vonHelmut Höge 01.06.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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So mußte jetzt z.B. der Telekom-Vorständler Lothar Pauly zurücktreten – wegen Doping zugunsten von Siemens, wo er zuvor als Manager gearbeitet hatte. ORF meldet:

Laut “Süddeutscher Zeitung” soll der am Vortag zurückgetretene Deutsche-Telekom-Vorstand und frühere Siemens-Manager Lothar Pauly angeblich jene Siemens-Schmiergeldzahlungen gesteuert haben, die über Österreich gelaufen sind.

Ein früherer Siemens-Manager habe den deutschen Ermittlern erzählt, Pauly sei bei dem österreichischen System der schwarzen Kassen “federführend” gewesen, berichtete die “Süddeutsche Zeitung” am Freitag. Paulys Rechtsanwalt dementierte jede Beteiligung des Managers.

Die Zeitung berichtet von einem E-Mail-Verkehr zwischen Pauly und einem Mitarbeiter am 31. März 2000, in dem die Geheimkonten in Österreich explizit erwähnt worden sein sollen. Darin hieß es laut Bericht, dass eine Zahlung an einen Berater in Asien vermasselt worden sei, der dort die Aufgabe gehabt hätte, in der Telekommunikationsbranche Aufträge für Siemens zu besorgen. “Die Zahlung verlässt erst Anfang nächster Woche Österreich”, zitierte die “Süddeutsche” den Schriftverkehr.

Man brauche zehn Arbeitstage, um das Geld zum Empfänger zu bringen. “Das ist der Preis, den wir für die Anonymisierung zahlen”, heißt es weiter in der zitierten E-Mail an Pauly. Der Siemens-Mitarbeiter habe Pauly geraten, “wir sollten unser Minimum an Abschottung nicht aufgeben und irgendwelche Direktüberweisungen als Siemens tätigen”. Paulys Antwort soll gelautet haben: “Ist OK. Die Abschottung nicht aufgeben.”

Paulys Rechtsanwalt erklärte dagegen, sein Mandant habe von Schmiergeldzahlungen nichts gewusst. Pauly habe auch keine Kenntnis davon, dass R. für Siemens eine schwarze Kasse in Österreich verwaltet habe. Warum ein Herr R. eingeschaltet gewesen sein soll, wisse Pauly nicht.

Der angebliche Absender der zitierten E-Mail, ein Herr R., soll laut Geständnissen mehrerer Beschuldigter bis Anfang des Jahrzehnts eine schwarze Kasse bei einer Bank in Salzburg verwaltet haben. Über dieses Konto sollen mehrere hundert Millionen Euro geflossen und weltweit als Schmiergeld genutzt worden sein.

Der heute 48-jährige Pauly war von 1987 weg bei Siemens beschäftigt und von Oktober 2004 bis September 2005 bei Siemens Chef der Telekommunikationssparte Com. In diesem Bereich des Konzerns hatten die Ermittlungen zur Korruption im Konzern ihren Ausgang genommen. Manager sollen mindestens 420 Mio. Euro in schwarze Kassen ins Ausland transferiert und daraus Schmiergelder entnommen haben.

Die Junge Welt veröffentlichte heute ein Interview mit dem Mitarbeiter des IG-Metall-“Siemens-Projekts” Wigand Cramer:

Der langjährige Chef der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebs­angehöriger (AUB), Wilhelm Schelsky, hat nun offiziell zugegeben, seine Organisation im Auftrag der Siemens-Spitze aufgebaut zu haben. Wie bewerten Sie dieses Geständnis?

Zum ersten Mal sagt Schelsky damit die Wahrheit. Uns war schon lange klar, daß dies der Fall ist, nur fehlten die Beweise. Schelsky glaubt sicherlich, mit dieser Aussage besser aus dem ihm drohenden Verfahren herauszukommen.Zugleich hat Schelsky aber auch erklärt, er habe über das von Siemens gezahlte Geld ohne direkte Anweisungen verfügen können. Ist das glaubhaft, oder dient diese Aussage vor allem dazu, juristische Probleme vom Konzern abzuwenden?

In erster Linie will er damit wohl juristische Konsequenzen für sich selbst abmildern, denn wenn er behauptet, er habe vollkommen selbständig agiert, ist es keine Straftat im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes – zumindest hofft Schelsky das. Aber abseits von den juristischen Fragen ist mit diesem Vorgang klargeworden: Im Siemens-Konzern hat es insbesondere seit dem Jahre 2001 erhebliche Anstrengungen gegeben, eine sogenannte gelbe Gewerkschaft – also eine Organisation, die die Beschäftigten spaltet und arbeitgeberfreundlich agiert – aufzuziehen. Das fällt sicher nicht zufällig in die Periode, in der sich Siemens mit der Einführung der 40-Stunden-Woche in den Handy-Werken Bocholt und Kamp-Lintfort zum Vorreiter der Arbeitszeitverlängerung gemacht hat. In dieser Strategie war Schelsky nur ein – wenn auch gut geschmiertes – Rädchen.Die IG Metall hat Strafanzeige gegen Siemens wegen illegaler Beeinflussung von Betriebsratswahlen gestellt. Haben sich die Chancen dieser Anzeige durch die Aussagen Schelskys verbessert oder verschlechtert?

Diese Anzeige mußte gestellt werden, damit die Staatsanwaltschaft überhaupt ermitteln kann. Einerseits belegen die Aussagen von Herrn Schelsky die Vorwürfe, andererseits hat eine solche Anzeige in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zu einer Verurteilung geführt.Die Tatsache, daß Siemens die Anzeige nicht selbst eingereicht hat, weist nicht gerade auf großen Aufklärungswillen der Konzernspitze hin.

Das gilt auch für die anderen Affären, in die Siemens verstrickt ist. In dem Konzern gibt es ganz offensichtlich noch sehr einflußreiche Kräfte, die meinen, jenseits von Rechts- und Sozialordnungen agieren zu können.Worin hat sich die unternehmerfreundliche Haltung der AUB konkret ausgedrückt?

Die wesentliche Funktion der AUB war stets, möglichst viele Mandate zu besetzen und so die Betriebsratsarbeit der IG Metall zu behindern. Dort, wo die AUB tatsächlich Einfluß hat – wie bei SIS, der Dienstleistungs- und Softwaresparte von Siemens –, hat sie jedes Anliegen der Geschäftsleitung jahrelang einfach durchgewunken. Das Resultat ist erschütternd: Der Laden ist mittlerweile ein Sanierungsfall.Die AUB behauptet, sie organisiere zehn Prozent der Siemens-Betriebsräte und habe 19000 gewählte Beschäftigtenvertreter in ihren Reihen. Halten Sie diese Zahlen für realistisch?

Bei Siemens hält die IG Metall 92 Prozent aller Betriebsratssitze. Der Anteil der AUB muß also darunter liegen. Es ist aber ohnehin so, daß nicht alle Betriebsräte, die unter AUB-Flagge fahren, automatisch auch das politische Programm des Herrn Schelsky oder des Siemens-Konzerns unterstützen. Es gibt Fälle, in denen AUB-Betriebsräte, wenn es hart auf hart ging, durchaus auch Arbeitnehmerpositionen vertreten haben. Für diese Leute ist es einfach attraktiv, einen Beitrag von sieben Euro – statt ein Prozent des Bruttoeinkommens, wie bei der IG Metall – zu zahlen und dafür Rechtsschutz zu bekommen.Registrieren Sie im Zuge des Skandals vermehrt Übertritte von der AUB zur IG Metall?

Ein Beispiel: Infineon, wo die AUB relativ stark war, hat mittlerweile einen AUB-freien Gesamtbetriebsrat. Die dortigen AUB-Betriebsräte sind zwar nicht zu IG Metall über-, aber zumindest aus der AUB ausgetreten. Die Erosion der Mitgliedschaft der AUB ist also relativ stark. Auch ihre sehr aufwendigen Kampagnen gehören sicher der Vergangenheit an.Das Problem AUB ist für die IG-Metall also erledigt?

Das Problem sogenannter unabhängiger Betriebsräte und »gelber Gewerkschaften« ist für uns nicht erledigt, die AUB als größte derartige Organisation aber wohl schon.
Interview: Daniel Behruzi

Die Süddeutsche Zeitung berichtet:

Drei Wochen lang hat Michael Kutschenreuter geschwiegen, obwohl er über die schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen bei der Siemens AG sehr viel wissen dürfte. Vermutlich weit mehr, als andere Beschuldigte. Kutschenreuter, 52, ist der bislang einzige Top-Manager, der in Untersuchungshaft sitzt; er war Finanzvorstand in der Sparte Telekommunikation (Com).

Andere Siemens-Leute, die ins Gefängnis kamen, haben seit der Großrazzia der Münchner Staatsanwaltschaft Mitte November der Reihe nach ausgesagt. Sechs Geständnisse liegen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung inzwischen vor.

Ein Geständnis von Kutschenreuter, der seit 1974 bei Siemens nach und nach Karriere gemacht hat, könnte dabei sehr hilfreich sein. Ein anderer Beschuldigter hat ausgesagt, der Top-Manager habe die Verwaltung der schwarzen Kassen und die daraus vorgenommenen Provisionszahlungen – das sei eine Umschreibung für Korruption gewesen – bei Siemens-Com und bei der Vorgängergesellschaft IC Networks (ICN) organisiert beziehungsweise delegiert.

Auch sei Kutschenreuter von einer Führungskraft der Abteilung Compliance gewarnt worden, als schwarze Kassen in Österreich aufzufliegen drohten, sagte der langjährige Angestellte Reinhard S. bei seinem Geständnis. S. ist eine Schlüsselfigur in dem Skandal. In der Abteilung Compliance sind die Korruptions-Bekämpfer bei Siemens angesiedelt. Sollte Kutschenreuter die Vorwürfe gegen diese Abteilung bestätigen, dann könnte sich der Skandal dramatisch ausweiten und ein Erdbeben in der Konzernzentrale auslösen.

Damit nicht genug. Bei ICN saß Kutschenreuter mit Thomas Ganswindt im Vorstand. Ganswindt war dort der Chef und rückte später sogar in den Zentralvorstand der Siemens AG auf, den innersten Machtzirkel des Konzerns, ehe er das Unternehmen vor zehn Wochen verließ. Ganswindt ist bereits schwer belastet worden – auch er von Reinhard S., dem früheren Angestellten, der schwarze Kassen in Liechtenstein und in der Schweiz eingerichtet hatte, nachdem das Modell Österreich nicht mehr funktioniert hatte.

S. hat bei seinem Geständnis ausgesagt, er habe Ganswindt über Schmiergeldzahlungen informiert und konkrete Summen genannt: 10 Millionen Euro im Jahr in die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, 15 Millionen nach Griechenland und 10 Millionen nach Nigeria. Ganswindt hat dazu vor zwei Wochen mitgeteilt, er verfolge die Ermittlungen sehr aufmerksam.

So weit aus der SZ. Das Problem bei dieser Art von Berichterstattung ist, dass sie in einen Krimi ausartete – in die Suche nach einem bzw. allen “Tätern”. Darum geht es aber gar nicht: Das ist selbst eine Verdunkelung, denn es wird dabei verunklart, wie das “System Siemens” – die in den Neunzigerjahren reformierte Elektrokartellpolitik – funktionierte und stattdessen eine idiotische Suche nach “schwarzen Schaffen” angezettelt. Diese wird dann auch noch mit irgendwelchen Journalistenpreisen belohnt.

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