vonHelmut Höge 08.06.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Ein 1969er-Zitat – gefunden im Handbuch “Transnationale Guerilla”

Der Spiegel: “Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung…”

Th. W. Adorno: “Mir nicht.”

Was die derzeitigen G-8-Gipfelproteste betrifft, kann man die taz glatt vergessen – mit ihrer kindischen Vorliebe für Clownerien und Spaßmacher als der Militanz letzter Weisheit und ihren ebenso müden  wie mürbenText-Beiträgen von Talkshow-Moderatoren, Attack-Karrieristen und Pastoren. Der heutige Text von einem der letzteren wurde gestern abend noch – mit Pastorenstimme – in der Kreuzberger Kneipe “Sol & Sambra” vorgelesen: Und trug dort immerhin zur allgemeinen Belustigung bei.

Hier folgen nun zwei etwas ernster zu nehmende Heiligendamm-Texte – einer über “Bewegung” und einer über “Medien”. Ersterer stammt wieder von Commander Shree Stardust (aus der Jungen Welt von heute) und letzterer von Dr. Sabine Vogel (aus der heutigen Berliner Zeitung):
Der Taktik-Kassiber: Organisation!

Gettysburg! Gettysburg!« – wie die Unionstruppen 1863 den Ort ihres Sieges über das konföderierte Sklavenhalterpack durch die Felder Pennsylvanias brüllten, ruft die Globalisierungsbewegung durch die Felder und Wälder Mecklenburg-Vorpommerns den einen Namen: »Heiligendamm!«

Auf dem Schlachtfeld von Gettysburg allerdings lagen nach dreitägigen Kampfhandlungen 51000 Tote und Schwerverletzte. In Heiligendamm waren Kampfhubschrauber, Tränengas und Robocops machtlos gegen eine disziplinierte Hippiearmee. Heiligendamm war ein Sieg der Massenintelligenz über die Staatsgewalt, aber auch ein Sieg der exzellenten Organisation der Bewegung über eine lediglich brutal, aber völlig konfus agierende Polizeimacht.

Der Faktor der Moral war auf unserer Seite – wir haben die besten Einheiten der Staatsgewalt ausmarschiert, ausmanövriert und ausgelacht. Während die vollen Getreidefelder Mecklenburg-Vorpommerns zu den Strawberry Fields einer besseren Welt mutierten, spielten sich Szenen wie diese ab:

Über den Lautsprecher einer von den Blockierern seit Stunden eingeschlossenen Kampfeinheit vom gefürchteten bayerischen USK ertönt die Ansage: »Achtung, Achtung: Hier spricht die Polizei! Hören Sie, wir sind seit 32 Stunden im Einsatz. Wir haben seit 16 Stunden nichts zu essen. Bitte machen Sie wenigstens eine Fahrbahnseite frei, damit wir uns zurückziehen können.« Die Blockade lehnte die Anfrage nach kurzem Bedenken (»Ähm… nö!«) ab, woraufhin der Beamte sich nicht zurückhalten konnte, seine Durchsage auf Englisch zu wiederholen: »Attention, Attention, here speaks the Police…« Als der Mann geendigt hatte, erschallte eine fiese Lache über die Felder, diesmal von unserem Lautsprecherwagen. Der Demo-DJ waltete im weiteren seines Hochamtes, indem er die von ihm mitgeschnittene Polizeiansprache gekonnt in den Geleitzug der kraftvoll anrollenden Technobeats integrierte: mit dem Sound einer neuen Zeit gegen das Gewinsel der alten.

An anderen Stellen wurden Deals mit der Polizei geschlossen: Wir lassen drei Einsatzwagen abziehen, wenn ihr die Volxküche durchlaßt usw. Überhaupt die Volxküchen: Die äußerst langen Versorgungslinien wurden mit sensationeller Schnelligkeit überbrückt. Während die Polizeieinheiten hungern mußten, hatten wir veganes Essen und Wagen voller Trinkwasser. Was ist das nur für ein albernes System, in der man als Revolution zur Königin sagen kann: »Dann iß halt Kuchen!« Aber auch den haben wir bekommen, von den Anwohnern im Landkreis Bad Doberan. Und dazu kannenweise Tee und Kaffee, Wasser und Stullen – was eigentlich ist mit der »aufgeheizten Stimmung« passiert, mit dem Haß der Mecklenburger, weil wir laut Spiegel-Online angeblich Rostock »verwüstet« haben? Solidarität, Freundlichkeit, helfende Hände! Das ist daraus geworden.

Ein dreifaches Hoch auf die Demo-Sanis: Ihr habt Menschen, die vor lauter Tränengas eine halbe Stunde gekotzt haben, nicht nur medizinisch wieder auf die Beine gebracht, sondern mit eurer umsorgenden Liebe auch seelisch notverpflegt. Helden der Bewegung auch die Leute von den Infopoints: Eure Gegenaufklärung war einer der Schlüssel zum Erfolg, daß am Ende alle, ganz einfach alle Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm plangemäß blockiert werden konnten. Lob auch der Armee der Clowns, den Gauklern und Jongleuren: Als die Polizei, frustriert über ihre Niederlage, aber auch über unsere Disziplin und das Fehlen von Gewaltbildern für die Medienmaschine – versuchte, einen Vorwand für die Räumung der Camps zu provozieren, habt ihr die Robocops weggesungen, wegjongliert und weggelächelt. »Das wird eine schöne Zeit, wenn Krieger vor Liedern fliehen, und Waffen Gedichten erliegen«, heißt es bei einem deutschen Liedermacher. Rund um Heiligendamm waren Kunst und Humor eine unserer effektivsten Waffen und haben die supermaskuline Kriegsarmee des deutschen Staates mehr als einmal paralysiert oder vertrieben.

Nur die Bild-Zeitung wollte einen Toten – und Wolfgang Schäuble hätte einen gebrauchen können, um den Verfassungsbruch zu rechtfertigen. Die Beteiligung der Bundeswehr an dieser Staatsaktion gegen die Proteste der eigenen Bevölkerung war für jeden klar ersichtlich.Was haben Feldjägereinheiten – Militärpolizei! – bei einem Polizeieinsatz zu suchen? Truppentransporter und Einsatzwagen mit Y-Nummernschild? Hubschrauber der Bundespolizei, aber auch die des Heeres donnerten über die Felder, Aufklärungsflüge von Jagdfliegern über den Camps kamen hinzu. Alles das ergibt einen klaren und eindeutigen Verfassungsbruch.

Offenbar dachte Wolfgang Schäuble, der auf den Bundeswehreinsatz im Inneren genauso fixiert ist wie andere auf ihre Drogensucht, die Bilder vom angeblich verwüsteten Rostock würden ausreichen, nach dem heimlichen Verfassungsbruch anläßlich der Fußballweltmeisterschaft den nächsten Schritt zur Verschmelzung von THW, Polizei, Bundespolizei und Bundeswehr zu wagen. Das war möglicherweise Schäubles letzter Fehler. Bundeswehr gegen gewaltfreie Blockaden? Ein Staatsbesuch als Notstandsgrund? Dank unserer Gewaltfreiheit am Mittwoch liegt der Notstand nun ganz bei Wolfgang Schäuble, allerdings nur der Erklärungsnotstand.

Allerdings: bevor es zu dieser entspannten Lage bei den Blockaden kam, wurde marschiert. Stundenlang, durch menschenhohe Felder, oft mit schwerem Gepäck. Nach dieser extremen Strapaze setzte es die Angriffe der Polizei, die offensichtlich vor allem Vietnamfilme als Schulungsmaterial verwendet: Hubschrauber setzten Einheit um Einheit ab, Gaskartuschen explodierten in und über den Feldern, es kam zu harten Knüppeleinsätzen, jedoch: gegen die immer weiter sich auffächernden Kolonnen der besseren Welt war nichts auszurichten. Schnelligkeit und gute Taktik siegten gegen Gas und Knüppel. Einzelne wurden festgehalten – aber bald wieder freigelassen, weil Abertausende auf der ganzen Breite durchgekommen waren. Das Blockadetraining in den Wochen und Tagen zuvor hat sich gelohnt.

Wenn es eine Botschaft gibt, die aus der G-8-Blockade in alle Teile der besseren Welt getragen gehört, dann ist es Organisation, Organisation, Organisation: die exzellente Organisation freier Menschen! Man mag sagen: Wir waren die letzten Jahre derartig planlos, daß wir alle gezwungen waren, selbständig agierende Menschen mit einem eigenen Plan zu werden. In Heiligendamm hatten wir einen Masterplan aus einer Myriade kleinerer Pläne und haben damit zu jedem Zeitpunkt die taktische Initiative in der Hand behalten.

Der weltweiten Bewegung der Gegenglobalisierung schenken die Bilder aus Heiligendamm eine Erkenntnis wieder, die uns die brutale Zerschlagung der Proteste in Genua und der Sicherheitsterror nach dem 11. September 2001 für Jahre geraubt hatten: We Are Winning – don’t you know?

All inclusive im Schnorrer-Zentrum

Fast ebenso unerreichbar wie das Gipfelgelände in Heiligendamm ist das Pressezentrum in Kühlungsborn für den normalen Bürger. Immerhin darf er hier direkt an den vergleichsweise läppischen Maschendrahtzaun heran, der den öffentlichen Strand vom sonstigen Hunde- und FKK-Strand trennt und nun den über 5 000 Medienvertretern samt ihren Kabelaffen exklusiv zur Verfügung steht. Und fast ebenso gut beschützt wie die Politprominenz wird die Presse auch: Als bei der Eröffnungssause des Pressezentrums am Dienstagabend eine Hand voll versprengter Kundgebungs-Clowns an den Zaun kommen, stürmen wie aus dem Nichts heraus mehrere Dutzend Polizisten in Kampfmontur zur Frontformation auf den Pressestrand. Der Strand-DJ spielt “Surfin’ USA” von den Beach Boys dazu. Da kann sich die internationale Pressemischpoke ganz entspannt den Büffets mit Spanferkelbraten und dem Flatrate-Saufen zuwenden.

Außerdem gibt’s neben Dödeljazzcombos auch eigene Mietclowns auf Stelzen. Dem Journalisten darf es an nichts fehlen. Schließlich soll er auch was Positives über Kühlungsborn berichten, um den zweiwöchigen Touristenausfall medial zu kompensieren. Das hat natürlich nichts mit Beeinflussung oder Einlullung der vierten Gewalt zu tun, wie wir Dorfjournalisten zunächst argwöhnen. Ach was, dass hier Potlatsch und Umme in jeder Hinsicht besteht, ist nur das Mindeste, um dem Medientross das Arbeiten zu versüßen. Beim Gipfel in Japan gab es digitale Diktiergeräte und Designerhandtaschen umsonst und in St. Petersburg war das Catering um Klassen besser, erzählt einer der Profis.

Na ja, selbst wir Pauschaltouristen finden das “Warm Buffet” etwas mensamäßig. Aber es gibt mehrere Tausend Computerarbeitsplätze im Großraumbüro mit Strandblick und superschnellem Internetzugang, was hier in Kühlungsborn mit seinem auf eine Spielsalonbude eher beschränkten Internetcafé-Angebot schon arg hilfreich ist. An jedem Platz steht je ein Telefon, mit dem man unbegrenzt überallhin telefonieren kann. In den Fluren zwischen den Senderkabuffs bewirten junge Servicekräfte einen rund um die Uhr. Von der Nogger-Eistruhe bis zu Kühlschränken voller Kaltgetränke, von Obstkuchen bis zu mit Lachsscheibchen oder geräuchertem Hirschschinken belegten Bioschnittchen aus der Müritz gibt es alles, was der schwer an der Öffentlichkeitsfront arbeitende Mensch so braucht.

Nicht allein, dass das alles nichts kostet für die Journaille, es gibt auch reichlich Geschenke. Schon beim Infostand am Eingang nach der laxen Flughafenkontrollsperre wird einem ein “The place to be”-Summit-Strandsack aufgedrängt. Darin befindet sich unter anderem das offizielle G8-Frisbee, ballaststoffreiche Ökokekse, eine Dose Nivea, ein Handtuch und ein Milkshake-Kochbuch. Wesentlich begehrter ist Knut. Den gibt es in Plüsch im Zelt von “Germany – Land of Ideas”. Der Vortrag dort über “Energy-saving Enzymes”, mit denen man auch mit kaltem Wasser Wäsche waschen kann, findet jedenfalls wesentlich weniger Interessenten.

Dafür stehen am Tresen auch dort schon am helllichten Nachmittag die Alkoholika herum. Während sich draußen in den Rapsfeldern die Kritiker zum Gipfelzaun durchschlagen, nehme ich die Wellness-Angebote im Pressecamp wahr. Einer der jungen Männer, die sich auf Laufbändern und Fahrrädern abstrampeln – wo doch draußen der Strand und die Action ist! – öffnet mir mit seiner Hotel-Chipkarte die Tür zum Schwimmbad im Keller des Morada Resorts auf dem Pressegelände. In der Sauna triefe und schniefe ich neben einem behaarten nackten Mann, mit dem ich aus Etikette und Mangels des gelben Namensbändels des Bundespresseamtes leider nicht ins Gespräch komme. Danach habe ich einen Termin zur Gratis-Massage in der “Feel Good Area” von Robinson am Pressestrand. Die “Zeit für Gefühle” wird gesponsert von der europäischen Wirtschafts- und Sprachakademie.

Für meine Bereitschaft, mir von Steffi eine halbe Stunde den Rücken durchkneten zu lassen, kriege ich auch noch einen Sportbeutel aus Polyester mit dem Nike-Logo geschenkt. Zeit für einen Sundowner auf der mit Tropenholz ausgelegten Terrasse des Pressezentrums. Der Prosecco kommt aus der nördlichsten Sektkellerei Deutschlands in Wismar. Chardonnay-Trauben. Wie soll man da noch gegen Armut und Ungerechtigkeit in der Welt sein?

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/06/08/bewegung-und-medien-4/

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