vonHelmut Höge 19.05.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Der Streik der Telekom-Bediensteten geht in die zweite Woche. Die ehemalige Krankenschwester Angelika meinte, man müsse sie unbedingt unterstützen. Das leuchtete mir ein, aber wo sind sie – mit ihren Streikutensilien?

Im „Freitag“ von gestern schreibt Robert Kurz:

Verliert Verdi, wird niemand mehr an die Eingriffsmacht der Gewerkschaften glauben

Scheinbar alles wie gehabt: Gewerkschaftsfahnen, Transparente, Trommeln, lokal begrenzte Nadelstich-Streiks und die Hoffnung auf den erträglichen Kompromiss. Aber was durch den aktuellen Export-Hype bei den Metallern noch einmal funktioniert hat, ist nicht nur bei der Telekom längst Nostalgie. Dem „Rausch des Aufschwungs“ (Die Zeit) kann angesichts der wackligen Weltkonjunktur alsbald der große Kater folgen. Ganz unabhängig vom aktuellen Export-Boom geht so in vielen Branchen der soziale Kahlschlag ungebremst weiter. Der beispiellose Versuch der Telekom, 50.000 Beschäftigte bei drastischer Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung in Tochtergesellschaften auszulagern, markiert eine neue Qualität des Bruchs mit dem Nachkriegs-Sozialkompromiss.

Ein Gelingen dieser Attacke hätte Signalwirkung für die Gesamtgesellschaft. Die Konzerne stehen schon in den Startlöchern, um einschlägige Maßnahmen ähnlichen Ausmaßes durchzuziehen. Nicht der situationsabhängige relative Erfolg der Metaller, sondern Outsourcing, Billiglohn und Mehrarbeit bilden die Haupttendenz. Dass ehemalige Kernbelegschaften nicht mehr ausgenommen sind, hat sich bereits bei VW oder Siemens gezeigt. Der nationalökonomische Korporatismus von Management, Politik und Gewerkschaften zersetzt sich mit wachsender Geschwindigkeit. Dazu gehört auch die forcierte Privatisierung der öffentlichen Infrastrukturen in den vergangenen 15 Jahren. Durchweg folgte eine Verschlechterung und Chaotisierung der Dienste; im nunmehr börsenorientierten Telekom-Konzern kein Wunder, angesichts von nicht weniger als 17 hektischen Umorganisationen und einer Halbierung der Belegschaft. „Euer Service taugt zwar nichts, aber ihr habt wenigstens noch einen“, so die Aussage eines frustrierten Kunden.

Aber es geht eben nicht mehr um den sachlichen Inhalt, sondern um die Vorgaben der Finanzblasen-Ökonomie, wie sie aus der Verwertungsschranke des produktiven Kapitals resultiert. Bei der Telekom ist es nicht zuletzt der Finanzinvestor Blackstone, der den Kurs von Konzernchef Obermann programmiert. Es rächt sich jetzt, dass auch die Gewerkschaften auf die Umwälzung der Verhältnisse nur mit national-keynesianischer Rückwärtsorientierung und ideologischer „Heuschrecken“-Rhetorik gegen das „raffende Kapital“ reagiert haben, statt sich dem globalisierten Krisenkapitalismus zu stellen. Bei der Telekom wurde der galoppierende Personalabbau durch „sozialverträgliche“ Kompromissstrukturen mitgetragen, einschließlich einer in Aussicht gestellten Absenkung der Einstiegslöhne. Nun sind die alten Rituale am Ende. Es geht nicht mehr um verhandelbare Details, sondern um die Existenz; sowohl für die Beschäftigten als auch für die Gewerkschaft. Ein Handicap ist der aus Vorzeiten überhängende Beamten-Status vieler Beschäftigter, die nicht streiken dürfen.

Die Kampfbereitschaft ist dennoch groß. Allerdings stellt sich die Frage, ob Verdi den Mumm aufbringt, ohne Rücksicht auf den zu erwartenden Aufschrei in Medien und Politik die Kommunikationsadern tatsächlich ernsthaft lahm zu legen; mit einschneidenden Folgen für Banken, Konzerne, womöglich den G8-Gipfel. Dazu bedürfte es wohl einer mehr als bloß passiven übergreifenden Solidarisierung. Die Wirtschaftspresse glaubt daran nicht; die üblichen Experten erwarten geringe Auswirkungen. Obermann kündigt schon locker den Verkauf der strittigen Unternehmensteile an. Wenn aber die Konfrontation mit einer kaum verhüllten Kapitulation endet, drohen die Dämme weit über den Kommunikationssektor hinaus zu brechen. Die Gewerkschaften werden dann noch schneller als bisher ausbluten, weil niemand mehr an ihre Eingriffsmacht glaubt. Dieser Streik ist kein gewöhnlicher Tarifkonflikt, sondern ein Menetekel für künftige soziale Strukturen.

Die taz meldet:

 Telekom-Streik findet Anklang

Im Tarifstreit bei der Telekom erhöht die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di jetzt den Druck auf den größten Telekom-Aktionär, den Bund. Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte gestern auf einer Gewerkschaftskundgebung in München, mit Lohndrückerei wollten der Bund und die anderen Telekom-Aktionäre „noch ’ne Milliarde mehr kriegen“ – auf Kosten der Arbeitnehmer. „Das lassen wir nicht mit uns machen.“ Die Auswirkungen des Streiks werden für die Kunden des Telekommunikationskonzerns immer stärker spürbar. Ein Telekom-Sprecher sagte gestern, bei der Bereitstellung von neuen Telefon- oder DSL-Anschlüssen komme es trotz aller Gegenmaßnahmen zu Verzögerungen. Der Streik stößt bei der Bevölkerung weiter auf großes Verständnis. Nach einer Umfrage des ZDF-Politbarometers finden 77 Prozent der Bundesbürger den Streik richtig.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt:

Der Fall Telekom hat in den Augen der Gewerkschaften Signalcharakter. Noch nie hat ein Konzern in Deutschland trotz Milliardengewinn und Wirtschaftsaufschwung beschlossen, 50.000 Beschäftigte in neue Tochtergesellschaften auszulagern, wo sie für weniger Geld länger arbeiten sollen. Was passiert, wenn das Beispiel Schule macht, fragen Gewerkschaftler besorgt. Gerüchte über Absprachen der Telekom mit den Lobbyverbänden der Wirtschaft machen schon die Runde. Dabei ist auch den Gewerkschaften klar, dass die Telekom auf die Kündigungswelle der Kunden, mehr Wettbewerb und Servicemängel reagieren muss, doch den Telekom-Plan lehnen sie ab.

Rebellisch brauchten die Beschäftigten des rosa Riese nie sein. Die letzte große Schlacht datiert noch aus der Zeit vor der Privatisierung, damals gab es nur die gelbe Bundespost. Trotz Protest teilte die Politik das Staatsunternehmen in Post, Postbank und Telekom, heute sind alle drei Mitglieder im Deutschen Aktienindex (Dax). Analysten halten die Pläne der Telekom für notwendig, die Mitarbeiter nicht.

Das Darmstädter Echo berichtet:

Darmstadts Bürger zeigen überwiegend Verständnis für den Telekom-Streik. Darüber hinaus würden sie es in Kauf nehmen, dass sie aufgrund des Streiks im Falle einer Telefonstörung länger als sonst auf Unterstützung warten müssten. Das ist das Ergebnis einer auf Stichproben beruhenden, nicht repräsentativen ECHO-Umfrage in Darmstadt. Fast alle der befragten Personen können zudem zumindest in groben Zügen erklären, warum die Mitarbeiter derzeit die Arbeit niedergelegt haben: die Telekom möchte 50 000 Menschen aus den Bereichen Technische Infrastruktur und Technischer Kundendienst in konzerneigene Gesellschaften ausgliedern. Dort sollen sie neun Prozent weniger Lohn erhalten und mit 38 Stunden pro Woche vier Stunden länger als bislang arbeiten.

Erst vor wenigen Jahren wurde die Stundenzahl reduziert, um Arbeitsplätze zu sichern. Das Telekom-Management möchte durch die anstehende Ausgliederung Kosten senken und den Service verbessern. Seit dem 11. Mai streiken die Beschäftigten nun, nachdem in einer von Verdi initiierten Urabstimmung über 90 Prozent der Mitglieder für einen Arbeitskampf gestimmt hatten.

„Die müssen streiken, das würde ich auch machen“, pflichtet etwa Uwe Weber bei und liegt mit seiner Meinung auf der Linie der meisten Befragten. „Man kann doch nicht verlangen, für weniger Geld mehr zu arbeiten“, fügt er hinzu.

Über die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver-di heißt es in der netzeitung:

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Deutsche Telekom davor gewarnt, die geplanten massiven Stellenverlagerungen gegen den Willen der Belegschaft durchzuboxen. «Die Telekom-Führung muss ein hohes Interesse an einer Einigung haben, alles andere ist der Weg in den Abgrund», sagte Verdi- Streikleiter Ado Wilhelm der dpa.Wenn es aber doch geschehe, dann richte sich das gegen die gesamte Belegschaft. Durch den Alleingang würde sich der Service nicht verbessern. Mindestens zwei Jahre lang würde Arbeit bei der Telekom nicht mehr funktionieren, prophezeite Wilhelm.

Zugleich zog der Gewerkschafter gut eine Woche nach Beginn des Streiks ein erstes Fazit des Arbeitskampfes und seiner Auswirkungen: «Die (Beschäftigten) sind nach wie vor ungeheuer empört darüber, was die Telekom mit ihnen vorhat.» Mitarbeiter aus Bereichen, die bislang nicht zum Streik aufgerufen worden seien, drängten darauf, sich zu beteiligen.«Die Menschen sind hochmotiviert und lassen sich auch nicht durch die Einschüchterungsversuche vom Ausstand abhalten», fügte Wilhelm hinzu. Dabei nannte er unter anderem Prämien von 300 Euro für Streikbrecher, einseitige Anordnungen der Telekom zu Notdiensten, Bedrohungen oder den Einsatz von Tankgutscheinen für Beamte.

Die Rote Fahne meldet:

Die Vertrauensleute im Klinikum Stuttgart verabschiedeten einen Antrag zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich an den Bundeskongress von Verdi, den wir hier dokumentieren: „Wir fordern den Bundeskongress auf, zu beschließen, dass ver.di den Kampf um Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich mit dem Ziel der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufnimmt als Maßnahme zur Sicherung der Arbeitsplätze der Jugend und zum Erhalt unserer Gesundheit.“

Zur Begründung führen sie aus: „Die Dreistigkeit der Arbeitgeber wie z.B. bei Telekom im Versuch, unsere Arbeitszeit ständig zu erhöhen und die Löhne zu drücken, steigt. Gehen wir auf ihre Argumentation ein, dass sonst privatisiert wird oder Arbeitsplätze wegfallen, lassen wir uns jedes Mal ein Stück weiter drücken und unsere Gesundheit ruinieren, ohne die Gefahr der Privatisierung und des Arbeitsplatzverlustes verhindern zu können. Nach unserem Streik 2006 haben wir deshalb den Schluss gezogen, dass man nicht aus der Defensive gewinnen kann, sondern in die Offensive gehen muss. Wir tragen die Verantwortung gegenüber unserer Jugend, Forderungen gegen den Abbau von Arbeitsplätzen zu stellen. Eine zentrale Forderung ist die nach Arbeitszeitverkürzung und zwar mit vollem Lohnausgleich, da wir uns Kurzarbeit nicht leisten können.“

 

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