Als die Autonomen aus Heiligendamm zurückkehrten, demonstrierten sie erst einmal noch kurz in Mitte. Einige zogen dann weiter nach Kreuzberg, wo sie unterwegs – quasi en passant – einige große Farbbeutel – vorwiegend gelbe und rote – an die taz-fassade warfen. Betroffen waren davon die Fenster des taz-cafés und die im ersten Stock des Konferenzsaals. Der Redakteur für besondere Aufgaben versprach, sich gleich nach dem Wochenende darum zu kümmern, dass die Farbflecken als Kritik an der taz-G-8-Berichterstattung nicht beschädigt oder entfernt werden – z.B. vom taz-fensterputzer, über den man mal gesondert berichten müßte: er ist schon von Anfang an als Fensterputzer dabei, manchmal fegt er auch noch den Hof, wenn er ihm zu verdreckt erscheint.
Dann kamen zwei Leserbriefe:
1. Brief
Soso. Farbbeutel auf dem Berliner taz-Gebäude. Ein Bekennerschreiben
kann ich euch leider nicht präsentieren – ich war’s nämlich nicht.
Trotzdem maße ich mir an, die im entsprechenden Artikel gestellten
Fragen vielleicht zumindest teilweise zu beantworten. „Was ist passiert?
Hat ein konkreter Artikel eine Gruppe erbost?“ wird unschuldig in den
Raum gestellt. Ob ihr den Ärger in weiten Kreisen der
G8-Protestbewegung bezüglich eurer G8-Berichterstattung wirklich nicht
versteht bzw. wahrnehmt oder Farbbeutelattacken nicht dazu in Beziehung
setzt, sei dahingestellt. Sozusagen sicherheitshalber solltet ihr aber
darauf hingewiesen werden, dass ihr euch mit dem kostenlosen Verteilen
der taz auf den Protestcamps in Rostock und Reddelich wahrscheinlich
mehr Abo-Kündigungen als -Bestellungen eingebrockt habt – und das nicht
zu Unrecht.
Auch ich war in Reddelich und am 2. Juni in Rostock. Das einseitige,
polemische und unreflektierte mediale Geheule über die „Gewalttaten des
Schwarzen Blocks“ in weiten Teilen der Presselandschaft war keineswegs
eine Überraschung. Dass allerdings die taz (v.a. in den Ausgaben von
Mo., 4. und Di., 5. Juni) so selbstverständlich darin einstimmte, war
doch gelinde gesagt enttäuschend. Als Sprachrohr gewisser
ATTAC-Funktionäre, welche Autonome auf Demos „nicht mehr sehen wollen“,
habt ihr ganze Arbeit geleistet. Als so genanntes alternatives
Zeitungsprojekt und kritische BerichterstatterInnen jedoch habt ihr in
diesen Tagen versagt. War es die Angst, als linksradikal verunglimpft zu
werden? War es Faulheit, etwas genauer nachzufragen als nur beim
Pressesprecher der Polizei? War es Naivität, die vermeintlich glasklare
Situation der Ausschreitungen in Rostock als simplen Hooliganismus zu
verurteilen? Oder was trieb euch dazu, zwei Tage nach den Protesten mit
einer selbstverständlichen Sicherheit zu behaupten, die Gewalt ging
„eindeutig von
Autonomen aus“ sowie die „zahlreichen Verletzten“ auf beiden Seiten zu
beklagen?
Es wurde euch wohl selbst peinlich, angesichts des kleinlauten
Zurückruderns in den Tagen danach. Zu viele Unstimmigkeiten traten ans
Tageslicht: Als „schwerverletzter Polizist“ gilt auch der, der sich beim
Umklammern seines Schlagstocks einen Krampf im kleinen Finger zuzieht
und wer weiß, ob nicht auch die Rostocker SteinewerferInnen von
Zivilbullen angestachelt wurden? Sicher ist, dass die Krawalle und die
anschließende mediale Spaltung der Protestbewegung ganz genau so gewollt
waren von Schäuble und Konsorten – wie sonst ließe sich die aufgebaute
Kulisse von Angst und Schrecken, von GewalttäterInnen und eine Armada an
Robocops sonst rechtfertigen?
Hinzu kommt die wichtige inhaltliche Frage nach Ursprung und
Berechtigung offensiven Widerstandes, deren Diskussion ich in all den
G8-Beilagen der taz vergeblich suchte. Haben Hausdurchsuchungen und
Repression im Vorfeld wütenden und aus dem Ruder laufenden Protest nicht
geradezu herbestellt? Und kann Widerstand gewaltfrei sein, solange er
sich gegen ein zutiefst gewalttätiges System richtet, das tagtäglich
zehntausende Menschen ermordet? Kann dem Gewaltmonopol eines
kapitalistischen Staates, der Widerstand – mit Hilfe entsprechender
Medien – nach dem alten Prinzip des „Teile und Herrsche“ zahnlos zu
machen versucht, ausschließlich mit PACE-Flaggen begegnet werden?
Gewalt ist gerade im Themenbereich des G8-Gipfels und der Proteste eine
hochkomplexe Angelegenheit. Streben wir – und das setze ich voraus –
eine gewaltfreie Gesellschaft an, so muss die Anwendung von Gewalt im
Rahmen der G8- Proteste vielseitig beleuchtet werden: Gewalttätigen
DemonstrantInnen muss ebenso Rechtfertigung abverlangt werden wie einer
brutalen Polizei, die den GipfelteilnehmerInnen lästige
Dissensbekundungen mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengas von
Leibe und Sichtfeld fernhielt und, eigentlich zuallererst, besagten G8,
die ihr von Ungerechtigkeit, Ignoranz und Eigensucht geprägtes, zutiefst
gewalttätiges System festigen und vertiefen wollen.
Dass sich die taz, anstatt diese Fragen auch angesichts des
„Rostock-Schocks“ ehrlich und mutig zu stellen, so in den Chor der
betroffenen Köpfesenker einreihte und eifrig ihren Teil zur Spaltung der
Bewegung in die „guten Friedlichen“ und „bösen Autonomen“ beitrug, dazu
unkritisch Angaben fragwürdiger Stellen übernahm und sich mit Polemiken
von „Nie wieder Rostock“ und dem „Umgang mit den Hasskappen“ als
linksalternative Zeitung diskreditierte, ist ein Armutszeugnis.
Ob die Farbbeutel auf das taz – Gebäude all dies ausdrücken sollten,
weiß ich nicht. Da ihr diesen Angriff (vielleicht waren es ja die
Hasskappen?) aber so unwissend und erstaunt begutachtet, hilft euch
dieser Brief vielleicht ein wenig auf die Sprünge. Wenn ihr in Teilen
der Linken, die sich nicht mit dem Ruf nach ein bisschen mehr
Entwicklungshilfe begnügen wollen, ein ernst zu nehmendes Medium bleiben
wollt, werdet sachlich und kritischer. Und, als Zusatzinfo: Die auf der
Pressewand im Camp Reddelich ausgehängten taz-Artikel waren nach kurzer
Zeit dick mit Edding-Stift übermalt: „Abos kündigen!“
Urban Lempp, Mariaberg
2. Brief
Vorbemerkung: Für alle, die nicht in Rostock waren und die Ereignisse nur aus taz
oder tagesschau kennen, sei hier klargestellt:
Der Leserbriefschreiber hat Recht, die taz-Berichterstattung war
zumindest an diesen beiden Tagen katastrophal, weil sie unkritisch die
„offizielle“ Version der Ereignisse übernommen hat. Selbst die
Berliner Zeitung hat da objektiver berichtet.
Was die Ereignisse auf der Samstagsdemo angeht, gabs einige
interessante Leserzuschriften, für die es aber in der taz anscheinend
keinen Platz gab.
Weil wir schon dabei sind hier im Anhang noch eine Stellungnahme aus
dem „schwarzen Block“, die ich mir zwar nicht zueigen mache, die aber
als andere Sicht der Dinge auf jeden Fall dazugehört.
Betrifft: schwarzer Block
Datum: 05.06.2007 16:37:37
Absender: U.M. Sturz
Strasse: S-Block 67
PlzOrt: 21335 Lüneburg
Leserbrief:
Liebe Taz,
ersteinmal gratuliere ich zum 40. Geburtstag des schwarzen Blocks, an
dem die Polizei mit ihrem engagierten Einsatz am 2. Juni ´67 als
Geburtshelfer beteiligt war – quasie eine Kopfschussgeburt.
Ebenso wurde der Fortbestand und die weitere Entwicklung – ob in
Hamburg, Frankfurt, Brockdorf, Wackerstorf, u.v.m. bis hin zur nunmehr
3. Generation fleißig gefördert.
Seit dem o.g. Datum zumindest ist zu verzeichnen, dass viele Menschen
in diesem Lande weiterhin demonstrieren, die wenig Wert darauf legen
sich ohne Gegenwehr nach freiem polizeilichem Sportsgeist
fotografieren und filmenzu lassen und somit gesellschaftlicher
Verleumnung auszusetzen, geschweige denn attackieren lassen.
In diesem Zusammenhang sehen wir grundsätzlich die Verdeckung unseres
Gesichtes (Vermummung) sowie jeglichen Schutz und das aktive Vorgehen
gegen Übergriffe auf Demonstrationen als leditim an.
Zu den aktuellen Ereignissen in Rostock, wäre es angezeigt, dass auch
die TAZ die Bilder genauer betrachtet bzw. genauer recherchiert.
Denn dann würde es auffallen, dass wir als Teilnehmer des „schwarzen
Blocks“ mehrheitlich dem Konzept und den Demo-Absprachen folgten und
dem Angriff auf das einzelne Polizeifahrzeug – mit dem alles begann –
nicht nur mehrheitlich unterließen, sondern auch zu verhindern suchten.
Wer aus unserem Block heraus dies Fahrzeug angriff handelte nicht im
Sinne der Merheit der Demonstranten, aber auch nicht im Sinne der
Merheit im schwarzen Block. Das zeigen auch die TV-Bilder, in denen zu
sehen ist, dass Teilnehmer/innen des schwarzen Blocks sich vor das
Fahrzeug stellten und erst als sie von Steinen getroffen wurden, den
Schutz für das Fahrzeug aufgaben.
D.H.: Wir sind als „schwarzer Block“ keine homogene Masse – ergo
können unpolitische „Chaoten“ ebenso hierin entgegen aller Absprache
agieren wie auch polizeiliche Provokateure, die es in der
Vergangenheit mehrfach nachweislich gegeben hat.
Hier haben wir – als schwarzer Block – auch Verantwortung und hier ist
Handlungsbedarf.
In den Aktionsgruppen sollten hierfür weiterhin Strategien erarbeitet
werden.
Denn: Wenn Konsens ist, dass von uns keine Übergriffe stattfinden,
halten wir uns zumeist daran. Nun sollten wir auch in der Lage sein
diese zu unterbinden – ohne darauf zu verzichten gegen polizeiliche
Übergriffe vorzugehen.
An dieser Stelle muss aber auch die Frage erlaubt sein, wem dieser
Angriff diente.
Die wichtigen Themen geraten von Seiten der Presse in den Hintergrund
und die Innenminister denken über Verschärfung für Demonstrationen –
bis hin zu Gummigeschossen – nach. Allerdings besteht hier die Gefahr
der Eskalation auf beiden Seiten, denn wo geschossen wird, wird auch
oftmals zurück geschossen – was niemand ernsthaft will.
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Dieser Leserbrief wurde nicht abgedruckt – da anonym verfaßt. Im taz-café
wurde derweil öffentlich über das Thema „Bürgerjournalismus“ diskutiert,
wobei auch kurz über das Thema „Anonymität“ bzw. Pseudonymität“ nachgedacht wurde.
Hier eine Zusammenfassung:
Profis versus Amateure
Der „Qualitätsjournalismus alter Schule ist wohlmöglich in Gefahr,“ meinte die
Friedrich-Ebert-Stiftung und startete eine große Medien-Recherche. Die
Werbung geht Online – und weg von den Holzmedien. Die Mediengrenzen
verschwinden – und ebenso die zwischen journalistischen Profis und
„Bürgerjournalisten“/“Blogger“ etc.. , zudem gibt es eine immer stärkere
„Multimedia-Konvergenz“, und daneben einen „Trend“ zur Leser-Autoren-
statt Leser-Blatt-Bindung.
Die Scheidelinie zwischen Bürgerjournalisten
und Profijournalisten scheint die zwischen Gebrauchswert und Tauschwert
zu sein. Grob gesagt hat der Bürger was zu sagen, aber kaum eine
Möglichkeit zur Veröffentlichung – und beim Journalisten ist es genau
umgekehrt: Er muß fast täglich einen Text absondern, hat aber nichts (mehr)
zu sagen. Er nennt das selbstironisch „Auf einer Glatze locken drehen“.
Etwas anders hat der Publizist Michel Foucault das Problem gesehen, als
er sich einmal von der Zeitung Le Monde interviewen ließ, jedoch darauf
bestand, dass dies ohne Namensnennung geschehe. Er begründete das
mit dem Hinweis, die intellektuelle Szene sei zum Spielball der Medien
geworden, die Stars seien wichtiger als die Idee, auf die Gedanken
komme es gar nicht mehr an, und was gesagt werde, zähle weniger
als die Person dessen, der etwas sagt. Konkret meinte er: Sein erstes
Buch sei noch gelesen worden – des Inhalts wegen, seitdem gehe es jedoch
mehr und mehr nur noch darum, dass man „Foucault“ lese. Sein Wunsch
nach einem „anonymen Interview“ entspringe deswegen einer „wehmütigen
Erinnerung an die Zeit, als ich noch unbekannt war und die Dinge, die ich
sagte, noch eine Chance hatten, verstanden zu werden.“
Ich habe ihn hier so ausführlich zitiert, weil dies für die Junge Welt
geschrieben ist, in der immer mal wieder ein Autor (sic) Foucault des
Irrationalismus, des Strukturalismus, des reaktionären Nihilismus usw.
bezichtigt. Das ist altes christlich-sozialistisches Denken und die
dümmste Lesart eines Werkes: Wenn man Texte um einen Autor gruppiert –
und diesen damit quasi auf eine bestimmte Einheit des Schreibens festnagelt.
Seis drum.
Der Bürgerjournalist nun, sofern er sich eher als Bürger denn als Journalist
begreift, ist (damit noch) kein Autor – und muß sich deswegen auch
keinem „Satz von Standards unterwerfen“, wie das ein
Springerjournalist auf der taz-Konferenz über den Bürgerjournalismus mit
einigem Stolz sagte (bei ihm im Haus muß man sich schriftlich u.a. der
Wahrheit des Pentagons unterwerfen – darf nichts Kritisches gegen die
Amerikiki schreiben)). Jeder hat wohl schon die Erfahrung gemacht, dass er
irgendwann beim Zeitunglesen auf einen Artikel von einem Journalisten stieß,
der etwas betraf, von dem er selbst betroffen war bzw. worüber er selbst
gut informiert war. Fast immer gerät einem ein solcher Artikel dann beim
Lesen zu einem Haufen gequirlter Scheiße.
Das ist das Elend des Journalismus – und deswegen giften sie gegen die
Online-Aktivitäten ihrer Zeitung, reden von „Kannibalisierung“ und
Verflachung und versuchen, den Bürger damit möglichst fernzuhalten.
Seit der Gründung vom „www“ 1994 gibt es schon diese Anstrengungen,
derweil haben die Leser/Bürger jedoch längst gelangweilt ihr „Leseverhalten“
geändert: 27 Minuten täglich wird die Zeitung durchschnittlich gelesen
– aber 56 Minuten im Internet geschmökert – gesurft.
Die Tagesspiegel-Online-Chefin Mecedes Bunz meint: Die Web-„Community“
werde immer noch schlecht gemacht, d.h. die Zeitung gegen Online ausgespielt.
Auch die Aufteilung gründlich (Holzmedium) und schnell (Internet) gäbe es
nicht mehr. Ihr taz-Kollege Mathias Urban ergänzte:
Mit dem Online-Angebot werde der einzelne Beitrag zum Gegenstand des
Wettbewerbs (in Form von Klicks) – und nicht mehr das Medium (in Form
von Auflage): „Die Konkurrenz verlagert sich“. Der jetzige Streit darüber
komme ihm wie die alte Diskussion über E- und U-Musik vor. 85 Millionen
Blogs gibt es inzwischen weltweit. Die Online-taz mit ihren etwa 32 Blogs z.B.
habe 6-7 Millionen Klicks pro Monat – seit einem Jahr in etwa gleichbleibend,
aber das werde sich jetzt – in kürze – ändern mit ihrem völlig neuen Online-Konzept.
Da werden die alten Offline-Redakteure noch mit ihrem Kopf wackeln…
So habe ich ihn verstanden.
[…] – den Autisten: Der Leser ist ihm egal, auf Kommentare antwortet er nicht, wenn er sie überhaupt zulässt. Lieber kommentiert er sich selber. […]