vonHelmut Höge 04.07.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

Die neue “Zeitschrift für Deutschland”, mindestens für deutsche Vorbilder (Lady Di, Bruce Willis, Paris Hilton, Kate Moss), namens “Vanity Fair” (Eitelkeitskerb) macht sich Gedanken über die hiesige Wirtschaft und ihre Eliteköpfe:

“Präsident Horst Köhler trainiert zwei mal die Woche im Fitneßstudio und joggt regelmäßig. Deutschland wird fit. Die Konjunktur kann folgen.” Wiglaf Droste merkt dazu an: “Es ist die reine Esoterik” (Geheimwissenschaft), was die Vanity Fair da unter einer “wirtschaftlichen Analyse” verbrät.

Hier eine eher exoterische Analyse der Neobourgeoisie – im Osten:
Was jetzt “im Osten” geschieht, könnte man als nachholenden Kapitalismus bezeichnen, d.h. der abgebrochene Sozialismus hat anstelle der Bourgeoisie die Industrialisierung vollzogen und nun bildet sich dort – großenteils aus dem Funktionärskörper herausmendelnd – eine Neobourgeoisie heraus – was mit einer Rückkehr zu ethnischen Gemeinschaften, Stämmen, Religionen, Rassismen und anderen längst überwunden geglaubten Scheußlichkeiten einhergeht. Im ehemaligen Ostblock vollzieht sich jetzt also Ähnliches wie in den Ländern der Dritten Welt nach ihrer gewaltsamen Befreiung/Dekolonisierung.

Und was für die dortige damals ans Ruder gekommene Bourgeoisie galt und gilt, trifft nun auch auf die Neobourgeoisie im ehemaligen Ostblock zu: “Ins Geschäft einzusteigen, auf dem laufenden zu bleiben, erscheint ihr als ihre eigentliche Berufung”. Ihre Psychologie ist die von “kleinen Geschäftemachern”, sie ist von Beginn an bereits überaltert – und folgt der westlichen Bourgeoisie “in ihrem negativen und dekadenten Stadium, ohne die ersten Etappen der Erforschung und Erfindung durchschritten zu haben” (was der Sozialismus zuvor mit Schwung in Angriff genommen, aufgebaut hatte – wird nun verscherbelt, in die Partei- und Kulturhäuser sowie in die ausgeschlachteten Fabriken ziehen nun dieses Windbeutel ein).

Bei der nationalen Bourgeoisie der postsozialistischen Ländern “dominiert der Genießertyp”, verliebt in “Exotismus, Jagd und Casinos”. Bestenfalls organisiert sie noch Vergnügungstouren für die westliche Bourgeoisie – Tourismus genannt, wodurch ihre Länder zu “Bordellen” Westeuropas und Amerikas werden. Stürzt sie sich auf dem Land auf den Grundbesitz, verschärft sie dort die Ausbeutung der Landarbeiter und legitimiert sie derart, dass koloniale Züge auftreten (kürzlich befreite die chinesische Polizei einige hundert Sklaven aus Kleinziegeleien).

Die postsozialistische Neobourgeoisie ahmt das Verhalten der US-Bourgeoisie nach – und übernimmt ansonsten nur den Ultra-Nationalismus und Chauvinismus der Schlimmsten aus dieser Klasse – bis hin zu Aberglaube und Mystik. Überall fallen dazu noch die Missionare der großen Kirchen ein und schüren religiöse Streitigkeiten. Zur Freude des Westens, der die Menschen und Ethnien des Ostens gegeneinander aufhetzt – und dabei z.B. seit Beginn des antikolonialen Befreiungskampfes auf die “Entschleierung der Frauen” setzt.
Von all den elenden postsozialistischen Ländern scheint Russland das einzige zu sein, dessen Regierung halbwegs ahnt, dass die “Einheit” nur “unter Mißachtung der Interessen der Bourgeoisie” erhalten werden kann. Mit den Teilen, die sich ihr unterwerfen, macht sie jedoch gemeinsame Sache – und das produziert ebenfalls groben Unfug: protzige Prestigebauten in der Hauptstadt, das Führerprinzip in der Politik, eine Partei – als “antidemokratisches Zwangsinstrument”, das zum “Syndikat für individuelle Interessen” verkommen ist – zu einem “Vehikel für individuelle Erfolge”.

Im übrigen stützt man sich primär auf Polizei und Armee, die auch noch “von ausländischen Experten beraten werden”. Die Neobourgeoisie “verkauft sich immer offener an die großen ausländischen Konzerne” (siehe Polen, Tschechien, Rumänien…). “Mit Hilfe von Pfründen reißt das Ausland Konzessionen an sich, die Skandale häufen sich, die Minister bereichern sich” (Leipzig). So praktiziert also der Westen indirekte Regierungen im Osten. Die US-Botschafterin in der Mongolei sagte es so: “Es ist egal, welche Partei die Regierung hier stellt, sie hat sowieso keinen Spielraum.”

Aber auch die Intellektuellen in diesen postsozialistischen Ländern lassen sich von ihrer Neobourgeoisie anstecken, beeindrucken – und prostituieren sich ebenfalls. Kurzum: Die nationalen Bourgeoisien im Osten “sind buchstäblich zu nichts nütze”.

All diese Zitate sind dem Buch “Die Verdammten dieser Erde” des algerischen Befreiungskämpfers Frantz Fanon entnommen, das 1961 veröffentlicht wurde und seitdem immer wieder neu aufgelegt wird – aus gutem Grund! Auch das damalige Vorwort von Jean-Paul Sartre ist noch so frisch, als wäre es von heute.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/07/04/verdammte-neobourgeoisie/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Zu “Algerien” sei ferner das Buch “Kofferträger – das Algerien-Projekt der Linken” erwähnt – von Claus Leggewie, 1984 im Rotbuch-Verlag erschienen. Es handelt von den anfänglichen Aktivitäten der deutschen Nachkriegslinken, die sich auf die Unterstützung der algerischen Befreiungsfront FLN und untergetauchter algerischer Befreiungskämpfer konzentrierte. Um von da aus ein Verständnis vom Befreiungskampf der kolonialisierten Völker der Dritten Welt zu gewinnen.In den Koffern wurde das Geld zu den NLF-Hauptquartieren in Westeuropa getragen.

    Im Zusammenhang des “Unsichtbar-Werden-Projekts” ist eine Bemerkung auf Seite 63 interessant:

    “Es gab nur zwei Möglichkeiten, die Kofferträgerei zu tarnen: Naivität, daß einem niemand derartige Eskapaden zutraute (diese Strategie verfolgte Oskar Huth gegen die Nazis), oder eben ein ohnhin schon auffälliger und mondäner Lebenswandel, daß einem eben alles zuzutrauen war.”

  • Paul Smith (Nebraska):

    Hinzugefügt sei, dass fast alle russischen Terroristinnen im 19. Jahrhundert Ärzte waren – die ersten weiblichen Studenten dort durften nämlich nur Medizin studieren, und das anfänglich auch nur in Zürich, weswegen auch Lenin eine Weile in Zürich lebte: Es hatte sich dort eine recht revolutionäre russische Scene entwickelt.

    In Algerien waren dann ebenfalls viele Terroristinnen von Haus aus Ärzte, in dem Buch “Das koloniale Algerien” von Bernhard Schmidt, erschienen im Unrast-Verlag, werden etliche namentlich erwähnt. Der Autor hat darüberhinaus ein zweites Buch geschrieben – mit dem Titel “Algerien – Frontstaat im globalen Krieg”.

  • Die Süddeutsche Zeitung hat sich heute ebenfalls an Frantz Fanon erinnert…Er gehört für sie – neben Ché Guevara und einigen Gründern radikaler islamischer Milizen – zu den “Heilern ohne Respekt vor dem Leben”, d.h. zu ausgebildeten Ärzten, die sich dem Befreiungskrieg anschlossen, die also die Krankheit nicht länger am Individuum – mittels Tabletten, Operationen etc.- heilen wollten, sondern an der Gesellschaft – mittels bewaffnetem Widerstand, weil diese – speziell die von entmenschlichten Weißen kolonisierte – für das Elend verantwortlich war, im Sinne seiner Ursache. Siehe dazu auch das Buch des Arztes Erich Wulff “Lehrjahre in Vietnam”, der anschließend die Einzeltherapierung von “privaten” Neurosen bei Studenten in Freiburg (sic) nicht aushielt – und wieder zurück nach Vietnam in den Befreiungskrieg zog.

    Fanon nun, so schreibt die SZ, “behandelte Folteropfer in Algerien und arbeitete als Agitator für die algerische Befreiungsbewegung FNL.” So weit so gut, aber dann brauchte der Autor eine Überleitung zu den heutigen – nicht guten, sondern saubösen – terroristisch-islamischen Ärzten/Agitatoren: “Er warnte aber auch früh vor den Gefahren des Islamismus.” Wiese “aber”? Egal, damals war der Islam natürlich im Gegensatz zur kommunistischen “Weltanschauung” eine rückständige und auf dem Rückzug befindliche Ideologie, deshalb warnte Fanon vor ihm. Am Islam hat sich bis heute nichts geändert, aber der Kommunismus ist erst mal perdu. Der SZ-Politik-Autor hat hier ähnlich oberflächlich dahergelabert wie einige Seiten weiter sein Feuilleton-Kollege, der dort verstockt-bayrisch-liberal-weiß-dämlich über das Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Ghana berichtet, speziell über die Auftritte von Gaddafi und Mugabe, die Fanon bereits mit den obigen Zitaten sowie mit einigen weiteren charakterisiert hatte – allerdings nicht aus der Münchner Idiotensicht, sondern aus der geradezu hellsichtigen Perspektive eines siegreichen Volkskriegskämpfers auf seine “Führer”, die zu neuen “Staatsmännern” mutierten. Ach, was ist dieser deutsche Journalismus doch für ein mieser, fieser und dummer Scheißdreck!

    Der SZ-Artikel über die Terrorärzte endet mit dem Hinweis – nicht auf einen linken, sondern auf einen rechten “Freiheitskämpfer”: den vor einigen Jahren erst verstorbenen deutschen Landarzt Paul Lüth, dessen Name jedoch vom Autor gar nicht genannt wird. Er raunt nur stichwortartig was über dessen schwachsinniges Buch “Bürger und Partisan”. Und damit endet sein Artikel. Lüth war Hauptfunktionär des 1950 wahrscheinlich gegen die FDJ drüben gegründeten rechten “Bund deutscher Jugend”, der 1953 verboten wurde. Wenn der anarchistische bayrische Filmemacher Herbert Achternbusch ein verdienter Genosse “des antikolonialen Freiheitskampfes auf dem Territorium der BRD” war und ist, wie der DDR-Dramatiker Heiner Müller meinte, dann war der antisowjetisch aktive Paul Lüth ein “bestochener Amiagent”, wie Fritz Lange das nannte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert