vonHelmut Höge 08.05.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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In der taz – im vierten Stock – hat sich wieder eine Mäusefamilie häuslich eingerichtet, die von den Krümeln auf den Schreibtischen der Redakteure lebt. Daneben haben sich auch noch ein paar Mitarbeiter mehr inzwischen einen Hund angeschafft. Der Biologe Cord Riechelmann schimpfte einmal: “…was Linke schon immer und seit je tun –  vom sogenannten Schweinesystem reden, ohne je Schweine studiert zu haben.” In diesem Zusammenhang bezeichnete er das Buch “Farm der Tiere” von George Orwell als eines der – fast hätte ich gesagt: “saublödesten”. Unsere Sprache strotzt tatsächlich von Animalismen, wenn es darum geht, irgendetwas denunziatorisch zu vergleichen (blöder Affe, dummes Huhn, aalglatte Schlange, Dreckschwein, eitler Pfau usw.). Es handelt sich dabei meist um ein denunziatorisches Herunterziehen auf der evolutionären Stufenleiter.

Das Gegenteil – wenn man so will – unternahm der den Surrealisten nahestehende Forscher Roger Caillois, als er sich mit der Mimese befaßte. Seine diesbezüglichen Texte (u.a. über die Gottesanbeterin und die Psychasthenie) wurden gerade von Peter Geble und Peter Berz zu einem Band mit dem Titel “Méduse & Cie” zusammengefaßt und im Verlag Brinkmann & Bose” veröffentlicht. Caillois begreift darin z.B. die falschen Augen auf den Flügeln von Schmetterlingen und Käfern als “magische Praktiken”, die abschrecken und Furcht erregen sollen – genauso wie die “Masken” der so genannten Primitiven. Und die Mimese überhaupt als tierisches Pendant zur menschlichen Mode. Sein Forschungsansatz ist anti-darwinistisch – insofern er dabei von allem Nützlichkeitsdenken absieht.

Vor einiger Zeit sollte ich mal für die Zeitschrift der Akademie der Wissenschaften meine Lieblingszitate über Tiere zusammenstellen, auch dabei kam mir schon Roger Caillois unter.

“So lange es KZs für Wale gibt, wird es auch welche für Menschen geben.” (Claude Levy-Strauss in einem Interview mit “Die Zeit” v. 2.9.1983)

“Unterhalb der Schafsarten kann man nur noch die Schafe zählen.” (Michel Foucault, in “Animalité,”, Sonderheft der Zeitschrift “Critique”, Paris 1981)

“Der Doktorfisch, das ist unser ältester Mitschwimmer. Er stammt von einem Seemann, Herrn Sielinsky, der hat ihn beim Tauchen im Roten Meer gefangen, nach dem Sechs-Tagekrieg, als der Suezkanal gesperrt war. Er kriegt manchmal so Anfälle, dann jagt er die anderen Fische im Becken. Einmal kam der Chef an und sagte: ,Wissen Sie was, den geben wir nach Berlin’. ,Ne’, hab ich gesagt, ,nur über meine Leiche’. Ich hatte über die Jahre hinweg fest so ein inniges Verhältnis zu dem bekommen, als hätte ich ihn an meiner Brust aufgezogen. 14 Jahre ist der schon hier. Total ungewöhnlich für so ein empfindliches Tier”. (Werner Marwedel, Aquariumspfleger in den Bremerhavener “Tiergrotten”, 1984.)

“‘Das Insekt,’ so verkündet irgendwo der große Entomologe J.H.Fabre, ‘hat kein Sittengesetz’. Das ist schnell gesagt. Nach der Definition von Littré ist es ,die Summe der Regeln, welche die freie Tätigkeit des Menschen lenken sollen’. Läßt sich diese Definition nicht Wort für Wort auf das Termitennest anwenden? Und steht die Summe der Regeln, die es lenken, nicht höher, und wird sie nicht vor allem strenger verfolgt als in der vollkommensten menschlichen Gesellschaft? Man könnte höchstens über die Worte ,freie Tätigkeit’ streiten und sagen, daß die Tätigkeit der Termiten nicht frei sei, daß sie sich der blinden Erfüllung ihrer Aufgabe nicht entziehen können; denn was wäre das Los des Arbeiters, der die Arbeit verweigern, des Soldaten, der den Kampf fliehen wollte? Man würde ihn ausstoßen, und er käme draußen elend um; oder es würde, was wahrscheinlicher ist, auf der Stelle das Todesurteil an ihm vollstreckt werden. Ist diese Freiheit nicht der unsrigen völlig vergleichbar? Wenn alles, was wir im Termitennest beobachtet haben, kein Sittengesetz darstellt, was ist es denn sonst? Erinnern wir uns der heldenhaften Aufopferung der Soldaten, die den Ameisen standhalten, während hinter ihnen die Arbeiter die Tür zumauern, durch die sie dem Tod entgehen könnten, und die so mit ihrem Wissen dem unversöhnlichen Feind ausgeliefert werden. Ist das nicht erhabener als die Thermopylen, wo es doch noch eine Hoffnung gab?” (Maurice Maeterlinck, “Das Leben der Termiten”, Frankfurt 1952)

“Uexküll stellt in seinem berühmten Text die Frage nach der Weltanschauung der Hundezecke. Mit Hundeblut vollgesogen und auf dem Hundeohr sitzend, durchläuft sie mit dem Hund das, was wir das Universum nennen (oder zumindestens einen kleinen Teil davon). Ueküll klammert dabei aus, ob der Begriff ,Weltanschauung’, der ja menschlichem Vokabular entstammt, für Hundezecken überhaupt einen Sinn hat. Außerdem setzt er voraus, daß die Komplexität des Nervensystems der Hundezecke vereinbar ist mit der hohen Abstraktion und dem konnotativen Reichtum des Begriffs ,Welt’. Anders Vilem Flusser, in seiner Abhandlung über den Tiefseekraken “Vampyrotheutis infernalis”. Er hat vorsichtigerweise die biologischen Möglichkeiten überprüft, bevor er sich die Frage nach der Weltanschauung eines von uns grundsätzlich verschiedenen Lebewesens gestellt hat. Er hat zudem ein Wesen ausgewählt, bei dem es nicht ausgeschlossen ist, daß es über das verfügt, was unsere Philosophen die Fähigkeit zur Weltanschauung nennen, denn sein tierisches Volumen und jener Teil, der die neuronischen Verknüpfungen beinhaltet, ist groß genug.” (Abraham Moles, “Zur Philosophiefiktion bei Vilem Flusser”, Strasbourg 1987)

“Daß man im Westen eine größere Vorliebe für Action-Präparationen hat als im Osten, liegt vielleicht an der Reizüberflutung. In Amerika hat man z.B. ganze galoppierende Herden – von Säbelantilopen etwa. Das ist, als wenn ich ein Fernsehbild anhalte. Eine eingefrorene Bewegungsphase. Wenn ich da eine Sekunde hinschaue, ist es phantastisch, und präparationstechnisch absolut genial gemacht, Hut ab auch vor der statischen Seite. Das sind ganz komplizierte Geschichten, so ein galoppierendes Tier zu zeigen. Aber es ist eine eingefrorene Phase, die eigentlich das Ding nicht bringt. Unser Auffassung, die der ‘Berliner Schule’ kann man sagen, ist so: Wenn ich z.B. ein Reh habe und will da eine Spannung reinbringen – das Tier ist gelaufen, hat also eine Schrittfolge gehabt, dann am Boden geäst und plötzlich hat es ein Geräusch gehört, nimmt den Kopf hoch, macht sich relativ lang und hat also dieses Äugen in die Gegend, und ist dabei schon so weit gespannt, daß es im nächsten Augenblick abspringen könnte. Also man ahnt, daß jetzt gleich etwas passieren könnte, aber das Reh kann genauso gut auch im nächsten Moment feststellen: Es ist nichts, und weiter äsen. Es muß da eine Zeitebene drin sein und es muß auch eine Geschichte erzählt werden – an diesem Tier. Man möchte doch den Besucher überraschen: Was könnte aus der Sache werden. Man muß sich mit dem Tier auch identifizieren können.” (Dieter Matzke, leitender Dermoplastiker des Berliner Naturkundemuseums)

“Der Krake scheint aufrecht zu gehen wie ein Mensch. Sein kapuzenförmiger Kopf und die riesigen Augen erinnern an die als sadistisch verschrienen, in Kutten gehüllten Folterer einer geheimnisumwitterten Inquisition. Der Krake, dieses Hirntier, um nicht zu sagen, dieser Intellektuelle, beobachtet immerzu, während er agiert. Diese Besonderheit, die offenbar sein innerstes Wesen zum Ausdruck bringt, läßt sich sogar bei Hokusais wollüstigen Kraken feststellen: Er beugt sich über den Körper der Frau, die er in Ekstase versetzt, und läßt sie nicht aus dem Auge, als verschaffe es ihm zusätzlichen Genuß, ihre Lust zu belauern.” (Roger Caillois, “Der Krake – Versuch über die Logik des Imaginativen”, München 1986)

Aus dem “Handbuch des kleinen Zoosystemikers” von Louis Bec: “1.6 Jeder Zoosystemiker hat, wie allgemein bekannt, geheime, zoologische Systeme zu entdecken und zu erforschen. 1.8 Zoosystemiker zu sein und es auch bleiben zu wollen, bedeutet also, daß man bereit sein muß, sein ganzes Leben umzuformen. Vom Phantasieleben erzeugte unterschwellige Zoologien lassen explikative mit implikativen Teilfragmenten der Forschung überschneiden. 1.9 Das setzt voraus, daß der auserkorene Gestalter über die nötigen Fähigkeiten verfügt, Zoosysteme und Morphogenesen auf der Basis von handwerklichen, phatasiebegabten, symbolischen, logischen, phantasmatischen, rationalen und methodologischen Aktivitäten aufzubauen. 1.10 überdies muß alles unternommen werden, um in den Augen der Mitmenschen das Erscheinungsbild eines durchschnittlichen und vernunftbegabten Menschen aufrechtzuerhalten. 2.1. Jeder Zoosystemiker, der auf sich hält, sollte – ohne viel Aufhebens – in Form einer fabulierenden Erkenntnislehre auf eine fiktive Zoosystemik hinwirken. 4.2. Er muß stillschweigend und gelassen hinnehmen, von den Wächtern über die ,Eigenarten’, den großen Vertretern des Wissens, den bedingungslosen Anhängern des Mythos vom Kunstschaffenden mit dem abgeschnittenen Ohr, von den sehr ehrenwerten Kunstkritikern und sogar von den Medizinstudenten im vierten Semester ausgebuht zu werden. 5.6 Er sollte mit der Fähigkeit begabt sein, Expeditionen in die vagen und konturlosen Zwischenreiche einer atopischen Zoogeographie vorzubereiten. 10.1 Das Paradigma der Tierhaftigkeit des Lebendigen ist das bevorzugte Interventionsgebiet des fortgeschrittenen Zoosystemikers. 10.2. Er muß der inneren Überzeugung sein, daß in der Wiedergabe des Lebendigen die Ganzheit in gedrängter Form dargestellt wird. Das Verhältnis des Menschen zum Tier ist im Verlauf seiner Geschichte nichts anderes als eine Gestaltung, eine dramatische Simulierung der Nichtübertragbarkeit. 10.5. Er muß sich ständig vergegenwärtigen, daß das Paradigma der Tierhaftigkeit insgesamt viel besser durch eine plurale Semantik bezeichnet oder dargestellt wird als durch die wissenschaftlichen Bestandteile einer objektiven Zoologie”. (Sorgues, 1985)

“Dreh- und Angelpunkt beim ,Fleisch in der Demokratie’ ist der sogenannte Sonntagsbraten: Nur Sonntags gabs Fleisch – und das größte Stück war dem Vater, als Ernährer der Familie, vorbehalten. Natürlich wollten alle anderen auch ein möglichst großes Stück – und das am Liebsten täglich. Aus diesem Konsumwunsch resultiert die Industrialisierung der Landwirtschaft – in Ost wie West. Zwar wurden im Kommunismus die Großbauern (Kulaken) vernichtet und im Kapitalismus genau umgekehrt die Kleinbauern, aber für ihre Rinder, Schweine und Hühner machte das keinen großen Unterschied: weder bei der Aufzucht und in der Mast noch beim Töten und Vernutzen. Der Übergang vom Rassen- zum Klassenkampf und heute wieder zurück macht für die Haustiere kaum einen Unterschied. Höchstens, daß das bäuerliche Privateigentum am Vieh eine etwas pfleglichere Behandlung desselben nach sich zieht. als der zur Lieblosigkeit tendierende Leistungslohn des sozialistischen Landarbeiters in den Kolchosen. Aus der Sicht der Tiere wäre mindestens eine Rückkehr zum feudalen Jagd- und Fleischprivileg wünschenswert. Oder – wie es noch radikaler in einem serbokroatischen Bauernlied heißt: “Lerchlein betet alle Tage/ daß die Pest die Hirten schlage/daß sie nicht zu Tale steigen/fern von seinem Neste bleiben” (Anjana Shrivastava, “Nächtliche Gespräche über den Rinderwahnsinn”, Berlin 2003)

“Früher wurden die Haustiere uralt – die Kühe wurden so lange gemolken, bis es nicht mehr ging, die Ochsen und Pferde mußten bis zum Umfallen arbeiten usw. Erst dann wurden sie geschlachtet, wobei man von den Hufen bis zu den Innereien alles verwendete. Deswegen steht in den alten Kochbüchern z.B., daß man ein Pfund Rindfleisch 10 Stunden kochen muß: Es war so alt und zäh, daß man es gar nicht anders essen konnte. Wenn man das heute machen würde, hätte man nur noch Fleischsoße. Heute werden die Tiere immer jünger – sie werden oft schon vor der Pubertät geschlachtet, d.h. bevor das Fleisch überhaupt einen ,Eigengeschmack’ entwickelt hat. Dafür wird immer mehr ,Flavour’ zugesetzt. Außerdem wird es so portioniert angeboten, daß jeder Hinweis auf seine tierische Herkunft eliminiert ist…Wir haben hier in der Kochklasse von Kubelka im Städel versucht, diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen. Außerdem sind wir der Ansicht, daß das Töten eines Tieres nur dadurch sich rechtfertigen läßt, daß man sich bei der Zubereitung besondere Mühe gibt: Ein guter Koch läßt das Tier in der Pfanne wiederauferstehen!” (F.R. – 1984, aus einem Gespräch mit dem Assistenten von Kubelka, dem Leiter der Kochklasse an der Frankfurter Städelschule)

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