vonHelmut Höge 03.05.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

In einer kleinen Kneipenrunde meinte ein schwäbischer Siemensarbeiter einmal – vor langer Zeit: “Der Willy Brandt läßt sich scheiden und mein Sohn ist arbeitslos. Denk mal drüber nach!” In meinem Kopf war daraufhin jedoch eher Leere – völlige Leere. So etwas Ähnliches passierte mir jetzt auch nach dem Lesen des FAZ-S-Artikels vom 29.4. über den Rücktritt des Siemensvorstandsvorsitzenden Kleinfeld: “Siemens steckt im Chaos” betitelt, zuvor hatte bereits der Spiegel seinen großen Konzern-Bericht mit dem Satz begonnen: “Siemens versinkt im Chaos (Die Aufarbeitung der Vergangenheit könnte das gesamte Unternehmen noch zerreißen.)”.

Neuerdings werden die kerndeutschen Konzernzentralen (von Telekom, DaimlerChrysler, BASF und sogar der Bundesbahn) stolz wie Oskar aber dumm wie Suppe “Headquarters” genannt – Kopfviertel also. Das mag ja noch angehen – heute, da sich selbst Toilettenaufsteller “Global Player” nennen. Aber wenn einige personelle Veränderungen in einem Kopfquartier anstehen gleich von “Chaos” und “Untergang” zu faseln – zeugt von völliger Unkenntnis der Funktionsweise einer  Firma bzw. eines Konzerns (siehe dazu die Siemens-Hausmeister-Statements/Staatsdröhnungen von vor ein paar Tagen). Es ist reinste und blödeste Kapitalideologie – verbreitet von Wichtigtuern wie Cromme, Ackermann, Reitzle, Cordes und wie diese Lackaffen alle heißen, die jetzt mit ihren schwarzen Limousinen kiesspritzend zwischen Starnberg, München und Frankfurt hin und her kurven. Und breit getreten von ihnen gegenüber extrem unterbezahlt sich fühlenden Schweinejournalisten, die vor dieser “Elite” jedesmal die Hacken zusammenschlagen un den Arsch zusammenkneifen. Ich war im vergangenen Sommer mit einem Spiegel- und einem FAZ-Journalisten in der Wüste Gobi – und weiß wovon ich rede.
Vor einiger Zeit saß die attraktive Hamburger Cheflektorin Barbara W. in einer sauteuren Hotelsauna am Starnberger See – erschöpft, weil sie gerade Schalck-Golodkowskis verlogene “Deutsch-Deutsche Erinnerungen” lektorierte. Dem KoKo-Chef hatten schuldbewußte Kopfquartier-Männer dort eine Villa besorgt – damit er dort in Ruhe sterben konnte. Vorher wollte er aber noch für gutes Geld seine Memoiren veröffentlichten – und die mußte dann Barbara W. lektorieren, wozu sie sich alle paar Wochen in jenem Starnberger Hotel einquartierte. Erschöpft war sie, weil es eine Scheißarbeit war: Jedesmal wenn sie was kleines Interessantes auf die Reihe gebracht hatte, kamen Schalck-Golodkowskis Anwälte an und strichen es wieder raus – am Ende wurde ein völlig überflüssiges Buch daraus. Nicht einmal der Hightech-Lieferant Siemens/Osram wurde darin richtig gewürdigt. Das Geschäft lief u.a. über die Pankower HVA-Firma F.C.Gerlach Export Import Parkstraße 37 und ihren Geschäftsführer Michael Wischnewski, gelegentlich wurde auch noch dessen Westberliner Schwager Pietzsch mit einbezogen. Wischnewski entkam der Sieger-Justiz indem er –  ebenso krank wie Golodkowski – nach Israel auswich.  Sein Schwager sammelt heute im “Haus Pietzsch Unter den  Linden”  Kunst – vornehmlich  vom Nagelkünstler Uecker, der allerdings schon lange Nageln läßt.

Zurück zu Barbara W.: Sie saß also in der Starberger Hotelsauna – allein und döste vor sich hin. Plötzlich ging die Tür auf und ein kleiner dicker hässlicher nackter Mann Mitte Fünfzig kam herein, sah Barbara, nahm Haltung an, wippte kurz mit seinem Schniepel und schnarrte dann – zu ihren Titten gewandt: “Gestatten…Rumpeldipumpel…BMW-Vorstand!” Barbara verließ fluchtartig das Lokal – und betrat die Sauna nie wieder. Diese Reaktion war vielleicht übertrieben, Tatsache ist jedoch, dass zu viele von diesen komischen Wichtigtuern  (Manager  – nicht Unternehmer!)  einen Sprung in der Schüssel haben.

Und der größte Schwachkopf – das dürfte wohl der Bremer Cola-Light-Trinker und Rolexträger Klaus Kleinfeld gewesen sein. Zur Erinnerung: Bei dem ganzen “Siemens-Chaos”, dem “Siemens-Skandal” ging und geht es um eine bestimmte deutsche Art von Geschäftemacherei und Arbeiterpolitik mittels Schmiergelder, die trotz veränderter Gesetzeslage im Konzern beibehalten und gepflegt wurde. In diesem Zusammenhang wurden dann einige “Topmanager” (Bild) verhaftet und andere – wie Pierer und Kleinfeld – traten zurück.

Dazu nun O-Ton FAS: “Klaus Kleinfeld hat alles richtig gemacht. Sagt Klaus Kleinfeld. Von tollen Erfolgen in einem ‘High-Performance-Team’ sprach er noch am vergangenen Donnerstag, einen Tag nachdem seine Karriere bei Siemens abrupt gestoppt wurde. Seine Leistung werde erst in drei bis fünf Jahren richtig gewürdigt werden, tönte der scheidende Vorstandsvorsitzende. Einen Fehler hat Klaus Kleinfeld begangen. Sagt Klaus Kleinfeld. Er hätte seine Person besser vermitteln müssen, damit in der Öffentlichkeit nicht das ‘Abziehbild Kleinfeld’ haftenbleibt, sondern der wahre Mensch.”

Wie so ein asozialer Egomane bei Siemens auch nur die Probezeit überstehen konnte, ist mir ein völliges Rätsel. Die Zeit schreibt: “Besonders gern trägt er Weisheiten im amerikanischen O-Ton vor: »You have to earn your lunch every day« oder »Nobody is perfect but a team can be«. Und wenn er über seine Zeit in Amerika spricht, dann wird sein Siegerlächeln noch strahlender. Klaus Kleinfeld taugt perfekt als Prototyp für jene neue angelsächsisch geprägte Managergeneration, der allein der Profit als Richtschnur ihres Handelns gilt.”  Statt von einem “Prototyp” sollte man vielleicht eher von einem “Dummy” reden. Genug.

Es geht mir nicht um Psychologie. Das Ganze ist ein Gewerkschafts- bzw. Arbeiter bzw. Organisationsproblem: Solche Manager und wahrscheinlich alle anderen auch verdienen mehr Prügel als Butterkuchen – wenn aus ihnen noch  irgendetwas Vernünftiges werden soll.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/05/03/siemens-kleinkleinfeld/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Letzte Nachrichten über Klaus Kleinfeld und die “Siemens-Affäre” (SZ):

    Die FAS vom 6.5. veröffentlichte dazu gleich zwei Artikel. Einen über Kleinfelds “Spin-Doktor” – das sind PR-Profis, die engagiert werden, um den kommenden Schlagzeilen den richtigen Dreh (spin) zu geben. Die von Kleinfeld engagierte Agentur gehört dem Spin-Doktor Christoph Walter: Dessen Mitarbeiter gingen laut FAS “so offensiv und ungeschickt wor, dass sich die Siemens-Aufsichtsräte provooziert fühlten und dem Vorstandschef unterstellten, er wolle über öffentlichen Druck eine Vertragsverlängerung erzwingen. Das Ergebnis ist bekannt: Heute sucht der Konzern einen neuen Chef.”

    Und was tut Kleinfeld stattdessen nun? Auch das beantwortet die FAS – in einem Kommkentar:

    “Kaum. dass Kleinfeld seinen Abgang verkündet hat, macht er unverschämt und kräftig Kasse.” Er verkaufte seine Siemens-Aktien für gut 6,3 Mio Euro. Gleichzeitig verkaufte auch Personalvorstand Jürgen Radomski seine – für 2,7 Mio. Ebenso der wegen Korruptionsvorwürfe suspendierte Johannes Feldmmayer – für 2,2 Mio, und der für mehrere Konzerntöchter zuständige Rudi Lamprecht – für gut 3,1 Mio, sowie der Medizintechnikchef Erich Reinhardt – für knapp 1,8 Mio Euro.

    Die FAS schreibt: “Dem Unternehmen muß das alles ziemlich peinlich sein. Wie ist sonst zu erklären, dass Siemens unter der Überschrift ‘Klarstellung’ schnell eine Pressemitteilung verbreitete mit dem Tenor: Alles halb so schlimm.”

    Aber weitere Siemens-Manager werden demnächst wohl ebenfalls wütend und enttäuscht ihre Siemens-Aktien verkaufen, denn es stehen unter diesen “hochbezahlten Heinis” weitere Kündigungen im Konzern an.

    Aus den USA wird vermeldet – von der SZ: “Einem Bericht des Konzerns an die US-Börsenaufsicht SEC zufolge stoßen die eingesetzten internen Prüfer auf immer mehr dubiose Finanztransaktionen. Neben Beraterverträgen seien die Ermittler in der Kommunikationssparte (Com) auch auf verdächtige Bar- und Scheckzahlungen gestoßen, die im Zusammenhang mit Anti-Korruptionsgesetzen in Deutschland und den USA ‘Sorgen’ auslösten.”

    Was für eine dämliche Formulierung! Und statt laufend die gesamte Schmiergeldsumme von Siemens abzudaten – bis jetzt sind es etwa 500 Mio Euro, sollte man sich langsam mal grundsätzlichere Gedanken darüber machen, wie das “System Siemens” seit den Anfängen – im Zusammenhang des von Siemens mitgegründeten Elektrokartells – militant funktionierte. Und wie es sich zwischen 1989 und 1999 konvertierte – zu einem soften Schmiergeldsysstem. Vielleicht würde aus solche einer gründlichen Analyse die Frage beantwortbar werden, wie Siemens künftig anders – legal – Geschäfte machen kann.

    Der stern meldet: “Eine Woche nach den ersten Hausdurchsuchungen im November vergangenen Jahres hat die Siemens AG den Leiter ihrer Anti-Korruptionsabteilung Dr. Albrecht Schäfer zum Chef einer Compliance Task Force gemacht, obwohl er zu jenem Zeitpunkt von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt wurde.Schäfer war am 17. November 2006 von der Staatsanwaltschaft München I als Beschuldigter eingetragen worden, nachdem er in Vernehmungen eines verhafteten Siemens-Mitarbeiters als Mitwisser und Vertuscher belastet worden war. Trotzdem teilte Siemens am 23. November in einer Pressemitteilung seine Ernennung zum Chef der Compliance Task Force mit, die für die verschärfte Einhaltung der Anti-Korruptions-Regeln sorgen sollte.”

    Der Tagesspiegel meldete: Im Darmstädter Prozeß gegen zwei ehemalige Siemens-Manager hat die Staatsanwaltschaft für einen der beiden Angeklagten eine Haftstrafe gefordert sowie 98 Mio Euro von Siemens – “als Abschöpfung des entstandenen Gewinns (so genannter «Verfall») an die Staatskasse”.

    Unterdessen gerät der Weltkonzern laut europolitan.de “auch mit dem Abgang des Siemens-Kommunikationschefs in die Schlagzeilen. Der Leiter der Kommunikationsabteilung, Janos Gönczöl, scheidet Ende Mai aus dem Unternehmen aus.”

    Und der Aufsichtsrat Cromme beschwerte sich, dass die Presse immer haltloser irgendwelche Managernamen nennt, die angeblich als Nachfolger von Kleinfeld in Frage kommen.

    Beschweren kann man sich über die bundesdeutsche Presse aber auch noch darüber, dass sie die anstehenden Massenentlassungen bei Siemens-Nokia buchstäblich nur am Rande erwähnt. Die “linke Zeitung” schreibt:

    m Freitag dem 4. Mai nachmittags, knapp vor dem Wochenende erhielten die Mitarbeiter von Nokia-Siemens Networks (Telekommunikationsnetze) in Deutschland und Finnland eine Mail des Vorstandsvorsitzenden aus Espoo bei Helsinki. Darin wird mitgeteilt, dass in Deutschland etwa 3.000 und in Finnland etwa 1.500 KollegInnen aufgrund der Zusammenlegung der beiden Konzernbereiche überflüssig geworden seien. Die 4.500 Entlassungen sind nur der Beginn einer ganzen Reihe von Entlassungswellen. Insgesamt will Nokia bis 2010 zunächst weltweit 9.000 der derzeit noch 60.000 Mitarbeiter entlassen. Nach 2010 sollen weitere Arbeitsplätze verloren gehen. Besonders betroffen von der ersten Entlassungswelle soll das Werk in Berlin mit seinen 2.000 Beschäftigten sein. Die Entscheidung wird allein von der Profitgier bestimmt. Trotz der Kosten der Zusammenlegung schreibt das Joint-Venture mit +6% Rendite schwarze Zahlen und die Auftragsbücher sind gut gefüllt.

    Die Entscheidung wurde getroffen, ohne mit dem Betriebsrat zuvor gemäß den deutschen Mitbestimmungsrechten verhandelt zu haben. Zusätzlich soll das mit der IG-Metall vor dem Betriebsübergang vereinbarte Tarifabkommen zur Beschäftigungssicherung der ehemaligen Siemens-Beschäftigten eigenmächtig außer Kraft gesetzt werden. Die Konzernleitung verfährt also nach dem alten Spruch “legal – illegal – scheissegal”, wer die Macht hat, hat auch das Recht… Angesichts dieses Vorgehens ist Abwarten, gutes Zureden und Pochen auf Vereinbarungen nicht angebracht.

    Der Gesamtbetriebsrat von Nokia-Siemens hat sich noch am Freitag auf eine standortübergreifende Gegenwehr geeinigt. Am Dienstag um 9 Uhr wird es an allen deutschen Standorten mit etwa 13.000 Beschäftigten Betriebsversammlungen geben. Wichtig ist, dass es dabei nicht bleibt, sondern ein transnationaler Widerstand aufgebaut wird. Massenentlassungen bei gewinnträchtigen Unternehmen sind nicht hinnehmbar und erfordern energische Gegenwehr mit langem Atem.

    Neben der wichtigen Verbindung mit den finnischen KollegInnen sollte über eine gemeinsame Vorgehensweise mit den Beschäftigten bei der Telekom diskutiert werden. Diese kämpfen gerade gegen massive Stellenkürzungen und Auslagerungen von Zehntausenden in Niedriglohngesellschaften. Natürlich ist in Berlin, einer Hauptstadt der Arbeitslosigkeit, jeder Kampf gegen Entlassungen auch ein politischer Kampf gegen wachsende Verelendung in dieser Stadt. Die betroffenen Beschäftigten sollten den Schulterschluss mit der Bevölkerung und vor allem den Erwerbslosen suchen.

    Edith Bartelmus-Scholich, 7.5.07

  • Ergänzung zur oben erwähnten Berliner European School of Management and Technology (ESMT) – im DDR-Staatsratsgebäude, wo sich nun die kapitalistischen Verbrecher und ihre politischen Handlanger ein Stelldichein geben:

    Weil sie kaufhauskonzernfinanziert ist, heißt sie auch “Hertie-School of Governance” – auf Deutsch, das man dort allerdings nicht spricht: Hertie-Herrsch-Schule.Parallel zu ihrer Gründung initiierte auch
    die Humboldt-Universität zusammen mit der Viadrina eine “School of Governance”.

    Damit gibt es nun sogar in der dumpfesten deutschen Stadt – in Frankfurt an der Oder, eine solch elitäre “Herrsch-Schule”, wo das Semester 8.600 Dollar kostet. Man will damit beileibe nicht etwa die völlig desperate Lausitzer Jugend aufrichten. – Die Grenzregion hat die höchste Scheidungsrate, die meisten Neonazis und und eine rapide abschmelzende Bevölkerung mit großen “Alkoholproblemen”.

    Die stolzen Privatunigründer wollen vor allem reiche “Asiaten und Amerikaner” anlocken. Verbockt haben diese asoziale Sauerei die Unitopmanagerin Gesine Schwan und ihr Stanford-Mann Weiler. In Stanford wurde einst das Uni-Ranking ausgedacht, das seit 1994 Spiegel und Focus auch für die deutschen Unis durchsetzen.

    Je höher es die Studenten zieht, desto mehr handelt es sich bei den Hochschulreifen um moralische Kretins. Den Gipfel an Verkommenheit bildet dabei die Eliteuni Harvard in Massachusetts aus: “les jeunes loupes”. Harvard ist für die allgemeine Herzensbildung ungefähr das, was Tschernobyl für die Umwelt darstellt: eine sehr schwere Belastung. Dies hängt ebenfalls mit dem Ranking der US-Universitäten zusammen, das die Höhe der Studiengebühren bestimmt. Mittlerweile gibt es wahrscheinlich weltweit keine erfolgreichen Mafiosi, Gangster, Waffenhändler, Rauschgiftschieber, Großverbrecher und korrupten Politiker mehr, die ihre Söhne und Töchter nicht nach Harvard schicken – um sie zu veredeln und zu verfeinern.

    Für diese sauberen Sprösslinge gibt es dort dann nur noch ein Verbrechen: das Kooperieren. Die “Competition” wird in Harvard derart groß geschrieben, dass die Studenten untereinander nicht einmal andeuten mögen, an welcher “Thesis” sie gerade arbeiten – aus Angst, man könnte ihnen ihre blödsinnige Idee klauen. Was an deutschen Unis immer noch gefördert wird, die gegenseitige Hilfe und Gruppenarbeit, kann im asozialen Harvard sogar disziplinarische Folgen haben – wenn sie auffliegt!

    Von der Frankfurt an der Oder Herrschschule berichtete die Studentin Jana live aus einem Business-Seminar:

    “Neulich sagte der Professor zu uns: ‘Wenn ich andern Gutes tue, tu ich mir selbst nichts Gutes…’ Und das haben alle brav mitgeschrieben!”

  • Kleine Korrektur zur Kleinfeld-Villa – aus Berliner Zeitung vom 6.5.2005:

    Über seine neue Millionen-Euro-Villa im Münchner Nobelvorort Grünwald sagt Kleinfeld: “Ich weiß, dass ich all das mit meinen eigenen Händen aufgebaut habe.”

    Der stern fügte nun noch hinzu:

    “Klaus Kleinfeld kommt aus Bremen, sein Vater, ein Facharbeiter, starb, als der Sohn zehn Jahre alt war. Schon zwei Jahre später half Kleinfeld mit, die Haushaltskasse aufzubessern und räumte Regale im Supermarkt ein.”
    (Das ist ein ganz anderer Schnack als der von Walter Momper, der aus dem selben Bremer Arbeiterviertel stammt – und Regale im Hafen ausräumte, d.h. Obst klaute. Er bekam dafür ein lebenslanges Hafenverbot verpaßt, das jedoch aufgehoben wurde, als er Regierender Bürgermeister von Berlin wurde – kurz vor der Wende. Diese Hafenverbotsaufhebung von Momper durch die Bremer Hafenverwaltung wurde in Berlin groß gefeiert.)

    Weiter heißt es im stern:

    Vor allem aber war Kleinfeld, der bei seinem Amtsantritt vom “Manager Magazin” als “Wunderknabe” gefeiert wurde, längst aus anderen Gründen zu einem Prügelknaben herabgesunken. Begonnen hat seiner Negativserie mit massiver Kritik an der Erhöhung der Vorstandsbezüge um 30 Prozent: “Frechste Gehaltserhöhung des Jahres” titelte die “Bild”-Zeitung und nannte Kleinfeld einen “Raffke-Boss”.

    Die Börse reagierte auf Kleinfelds Rausschmiß verunsichert. Die Siemens-Aktie verlor im frühen Handel 1,6 Prozent. “Die Frage, die man sich stellt, ist, weswegen soll der Kleinfeld ausgewechselt werden? Hat er Dreck am Stecken? Eigentlich hat er doch einen guten Job gemacht; kapitalistisch gesehen war auch BenQ voll in Ordnung”, sagte ein Händler.
    Kleinfeld “war ja eigentlich der Garant dafür, dass die Restrukturierung voran geht – und jetzt ist eben die Unsicherheit, wer der Nachfolger wird, wenn es denn so kommt”, sagte ein anderer Börsianer.
    Die Investmentbank Morgan Stanley warnte vor einem Wechsel an der Siemens-Spitze: “Wir glauben ganz klar, dass eine Ablösung Kleinfelds deutlich negative Folgen auf den Kurs der Siemens-Aktie hätte.”

    Der ex-taz-redakteur arno luik schreibt im stern über Kleinfelds Auftritt in der “Kaderschmiede des Kapitals” – der Berliner European School of Management and Technology (ESMT)- auch:

    Er kommt sehr pünktlich, es ist Freitag, 16 Uhr, er trägt einen dunklen Anzug und eine rosa Krawatte, kurz stellt er sich für ein Foto ins Foyer, er geht die Treppe hinauf, an dem Glasbild vorbei mit überlebensgroßen Szenen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Liebknecht und Luxemburg, 180 Quadratmeter DDR. “Es ist gut, dass er zu uns kommt”, sagen sie in den Korridoren, “es ist wirklich gut, gerade jetzt, wir freuen uns auf ihn.”

    München, die Sorgen, sind jetzt weit weg. Hier, in Berlin, im sorgsam renovierten Staatsratsgebäude der DDR, Schlossplatz 1, Berlin-Mitte, ist Feierstimmung, 200 Gäste warten auf ihn. Die European School of Management and Technology (ESMT), eine private Wirtschaftsuniversität, vor vier Jahren gegründet von 23 deutschen Großunternehmen, dem Arbeitgeberverband und dem Bundesverband der Deutschen Industrie, lädt ein zur “Presidential Inauguration”. Ein neuer Präsident wird ins Amt eingeführt.

    Der neue Präsident heißt Lars-Hendrik Röller, ist Wirtschaftsprofessor für Wettbewerbsrecht und führt Klaus Kleinfeld im zweiten Stock zum berühmten Balkonfenster, man kennt es aus den Geschichtsbüchern. Es ist ein Fragment des gesprengten Stadtschlosses, das früher hier stand, von diesem Balkon aus verkündete Karl Liebknecht am 9. November 1918 die “erste sozialistische Republik auf deutschem Boden”. Die beiden blicken auf den Schlossplatz, den Dom, die Humboldt-Uni, die Kommandantur. Ein herrschaftlicher Blick. “Toll”, sagt Kleinfeld. “Großartig”, sagt Röller. “Unsere Geschichte”, sagt Kleinfeld, “toll.”
    .

    Auf dem Korridor ein alter Mann, aufrecht an seinem Stock, Otto Graf Lambsdorff, er sagt: “Es ist doch lustig, dass wir hier sind.” Er lacht. Ein anderer alter Mann, weißhaarig und korpulent, der ehemalige US-Botschafter John Kornblum sagt: “I like this DDR-style.” Auch er lacht.

    Die ESMT ist ein grosser Traum der deutschen Industrie: Ein deutsches Harvard soll sie werden. Ein Konkurrent der London School of Economics. Eine Kaderschmiede des Kapitals. 80 Millionen Euro haben die Konzernherren bisher in die Schule gesteckt, sie sind es, die hier ihre Nachfolger heranziehen wollen. Aber noch wird die ESMT als SchmalspurFakultät belächelt, nur sieben Professoren sind fest angestellt, die meisten Lehrkräfte werden bisher für ihren Unterricht aus- und eingeflogen. Das soll nun anders werden, auch deswegen ist Kleinfeld hier.

    Orte wie dieser sind nicht nur Orte, sie sind bewohnt von Geistern der Vergangenheit. Erst war Ulbricht hier drin, dann Honecker, dann Schröder, 1999 bis 2001, bis das neue Kanzleramt fertig war. Ulbricht ist weg, Honecker ist weg, Schröder ist weg, ein mehrfacher Exorzismus, die Wirtschaft, so sieht es aus, hat endgültig über die Politik gesiegt.

    Klaus Kleinfeld steigt auf das Podium im ehemaligen Bankettsaal, jetzt ist es das Audimax der Business School. Vom Podium aus sieht man links durch ein Panoramafenster den halb abgerissenen Palast der Republik und rechts an der Wand einen Fries aus Meißener Porzellanfliesen, das Leben der DDR. Als Zitat ist es nach der Renovierung übrig geblieben, man hat es überleben lassen, dieses kleine bunte Erbe der Planwirtschaft, es ist zu Zierrat geschrumpft. Kleinfeld steht unter roten Fahnen. Freundschaft. Frieden.

    Er lächelt ins Publikum, er schaut auf Unternehmer, auf den amerikanischen und ägyptischen und mexikanischen Botschafter, auf 29 Studenten aus 14 Ländern, die hier für 50.000 Euro pro Jahr zum Master of Business Administration ausgebildet werden. Wer hier studiert, sitzt später an strategisch wichtigen Stellen. Wie er.

    Vor ihm sitzen Gerhard Cromme von Thyssen-Krupp, Aufsichtsratschef der ESMT, Aufsichtsrat bei Siemens, und Henning Schulte-Noelle von der Allianz, Gründungsvater der ESMT. Kleinfeld spricht Amerikanisch, mit leichten Ti-eitsch-Fehlern, es sei großartig, sagt er, fantastisch, dass man diese Schule gegründet hat, er sei “really impressed”. Er redet von Konkurrenz. Wettbewerb. Kampf. China. Indien. Und immer wieder fällt das Wort: exzellent. Exzellente Mannschaft, exzellente Leute, exzellente Ausbildung. Qualität und Verantwortung, das sei ihm sehr wichtig, diese europäischen Werte. Verantwortung heiße in diesen Zeiten, Herausforderungen als Chancen begreifen. Den Kampf annehmen. In diesen Zeiten.

    Allianz macht historisch einmalig hohe Gewinne in diesen Zeiten – und streicht 10.000 Arbeitsplätze, Daimler macht Profit – und streicht 14.500 Arbeitsplätze, die Telekom 32.000, Siemens 10.000, BenQ Mobile, das bis vor kurzem Siemens gehörte, 1950 Stellen. Fast 50.000 Lehrstellen fehlen im Land, auch so eine Schlagzeile dieser Tage, als Vorwurf formuliert von Menschen, die Verantwortung anders verstehen. Soll er davon reden? Hier? Jetzt? Natürlich nicht.
    .

    Muss er auch nicht, sagt ein Student, der 28 Jahre alt ist und dann von “competence” und “quality” und “excellence” spricht, wie eine Kleinfeld-Kopie. Er findet nichts Schlimmes dabei, dass Allianz oder Siemens trotz Gewinnen Jobs killen, das müsse so sein, man stehe im Wettbewerb. Für ihn, ja auf jeden Fall, sei Kleinfeld ein Vorbild, unbedingt. Im Treppenhaus draußen, auf dem Glasbild von 1964, sieht man Arbeiter demonstrieren und streiken, quer über Liebknecht und Luxemburg ein mächtiges “Trotz alledem”.

    Neulich lärmten mal wieder einige Tausend Angestellte vor der Siemenszentrale in München: “Klaus, komm raus!” Ein paar Hundert Berliner Siemensianer, von Arbeitslosigkeit bedroht, waren dabei, sie waren von Berlin nach München marschiert. Sie wollen nicht Ruhe geben, wie, wenn er doch nicht ganz besiegt wäre, der Geist von damals? Wenn die gute Laune der Sieger trügen würde?

    Vorn am Podium steht ein Mann um die fünfzig, kurzer Haarschnitt, und obwohl viele Haare schon grau sind, obwohl der Rücken gebeugt ist, wirkt er sehr jugendlich. Klaus Kleinfeld lächelt hinab zu seinen Freunden, wichtigen Männern wie er, die jeden Tag, wie er, in Milliarden denken, man wird sich nicht irritieren lassen von jenen paar Demonstranten, man glaubt an seinen Sieg. Es tut gut, dass die anderen hier das auch so sehen. Ja, es war gut, auch für ihn, dass er hier war, das ist die Botschaft, wir halten zusammen.

    Die Süddeutsche Zeitung berichtete über den Villenvorort Grünwald, wo Klaus Kleinfeld 2005 seine Villa platzierte:

    In Grünwald stehen viele exklusive Villen zum Verkauf, manche Prominente finden es neuerdings in Bogenhausen schicker. Entwickelt sich der Nobel-Vorort zur Reste-Rampe für verarmte Millionäre?

    Nehmen wir einmal an, der Gesellschaftschronist Helmut Dietl würde diese Geschichte verfilmen – wie sähe die Anfangssequenz aus? Vielleicht so: Die leicht verlebte Millionärs-Ehefrau (Anke Engelke) fährt mit ihrem Porsche bei überhöhtem Tempo durch Grünwald, steuert ihr Domizil in einer Seitenstraße an und betätigt per Knopfdruck das Garagentor.

    Hinter hohen Mauern, im Garten der Villa – 3000 Quadratmeter Grundstück, Designerpool, türkisches Dampfbad, Wohnlandschaft mit Tiroler Bauernstube – wartet ihr wütender Gatte (Uwe Ochsenknecht) mit seinem Anwalt (Harald Schmidt). Er will die Details der Scheidung klären. Wer kriegt das Haus, wie weit gehen wir mit dem Preis runter? Da erscheint die sexy Nachbarin (Alexandra Maria Lara) auf dem Bildschirm des elektronischen Türöffners: Ob sie den Gärtner (Moritz Bleibtreu) und die polnische Hausangestellte (Yvonne Catterfeld) übernehmen darf, wenn der Verkauf abgeschlossen ist?

    Gut, ganz so dramatisch geht es in Grünwald, dem immer noch bevorzugten Villenparadies der Reichen und Berühmten, noch nicht zu. Oder doch? Wer in diesen Wochen durch den Münchner Vorort fährt, sieht in Gärten Stangen, an denen Verkaufsschilder hängen. Sogar in der noblen Dr. Maxstraße werden Immobilien angeboten, die mit phantastisch klingenden Namen („La Casa Gialla“) um Aufmerksamkeit buhlen.

    Und in der sonst so ruhigen Gabriel-von-Seidl-Straße werden Grundstücke „wie reife Tomaten“ (tz) angepriesen. Vom „Villen-Sommer-Schlussverkauf“ ist in Boulevardzeitungen die Rede. „Hier wird Grünwald verscherbelt“, schrieb die Bild-Zeitung. Sogar in einem Immobilienbericht der Zeitschrift Capital kamen „Experten“ zu Wort, die den Niedergang des Villenstandorts konstatieren.

    Ausverkauf? Niedergang? Grünwald als Reste-Rampe für verarmte Millionäre? Bürgermeister Jan Neusiedl hält solche Berichte für maßlos überzogen. Der CSU-Mann, ein korrekter, jugendlich wirkender Politiker, sitzt in seinem Büro im funktionalen Rathaus und wiegelt ab. „Eine gewisse Fluktuation auf dem Grünwalder Markt ist völlig normal.“ Aber zugegeben, derzeit seien schon mehr Häuser zu haben als sonst. Früher waren es im Schnitt 80, jetzt stehen 120 Objekte zum Verkauf, schätzen Makler.

    Die Schilder findet der Bürgermeister übrigens „gar nicht schön“, so wie viele alte Grünwalder auch, die sich schon im Rathaus über die „amerikanische Unsitte“ beschwert haben. „Wir werden uns im Gemeinderat etwas überlegen müssen“, sagt Neusiedl und lässt drohend das Wort „Ortsgestaltungssatzung“ fallen.

    Aber so einfach ist die Sache wohl nicht, schließlich haben die Grundstücksbesitzer auch ein Wort mitzureden. Und die machen energisch ihre Gewohnheitsrechte geltend. Es kann passieren, dass der Bürgermeister nachts einen Anruf vom braven Bürger Blacky Fuchsberger erhält, der sich von Dreharbeiten im Nachbarhaus belästigt fühlt – vor kurzem war Paris Hilton zu Werbeaufnahmen in der Villa eines Managers, der Fußballer vermarktet.

    „Natürlich fühlen sich die Prominenten bei uns wohl, weil es hier so schön ist“, sagt Neusiedl. „Wir wollen alles tun, damit das so bleibt.“ Der Villencharakter müsse erhalten bleiben, eine weitere Verdichtung verhindert werden. Jeder Verkauf einer Immobilie landet in Grünwald daher auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters, der auf Ruhe und Ordnung achtet.

    Die Firma, die den Ärger losgetreten hat, ist in Grünwald relativ neu. Das international tätige Immobilienunternehmen Engel & Völkers hat vor vier Jahren in der Gemeinde einen Shop eröffnet, bald darauf standen die ersten Schilder auf den Grundstücken. Aber Konstantin Wettig, Leiter des Münchner Büros, möchte sich keinesfalls zum Buhmann der Gemeinde stempeln lassen: „Offensives Marketing ist in anderen Städten wie Hamburg völlig normal.“ Außerdem habe die Konkurrenz längst zurückgeschlagen, es herrsche Waffengleichheit.

    Was nicht ganz stimmt. Die alteingesessene Immobilienfirma Rosemarie Bauer hat die Schilderpraxis kopiert; die ebenfalls etablierte Firma Gleich verzichtet darauf. Die Unprofessionalität einiger Makler gepaart mit den überzogenen Erwartungen der Besitzer führe zu einer Verzerrung der Marktverhältnisse, sagt Egon Gleich, der früher auch an Ottmar Hitzfeld vermietete. „Wenn geschiedene Hausfrauen aus Langeweile plötzlich Makler spielen, helfen auch Schilder nicht weiter“, sagt er.

    Bei Engel & Völkers sieht man die Sache natürlich ganz anders. Für Konstantin Wettig steht außer Frage, dass man inzwischen „kreativ“ sein muss, um Häuser in Grünwald loszuwerden. „Die Preise von 1999, als der Neue Markt boomte, kommen so schnell nicht wieder.“

    Mit bis zu zehn bis fünfzehn Prozent Wertverlust müsse man bei Immobilien, die nicht zur Toplage zählen, durchaus rechnen. Gut, die exklusiven Objekte, die Zehn-Zimmer-Villen mit riesigen Gärten, sind noch immer begehrt. Konzernmanager oder wohlhabende Unternehmer, die lieber kein Klingelschild anbringen, wohnen gerne hier. Vor kurzem ist Siemens-Chef Klaus Kleinfeld nach Grünwald gezogen. Sogar der saudische König hat angeblich eine interessante Bleibe. Aber die Bereitschaft der Besitzer von Doppelhaushälften oder mittelgroßen Einfamilienhäusern, Abstriche beim Preis zu machen, ist gering. Deshalb werben einige Makler mit allen Mitteln für die Objekte.

    Negativschlagzeilen über den Ausverkauf von Grünwald stören die Idylle der Schlafstadt im Süden von München, die im Rest der Republik zum Synonym für einen gehobenen Lebensstil in völliger Sicherheit und absoluter Privatsphäre geworden ist. Nicht mal einen S-Bahn-Anschluss gibt es hier, nur die Straßenbahnlinie 25, mit der Jugendliche in Markenklamotten, junge Mütter, Hausangestellte mit dicken Einkaufstüten und ältere Damen in die Stadt fahren. Man muss sich nur eine Weile auf eine Bank am Derbolfingerplatz setzen, um sich zu vergewissern, dass hier auch Menschen leben, die nicht mit dem S-Klasse-Mercedes oder dem 7er BMW unterwegs sind.

    In Grünwald mit seinen 11.000 Einwohnern bleiben Fußballprofis, Filmstars und Schlagersänger gerne unter sich. „Das sind fleißige Leute, die sind froh, wenn sie ihre Ruhe haben“, sagt der Bürgermeister, der sich freut, wenn sich Carolin Reiber für die evangelische Kirchengemeinde engagiert. Man kennt sich, man toleriert sich, man lebt für sich.

    Aber selbst in diesem elitären Kreis wollen sich nun einige von ihren Häusern trennen. Und zwar nicht nur, weil sie wie Uschi Glas nach einer Scheidung lieber in der Stadt wohnen möchten. Der Bürgermeister kennt noch andere Ursachen: „Die Gründergeneration stirbt momentan weg, und die Erben wollen die großen Grundstücke zu Geld machen“, sagt Neusiedl. Für das Ortsbild ist das ein Nachteil: Die Filetgrundstücke mit bis zu 5000 Quadratmetern seien oft nur verkäuflich, wenn man sie aufteilt, und dann entstehen eben Kompromisse, die als „Doppelhausvillen“ angepriesen werden.

    Die neueren Anwesen, wie man sie etwa in der Heinz-Rühmann-Straße besichtigen kann, sind gar nicht mehr herrschaftlich. In diesem Neubaugebiet nach amerikanischem Zuschnitt steht geklonte Standardware wie aus der Hochglanzbroschüre, mit trutzigen Carports, dicht aneinander gebaut. Von der Wald- und Wiesenromantik ist fast nichts mehr zu spüren, dafür protzen die Eigentümer gerne mit vergoldeten Balkongittern, Erkern oder wuchtigen Eingangstoren.

    Überhaupt hat sich in Grünwald so mancher Architekt ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt, hinter Busch- oder Mauerwerk stehen kuriose Klötze. Sehenswert ist die Villa eines Galeristen in der Muffatstraße, die mit ihrem begrünten Holzdach, den vielen Rundungen und Minifenstern so aussieht, als hätte Frank Lloyd Wright eine repräsentative Bleibe für die sieben Zwerge gebaut. Seit langem wartet Grünwald nur darauf, dass der Hausherr endlich einzieht.

    Das phantastische Anwesen an der Muffatstraße wäre eine toller Drehort für eine Grünwald-Komödie à la Helmut Dietl. Oder eine Kulisse für die Produzenten der Bavaria-Film, die von ihrem Standort in Geiselgasteig das Geschehen in der Gemeinde mit ironischem Blick verfolgen. Bavaria-Geschäftsführer Dieter Frank hat als Bewohner des Nachbarorts Pullach genügend Distanz, um die Attraktivität der Villenidylle zu bewerten. „Ja, es gibt einen Trend in gewissen Kreisen, nach Bogenhausen oder in ausgesuchte Viertel der Innenstadt zu ziehen“, sagt Frank.

    Im Gerwerbesteuerparadies Grünwald ist die Bavaria nach der Allgemeinen Leasing der größte Arbeitgeber, trotzdem wohnen wenige Filmleute hier. Es ist einfach zu teuer. Über die Mentalität der Villenbewohner, die mit der Limousine zum Semmeln holen fahren, lästert Frank ganz gerne, auch wenn er viele Grünwalder vom Münchner Golf-Club in Straßlach kennt.

    Vor kurzem hat Frank beim Staatsbesuch von Edmund Stoiber in Kalifornien den Bürgermeister von Beverly Hills getroffen. Der wollte beim Abendessen wissen, wie man so lebt im berühmten Grünwald, das ja Schauplatz so vieler Morde in Derrick war. Der mit viel Humor ausgestattete Bavaria-Chef hatte eine Antwort: „Grünwald ist wie Beverly Hills. Es gibt viele Villen, viele Witwen, viele Schauspieler, viel Verkehr und wahnsinnig viele Firmen.“ Der einzige Unterschied sei, dass die Reichen in Beverly Hills auf ihren Grundstücken griechische Säulenimitate wie auf der Akropolis aufstellen, sagt Frank. Das fehlt noch im Schilderparadies Grünwald.

  • Aus Computerwoche.de:

    e größer die Vorstands-Villa, desto kleiner der Erfolg

    US-Forscher haben die privaten Paläste der CEOs von Top-500-Unternehmen untersucht. Das Ergebnis: Je protziger das Anwesen, desto bescheidener entwickelt sich der Aktienkurs.

    Besonders schön bringt das “Handelsblatt” die Forschungsergebnisse der US-Wissenschaftler Crocker H. Liu und David Yermack auf den Punkt: “Der Vorstandsvorsitzende besitzt ein Anwesen auf Mallorca mit 400 Quadratmeter Wohnfläche, Hallenbad, Tennisplatz und Driving-Range. Empfehlung: Aktie verkaufen.” Hintergrund sind Untersuchungsergebnisse unter den 500 größten US-Unternehmen, die zeigen, dass die Größe und der Wert des privaten Domizils von Vorstandsvorsitzenden im umgekehrten Verhältnis zur Kursentwicklung stehen.

    Als sehr große bezeichnen die Forscher dabei Anwesen mit einer Wohnfläche von über 920 Quadratmetern oder einer Grundstücksgröße von mehr als vier Hektar. Immerhin 15 Prozent der CEOs besitzen solche Domizile. In den drei Jahren nach dem Hauskauf entwickeln sich der Börsenkurs der von ihnen geführten Firmen in aller Regel schlecht: Die 85prozentige Mehrheit der bescheideneren CEOs schneidet um Klassen besser ab. Dabei können sich auch die Behausungen der anderen CEOs durchaus sehen lassen. Die durchschnittliche Größe der Residenzen liegt bei 500 Quadratmetern Wohnfläche, elf Zimmern, fünf Badezimmern und einem halben Hektar Grundstück.

    Wie Wissenschaftler Yermack von der Stern School of Business der New Yorker Universität schon zuvor bewiesen hatte, ist auch die Anschaffung eines Dienstflugzeugs ein sicheres Indiz dafür, dass der Kurs nach unten geht. Die Forscher erklären das Phänomen damit, dass sich ein CEO, der sich einen Palast baut und einen Jet zulegt, seiner Stellung im Unternehmen so sicher ist, dass er satt und mächtig wird. Statt den Gewinn der Aktionäre zu mehren, geht es ihm um seinen privaten Ruhm. Außerdem versagen in solchen Unternehmen häufig die Kontrollinstanzen. (hv)

  • DIE STARNBERGER REPUBLIK

    So nennen Stephan Lebert und Stefan Willeke ihre Starnberg-Recherche, die sie in DIE ZEIT Nr. 52 am 20.12. 2006 veröffentlichten. Ich weiß nicht, ob sie es mir übel nehmen, wenn ich ihren Text hier reinsetze…Er verdeutlicht noch einmal das, was ich das Kleinfeldsche Feld nennen würde: Der zurückgetretene Bremer (in Hamburg sagt man übrigens statt “Ich bin doch nicht blöd” gerne auch “Ich bin doch kein Bremer!”) Siemens-Vorstandsvorsitzende Kleinfeld hat sich dort bzw. in der Nähe übrigens eine protzige Villa gebaut, außerdem befindet sich am Starnberger See der noch protzigere und hochgesicherte Siemens-Think-Tank für Führungskräfte. Und dann meinte der Berliner Siemens-Statthalter zu Treuhandzeiten, ich glaube er hieß Gérard, einmal – auf die Frage, wann denn sein Konzern wieder nach Berlin – in die gerade ausgerufene neue Berliner Republik – ziehen würde: “Die Siemens-Erben und Konzernführer fühlen sich sehr wohl in München.” Außerdem fehle es hier noch an so gut wie allem: “Erst wenn die Gegend um Potsdam so gut entwickelt ist wie die am Starnberger See sei an einen Umzug zu denken.”

    Hier also nun – was auf die Potsdamer zukommt:

    Nirgendwo in Deutschland leben mehr Millionäre als am Starnberger See. Der Staat, das sind sie – auch der Bürgermeister fürchtet ihre Anwälte. Besuch bei der Oberschicht, die lebt, wie es ihr gefällt.
    Andreas Botas nennt sie die »Entscheidung meines Lebens«, diese Frage, vor der er Ende der neunziger Jahre stand: Soll er jetzt in die Welt hinausziehen, wie all seine Kollegen, oder soll er hier bleiben, hier am Starnberger See? Botas sitzt in seinem Arbeitszimmer, holzgetäfelt, antike Möbel, Bücherregale bis zur Decke. Der Immobilienmakler sagt, er habe keine Sekretärin und selten mehr als zwei Termine am Tag. »Ich möchte, dass meine Kunden einen hundertprozentig konzentrierten Botas vor sich haben. Und meine Kunden wissen: Jedes Telefongespräch führe ich selbst, ich schreibe auch jeden Brief.«

    Botas hatte ein paar Jahre lang in der Starnberger Filiale von Engel & Völkers gearbeitet, dem internationalen Maklerbüro. Er hörte seine Kollegen immer laut darüber nachdenken, und er tat es ja selbst auch, wo die zukunftsreichste Region für einen Immobilienfachmann sei, vielleicht in den USA, in den arabischen Emiraten oder doch in Indien und China, wie viele meinen? Doch dann fuhr er eines Tages über die Dörfer, vorbei an den bezaubernden Villen, dahinter der glitzernde See, überall diese geordnete Stille – und plötzlich kam ihm seine Geschäftsidee: Da ist eine der schönsten Gegenden Deutschlands, und da sind die Berichte, dass die wirklich Reichen in diesem Land immer mehr und immer reicher werden, »und plötzlich wusste ich, was ich will: Ich bringe diese Leute an diesen Ort. So einfach ist das.«

    Ein paar Regeln hat er aufgestellt, zum Beispiel: Ihn interessieren nur Häuser, die mehr als zwei Millionen Euro wert sind. Und er verlangt zweimal Provision, vom Käufer und vom Verkäufer. Andreas Botas kennt an diesem See inzwischen jeden Hauseigentümer, der nur ein klein wenig darüber nachdenkt, seinen Besitz zu verkaufen. Zum anderen hat er die Bundesrepublik mit dem Blick eines Goldschürfers durchkämmt. Er wollte wissen, wo die Reichen sitzen, die sich etwas leisten wollen, nicht die Kleinlichen, sondern die, die es krachen lassen wollen. Wenn ein Haus zum Verkauf stehe, führe er zwei, drei Telefonate, »dann ist das Geschäft über die Bühne«.

    Das prächtige Arbeitszimmer von Andreas Botas gehört zu einem noch weit prächtigeren Gut. Hinter Tutzing am Westufer des Sees biegt man ab in Richtung Wald, zwei, drei Kilometer nur Feldweg und Bäume. Dann taucht es auf, das weiße Schloss, das früher ein Pferdegestüt war und überhaupt eine Menge Geschichte hat. Botas bräuchte es nicht zu sagen, aber er sagt es doch: Sein Geschäft laufe sehr gut. Insignien des Wohlstands wie Goldkettchen und Porsche seien nicht mehr seine Sache, »meine Welt befindet sich in einer anderen Kategorie«.

    Der Bilderbuchsee, die andere Kategorie. Mit dem Auto braucht man eine Stunde, um ihn zu umrunden. Dörfer sieht man, Fachwerk, Pferdekoppeln. Städtchen sieht man, Boutiquen, kleine Yachthäfen. Gemessen am Wasservolumen, ist der Starnberger See der größte bayerische See, 133 Meter tief. Am Westufer ist der Erfolg zu Hause, Wirtschaftsführer und Juristen. Am Ostufer das Gefühl, Künstler und Gelehrte. Dazwischen, an der oberen Seespitze, liegt Starnberg, die verhuschte Kapitale. Natürlich dürfe man Starnberg nicht mit Tutzing vergleichen, Tutzing nicht mit Ambach. Einheimische sehen die Unterschiede genau. Aber mit etwas Abstand erkennt man das Verbindende, den Reichtum, überall. Man kann in Statistiken und Befragungen nachschauen und findet über Starnberg heraus: die meisten Millionäre auf einem Fleck. Das höchste Bildungsniveau. Die höchste Lebenserwartung. Das höchste Lebensglück. Aber sagt das was?

    Mal angenommen, es stimmt, dass die Zeit der Zwiebel vorübergeht. Die Bunderepublik ist ja immer eine Zwiebel gewesen, oben dünn, unten dünn, in der Mitte imponierend dick. Aber jetzt wird die Zwiebel oben und unten dicker, der Bauch immer flacher. Mal angenommen, es stimmt, dass die deutsche Zwiebel ihre Masse an die Enden schiebt. Sie sähe dann eher aus wie eine verwachsene Knolle, die seltsame Blüten treibt. Ist diese Knolle noch zu genießen? Der Bürgermeister der Seegemeinde Tutzing fängt an zu stottern, wenn man ihn nach den vielen reichen Bürgern in seinem Ort fragt. Als er sich gesammelt hat, sagt er: »Verstehen Sie, ich will doch wiedergewählt werden.«

    Seit über vierzig Jahren dient er dem Staat, dieser Staat heißt Tutzing. Inzwischen, als Bürgermeister, steht Peter Lederer an der Spitze des Staates. Der Staat hat ein Gesicht, in dem es übergangslos grinst und zuckt, ein nervöses Grinsezucken, und man kommt schnell auf die Idee, dass sich dieser Staat vor seinen Bürgern fürchtet. »Nein, denken Sie bloß nicht«, sagt der Bürgermeister, »dass ich die Millionäre hasse. Ich bin ja, also ja selber Millionär«, und er tastet lange nach einem möglichen Satzende, »weil ich in ihrer Nähe leben darf.«
    Unten vor dem Empfang des Rathauses stehen fast jeden Tag Bürger, die von der Frau hinter der Glasscheibe kostenlos gelbe Säcke für den privaten Plastikmüll bekommen können, wie in jeder Stadt. Aber in Tutzing taucht fast jeden Morgen einer auf, der wütend zum Schalter stürmt, die Glasscheibe eigenmächtig von außen zur Seite drückt und hineinbrüllt: »Säcke!« Mit einem Bündel Säcke rennt er davon.

    Einige Bürger klingeln im Rathaus mittwochnachmittags Sturm, oder sie trommeln dann gegen die Pforte, weil sie wissen, dass das Rathaus mittwochnachmittags für Besucher geschlossen ist und sie beim zuständigen Sachbearbeiter nicht lange warten müssten, wenn man sie hereinließe. Öffnet niemand, rufen einige den Bürgermeister zu Hause an. »Das ist aber nicht so schlimm«, meint er. »Jetzt treiben sie ihn wieder vor sich her«, sagen die Angestellten im Rathaus über den Chef. Nimmt die Frau des Bürgermeisters an Wochenenden zu Hause den Telefonhörer ab, kriegt sie die ganze Ladung ab. »Ich habe eine wunderbare Frau«, sagt ihr Mann.

    Man erkundigt sich nach den Reichen und bekommt sofort diese bitteren Pointen zu hören. Eigenartig. Das macht alles nicht den Eindruck, als habe man sich das Leben am See gemütlich eingerichtet, im Gegenteil. In der Nähe muss es eine Quelle der vergifteten Gefühle geben.

    In Tutzing geht es dem Staat viel schlechter als seinen Bürgern, weil die großen Firmen geschlossen wurden und nur sehr wenig Gewerbesteuer hereinkommt. Ein gut laufendes Unternehmen ist für eine Stadt aber viel mehr wert als hundert Millionäre, weil eine Stadt die Gewerbesteuern für sich behält, von den Einkommensteuern seiner Bewohner nur einen kleinen Teil. Es spielt keine Rolle, ob ein Bürger 30000 Euro im Jahr verdient oder drei Millionen – bei der Stadt landet immer der gleiche schmale Anteil von der Steuer. So ist es zu erklären, dass das wunderschöne, fabrikfreie Tutzing seit Jahren etwas bekommt, das man »Sozialhilfe für Städte« nennt. Notgroschen, der große Staat muss dem kleinen Staat helfen.

    Ein paar Mal schon hat der Bürgermeister die Bürger in Briefen um Spenden gebeten, damit die Gemeinde ihr Heimatmuseum am Seeufer ausbauen kann. Innerhalb von drei Jahren haben sechs Leute mitgemacht. 7000 Euro, insgesamt. »Wenn der Pfarrer ein neues Dach für die Kirche braucht, hat er in einer Woche 80000 Euro zusammen«, sagt der Bürgermeister. Einmal habe er befürchtet, die Stadt könne die Löhne ihrer Angestellten nicht mehr zahlen. Und einmal habe er überlegt, ob man das Schwimmbad schließen müsse. Den Reichen kann das Schwimmbad egal sein, im Sommer springen sie von ihrem Garten in den See. Im Winter springen sie in ihren beheizten Pool.

    Drüben in Starnberg sammeln sie seit Jahren Geld für die Erweiterung eines Museums. Mit den Spenden können sie gerade mal neue Toiletten bezahlen. Meist halten sich die Reichen aus der Politik heraus, aber in Starnberg ist die Architektin Iris Ziebarth, die Frau des Vorstandschefs von Infineon, in den Stadtrat gegangen. Das war eine kleine Sensation. Eine von ganz oben lässt sich auf politische Basisarbeit ein. Von ihren Bekannten hörte sie: »Das ist ja ekelhaft. Warum tust du dir das an?«

    In private Stiftungen stecken die Bürger vom See ihr Geld, viel Geld sogar, das viel Gutes bewirkt, aber für den Staat haben sie nichts übrig. Was haben sie schon den Tutzinger Bürgermeister beschimpft, wenn seine Verwaltung es wagte, Strafmandate wegen kleiner Verkehrsdelikte zu verschicken. Was war das für ein Aufruhr, als der Bürgermeister meinte, ein neues Hotel täte dem Ort gut. Er kapitulierte. Wie haben sie sich gewehrt, wenn die Stadt sie darauf hinwies, dass die Büsche in ihren Vorgärten nicht über die Gehsteige wuchern dürfen. Dann treffen die Schreiben ihrer Münchner Rechtsanwälte im Tutzinger Rathaus ein.

    Sobald der bayerische Winter beginnt, tobt der Tutzinger Schneekrieg. Dann brüllen die Bürger manchmal, als seien sie von Sinnen. »Arschloch« ist dann wieder ein beliebtes Wort. »Ich habe die Gabe, ruhig zu bleiben, je mehr sich das steigert«, behauptet der Bürgermeister. Der Schneekrieg bricht aus, sobald die Leute von der Stadt um die kleinen Privatwege einen Bogen machen und nur die öffentlichen Straßen räumen. Überhaupt, die Straßen. Das sind die Frontlinien zwischen dem Staat und seinen Bürgern. »Kommen Sie, das kann ich Ihnen zeigen«, sagt der Bürgermeister, steigt in seinen Golf und hoppelt eine Hangstraße aufwärts. Überall ausgebesserte Löcher. Eigentlich müsste man einige Straßen komplett erneuern. Millionensummen, undenkbar. Der Bürgermeister hat sich zu einem Fachmann für billiges Flickwerk im Straßenbau entwickelt, weil er den Zorn der Bürger nicht aushält. Die könnte er – wie in anderen Städten auch – an den Kosten für neue Straßen beteiligen, sogar mit 60 Prozent, aber dafür müsste der Bürgermeister als Erstes eine Satzung erlassen. Das traut er sich nicht, aus böser Erfahrung.

    »Wir haben so klagefreudige Leute«, sagt er. Schon bei Kleinigkeiten, die ihnen missfallen, liest er in Briefen: »Ich werde Ihnen meine Unterstützung entziehen.« 75 Bürgern hat er wegen überhängender Gartenhecken Briefe geschickt, 65 haben sich dagegen aufgelehnt. »Diese Leute schauen auf den Staat herab«, sagt eine Angestellte im Rathaus. Von den Bürgern in Tutzing gehen so viele Widersprüche gegen ihre Steuerbescheide ein wie aus 13 bayerischen Landkreisen zusammen.

    Schwarz liegt der See hinter den Tannen, die Nacht hat sich schon früh den Tutzinger Hügel hinabgestürzt. Vom anderen Ufer bleiben nur ein paar helle Punkte.

    Sie kocht eine Fischsuppe, er öffnet den Rotwein. Er und sie, ein Ehepaar Mitte 50, das lange am See lebt und in der Zeitung keine Namen haben will. »Komisches Haus, nur Ärger«, sagt er, »das Telefon ging fünf Tage nicht.« Ein geschmackvoll renoviertes Jugendstilhaus, ein ansehnliches Vermögen. Die Morgendämmerung, sagt sie, sehe vom Esszimmer aus »wie eine Explosion in Orangerot«. Bleiben Spaziergänger stehen, um die hübschen Erker der Villa zu bewundern, ist ihm das unangenehm. »Zeigen hat etwas Ordinäres«, meint er.

    »Jetzt gibt es plötzlich viele Kinder hier«, sagt sie, »Familien mit drei Kindern.«

    »Die wollen sich was leisten«, erwidert er.

    »Ich hätte auch gerne noch ein Drittes gehabt.«

    »Du bist froh gewesen, dass es vorbei war.«

    »Nicht so eine spießige Kleinfamilie«, sagt sie.

    »Ach, sprich doch nicht immer dazwischen.«

    Den Bürgermeister von Tutzing kenne er nicht persönlich, mit den Bediensteten der Gemeinde verbinde ihn nichts. »Diese Beamten«, sagt er, und es klingt verächtlich, »ein Freigeist hat was gegen Kleinkarierte.« Deren hässliche Macht sei die Macht der Verhinderer: Jede eigenwillige Modernisierung eines Hauses bremsen, auf karierten Blöcken alle Ideale durchkreuzen. Da hinten am Rathausplatz: die verwaltende Schicht; hier am See: die gestaltende Schicht. Die letzte Verbindung sei der Bebauungsplan.

    »Schau dir das Verkehrschaos in Starnberg an«, sagt sie, seit Jahrzehnten wird über Umgehungsstraßen und Tunnels gestritten, ohne eine Lösung. »Das ist die Feigheit der Politiker, etwas zu entscheiden.«

    »Gerhard Schröder«, sagt er, »der ist ein Alphatier. Der hatte für sich entschieden: Ihr könnt mich mal alle am Arsch lecken. In der Kommunalpolitik gibt es keine Alphatiere.«

    Sie sagt: »Keiner von der Stadt hat sich dafür bedankt, dass wir in dieses historische Gebäude so viel Geld gesteckt haben. Da spielt auch Neid eine Rolle.«

    Er sagt: »Ich bin interessiert an allen Menschen, aber die da interessieren mich nicht. Das sind Kleinbürger.«

    »Unser gesellschaftliches Leben«, sagt sie, »findet privat statt. Die Kreise mischen sich nicht. Und keiner würde sagen: Ich bin reich. Der Reiche ist in diesem Land doch der Böse.«

    Er meint: »Ich erzähle doch auch nicht, dass ich stark und gesund bin, wenn ich sehe, dass die anderen schwach und krank sind.«

    Die Schwachen am See sind die, von denen unentwegt Stärke verlangt wird. Der Chef der Polizeiwache in Starnberg wimmelt aufgeregte Mütter ab, die sich um einen sicheren Schulweg der Kinder sorgen, dann sagt er: »Der See schluckt mein Personal.« Weil in Starnberg kaum jemand Polizist werden will, muss er seine jungen Nachwuchsleute aus anderen Gegenden Bayerns hierher zwangsversetzen, freiwillig käme niemand. Aber weil sich die jungen Polizisten ein Leben in Starnberg nicht leisten können, ziehen sie nach der Ausbildung weg. Alle. Die komplette Mannschaft.

    Man muss nur einmal einen Mann von der Wasserschutzpolizei begleiten. Der Audi, in dem er zur Bootshalle fährt, ist 356000 Kilometer gelaufen und so heruntergekommen, dass der Polizist diesen Zustand ein wenig zu erklären versucht. Dann geht es raus auf den See. Das Polizeiboot steuert er an pastellfarbenen Villen und Schlösschen vorbei, Familie Hipp, Familie von Miller, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der sein herrschaftliches Haus der Reeducation-Politik der amerikanischen Militärregierung nach dem Krieg verdankt, Seeresidenz Thurn und Taxis, Zigarrenbaron Zechbauer, Fruchtsäfte Müller, das Hotel, in dem Roman Herzogs Sohn seine Hochzeit feierte und Johannes Heesters seinen hundertsten Geburtstag, drüben das Hotel, das der Schwiegersohn des FC-Bayern-Arztes Müller-Wohlfahrt übernahm, das Restaurant, in dem Boris Becker verkehrt, die Roseninsel, eine Klinik des Herrn Agirov, der ein Intimus des Franz Josef Strauß war, das Schloss des Grafen Pocci, täuschend nah: das Karwendelgebirge, etwas versteckt: Peter Gauweiler.

    Wären da nicht die störenden Bäume, könnte man vielleicht das Schwesternheim der Marianne-Strauß-Klinik sehen, in dem zwei junge Polizisten gemeinsam ein Zimmer gemietet haben, weil es sie nur 300 Euro kostet. Andere Polizisten haben im Krankenhaus nachgefragt, das auch ein Schwesternheim hat, gleich hinter dem neuen Klinikrestaurant Residence, das betuchte Patienten zur Operation nach Starnberg locken soll. Auch bei der Starnberger Fachhochschule für Rechtspfleger erkundigt sich die Polizei nach billigen Zimmern. Man muss die Leute ja irgendwo unterbringen.

    Trifft man den Starnberger Gärtner Karl-Heinz Ritzkat, erzählt er seine kleinen Geschichten vom Rasenmähen. Eine Mutter sei vorbeigekommen und habe zu ihrem Sohn gesagt: »Wenn du in der Schule nicht aufpasst, musst du mal das machen, was dieser Mann macht.« Am meisten regt ihn auf, dass die Hunde dieser Leute auf die Wiese kacken dürfen, während er gerade mäht. Die Vorgesetzten im Rathaus verlangen, dass er und die anderen Gärtner immer freundlich bleiben, aber das sei manchmal schwer. »Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?« Das fragen ihn Hundebesitzer oft.

    »Wir kommen aus einer anderen Gesellschaftsordnung«, sagt Ursula Ritzkat, die Frau des Gärtners. Von einem Dorf in Sachsen kommen sie. In einem Altenheim am Ufer des Starnberger Sees haben sie eine kleine Wohnung bezogen, bezahlbar und dunkel, eine Dienstwohnung. Die Frau des Gärtners ist Altenpflegerin. Nebenan, im Schloss Garatshausen, spielt die Fürstin Gloria im Sommer auf dem Tennisplatz im Garten. Die Fürstin nickt immer freundlich herüber, eine nette Frau. Fährt Ursula Ritzkat zurück in ihre alte Heimat, lässt sie sich beim Friseur die Haare machen und blättert in Illustrierten. Sobald sie ein Foto der Fürstin entdeckt, sagt sie stolz: »Meine Nachbarin.« Dieser Moment entschädigt sie für vieles.

    Patricia Riekel schließt die Augen in ihrem Münchner Hochhausbüro. »Schauen Sie«, sagt sie, »so mache ich es überall auf der Welt, und es funktioniert: Ich denke an den Steg vor meinem Häuschen, an die Farbe des Wassers, wenn es regnet, an die Farbe des Wassers, wenn die Sonne scheint. Ich höre das leise Geplätscher des Wassers, wenn es bei Windstille ans Ufer schlägt. Das stelle ich mir vor, und egal, wo ich bin, auf einem hektischen Flughafen oder sonstwo, es funktioniert: Ich werde sofort ganz ruhig.« Sie öffnet die Augen wieder und sagt: »Dieser See ist der Ort meines Lebens.« Als sie 17 war, habe sie dem See ein Versprechen gegeben, »auch wenn ich mal weggehe, ich komme wieder«. Patricia Riekel hält in ihrem Büro einen Monolog über ihr Leben am See. Ohne Pause, ab und zu ein Schluck Wasser. Sie ist seit Jahren Chefredakteurin der Bunten, eine der mächtigsten Medienfrauen der Republik. Vor ein paar Jahren »hab ich mich hoch verschuldet und das Häuschen in Ambach gekauft«. Starnberger See, Ostufer.

    Ambach ist ein kleiner hübscher Ort, gerade mal 300 Einwohner. War früher ein reines Bauerndorf, bevor die Reichen kamen. Hier befindet sich das wahrscheinlich bekannteste Lokal am Starnberger See, eine Bauernwirtschaft mit bayerischer Küche und einem Biergarten, ein paar Meter vom Wasser entfernt. »Bierbichler« nennen die Leute das Lokal, so heißt die Familie der Eigentümer, eine Bauernfamilie. Die Münchner und Starnberger Schickeria liebt diese Gaststätte, vor allem im Sommer übervölkern Ausflügler das Lokal und den Garten. Es ist ein Aufeinandertreffen von sehr viel Glitzerwelt und ein wenig Bayerntradition, die nur noch aus der Speisekarte und ein paar Leuten besteht, und da ist besonders einer zu nennen: Josef Bierbichler, in Ambach geboren, der Sepp, wie ihn alle nennen. Von Beruf ist er Schauspieler, mit Preisen überhäuft. Wenn er nicht irgendwo dreht oder auf der Bühne steht, sitzt er immer noch oft in der Wirtsstube, schlecht gelaunt, sehr schlecht gelaunt, soll kein Falscher auf die Idee kommen, ihn anzusprechen. Mit Journalisten will er nicht reden über die Reichen vom See. Aber man kann ihn zitieren, er hat in seinem Buch Verfluchtes Fleisch darüber zornig geschrieben, in einer Passage über einen alten Klassenkameraden, einen Arbeiter und Säufer, der jeden zweiten Tag in das Wirtshaus kam. Solche Leute kamen früher – und heute? Bierbichler schreibt: «Gestern saßen auf der Bank noch die unverdaulichen Gäste des Wirtshauses. Die mit ihren Autos mit den vielen PS und ohne Dach, so dass man die dreisten Gesichter dieser dreisten Menschen auch noch sehen muss, diese babygewordenen und babygesichtigen Nach- und Ausgeburten des immer älter und bösartiger werdenden Kapitalismus.«

    Die Ambacher Nachbarin Patricia Riekel kennt Bierbichlers Zorn, natürlich, sie begegnen sich gelegentlich, auch beim Schwimmen im See. Sie redet ebenfalls von den Widersprüchen der Gegend, aber anders. Wie sie als Künstlerkind, aufgewachsen am Westufer, schon damals nur mit anderen Künstlerkindern Kontakt hatte, selten mit den Sprösslingen der Einheimischen. Sie sagt, nicht jeder verstehe das Leben am See, man höre heutzutage immer wieder von zugezogenen Reichen, die depressiv werden und sich manchmal aufhängen. Riekel lacht. Sie sagt, man sperre hier nicht nur die meisten Zugänge zum See für die Allgemeinheit, man sperre auch die gewöhnlichen Probleme der Welt aus. »Ärger mit Ausländern, Schläger, Bettler, gibt es hier alles nicht.« All das mache den Zauber aus. »Der Starnberger See«, sagt sie, »ist ein durch und durch undemokratischer Ort.«

    Das ist ein großes Lob. Vielleicht hat der See das Bewusstsein verdorben, die Leute beginnen sich nach einer surrealen Vollkommenheit zu sehnen, die der Schmutz der Alltagswelt nicht mehr trübt: Zu der schönsten Abendsonne der Welt muss sich die schönste Herrschaftsform der Welt gesellen, die Demokratie der höheren Stände. Die Starnberger Republik. Ulrich Beck könnte man danach fragen. Die besten Sachen über den Zustand der Gesellschaft fallen dem Soziologen immer ein, wenn er aus der Uni in München flieht und sich wochenlang in einem Bauernhof am Starnberger See einmietet. Becks Risikogesellschaft ist am Ostufer entstanden. Manchmal geht er mit seiner Frau, einer Soziologin, in das Restaurant, in dem der schlecht gelaunte Bierbichler hockt, weil sie dort mit dem Jürgen aus Starnberg und dessen Frau Ute verabredet sind. Mit Jürgen und Ute Habermas reden sie viel über Politik, aber nie über die Reichen. »Die Reichen?«, meint Beck, »ich kann Ihnen dazu nichts sagen.« Er sagt dann doch was: »Deutsche Soziologen gucken nicht nach oben, sondern lieber nach unten. Ich verstehe das auch nicht.«

    Es gibt so gut wie keine wissenschaftlichen Einblicke in die Oberschicht der Bundesrepublik. Näherungsversuche gibt es, Essays, Datenreports, das ist es dann. Es hat auch damit zu tun, dass man sich als Soziologe verdächtig macht, wenn man sich die Reichen vornimmt. Andere Soziologen könnten dann behaupten, da wolle einer die Reichen verstehen. Die Armen verstehen, das klingt besser. »Wir sind eine sozialdemokratische Gesellschaft«, sagt Beck, »Reichtum gilt als anrüchig.«

    Mit Eliten beschäftigt sich ein Soziologe in Darmstadt, Michael Hartmann. Herausgefunden hat er, dass die wirtschaftliche Elite ein geschlossenes Milieu bilde, das oft von Geburt an vermögend sei. Der Aufsteiger, der es aus eigener Kraft nach ganz oben schafft, sei selten. Viel typischer seien der Erbe und der Erbe des Erben. Mit echter Arbeitsleistung habe das oft wenig zu tun. Auch Hartmann schaut auf die Spitze der Gesellschaft aus einer großen, skeptischen Distanz.

    Wollten die Soziologen den Reichen nahe kommen, wäre das ein mühseliger Weg. Am Starnberger See muss der Sozialforscher damit rechnen, für einen Bettler gehalten zu werden. Er müsste sich schon auf die Spielregeln des Sees einlassen und nach dem blechernen »Ja, bitte«, das aus dem Lautsprecher an der Torpforte schallt, ein braves Sprüchlein aufsagen. Thomas Druyen, ein Soziologe aus Münster, will es wagen und »Tiefeninterviews in elitären Milieus« führen. Ein kurioses Fach will er an der Universität einführen, Vermögenskultur. Von seinen Plänen berichtete er auch der Fürstin Gloria, als er sie im Schloss am See besuchte. Dieser neuartige Professor blieb ihr noch eine Weile in Erinnerung.

    Während der kalten Monate zieht sich die Fürstin in das Familienschloss in Regensburg zurück. Sie hat in den Salon gebeten und Kaffee servieren lassen. Schon seltsam, sagt sie, wie die auf der anderen Seite sich manchmal benehmen. Da tuckerte sie mit ihrem Motorboot dicht am Ostufer des Starnberger Sees entlang, als plötzlich ein Anwohner eine Fotokamera auf sie richtete, ein aufgebrachter Mann, der sie anzeigen wollte. Die Fürstin ankerte, schwamm ans Ufer und entschuldigte sich bei ihm. Sie hänge so sehr an diesem See. Sie nennt es eine »andächtige Bewunderung«. Die vielen stillen Tage am Wasser. »Je mehr wir globalisiert sind«, sagt sie, »desto schöner ist es, wenn man Geborgenheit spürt.« Blitzschnell spreche sich im Ort herum, wenn die Fürstin vorgefahren sei. Und doch kusche niemand vor ihr, beim Bäcker werde sie behandelt wie jede andere. Sämtliche Partyzonen der Welt probierte die Fürstin früher aus, der Starnberger See ist ihr Entmüdungsbecken. Ringsum nur Ruheräume, die Freizeitlandschaft der Reichen. Aber reich? »Wir sind weiß Gott nicht reich«, sagt die Fürstin über ihre Familie, die wirklich Reichen seien längst ins Ausland gezogen. »Wir sind absoluter Mittelstand.«

    Wer könnten dann die Reichen sein?

    Da ist der Unternehmer Siegfried Genz, der in Nigeria glänzende Geschäfte mit dem Militär machte und auf sein parkähnliches Gelände im vornehmen Städtchen Berg ein weithin sichtbares Windrad setzte. Heinz Rühmanns Witwe, einer lieben Nachbarin, widmete er einen Gedenkstein an der Grundstücksgrenze. Ein anderer Nachbar, ein früherer Präsident der Bayerischen Landesbank, bekam ebenfalls einen mannshohen Gedenkstein, aber das war eine Provokation. Die beiden hatten sich in der Zeitung mit bösen Leserbriefen bekämpft. Von der »Nigerianisierung« des Ortes durch den Unternehmer schrieb der ehemalige Bankchef, der Nachbar habe sich »wie eine Qualle über unsere Gemeinde gelegt«. Später errichtete der Unternehmer an der Grundstücksgrenze auch noch einen Brunnen, das goldgelbe Wildschwein obendrauf nahm der pensionierte Bankchef persönlich. Und das ständige Plätschern des Wassers trieb ihn fast zur Verzweiflung.

    Da ist der Unternehmer Herbert Jochum, kein Schild an seiner Haustür deutet seine Geschäfte an. Geräte zur Penisverlängerung stellt er her. Penisverlängerung, in gewisser Weise ist das ja das ewige Thema am See. Wer hat hier den längsten? »Puppi, hol doch mal Indien«, sagte Jochum bei einer Vorführung zu seiner Frau, die dann loslief und einen bleischweren Ring auf den Tisch stellte. »Der Chinese ist kein doller Liebhaber, der Deutsche will sachliche Information, der Italiener hasst Gebrauchsanweisungen.« Mit seinen Penisverlängerungen könnte er die Welt erklären, und am liebsten erklärt er sie in Zentimetern. Nach vielen Jahren in den USA wollte er nach Deutschland zurück und entschied sich für den Starnberger See, nur hier sei so viel Frieden mit so viel Wohlstand vereint. Er sagt: »Hier wurde der Sozialneid eliminiert.«

    Da ist Heiner Lauterbach, der sein Haus am Ostufer verkaufen will. Da ist Oliver Bierhoff, der sich auf die Zuschauerbank setzte, als der Bauausschuss von Berg entschied, dass die Mauer neben Bierhoffs Eingangstor höher ausfallen dürfe als gewöhnlich. Da sind Loriot, der Krimiautor Herbert Reinecker, der frühere Infineon-Chef Ulrich Schumacher, die Wurstfabrikanten Houdek in drei Generationen, die Wittelsbacher in allen Variationen.

    »Ich bin ja«, sagt der Rentner Manfred Meyer, »ein besserer Beichtvater der Wohlhabenden gewesen.« Wem vertraue sich jemand an, der sein Leben um sein Vermögen gewickelt habe? Nicht unbedingt dem Pfarrer, sondern dem Chef der Deutschen Bank in Starnberg. Das war bis vor einigen Jahren Manfred Meyer, heute ist er Präsident des vornehmsten Vereins am See, des Bayerischen Yacht-Clubs in Starnberg. Den Gauweiler haben sie nicht aufgenommen, weil sie jede Unruhe schon im Keim ersticken.

    Montags, sagt Meyer, riefen ihn früher aufgebrachte Ehemänner in der Bank an, damit er die Kontovollmacht der Ehefrauen löschte. Mittwochs riefen die Männer wieder an, und die Frauen bekamen die Vollmacht zurück. »Wie viel Geld ist auf dem Konto?«, brüllte der alte Haniel, wenn er die Bank betrat. Er war am Ende schwerhörig. Sagte Meier »anderthalb Millionen«, schrie er: »Dann geben Sie mir 1,4 Millionen!« – »Aber Sie sprengen meine Kasse.« Haniel steckte sich ein paar Hunderttausend in die Manteltasche und stapfte davon.

    Immer wieder habe er bei den Reichen »eine Existenzangst« erlebt, die er sich nicht recht erklären konnte. »Von denen kann man das Sparen lernen«, sagt er. »Die haben ständig das Gefühl: Es reicht nicht mehr.« Der See, sagt er, lenke von solchen Ängsten ab. Das Wasser spüle die kleinlichen Sorgen weg und hielte sie draußen in der Tiefe gefangen. Der See sei der beste Psychiater, Seelenfrieden schwemme er an. Eine Reihe spannender Jobs hätte Meyer wohl übernehmen können in dem Weltkonzern Deutsche Bank, aber er weigerte sich wegzuziehen, nur aus einem einzigen Grund. »Ich habe dem See meine Karriere geopfert.«

    Das ist die versöhnliche Lesart der Dinge. Es gibt auch eine andere. »Ich sage Ihnen was über Starnberg. Wollen Sie eine ehrliche Antwort?« Bitte. »Eine Bombe sollte man da reinwerfen, eine Bombe.« Rudolf Zirngibl ist in Starnberg aufgewachsen, im Kreisrat sitzt er für die CSU, seit 22 Jahren ist er Unternehmer, und er behauptet von sich, dass er in Abgründe gucken könne. »Es ist so widerlich.« Am Ende stünden die Reichen vor ihm und sagten: »Für meine Frau die billigste Kiste. In aller Stille, schnell weg.« Meist wollten sie einen Sarg, den der Bestattungsunternehmer Zirngibl den »Sozialhilfe-Sarg« nennt. Fichte natur. Mehrere Filialen hat er in Bayern, die alle mehr Umsatz machen als seine Zentrale in Starnberg. »Es gibt Persönlichkeiten, die einmal in der Woche in der Presse stehen, aber ihre Eltern, die verscharren sie.«

    Am schlimmsten sei es am Heiligen Abend. Rufe da ein Angehöriger an und wünsche sofort ein persönliches Gespräch wegen eines Todesfalles, dann bekomme der Bestatter hinterher beim Rausgehen nicht einmal ein »Danke« zu hören. Scheinbar hätten die Reichen das Denken der Manager ganz und gar verinnerlicht.

    Mit einem neutralen Auto solle er vorfahren, bloß keine Andeutung. »Die wollen das Vergängliche abblocken.« Und weil sie wüssten, dass ihnen selbst eine jämmerliche Beerdigung drohe, zahlten sie schon früh in eine Vorsorgekasse ein, legten den Sargtyp, die Trauerkarten, die Blumen, sogar die Musikstücke fest. Dann seien die Angehörigen später daran gebunden. Ein Friedhof nur für Reiche? Der Bestatter schüttelt den Kopf. »Wenn es so was gäbe, dann wäre das kein Friedhof. Höchstens eine Urnenwand.« Er sagt: »Hier hat das Geld alles versaut.«

    Das Gegenteil von Starnberg, macht man sich in Deutschland auf die Suche nach ihm, findet man in Berlin-Kreuzberg in einem Café, nicht weit weg vom Kottbusser Tor, dort wo Kreuzberg am härtesten ist. Wenn Starnberg ein Synonym für Reichtum ist, dann steht Kreuzberg für das, was Menschen ziemlich weit unten in der Gesellschaft miteinander anstellen. Julian-Max Otto sitzt in diesem Café, er sei übernächtigt, sagt er, habe durchgearbeitet für einen Auftrag eines Werbefilmers. Otto zeichnet, malt, ein Künstler, gut im Geschäft. Mit Unterbrechungen lebt er seit 15 Jahren in Kreuzberg, seit er damals Starnberg verlassen hat, damals nach dem Abitur. Er wollte raus aus der engen Idylle, um jeden Preis, die Welt sehen und nicht mehr den See. Er sagt, er wollte Konflikte, er wollte Leben, Veränderung, nicht bayerischen Stillstand. Berlin war der richtige Ort, »ich wäre gestorben in Starnberg«. Doch jetzt sitzt da einer schläfrig vor seinem Cappuccino und ist irritiert. Das hat damit zu tun, dass er auf einmal eine Ahnung hat, wo er hingehört im Leben, und dass dies nicht Kreuzberg ist, sondern ausgerechnet der bayerische See. Der Stillstand, die Schönheit, vielleicht auch das Privileg, hier leben zu dürfen. »Wissen Sie«, sagt er, »wie sehr das nervt, wenn einem zum dritten Mal das Fahrrad gestohlen wird?«

    Es fing an mit einem Klassentreffen vor ein paar Monaten, lange Jahre hatte er seine Mitschüler nicht mehr gesehen. Die meisten waren in der Gegend von Starnberg und München geblieben, und zu seiner Überraschung stellte er fest, »wie angenehm diese Leute waren, wie gelassen und entspannt sie auf die Welt blickten. Ja, ich habe mich bei denen wahnsinnig wohl gefühlt, ich kann es nicht anders sagen.« Hatte das auch damit zu tun, dass die meisten seiner Klassenkameraden vom Bleiben in der Heimat profitiert haben? Sie machten Karriere, als Anwälte und Geschäftsleute, oft weil sie in den Fußstapfen der Eltern blieben. Nein, sagt Otto, höchstens indirekt spielte das eine Rolle, »weil alle auf eine solch unaufdringliche Weise selbstbewusst waren«. Die redeten nicht über die Gesellschaft, man merkte, die konzentrieren sich auf ihr Leben, sonst nichts. Er erzählt von einer Studie, die ein befreundeter Soziologe gemacht hat: Das Thema waren zwei deutsche Absolventen einer Elite-Universität, der eine stammte aus wohlhabenden, der andere aus sehr einfachen Verhältnissen. Beide hatten in etwa die gleichen Fähigkeiten. Beide bewarben sich in Firmen um Spitzenjobs, mit radikal unterschiedlichen Ergebnissen: Der aus gutem Hause wurde dem anderen immer vorgezogen, trotz der ähnlichen Qualifikation. Das Fazit des Soziologen: Es hat mit dem gesellschaftlichen Stand zu tun, einem scheinbar unsichtbaren Band. Man sucht seinesgleichen, man erkennt sich, will unter sich bleiben.

    Diese Geschichte der beiden gleich-ungleichen Studenten könnte man auch ein wenig wütend erzählen, angesichts dieser doch verschwunden geglaubten Ungerechtigkeit, aber der Künstler aus Kreuzberg und Starnberg stellt eine Frage: Ist es vielleicht doch so, dass man zu einer bestimmten Gruppe im Leben gehört, dass alles andere Illusion ist? Otto sagt, er jedenfalls möchte bald wieder zurück nach Bayern, nicht mehr über den Dreck der Nachbarn in den Straßen fallen, nicht mehr über Multikulti diskutieren, sondern die Landschaft genießen, arbeiten, leben. Trifft der Wunsch dieses Künstlers einen gesellschaftlichen Nerv, eine Sehnsucht nach Grenzenziehen, nach Unterschieden, in Wahrheit auch eine Sehnsucht nach Klassenschranken, von oben nach unten, versteht sich?

    Die Leute am See trinken zu viel Alkohol, manchmal mehr als anderswo, wie eine Sozialarbeiterin sagt, »weil viele Leute hier viel Zeit haben und es für Menschen manchmal nicht gut ist, wenn sie zu viel nachdenken«. Die Menschen lassen sich scheiden in Starnberg und Umgebung, mehr als anderswo, wie eine Amtsrichterin erzählt, »weil man sich hier die Trennung leisten kann. Ärmere Paare bleiben aus finanziellen Gründen gelegentlich zusammen, dieses Argument fällt hier meistens weg.« Die Richterin steht am Ende eines Scheidungsverfahrens oft in den Villen mit den völlig zerstrittenen Partnern, und weil alle Versuche gescheitert sind, legt nun sie, die Richterin, fest, welches Möbel wem von beiden künftig allein gehören wird.

    Die Jahresberichte der Gymnasien werden von Jahr zu Jahr dicker, weil immer noch eine neue Auslandsreise der Schulklassen festgehalten werden muss. Probleme mit Ausländern? Höchstens, wenn der Sohn eines ausländischen Diplomaten ganz schnell Deutsch lernen muss. Nein, die Sache liegt hier anders. Die Richterin hat es gesagt: Die Ärmeren wollen auch das haben, was die Reichen haben. Die privaten Wachdienste am See können sich vor Aufträgen nicht retten, ein Security-Unternehmer in Starnberg sagt: »Die Mittelschicht wird ausgedünnt, die Unterschicht wird größer. Wir merken das an den Einbrüchen. Da wollen sich welche was zurückholen.« Es gibt hier eine spezielle Jugendkriminalität, keine dramatischen Zahlen, aber auffallend. Vor allem Diebstähle und Überfälle. Eine Sache des Neides.

    Bernhard Frühauf erinnert sich, dass er einmal den Kontakt mit Eltern aufnehmen musste, um sie zu bitten, ihrem Sohn deutlich weniger Taschengeld zu zahlen. Der bekam knapp 500 Euro. In der Woche. In der Schule war es zu Tätlichkeiten und Diebstählen gekommen, weil andere Schüler mithalten wollten mit dem reichen Jungen. Frühauf ist der Leiter des Jugendamts, in Starnberg wurde er geboren. Er sagt: »Es hat sich was verändert in den letzten Jahren. Es dreht sich alles um Geld und Erfolg, nichts anderes. Und das erreicht gelegentlich auch die Schulen. Diese Spirale dreht sich und dreht sich. Aber schauen Sie, ist das nicht überall so?«

    Die Spirale hat in Starnberg die Grundschule erreicht, die vierte Klasse. In Bayern braucht man mindestens einen Notendurchschnitt von 2,0, um ins Gymnasium vorrücken zu dürfen. Eine Nahtstelle der Zukunft: Unvorstellbar, die eigenen Kinder dürften nicht aufs Gymnasium. Frühauf sagt, man könne sich nicht vorstellen, welchen Druck manche Eltern ausübten, um diesen Übertritt zu erreichen. Lehrer bestätigen das, vorsichtig, man sei an einem guten Verhältnis zu den Eltern interessiert. Nur so viel: Immer stehe die Drohung im Raum, man werde die Noten beim bayerischen Kultusministerium anfechten. Frühauf sagt, im Jugendamt hätten sie dauernd mit Eltern zu tun, die ihre Kinder zu Legasthenikern erklären wollten, zu Lese- und Schreibschwachen. »Sie haben es lieber, wenn ihre Kinder für krank gehalten werden, als zu akzeptieren: Mein Kind schafft es nicht, wenigstens jetzt noch nicht.«

    Der Chef des Jugendamtes sagt, er habe beschlossen, sich über solche Dinge nicht zu ärgern und sich auch nicht mehr mit der Frage zu beschäftigen, was im Leben gerecht sei und was nicht, »das macht einen nur krank«. Er mache seine Arbeit, und die bestehe immer öfter auch darin, Kindern und Eltern das Leben beizubringen, »viele haben das nämlich verlernt«. Auf Reisen mit Jugendlichen habe man verstärkt darauf hinzuweisen, dass man im Leben bestimmte Sachen miteinander teilen muss. »Das geht, die Kinder verstehen das, wenn man es ihnen sagt.« Und er erzählt von einer Initiative der Drogenberatungsstelle, die sich auch um eine spezielle Starnberger Sucht kümmert, das materielle Verlangen nach mehr. Kindergärten wolle man möglichst spielzeugfrei halten und die Kinder viel malen und basteln lassen, damit keine sozialen Unterschiede mehr zu spüren sind. Man möchte, sagt er, den Kindern beibringen, dass sie auch ohne Geld etwas wert sind.

    Meistgelesene Artikel des Tages

    * Lohn und Leistung: Der deutsche Widerspruch »
    * Wetter: Zum Sterben schön »

    Beliebteste Galerien

    * Pressefreiheit: Traum und Trauma »
    * Pop: Sex zu zwei »

    Aktuell informiert

    * Täglich neu: Der ZEIT online Newsletter »

    Dutzende von Psychologen und Therapeuten haben sich in der Region niedergelassen. Man könnte meinen, es ist das Woody-Allen-Syndrom, wohlhabende Leute leisten sich ihren Seelenklempner. Sicher stimme das auch, aber es komme etwas hinzu, erzählt einer der Therapeuten. Und er sagt, was viele seiner Kollegen bestätigen: »Die meisten, die zu uns kommen, sind Leute aus der Mittelschicht. Leute, die angesichts der härter werdenden Arbeitswelt zu heftig krabbeln mussten, um nicht abzustürzen, um den Lebensstandard, ihren Status zu halten. Sie haben Angst abzurutschen. Irgendwann sind sie fertig, ausgelaugt und kaputt. Dann kommen sie zu uns.« Das Dicke in der Zwiebel, was davon noch übrig geblieben ist, liegt in Starnberg auf der Couch.

    Und, ist das alles so schlimm?

    Seelenschmerz, Abstiegsängste, tausend kleine Ungerechtigkeiten hinter den Fassaden. Ein Bestatter, der über Starnberg schimpft. Ein Künstler, der sich nach Starnberg zurücksehnt. Ein nervöser Bürgermeister, der getrieben wird. Eine gelassene Chefredakteurin, die sich treiben lässt. Droht da überhaupt was? Es ist doch nur ein kleiner Zipfel Deutschland, weit entfernt von der Mitte, ein Idyll kurz vor dem Alpenrand.

    Andreas Botas, der Immobilienmakler, fährt jeden Morgen, wenn es die Temperaturen erlauben, zum See hinunter und schwimmt. Später dreht er gerne noch mit seinem Boot ein paar Runden auf dem Wasser. Er sagt, er merke schon gelegentlich, dass für manche Leute in Deutschland die Zeiten härter geworden sind. »Wenn man heute eine Putzfrau sucht, melden sich zwanzig Deutsche, das war früher anders.« Was ihn selbst angehe, sei er mehr als zuversichtlich. »Schauen Sie«, sagt er, »meine Rechnung stimmt immer noch: Es gibt mehr richtig Reiche in diesem Land, und diese Leute wollen was haben für ihr Geld.« Die Grundstückspreise am See seien noch lächerlich niedrig, vom Niveau des Comer Sees weit entfernt. Viele Reiche seien noch gar nicht hier, die Zukunft von Starnberg habe gerade erst begonnen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert