vonHelmut Höge 06.06.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Eine thailändische Freundin von mir heißt “Oy-Siemens”, weil sie mal ein Bordell in der Moabiter Siemensstraße besaß und die Thai-Scene ähnlich wie die Linke hierzulande bei kollektiven oder individuellen Existenzprojektgründungen die Gruppe bzw. den Einzelnen mit dem Ort, wo das geschieht, gleichsam identifiziert – und danach benennt: Die Wannseekommune, Die Konstanzer (Frauen-WG in der Konstanzerstraße), die Magelsener (eine Landkommune bei Hoya) usw. Analog dazu wird der AUB-Gründer nun der Schelsky-Siemens genannt.

Ein Artikel von Silvio Biblich, veröffentlicht auf www.likedeeler-online (sic), beschäftigt sich mit seinem Wirken im Osten – in Greifswald – und zwar damit, “wie die ‘Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger’ AUB des Wilhelm Schelsky in Greifswald die Auslagerungsstrategien des Siemens-Konzerns beförderte”. Ich entnahm den Artikel gestern der Jungen Welt, die anscheinend mehr Bewegungsmelder nach Rostock entsandt hat, als sie täglich braucht, so dass einige sich reporterhaft im mecklenburg-vorpommerschen Umkreis herumgetrieben haben.

Auch die anderen Medien langweilen sich und uns mit dem G8-Scheiß. Die FAZ macht heute auf “Harmonie in Heiligendamm”. Zwar meint sie, die Staatsgewalt mache nun zu Lande, zu Wasser und aus der Luft Jagd auf “die Autonomen”, aber da sich dort “Uniformierte auf beiden Seiten” gegenüberstünden, sei das quasi ein – mit dem HUB-Kriegsforscher Mükler zu sprechen “symmetrischer Krieg”, und ein äußerst “gerechter” sowieso. Da das aber noch alles nicht genug “Harmonie” entbirgt, folgt noch ein fetter Artikel über das “G-8-Interieur”, das die Ehefrau des Heiligendamm-Investors August von Jagdfeld – Anna Maria – quasi eigenhändig aussuchte oder entwarf bzw. kombinierte. Sie kommt dann auch selbst in dem Artikel “Harmonie für Heiligendamm” ausführlich zu Wort: Es geht darum, das ringsum die martialische Inszenierung, bestehend aus primitivsten Waffen bis hin zu highestem Tech in einem wüsten Gemisch – für die Zaungäste bzw. die Weltöffentlichkeit, durch die “harmonische Gestaltung” des Inneren Circles – bei den 8 Regierungschefs und ihren unzähligen Helfershelfern – einen umso hübscheren Kontrast bildet.
Von einem gewissen “Kontrast” handelt auch der JW-Text aus dem nahen Greifswald – über Schelsky-Siemens:

Nun ist es amtlich: Wilhelm Schelsky, ehemaliger Chef der »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB), hat selbst zugegeben, daß seine Organisation vom Siemens-Konzern als eine Art Gegengewerkschaft finanziert wurde. Der Geschäftsmann ist nicht nur Eigentümer einer Villa im vorpommerschen Lubmin, sondern hält auch Anteile an verschiedenen Unternehmen in der Region.

Schelsky besitzt etwa 41 Prozent der Greifswalder Firma »manufacturing, logistics and services GmbH und Co. KG« (ml&s), weitere Anteile gehören Siemens. Das Unternehmen entstand als Ausgliederung aus dem Konzern. 2002 drohte Siemens damit, die Fertigung zu schließen, weil die Kapazitäten in Deutschland nur zu 30 bis 40 Prozent ausgelastet seien. Das hätte 250 Menschen in Greifswald den Arbeitsplatz gekostet. Der damalige Betriebsratschef Klaus Bahl (AUB) befürwortete seinerzeit den Übergang von Arbeitskräften zu ml&s. »Die darauf folgenden fünf Wochen, in denen die Verhandlungen liefen, ließ der AUB-Betriebsratsvorsitzende Klaus Bahl keine Informationen an die Beschäftigten oder andere Betriebsräte durchsickern«, kritisierte hingegen die IG Metall. Thomas Möller vom DGB Greifswald erinnert sich: »Bahl hat damals IG-Metall-Betriebsratsmitgliedern Konsequenzen angedroht, wenn sie öffentlich auf Probleme bei Siemens aufmerksam machten.«

Ex-AUB-Chef Schelsky gehört auch die Greifswalder »Schema Unternehmens-Infrastruktur-Planung Nord GmbH«. Die Firma führte er bis 2006 zusammen mit Lothar Mahling, der laut Wirtschaftswoche wiederum unter Martin Bangemann Sprecher der FDP und zeitweilig auch Sprecher der AUB war. »Schema« ist Besitzer der Gaststätte im Volksstadion »Golden Goal« und stellte Arbeitskräfte für Siemens zur Verfügung. Die Zeitarbeitsfirma hat die Westanbieter in den letzten Jahren weitgehend verdrängt und war sehr eng in die inneren Abläufe eingebunden. Die Bezahlung ist, den Andeutungen von Mitarbeitern nach zu urteilen, nicht besonders gut, aber für hiesige Verhältnisse immerhin so lohnenswert, daß selbst aus Berlin, von der Insel Rügen, aus Anklam usw. Beschäftigte die Woche über nach Greifswald kommen, um hier zu arbeiten. Mittlerweile geht Nokia Siemens auf Distanz zu Schelsky und trennte sich von »Schema«. Die Beschäftigten wurden nach heftigen Protesten von der Zeitarbeitsfirma Manpower zu den gleichen Konditionen übernommen.

Die AUB ist in Greifswald relativ stark. Bei ml&s stellt sie zwei Drittel der Betriebsratssitze und mit Gudrun Haseloh die Vorsitzende der Beschäftigtenvertretung. Diese schätzt die Mitgliederzahl der AUB in Greifswald auf insgesamt etwa 100 bis 120. In der AUB seien vor allem Betriebsratsmitglieder organisiert, so Haseloh, die die Unterschiede zu den DGB-Gewerkschaften betont: Im Gegensatz zu diesen erhebe die AUB keine branchenbezogenen Forderungen. Man sei keine Tarifpartei – und wolle das auch nicht sein. »Natürlich fordere ich als Betriebsrätin Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung – vorausgesetzt, die Situation meines Betriebes erfordert es«, wirft sie ein. Die Beschäftigtenvertretung solle aber nur im einzelnen Betrieb erfolgen. Als Organisation, die sich auf Betriebsratsarbeit konzentriere, gebe es für Tarifpolitik auch keinen gesetzlichen Spielraum: Tarifliche Regelungen dürfen von Vereinbarungen zwischen Unternehmern und Betriebsräten nicht unterlaufen werden, schreibt das Betriebsverfassungsgesetz vor. Diesen Paragraphen würde die AUB gerne ändern: »Regionale Anpassungen« – sprich: die Öffnung der Flächentarifverträge – befürwortet der Verein. Dem Druck eines Konzerns wie z. B. Siemens, der mit Standortverlagerung und Ausgliederungen die Belegschaften gegeneinander ausspielen kann, wird man so kaum standhalten können. Haseloh meint dennoch, ohne den gewerkschaftlichen Hintergrund auszukommen, und möchte »eine Vertretung, die Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt, ohne das Wohl des Betriebes aus dem Auge zu verlieren«.

In Greifswald hatte diese Strategie offensichtlich bislang Erfolg. Nicht nur bei ml&s, sondern auch bei Nokia Siemens stellte die AUB bisher die Mehrheit der Betriebsräte. Ob dieser Trend indes anhält, bleibt abzuwarten. Die AUB ist 2002 in ein gut gelegenes Büro am Marktplatz eingezogen. Mit Margrit Schuldt fungierte als Ansprechpartnerin der AUB die ehemalige Sekretärin des Greifswalder Siemens- Standortleiters. Ein schickes Auto mit Nürnberger Kennzeichen – die Zentrale der AUB befindet sich in der Frankenmetropole – sorgte für Aufsehen. DGB-Mann Möller fragte sich da schon, »wie das mit acht Euro Mitgliedsbeitrag funktioniert«. Haseloh gibt freimütig zu, daß die AUB ein Lieblingskind von Schelsky war: »Er war vielfältig tätig, als Unternehmer und Unternehmensberater. Es steht ihm natürlich frei, Vereinigungen zu fördern, die die Arbeit der Betriebsräte unterstützen.« Schelsky hat den Vorsitz der AUB mittlerweile niedergelegt. Die Landesgeschäftsstelle der AUB in Greifswald wurde aufgelöst. Auf den Internetseiten ist nur noch die Bundesgeschäftsstelle Nürnberg zu finden. Die Arbeit der AUB soll laut Gudrun Haseloh in Zukunft »stärker ehrenamtlich erfolgen«.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/06/06/schelsky-siemens/

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kommentare

  • In Berlin tut sich auch was bei Schelsky-Siemens. Hier zeigte der Konzern – im Zusammenhang eines “Verschmelzungsvertrages” an, dass die opto-control Elektronik Prüfsysteme mbH Bochum durch Übertragung ihres Vermögens unter Auflösung ohne Abwciklung als Ganzes auf die Gesellschaft verschmolzen ist.

    So weit so gut. Aber dann wird als “nicht eingetragen” noch Folgendes veröffentlicht:

    “Den Gläubigern der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger ist, wenn sie binnen sechs Monaten nach dem Tag, an dem die Eintragung der Verschmelzung in das Register des Sitzes desjenigen Rechtsträgers, dessen Gläubiger sie sind, als bekannt gemacht gilt, ihren Anspruch nach Grund und Höhe schriftlich anmelden, Sicherheit zu leisten, soweit sie nicht Befriedigung verlangen können.”

    Wenn das keine Sauerei ist…Schon allein der Satzbau…

  • In Rostock wird derweil der JW-Volkskorrespondent Commander Shree Stardust immer besser. Heute widmete er sich dem Raum und seine Durchdringung – im Widerstand, wobei er u.a. auch auf die “Verwandlung” zu sprechen kommt und dazu noch eine schöne Bemerkung über den Wald macht:

    Verwandle dich – abhängig vom Gegner und vom Terrain. Die Taktik der heutigen Bewegung ist geprägt von der Erfahrungswelt der Stadt. Das gleiche gilt für die Polizei. Barrikade, Ketten, Knüppel, Kessel – alles ist darauf ausgelegt, die Enge des urbanen Raums als taktischen Vorteil zu nutzen, indem man Masse und Kraft an der richtigen Stelle verdichtet. In der Stadt ist die Devise: Konzentration im Raum.

    Schon in Evian, beim G-8-Protest in den Schweizer Bergen, hatten wir eine Situation, die nach völlig anderen, nicht-urbanen Methoden verlangte bzw. verlangt hätte. Jetzt, vor den Blockaden in Heiligendamm, sind wir erneut vor ein Szenario gestellt, in dem es nicht darum geht, sich als Punkt im Raum zu verdichten, sondern darum, die Weite des Raumes für sich zu nutzen. Wiederholte Konzentration in der Zeit ist die Maßgabe.

    In der Stadt gibt es zu viele Menschen und zu wenig Raum. Darum ist es dort nicht nur zum Wohnen, sondern auch zum Manövrieren eigentlich viel zu eng. In Heiligendamm wird es jede Menge Raum und auf beiden Seiten letztlich zu wenig Menschen geben.

    Die Überlegung, wer – Bewegung oder Polizei – in welcher Situation wieviel Personal aufwenden muß, ist die alles entscheidende. Eine Situa­tion, die für sich gesehen sinnlos scheinen mag, macht im Gesamtbild viel Sinn, wenn sie viele Beamte an einem Punkt bindet. Andererseits macht es aus Sicht der Polizei viel Sinn, frühzeitig viele Leute festzunehmen. Man hat sich mit Sammelknästen genau darauf eingestellt. In diesem Spannungsverhältnis werden wir uns bei den G-8-Blockaden bewegen.

    Somit ist das »Tactical Turning Movement« (Archer Jones) – das taktische Wendemanöver in den Rücken des Gegners, ein napoleonischer Klassiker – für Heiligendamm von ungeahnter Aktualität.

    Der Zaun, den die Polizei zu verteidigen gilt, ist ziemlich lang. Die Straßen, über die man viele Konferenzteilnehmer bringen will, sind ebenfalls sehr lang. Infrastruktur ist in der Fläche wesentlich labiler als in der Dichte der Stadt. Kraft entsteht deshalb durch Schnelligkeit und Bewegungen in den Rücken der Polizei. Eine Polizeikette kann noch so unüberwindlich sein – in der Weite der Fläche muß man sie gar nicht überwinden. Man kann sie hinterlaufen, sprich: sich in ihren Rücken manövrieren und die Polizeikette einfach Kette sein lassen, wo sie ist. Der Wald übrigens ist Freund und Beschützer des Menschen.

    Man blockiert also, wo es Sinn macht, und nur, solange es Sinn macht. Sinn macht, was die Infrastruktur chaotisiert, Konferenzteilnehmern den Weg zur Konferenz versperrt, die Bewegungen der Polizei verlangsamt und die taktische Initiative in unserer Hand beläßt oder sie uns zurückgewinnt.

    Bei der Bemessung der angewandten Militanz sei auf die Bild-Schlagzeile »Wollt Ihr Tote, ihr Chaoten?« verwiesen. Seid vorsichtig und klug. Gebt der Polizei keinen Vorwand, die schlecht kaschierte Mordlüsternheit der Revolverpresse in die Tat umzusetzen.

    Wir haben in Deutschland zum Glück ein großes Erfahrungspotential für das hiesige Szenario – das unweit von Heiligendamm befindliche Wendland. Die Leitfarbe des ersten Tages von Rostock war das Schwarz der Militanten. Die Farbe der Blockaden von Heiligendamm ist das Gelb der Anti-Castor-Bewegung.

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