manager Feldmayer gestellt zu haben:

„Wie sollen Mitarbeiter, Aktionäre oder Kunden das Vertrauen in ein Unternehmen zurückgewinnen, für das nicht einmal der Chef selbst die Hand ins Feuer legt? Die 475.000 Mitarbeiter haben es verdient, dass sich einer vor sie stellt und Partei ergreift für ein Traditionsunternehmen, das dasteht wie eine kriminelle Vereinigung. Kleinfeld muß tun, was jeder Vater für sein Kind tun würde, das einer Missetat beschuldigt wird – auch wenn er nicht sicher ist, ob es unschuldig ist. Wenn er für diesen Schritt, der für einen amerikanischen Konzernchef selbstverständlich wäre, den Mut nicht hat, sollte er überlegen, seinen Posten zu verlassen.“

„Diesen Schritt“ legen laut Spiegel von morgen einige Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auch dem Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer nahe: Sie wollen ihn nach Ostern auffordern, zurückzutreten.

Gleichzeitig berichtet der Spiegel, dass die Fahnder in der „Affäre um schwarze Kassen bei Siemens“ nun auch noch auf „eine heiße Spur stießen, die bis in den Kreml reicht“ – konkret: bis in die „Taschen“ des russischen Telekom-Ministers Leonid Reiman. Der Com-Bereichsvorstand Lothar Pauly meinte dazu: „Es sei dabei nur „um die normale Förderung eines Projektes durch konkrete preisliche und technische Maßnahmen gegangen“. Eine mindestens rätselhafte Antwort.

Dass das Elektrokartell und seine Aufteilung der Weltmärkte sich langsam aufgelöst hat, deutet die FAZ an – in einem Artikel mit der Überschrift „Mit neuer Strategie in die Domäne von Siemens“. Es geht darum, das General Electric eine neue „Deutschland-Strategie“ hat – vor allem in den Bereichen Energie und Medizintechnik. Damit ist er zwar weltweit erfolgreich, hat aber „hierzulande immer noch erhebliche Präsenzdefizite“. So höflich kann man Gebietsrechte und ihre Aufhebung nennen! Schon unter dem Zentraleuropa-Chef Thomas Limberger soll in den letzten Jahren bei GE die „Rede davon gewesen sein, dem Konkurrenten Siemens Marktanteile abjagen zu wollen“. Sein Nachfolger bekommt nun „Rückendeckung“ aus der Konzernzentrale. Kürzlich eröffnete der Konzern in Berlin nebenbeibemerkt die erste „GE Moneybank“-Filiale – in Tschechien gibt es inzwischen in jeder Kleinstadt eine solche Filiale.

In der selben Ausgabe (v. 5.April) läßt die FAZ einige Compliance-Experten und -Berater zu Wort kommen, die darstellen, was auf die Unternehmen demnächst in puncto Korruptionsverdacht alles zukommt und wie sensibel die Behörden bald kleinste Kartellverstöße ahnden werden – dazu zeigt das Kapitalorgan ein Photo von der „Kartelljägerin: EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes“.

Uns stellt sich dabei die Frage: Wollen wir wirklich „mehr Wettbewerb“, „mehr Marktwirtschaft“, „mehr Konkurrenz“ – „reine Marktwirtschaft“…? Das ist doch alles neoliberale Scheiße!

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/04/09/siemens-opfer/

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kommentare

  • == Wort des Tages ==
    Die AUB hat es jetzt schon mindestens 4 mal geschafft, in die Auswahl der Worte des Tages deu Uni Leipzig zu kommen: 2007-03-30, 2007-04-06, 2007-04-21 und 2007-04-23 (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

    Wenn man das Spinnennetz von heute sieht, könnte man fast meinen, dass Computer Humor haben:
    http://wortschatz.uni-leipzig.de/wort-des-tages/2007/04/23/AUB.html

    == Bundesweite Wahlkampfeinmischung ==
    Wilhelm-Schelsky (ex-AUB-Chef) an die Siemens-Leitung:
    Im Vergleich zu den „möglichen Kosten durch eine radikalisierte Monopol-Gewerkschaft IG Metall haben sich die bisher aufgewendeten Gelder sicherlich gelohnt“, befand Schelsky und hielt fest, dass er noch mehr Mittel für die AUB benötige. In den beiden nächsten Jahren stünden schließlich Aufsichts- und Betriebsratswahlen an. … Schelsky schrieb … am 23. November 2005 an den Leiter Rechnungswesen bei Siemens. Er müsse noch eine Zusatzrechnung stellen, „da wir durch die bundesweiten Betriebsrats-Wahlen leider einen erheblichen Mehraufwand haben.“ (SZ 2007-04-21)
    Bundesweit? Könnte man da mal tiefer graben und auflisten, wo die AUB mit gut ausgestatteten Wahlkämpfen noch mitspielte? Und wer hatte die SAP-Leitung im letzten plötzlich aus ihrer Angststarre befreit und so betriebsratsfreundlich gestimmt? Welche Unternehmen hatte Schelsky außer Siemens noch beraten? Nicht auf jeder Flasche, wo AUB nicht direkt drauf steht, ist der AUB-Geist auch nicht drin.

  • Beim Herumspielem mit meinem eigenen Managerberatungsservice MAKEPROFIT entdeckte ich, dass die Buchstaben E,I,P und R in „MAKEPROFIT“ enthalten sind. Könnte es sein, dass der MAKEPROFIT-Geheimcode von Siemens deswegen benutzt wurde, weil sich Herr von 594646 damit vollständig verschlüsseln ließ?

    Aus Gründen der Spannungssteigerung habe ich 594646 nur verschlüsselt genannt. Sonst würde es zu langweilig.
    http://www.makeprofit.de/?code=840046%203719346%2087550%20594646

    Auch interessierte mich, welche Wörter man mit den Buchstaben von „MAKEPROFIT“ bilden kann. Für soetwas verwendet man Anagramm-Programme. „MAFIA“ (hier Mehrfachnutzung von Buchstaben aus „MAKEPROFIT“ erlaubt) wies ich ja bereits in einem früheren Eintrag hin.

    594646 war nicht dabei, aber aus Neugier versuchte ich dann auch auszuprobieren, wie ergiebig „SIEMENS“ als Quelle für Anagramme sein könnte.

    Das Wort erlaubt zum Beispiel das Anagramm „NEMESIS“.

    Erklärt das nicht Alles?

    (Selbst ausprobieren: Eingabe von „SIEMENS“ in http://www.wordsmith.org/anagram/advanced.html, dabei „Englisch“ auswählen und bei „Show candidate word list only“ „yes“ sagen.)

  • ich hab mal aus versehen bei dem pressegatter der letzten größeren dgb-kundgebung [eine vom sozialforum-berlin.de, solid und freie-bildung-berlin.de organisierte seitenverstärkung zur kundgebung kam hinzu] – hab also *aus versehen* mal einen gesprächsausschnitt mit bsirske und einem der siemenswerke-protestler – fotografiert.

    der mensch war – gelinde gesagt – ganz schön
    sauer
    und schien das nicht ohne grund zu sein.
    ich hörte etwas vom „verraten werden“ durch die gewerkschaft…
    ich lad mal die bsirske-schnappschüsse am pressegatter hoch.
    die dazugehörigen schriftdokumente mußten wir ins archiv packen,
    aber wenigstens die fotos.

    also hier violá:
    http://artalk.de/TAZNETZFOTO1.htm

  • Betrifft: TAZ, wu, 10.4., S.8, Genossen wollen Betriebsräte loswerden

    Leserbrief:

    Auch wenn’s kleinlich klingt: Betriebsräte sind keine Personen, sondern Personen – nämlich die Betriebsratsmitglieder – sind in Betriebsräten.

    Warum wird eigentlich bei der Berichterstattung über Betriebsräte soviel geschlampt. Euer Aushilfshausmeister und die Jungle World verstehen anscheinend von allen Medien in Deutschland am besten, was los ist.

    Alles Beste
    Götz Kluge
    (im Betriebsrat und auch braver TAZ-Genosse)

    Zur AUB und Siemens:

    Zum Ethikrat:

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