vonHelmut Höge 09.07.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Geschafft, die Nacht ist vorbei. Sieben Uhr früh im Aufenthaltsraum der Massennotunterkunft der Stadtmission in der Lehrter Straße, zwischen Knast und Kanzleramt. Auf die Tische verteilt sitzen 80 Männer oder mehr, auch ein paar Frauen sind darunter, und alle sehen sie erschöpft aus. Hier schläft man sich müde. Gleich gibt es Frühstück, vorab aber eine kleine Andacht, wie jeden Morgen …
»Also ich muss euch eine Geschichte erzählen«, ruft die Studentin und ist dabei so was von begeistert. »… eine Geschichte, wie sie sich im Busch zugetragen hat!« Da sei ein Hirte gewesen, der habe Rinder gehabt, die er über den Fluss treiben wollte. Es habe da nur ein Problem gegeben: Im Fluss waren Piranhas. Böse Sache. Auf jeden Fall habe eben dieser Hirte ein krankes, bereits blutendes Rind ins Wasser geschickt. Selbstverständlich stürzten sich sämtliche Piranhas auf das Tier. Und während nun die Fischbrut beschäftigt und vor allem abgelenkt gewesen sei, habe der Hirte nicht weit von dieser Stelle seine Herde sicher ans andere Ufer geleitet. »Und genauso ist es mit Gott, der hat seinen einzigen Sohn hergegeben, damit wir alle …« – Amen.
So geht es zu bei der Berliner Stadtmission, die dieser Tage ihr 130-jähriges Bestehen mit mehreren Veranstaltungen feiert. Noch zum Festgottesdienst im Berliner Dom betonte Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer: »Die Stärke unseres Glaubens besteht ja darin, dass wir ihn weitersagen.« Vielleicht muss man wirklich nur ordentlich beten und alles wird gut.
Seit einiger Zeit öffnen die Stadtmissionare ihre Türen in Berlin nicht mehr für jeden. Obdachlose Menschen aus Osteuropa, von denen in der Hauptstadt Hunderte, wenn nicht Tausende auf der Straße leben, finden kaum noch Zuflucht im Wohnheim in der Franklinstraße oder in der Massennotunterkunft Lehrter Straße. Wie in vielen anderen, kleineren kirchlichen Notübernachtungen hat es Ärger gegeben: Suff, Diebstahl und Prügeleien zwischen Deutschen, Polen und Russen. Obdachlose, egal welcher Nationalität, sind eben nicht per se die besseren Menschen. Nicht jeder eignet sich als Werbeträger für die christliche Botschaft.
Der Mühseligen und Beladenen gibt es inzwischen zu viele, als dass man allen jederzeit helfen könnte. Und niemand verübelt den Mitarbeitern in den Sozialprojekten, dass sie zu ihrem eigenen Schutz vom Hausrecht Gebrauch machen. Der Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit ist hier aber nicht von der Hand zu weisen: Oft genug wurden in der Vergangenheit Obdachlose aus kleineren, überfüllten Notübernachtungen nach entsprechendem Anruf an das Wohnheim der Stadtmission in der Franklinstraße verwiesen, nachdem sich dort allerdings herausstellte, dass es sich um Menschen polnischer, ukrainischer oder russischer Herkunft handelte, verweigerten ihnen die Mitarbeiter der Stadtmission den Zutritt. Da wird auch nicht diskutiert. Die Berliner Stadtmission zieht es vor, dass in ihren Einrichtungen zur Nacht Betten und mitunter ganze Zimmer frei bleiben, als dass sie diesen Menschen Asyl gewähren würde, wenigstens für ein paar Stunden Schlaf.
Auf Nachfrage wird erklärt, dass die abgewiesenen Osteuropäer allesamt Wanderarbeiter seien, um nicht zu sagen »Schwarzarbeiter«, die ja eigentlich Geld verdienten und sich ein Zimmer nehmen könnten oder wenigstens ein Bett in einem Hostel. Mit Willkür hätten diese Maßnahmen rein gar nichts zu tun, immerhin finde bei jedem eine Einzelfallprüfung statt. Selbst-ernannte Experten, die immerhin der polnischen oder der russischen Sprache mächtig sind, führen die Begutachtung durch. »Woher kommst du?« und »Wohin willst du?« – existentielle Fragen, an denen sich die Weltliteratur seit jeher abarbeitet. Die Stadtmission braucht dafür allenfalls eine halbe Stunde. Der Mensch wird der Hilfe angepasst, nicht umgekehrt. Mit ein wenig Glück darf der Hilfesuchende dann eine Woche in der Notunterkunft der Stadtmission nächtigen. Ein bestimmter Zettel mit Stempel (schließlich soll es offiziell aussehen) berechtigt ihn zum Betreten der Kellerräume der Stadtmission in der Lehrter Straße. Sobald die Woche aber abgelaufen ist, heißt es seitens der Studenten, die dort arbeiten und predigen: »Gute Reise!«
Was macht eigentlich der missionseigene Kältebus, der medienwirksam die ganze Nacht in Berlin unterwegs ist, Leben zu retten? Werden die Hilflosen jetzt immer vor dem Retten und Beten nach ihrer Aufenthaltberechtigung befragt: »Können Sie sich ausweisen, Bürger?« Vielleicht wird es Zeit, die Stadtmission willkommen zu heißen im 21. Jahrhundert. Mit dem faktischen Wegfall der innereuropäischen Grenzen ist es zu einer neuen Mobilität der Armut gekommen. Das Elend bewegt sich vom europäischen Rand ins Zentrum Europas.
Nicht zuletzt dem ungewöhnlich milden Winter ist es zu danken, dass derlei Verständnis von christlicher Nächstenliebe, das sich auf einheimische Obdachlose begrenzt, bislang keinen Kältetoten forderte.
Die Stadtmission, ohnehin ein Sammelbecken der Evangelikalen, war in ihrer Geschichte noch nie ein Hort des Liberalismus. Erinnert sei an ihren Gründer, den Hof- und Domprediger und Reichstagsabgeordneten Adolf Stoecker. An seiner Person wird deutlich, dass soziales Engagement und reaktionäre Gesinnung kein Widerspruch sein müssen. Die antisemitischen Predigten Stoeckers, der zudem scharf gegen die erstarkende Sozialdemokratie wetterte, gingen selbst dem Kaiser zu weit. Nicht ohne Grund setzte Wilhelm II. (»Ich kenne keine Parteien …«) Stoecker als Domprediger ab. In seiner Festpredigt berief sich der Generalsuperintendent Passauer übrigens ohne Not ausdrücklich auf Stoecker, der 1877 bei der Gründung der Berliner Stadtmission Jerima 29,7 als Leitwort gewählt haben soll: »Suchet der Stadt Bestes …«

Diesen Text schrieb Karsten Krampitz für “Neues Deutschland” – unter der Überschrift  Nächstenliebe nur für Einheimische
Berliner Stadtmission verweigert Obdachlosen aus Osteuropa eine Notunterkunft  

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kommentare

  • —– Original Message —– From: ARTALK NETWORK artalk.de
    To: koeln.presse@arbeitsagentur.de Sent: Monday, July 09, 2007 4:27 PM Subject: an Fr Winter – betr das soeben geführte Gespraech – Pressemitteilung und 2 Fragen

    Sehr geehrte Frau Winter,
    es ist korrekt, daß die bei uns eingetroffene Pressemitteilung [siehe unten und das beiliegende attachment] nicht von Ihnen direkt kam, doch die Einstellung der Veranstaltungen ist korrekt zitiert und keinesfalls eine Fälschung, soviel ich weiß.
    meine Fragen lauten:
    1.) “können Sie ein Datum nennen, bis zu welchem die Einstellung von Veranstaltungen, die – von einigen Medien – eventuell nicht unrichtig – als eine Rekrutierungs- und Fangveranstaltung bei sozial prekär Situierten und daher minder Wehrfähigen – bezeichnet werden könnte.”
    2.) “können Sie uns Näheres über die Situation in Berlin mitteilen, d.h.: wann können wir mit einer Einstellung dieser Veranstaltungen der Bundeswehr in Berlin rechnen?”

    [für WORK OUT, als Freiberufliche für die TAZ (“Netzkultur, weiterhin Ausw.Nr. 80 555”), für ARTALK NETWORK, für weitere Netz- und Printwerke]

    ARTALK NETWORK

    —– Original Message —– From: informant To: (ein verteiler) Sent: Monday, April 09, 2007 1:17 AM
    Subject: Köln: Bundeswehr darf vorerst nicht in Arbeitsagentur werben

    8. April 2007 Pressemitteilung der Initiative “Bundeswehr Wegtreten”

    Köln: Bundeswehr darf vorerst nicht in Arbeitsagentur werben

    Nach Auseinandersetzungen mit Bundeswehrgegnern in der Agentur für Arbeit werden die monatlichen Werbeveranstaltungen des Wehrdienstberaters im Berufsinformationszentrum zunächst ausgesetzt. Dies teilte der Leiter der Kölner Arbeitsagentur, Peter Welters am Gründonnerstag schriftlich mit

    “Bis zur Klärung der Rahmenbedingungen zur Durchführung von zukünftigen Informationsveranstaltungen in meinem Hause habe ich die Sprechstunden der Bundeswehr – ungeachtet meiner fachlichen Meinung zur Notwendigkeit einer qualifizierten Beratung auch in diesem Berufsfeld – derzeit ausgesetzt.”

    Seit November letzten Jahres kam es immer wieder zu Störungen und Zwischenfällen bei derartigen Veranstaltungen an der Kölner Arbeitsagentur Mitte, mit denen die Bundeswehr versucht, Arbeitslose zu rekrutieren. Die Perspektivlosigkeit am Ausbildungsmarkt und der zunehmende Druck für Erwerbslose seit der mehrfach verschärften Hartz IV-Gesetzgebung lockt die Bundeswehr, dort immer offensiver für den “Job” des Soldaten zu werben.

    Für besonderen Unmut unter den Mitarbeitern der Arbeitsagentur sorgte der Einsatz bewaffneter Feldjäger im Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur, die die Bundswehr am 25. Januar 2007 als Saalschutz vor den Raum ihrer Werbeveranstaltung ohne jegliches Hausrecht postiert hatte.

    Unter Druck gerät aber auch die Arge Köln, weil sie unter 25-jährige Arbeitslosengeld-II Empfänger im Rahmen einer sogenannten U25-Maßnahme zur Teilnahme an den Rekrutierungsveranstaltungen der Bundeswehr verpflichtet. Mehrere junge Arbeitslose aus Köln hatten sich darüber beschwert.

    „Es ist nicht nur geschmacklos, sondern unverantwortlich, junge Menschen in Perspektivlosigkeit für den Kriegsdienst zu ködern. Solche Werbeshows der Bundeswehr im öffentlichen Raum, an Schulen und Arbeitsämtern muss man unterbinden“, erklärt Verena Kemper von der Initiative Bundeswehr-Wegtreten.

    „Schulabgänger und Arbeitslose sollten sich genau überlegen, ob sie auf die Lockangebote mit Ausbildungsversprechen eingehen – immerhin ist ein einjähriger Auslandseinsatz mittlerweile verpflichtend für alle Zeitsoldaten der Bundeswehr.“

    Die Initiative hat nun auch in anderen Städten Fuß gefasst. In Bielefeld und Berlin musste die Bundeswehr im März ihre Veranstaltungen in den Arbeitsagenturen ebenfalls wegen massiver Proteste abbrechen bzw. ausfallen lassen. Neue Aktionen sind bereits angekündigt. Weitere Informationen dazu finden sie auf:

    http://bundeswehr-wegtreten.tk/

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