vonHelmut Höge 10.07.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Als wir vor einigen Jahren zu dritt an einem “Glühbirnenbuch” arbeiteten, beteiligte sich auch Wladimir Kaminer mit einem Aufsatz am Thema: Es ging ihm darin um die Folgen des großen sowjetischen Planes zur Elektrifizierung des ganzen Landes – Goelro. Vor kurzem hat er noch einmal einen Text geschrieben – über den Widerstand gegen die Elektrifizierung in der Sowjetunion:

Ich komme aus einem  Land, das ziemlich spät zwangselektrifiziert wurde.  Die Russen mochten die Dunkelheit und wehrten sich gegen ihre Elektrifizierung – u.a. indem sie die Glühbirnen klauten oder kaputt machten.  Dabei war die russische Wissenschaft immer ganz vorne, vieles Wichtige ist von Russen erfunden und entdeckt worden: die periodische Tabelle der Elemente, die Saturnringe, die Dampfmaschine usw.. Die Lichtbogenlampe wurde zum Beispiel von dem russischen Ingenieur Ladigin erfunden. Fünf Jahre später vervollkommnete  Edison diese Erfindung – und patentierte sie.

Die Russen erfanden viel, konnten aber mit ihren Endeckungen nichts anfangen. Sie waren nicht pragmatisch genug. Deswegen blieb die Heimat des Erfinders der Glühbirne lange Zeit im Dunkeln. Erst Lenin, der Führer der russischen Revolution brachte mir seinem Spruch “Kommunismus gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung” die Erleuchtung des ganzen Landes ins Rollen. Russland war ein großes anarchisches Land und machte ihre Herrscher unsicher. Napoleon sagte einmal, Russland kann relativ schnell erobert werden, aber es zu beherrschen sei unmöglich. So unsicher fühlten sich auch die bolschewistischen Führer. Sie  konnten die Banken, die Telegrafen, die Post kontrollieren, große Städte und Eisenbahnlinien. Aber zwei Kilometer von der Eisenbahn entfernt war ihre  Macht schon zu Ende. Deswegen bauten sie überall Kraftwerke und hängten im ganzen Land  Glühbirnen aus, um auf diese Weise die Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen.

Aber Russland ist kein Wunschland, egal was man sich wünscht, es kommt immer anders. Anstatt mehr Kontrolle entstand durch die Elektrifizierung noch mehr Anarchie. Sie zeigte sich im Verpulvern vom Unmengen Elektrizität. Egal, wieviel man verbrauchte, alle zahlten gleich – eine monatliche symbolische Pauschale pro Wohneinheit. Die Glühbirnen waren zwar anfänglich noch Mangelware, in den Gemeinschaftswohnungen ging jeder mit seiner eigenen Glühbirne auf die Toilette, aber der Strom floss unentwegt. Dasselbe galt auch für Gas und Sprit – die Autos waren teuer, der Sprit kostete nichts.

Mit dem Aufbau der kapitalistischen Verhältnisse haben die Staatshalter und Wirtschaftsbosse, die oft in Russland in der gleichen Person auftreten,  die Bodenschätze und Kraftwerkskapazitäten als Quellen ihres Reichtums entdeckt. Plötzlich verlangten sie Geld für Dinge, die im Sozialismus umsonst und eine Selbstverständlichkeit für jeden waren. Medizin, Benzin, Strom. Die Stadtbewohner müssten plötzlich pro Kilowatt zahlen. Doch auch der Kapitalismus konnte Russland nicht ganz erobern. Draußen auf dem Land, zwei Kilometer von der nächsten Eisenbahnlinie entfernt, im dunklen Reich der russischen Anarchie, zahlt man nach wie vor nichts für Strom.

Entweder laufen dort die Stromzähler in die falsche Richtung oder die Stromzählerableser werden korrumpiert. Ein weiteres Beispiel für den Erfindungsreichtum ist  in dieser Hinsicht das nordkaukasische Dorf meiner Schwiegermutter. Die Bewohner dieses Dorfes beziehen ihren Strom direkt von der Eisenbahn, sie haben die Eisenbahnstromleitung angezapft und mit einem dicken  Transformator den Starksstrom in einen für zivile Zwecke tauglichen Strom umgewandelt.  Die Eisenbahn weiß natürlich Bescheid, will aber aus Prinzip nichts unternehmen.  Immerhin fahren die Züge ständig  an dem Dorf vorbei und alle Schwellen und Gleise sind noch da. Auch die Eisenbahn fährt nicht immer gerade. Die Dorfbewohner halten ihre Stromfreiheit für selbstverständlich, sie beziehen ihren Strom noch sozialistisch – alle haben elektrische Heizkessel, elektrische Wasserpumpen, Orangerien, Schnapsbrennereien und Saunas. Sie heizen im Winter wie blöd, pumpen ein besonders weiches Wasser aus der Tiefe der Erde in die Wasserleitung, züchten Salzgurken das ganze Jahr über und überwintern gut mit eigenem Schnaps in der Sauna, die nach kaukasischer Sitte drei Tage vorgeheizt werden muss.

Sie haben letztlich zu Sylvester  eine solche Illumination aus selbstgebastelten  Girlanden auf der Strasse gehabt, dass  mehrere Flugzeuge sie für die Landebahn des Flughafens Mineralnie Wodi hielten und versucht hatten, auf der Steppenpiste zu landen, was für zusätzliche Nebeneffekte und ein kleines Feuerwerk sorgte. So nützlich kann die Eisenbahn sein. In den amtlichen Büchern wird das Dorf als “selbstelektrifiziert” geführt. Für mich war dieses sich selbst elektrifizierende Dorf ein Musterbeispiel an Kreativität –  der sich von allem Spuk befreienden russischen Anarchie.

Nur glaube ich, haben sie dabei irgendwo gepfuscht, irgendeinen Kabel nicht ganz richtig angeschlossen. Jedes Mal wenn ich dort Hände waschen ging und gerade ein Zug in der Ferne vorbeifuhr, bekam ich vom Wasserstrahl einen mächtigen Stromstoß. Ich weiß auch von anderen Dorfbewohnern, dass sie ab und zu an verschiedenen Orten und völlig unerwartet Stromschläge bekommen. Bei einem Nachbar brannte durch ein Stromstoß gar das Hemd bis auf den Kragen durch, als er einmal die Türklinke seines Hauses in ungünstigem Moment anfasste.  Und fast bei allen qualmen die Fernseher, wenn ein ICE das Dorf passiert.  Die öffentliche Meinung der Dorfbewohner geht dahin zu sagen: die vereinzelten Stromschläge sind gut für den Kreislauf und halten das Immunsystem auf Trab.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/07/10/unter-strom/

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kommentare

  • 2004 – ein Jahr, nachdem Paul Devlins Film “Power Trip” auf der Berlinale gezeigt wurde, annoncierte die Akademie der Künste von und zu Berlin folgende Veranstaltung:

    Pressemitteilung 17. November 2004

    Culture Watch 3/04

    Wem gehört der Kaukasus? – Film und Podiumsdiskussion

    Dienstag, 23. November 2004
    Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
    Beginn 18.00 Uhr, Studio; Eintritt Film € 4,- / ermäßigt € 2.50,-; Podium frei.

    Eine internationale Runde aus Journalisten, Schriftstellern und politischen Akteuren durchleuchtet die Hintergründe der Bürger- und Stellvertreterkriege im Kaukasus. Wie sind die verschiedenen lokalen und regionalen Konflikte in der Kaukasus-Region miteinander verbunden? Wie stark sind sie von den großen Kräftefeldern geprägt: dem Einfluss Russlands und der USA? Welche Interessen stehen dahinter? In welchem Auftrag operieren die islamistischen Freischärler? Wie beeinflussen oder prägen diese geopolitischen Gegebenheiten die künstlerischen Ausdrucksformen und die Werteorientierungen der Menschen in der Kaukasus-Region?Es diskutieren: Mainat Abdulajewa, Grosny, Journalistin Novaya Gazeta, Radio Liberty und internationale Presse, zur Zeit P.E.N.-Stipendiatin; Apti Bisultanow, Berlin/Grosny, Schriftsteller und “Sozialminister” im Kabinett von Ex-Präsident Maschadow; Lasha Bakradze, Tiflis, Publizist und Schauspieler (u.a. “Lost Killers”); Vicken Cheterian, Eriwan, Journalist (Le Monde Diplomatique); Direktor des Caucasus Media Institute, Moderation: Uwe Halbach, Berlin, “Stiftung Wissenschaft und Politik”

    Vor der Podiumsdiskussion wird der Film “Powertrip” von Paul Devlin gezeigt. Der Film erzählt die Geschichte des post-sowjetischen Übergangs zur Marktwirtschaft in Georgien anhand der Ereignisse, die der Übernahme der privatisierten Elektrizitätsgesellschaft in Tbilisi durch den amerikanischen Energiekonzern AES folgten. Der Film zeigt eine Umgebung, die geprägt ist von Korruption, politischen Morden und Straßenunruhen, verschafft aber auch Einblicke in den Lebensstil, die Kultur und die Musik der Georgier. Der Film wurde 2003 mit dem Dokumentarfilmpreis von Transparency International
    ausgezeichnet.

    18.00 Uhr Powertrip
    Regie, Buch, Ton, Schnitt: Paul Devlin, Kamera: Paul Devlin, Valeri Odikadze, USA 2003,
    85 Minuten, Sprache: Georgisch, Englisch, OF englisch untertitelt., deutsch eingesprochen

    20.00 Uhr Podiumsdiskussion “Wem gehört der Kaukasus?”

    Die Diskutanten stehen auch für persönliche Pressegespräche zur Verfügung. Vermittlung über die Pressestelle der Akademie.

    Culture Watch ist eine Veranstaltungsreihe der Akademie der Künste Berlin und des Forums Goethe-Institut, die kulturpolitisch brisante Themen aus Krisen- und Kriegsregionen behandelt.

    P.S.: Zum Enron-Film, von dem hier im blog an anderer Stelle die Rede war, sowie zum “Siemens-Skandal”, über den ebenfalls hier im blog an anderer Stelle wiederholt berichtet wurde, veranstaltete die Akademie der Künste leider bis jetzt keine “Culture Watch”- Diskussion.

  • Das netzmagazin “artechock” schreibt über den Film “Power Trip” von Paul Devlin:

    “Manchmal habe ich Angst, gelyncht zu werden”, sagt Piers Lewis. Der hemdsärmelige junge Mann mit Pferdeschwanz und Brille gehört zum Top-Management des amerikanische Energiegiganten AES Corporation, der die privatisierte Elektrizitätsgesellschaft im georgischen Tiblissi übernommen hat. Lewis undankbare Aufgabe ist es, den Georgiern beizubringen, dass man in postsowjetischen Zeiten für Strom zahlen muss. Als AES zum ersten mal allen Schuldnern den Strom sperrt, kommt es zu wütenden Tumulten. “Momentan zahlen nur zehn Prozent der Haushalte”, berichtet Lewis. Seine Haare, so hat er gelobt, schneidet er erst dann, wenn es 90 Prozent sind.

    Rund 25 Dollar kostet der Strom für eine Durchschnittsfamilie im Monat. Für viele ist das deutlich mehr als sie überhaupt verdienen. Eine Delegation alter Leute spricht im Büro des Konzernleiters Michael Scholey vor. Sie haben keinerlei Einkünfte und bitten, dass man bei ihnen eine Ausnahme machen möge – vergeblich. “Möge Gott Ihnen so helfen wie Sie uns geholfen haben”, sagt einer der alten Herren grimmig. Andere denken sich immer raffiniertere Methoden aus, um kostenlos an Strom zu kommen. 40 Prozent der Haushalte im Land versorgen sich über illegale Leitungen.

    Wie Spinnweben ziehen sie sich über die maroden Hauswände, hangeln sich lianengleich zwischen baufälligen Häusern. Ein Labyrinth verrotteter Kabel, bei dem längst niemand mehr weiß, wie es überhaupt zusammenhängt. “Diese Anlagen sind nicht gefährlich, sie sind tödlich”, erklärt ein weiterer Mitarbeiter von AES, der das Knäuel entwirren und sanieren soll: ein Gordischer Knoten mit Millionen Volt. Regelmäßig kommen Menschen ums Leben, bei dem Versuch, Licht und Wärme für ihre Familien zu organisieren. “Ohne Strom ist es, als ob Du tot bist”, erzählt ein junger Georgier, “dann ist es kalt, dunkel und still”.

    Regisseur Paul Devlin beobachtet den Wandel des vormals kommunistischen Landes zur Marktwirtschaft. Und dabei zeigt sich, dass der Titel Power Trip durchaus doppeldeutig ist: Auch in Fragen des Stromes geht es nicht nur um Energie, sondern immer wieder auch um Macht. Seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion haben Bürgerkriege das Land am Fuße des Kaukasus wirtschaftlich und politisch ruiniert. Hartnäckig klammern sich Privilegierte an ihre Pfründe. Korruption erstreckt sich bis in hohe Ministerien. Ein populärer Journalist, der die Missstände anprangert, wird ermordet.

    Der Film gibt faszinierende Einblicke in die Mentalität der Menschen, die ungeheuren Schwierigkeiten, die das Leben in diesem Land mit sich bringt und die Chuzpe, mit der sich Georgier immer auf neue mit der Dauerkrise arrangieren. Devlin scheitert jedoch daran, die gesellschaftlichen Zusammenhänge in diesem Land transparent zu machen. Sie erweisen sich als ebenso undurchschaubar wie das Gewirr der illegalen Stromnetze. Die postmodernen Managementmethoden des Konzerns mit flachen Hierarchien, Eigenverantwortung und Spaß an der Arbeit wirken vor dieser Kulisse seltsam surreal.

    Auch wenn Piers Lewis Engagement und Zuneigung zum georgischen Volk glaubwürdig erscheinen, macht sich Unbehagen breit, wenn der amerikanische Konzern zum Hoffnungsträger und Heilsbringer stilisiert wird. Wenn AES scheitert, gehen in Georgien die Lichter aus, so lautet der Tenor des Films. Wenn dem so ist, dann gute Nacht. Auch bei AES herrschen seit dem Krise auf den amerikanischen Märkten wenig Risikofreude. Dass die Amerikaner sich aus Georgien zurückziehen, scheint nur eine Frage der Zeit.

    Nani Fux

  • Zuletzt sah es stromversorgungsmäßig in Georgien folgendermaßen aus:

    1.Das privatwirtschaftliche Beginnen…

    “The Company”

    “I’m home, I’m tired. There’s no electricity in my house. There’s no electricity in the whole town. I don’t believe in Telasi… I want electricity…” —Georgian rock song

    In 1981, Roger Sant and Dennis Bakke, both former members of the U.S. Department of Energy, founded AES, “The Global Power Company.” Their dream was to change the world by bringing competition to the previously staid sector of electricity, and to organize the AES Corporation around a de-centralized system of management. This unusual business philosophy was a great success, and by the early 1990s, AES was investing worldwide, especially in regions where other energy companies did not. By the late 1990s, it boasted more than 100 power plants in 16 different countries and was one of the world’s fastest growing energy companies.

    In 1998, Merrill Lynch won a mandate to advise the Georgian government on the privatization of Telasi, the electricity distribution company in Georgia’s capital city, Tbilisi. AES successfully bid for the job, resulting in the creation of AES-Telasi. As featured in POWER TRIP, Mike Scholey became the company’s general director and hired Piers Lewis, who was working with the Georgian government to devise new metering, accounting and billing systems for the distribution of electricity.

    A bill from AES-Telasi.

    “This bill is from AES-Telasi. This bill is the most scary thing in Georgia nowadays.” —Leeka Basilaia, Georgian journalist

    The AES-Telasi Balance Sheet

    During its time in Georgia (from January 1999 to September 2003), AES-Telasi struggled to improve of the country’s energy infrastructure. Here’s a glimpse at the challenging statistics:

    Average monthly wage in Tbilisi: $15

    Average monthly residential electricity bill from AES-Telasi: $24

    Average monthly bill prior to AES-Telasi: $0

    Amount of money AES-Telasi spent improving power lines and meters in Tbilisi: $90 million

    Estimated daily loss at AES-Telasi: $120,000

    Total loss at AES during its time in Georgia: Over $200 million

    Facing Challenges

    Upon its creation, AES-Telasi immediately faced a variety of challenges. It had to rebuild Telasi, which was poorly organized and broke, in a country whose residents were unaccustomed to paying for electricity. Since Georgia gained independence in 1991, a lack of funding made energy importation difficult. The Georgian electricity sector relied on power imported from Russia in the winter, and its energy infrastructure was severely lacking.

    POWER TRIP details AES-Telasi’s mounting frustrations: Tbilisi residents blamed the company for not supplying power, but there was not enough power available because the country’s corrupt elite often stole electricity without paying for it. Continued struggles with Russia were also an issue. Georgia’s president at the time, Eduard Shevardnadze, remained at odds with the Russian government, especially over Russian access to the region’s oil. Georgia’s location made it an effective gateway to the oil- and gas-rich states to the west. Some Georgians believe that Russia allowed energy debts to accumulate on purpose, then demanded a handover of strategic assets as repayment, thus creating a Russian monopoly of the region’s natural gas supply—a position that would allow it political leverage over Georgia.

    When President Shevardnadze threatened to expel Russian troops from Georgian soil, the Russians shut down the natural gas supply. Because gas-powered thermal generation plants provide Georgia with most of its electricity during the winter, AES-Telasi had no energy to distribute. AES was forced to shut down and the country was plunged into darkness.

    AES Leaves Georgia

    Although AES never participated in energy trading, the Enron scandals in 2002 led to plummeting stock in the energy sector. Financially weakened, AES could no longer support its Georgian operators, so it put AES-Telasi up for sale in 2003. There was only one interested buyer: the Russians. Telasi is now owned by United Energy Systems (UES), a Russian state-owned company. UES pledges to provide Georgians with “24-hour electricity,” but continues to battle many of the same problems that AES did, including corruption, poor technology and financial hardships.

    Sources

    AES Corporation

    EurasiaNet Human Rights: “Russian Control Over Energy Raises Questions About Georgia’s Direction”

    AmCham News Magazine: “AES In Georgia: A Personal View”

    AmCham News Magazine: “Unraveling the Energy Web”

    Business Week Online: AES’s Dennis Bakke: A Reluctant Capitalist

    1a. Das “graswurzel.net” faßte diese Entwicklung so zusammen…

    “Energie in Georgien”

    Georgien grenzt im Norden an Russland (einschließlich einer Grenze mit Tschetschenien) und im Süden an Armenien und Azerbaidschan. Auch wenn es in Georgien selbst nicht viel Öl gibt, so führt doch die Baku (Azerbaidschan) – Ceyhan (Türkei) Pipeline, die derzeit gebaut wird, über Tbilisi in Georgien. Das macht Georgien zu einem bedeutenden Transitland für die kaukasischen und zentralasiatischen Ölreserven (insbesondere Azerbaidschans und Kazachstans), die derzeit nur unter Nutzung des russischen Pipeline-Systems exportiert werden können. Das gleiche gilt für Erdgasreserven, und eine neue Pipeline soll von Baku nach Erzurum in der Türkei führen, wiederum unter Umgehung Russlands und in Konkurrenz zu einer bestehenden Pipeline des russischen Energiekonzerns Gazprom nach Samsun in der Türkei, die im Frühjahr diesen Jahres den Betrieb einstellte, da die Türkei bessere Bedingungen aushandeln will.

    Der Energiemarkt Georgiens befand sich bis zum Sommer 2004 in US-Hand. Am 6. August kaufte der russische Strommonopolist RAO Unified Energy Systems 75% der Anteile in Georgiens AES Telasi, ein Tochterunternehmen des US-Konzerns AES Corp.. Im Mai unterzeichneten Georgien und der russische Gaskonzern Gazprom eine strategische Partnerschaft, unter der Gazprom das georgische Pipeline-System entwickeln soll und die Kontrolle über die Gasverteilung in Georgien erhalten würde. Dieser Deal alarmierte die USA, und George W. Bush entsandte seinen Sonderbotschafter für kaspische Energiefragen, Steven Mann, nach Georgien, um davor zu warnen, dass “das vorgeschlagene Kooperationsabkommen im Gassektor zwischen Georgien und Gazprom die Aussichten für die Ausbeutung des azerbaidschanischen Shah Deniz, des kaspischen Gasfeldes und den Export des Gases durch eine Pipeline von Baku via Tbilisi nach Erzurum unterminieren könnte”. Andererseits hat die damalige Opposition und jetzige Regierung dieses Abkommen verurteilt – Zufall?

    2. So ging es dann weiter…

    “Hat Elektrizität einen Preis?”

    Von Célia CHAUFFOUR

    Ubersetzt von Fiona GUTSCH und Monika RADEK

    Während Georgien eine breit angelegte Privatisierungskampagne seines Energienetzes, insbesondere der Wasserkraftwerke, vorbereitet, bleibt die Abhängigkeit in der Energieversorgung eine der Hauptsorgen des Landes. Erst vor kurzem wurde die Regierung Saakaschwili von einer Gasversorgungskrise von bis dahin unbekanntem Ausmaß gebeutelt. Aufgrund von ungeklärten Explosionen an der Gaspipeline Mosdok-Tbilissi in Nordossetien am 22. Januar war das Land zeitweilig von der russischen Gasversorgung abgeschnitten. Der Vorfall brachte der jungen Demokratie die Unsicherheit ihrer Energieversorgung schmerzlich in Erinnerung.

    In Georgien ist das Thema Elektrizität großen Spannungen zwischen Verbrauchern und Anbietern ausgesetzt, die sich in bisweilen überreizten Debatten meistens ergebnislos darüber auseinandersetzen. Vor einigen Tagen, am 20. Februar, war mit Kutaissi die zweitgrößte georgische Stadt an der Reihe. In Teilen der Stadt fiel der Strom für mehr als 24 Stunden aus. Die Nachricht wurde selbstverständlich in den lokalen Medien verbreitet, fand aber trotzdem keine große Beachtung. Und dies nicht nur, weil das Thema Südossetien wegen der aktuellen Lage die Schlagzeilen beherrschte, sondern vor allem, weil die Nachricht als solche schlichtweg zu unbedeutend war. Heute Kutaissi, gestern Tbilissi, morgen Poti oder Batumi: die Stromausfälle oder dauernden Rationierungen bestimmen seit langem den Alltag in Georgien, ob nun in der Provinz oder in der Hauptstadt.

    Ein ebenso verbreitetes Phänomen wie die Stromunterbrechungen sind die für die Stromanbieter äußerst verlustreichen illegalen Anschlüsse. Sie dienen in erster Linie der Stromversorgung von Privathaushalten und sind nicht selten durch ein gefährliches Durcheinander von Kabeln mit Strommasten oder Hochspannungsanlagen verbunden. Eine andere erfolgreiche Methode ist die Manipulation der Stromzähler. Zwar versuchten die Stromanbieter in den letzten Jahren, diesem erheblichen Verlust einen Riegel vorzuschieben, indem sie die Zähler austauschten, doch vergebens. Die Praxis ist nach wie vor weit verbreitet. Und wie soll man den georgischen Verbraucher dazu zwingen, eine Stromrechnung zu bezahlen, die unbezahlbar ist im Vergleich zur Kaufkraft und dem Durchschnittseinkommen (das durchschnittliche Monatsgehalt beträgt ca. 35 Euro, die Altersrente 28 Lari/ca. 12 Euro)?

    In Tbilissi kostet eine Kilowattstunde um die 11,9 Tetri (ca. 5,5 Eurocent), gegenüber 26,6 Tetri für den Kubikmeter (m3) Gas für Privatpersonen (ca. 12,2 Cent) und 34 Tetri für Großkunden (ca. 15,6 Cent).

    Zum Vergleich: im Nachbarland Armenien, das häufig als ein treuer Verbündeter Moskaus betrachtet wird, ist die Situation nicht viel besser. Dort kostet eine Kilowattstunde 25 Dram (ca. 4,7 Cent) und der m3 Gas 59 Dram (ca. 11,2 Cent). Diese Tarife könnten jedoch schnell steigen, sollte Russland Eriwan in der Gasfrage in die Knie zwingen unter dem Vorwand, sich an die Weltmarktpreise zu halten.

    Rationiert, abgestellt, verteilt, importiert … und von jetzt an zu verkaufen

    In der unlösbaren Abhängigkeit vom großen Bruder Russland verfolgt Georgien gleichzeitig zwei Ziele: einerseits die Diversifizierung seiner Energieversorgung als vorrangige Aufgabe und andererseits die ebenso wichtige Privatisierung der Produktionsinfrastruktur und der Stormverteilung. Unklar bleibt, ob diese beiden Ziele miteinander vereinbar sind oder ob sie zumindest, entgegen allen Anscheins, nicht vollkommen gegensätzlich sind.

    Am 13. Februar gab der georgische Wirtschaftsminister Irakli Tschogowadse die Agenda für die wichtigsten Privatisierungen im Energiesektor für das Jahr 2006 bekannt. Die offiziell ab dem 16. Mai laufenden Ausschreibungen betreffen sechs Wasserkraftwerke und drei Stromversorgungsgesellschaften. Darunter die seit 2002 operierende United Energy Distribution Company of Georgia (UDC), ein Schwergewicht auf dem Energiemarkt.
    Mit 694.300 Klienten, davon 24.300 Großkunden, besitzt UDC ein Stromversorgungsmonopol in sieben georgischen Regionen (Imeretien, Unteres Kartli, Gurien, Megrelien-Oberes Swanetien, Samzche-Dschawachetien, Mzcheta-Mtianeti und Inneres Kartli). Das Unternehmen wird auf 30 Millionen Dollar geschätzt (ca. 25,2 Millionen Euro). Anzumerken ist noch, dass die Gesellschaft zur Zeit von einem amerikanischen Unternehmen, der PA Consulting, verwaltet wird, die von der Unterstützung der US Agency for International Development (USAID) in Georgien profitiert.

    Die acht weiteren Unternehmen, die im Rahmen dieser Maßnahme privatisiert werden sollen, sind die Energieversorgungsgesellschaft von Adscharien (Energy Distributing Company of Adjara) zum Preis von 5 Mio. Dollar, die Energieversorgungsgesellschaft von Kachetien (Energy Distributing Company of Kakheti), gegenwärtig bankrott und zum Preis von 2 Mio. Dollar zum Verkauf angeboten, das Wasserkraftwerk von Lajanuri (Gesamtkapazität von 112,5 MW) für 26 Mio. Dollar, das Wasserkraftwerk von Rioni (Gesamtkapazität von 48 MW) für 14 Mio. Dollar, das Wasserkraftwerk von Gumati (Gesamtkapazität von 66,5 MW) für 12 Mio. Dollar, das Wasserkraftwerk von Shaori (Gesamtkapazität von 38,4 MW) für 12 Mio. Dollar, das Wasserkraftwerk von Dzevrula (Gesamtkapazität von 80 MW) für 14 Mio. Dollar und das Wasserkraftwerk von Ats (Gesamtkapazität von 16 MW) für 4 Mio. Dollar.

    Auf den Verlauf des Privatisierungsprozesses kann man gespannt sein. Im vergangenen Jahr war die Aufteilung des Marktes für den Ausbau des internationalen Flughafens von Tbilissi Gegenstand nicht enden wollender Querelen. Das langwierige Taktieren und Lavieren, von den einen als offene Kooptation bezeichnet, von den anderen als legitime Praktiken, hat vor allem auf die Schwierigkeiten der georgischen Regierung hingewiesen, zwischen wirtschaftlicher Logik und Netzwerken der Macht einen klaren Kurs zu halten.

    Offensichtlich darum bemüht, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, hat das Wirtschaftsministerium klare Bedingungen für das Prozedere der Ausschreibungen formuliert, die vom 16. Mai bis zum 16. Juni dauern sollen. Darunter beispielsweise die Verpflichtung, die Hälfte des Kaufpreises der jeweiligen Gesellschaft vor Ablauf eines Monats nach Unterzeichnung des Vertrags zu überweisen. Der Rest der Summe ist dann zum 1. Dezember 2006 fällig. Es bleibt abzuwarten, ob diese Klauseln respektiert werden.

    Mit Sicherheit kann man aber von einer Erhöhung der Tarife ausgehen. Am Ende der Privatisierung, deren Erlös auf mindestens 119 Mio. Dollar geschätzt wird (etwa 100 Mio. Euro), könnte der Preis pro kWh für die georgischen Konsumenten von 11,9 auf 15 Tetri steigen.

    Ein russisches Monopol dahinter

    Für den Energieexperten David Ebralidse, der vor kurzem der Redaktion von Civil Georgia Auskunft gab, könnte die Gesellschaft Telasi der große Gewinner dieser Privatisierungswelle werden. Die Gesellschaft versorgt bereits die georgische Hauptstadt Tbilissi mit Strom. Sie könnte, sollte sie den Großteil der Ausschreibungen für sich entscheiden, zum Marktführer eines Segments des georgischen Energiesektors werden.

    Es steht viel auf dem Spiel, da Telasi vom russischen Elektrizitätsmonopolisten United Energy Systems (russisch RAO EES Rossii – EES) abhängig ist, der seit 1998 vom ehemaligen „Vater der Privatisierung“ der 1990er Jahre in Russland, Anatoli Tschubais, geführt wird. Über Telasi würde EES auch den Elektrizitätsmarkt in Georgien beherrschen, das ohnehin schon stark abhängig ist von der russischen Gas- und Stromversorgung. Doch wäre dies nicht das erste Mal, dass Russland versucht, auf den georgischen Energiemarkt zu drängen.

    2003, noch in der Ära Schewardnadse, kaufte EES von der amerikanischen AES Silk Road für ein paar Groschen – 23 Mio. Dollar – 75 % der Telasi-Aktien. Die amerikanische Gruppe überließ EES daneben das Kraftwerk von Mtkvari (Gesamtkapazität: 600 MW) sowie die Betreiberrechte für 25 Jahre für die Kraftwerke Chrami 1 und Chrami 2 (Gesamtkapazität: jeweils 120 MW).

    Indem sie diesen Frühling ihren internen Energiemarkt öffnet, öffnet die kleine südkaukasische Republik auch dem russischen Kapital Tür und Tor. Eine überaus günstige Gelegenheit für Moskau, das seit langem auf die Privatisierung dieser Unternehmen drängt. Einige werden sich noch an das Treffen zwischen dem georgischen Premierminister Surab Nogaideli und der Nummer 2 von EES, Andrej Rappoport, am 5. März 2005 erinnern. Der russische Monopolist drängte nicht nur darauf, einen neuen Kooperationsvertrag für fünf Jahre zu schließen, sondern äußerte auch sein Interesse an der Privatisierung der Schlüsselgesellschaften des georgischen Energiesektors.

    Freilich geht es bei den Ausschreibungen, die im Mai eröffnet werden, um separate Privatisierungen mehrerer Energiebetriebe, nicht um Anteilsverkäufe – eine Tatsache, die daran zweifeln lässt, ob sich tatsächlich einer oder zwei Monopolisten in dem Sektor herauskristallisieren. Dennoch lässt die offizielle Deklaration des Wirtschaftsministeriums verlauten, dass „für die Privatisierung der Wasserkraftwerke die Gesellschaften bevorzugt werden, die sich auch auf dem Elektrizitätsmarkt durchgesetzt haben“…

    Wenn auch dieses Privatisierungsvorhaben Tbilissi vor allem dazu verhelfen soll, finanzielle Ressourcen für die Finanzierung des Staatsbudgets aufzutun und dabei Gesellschaften loszuwerden, die bei einer durchschnittlichen Rentabilität großer Investitionen bedürfen, so spielt Georgien dennoch mit dem Feuer, und das in einem Moment, in dem Michail Saakaschwili vollmundig von einer Diversifizierung der Energieversorgung des Landes spricht.

    © CAUCAZ.COM | Artikel erschienen am 28/02/2006 | Von Célia CHAUFFOUR

    3. Und so ist der Stand der Dinge dort heute – 2007…

    Die “Georgien Galerie”, die das Land im Internet verherrlicht (der Menschheit näher bringen will) teilt dazu – lapidar – mit:

    Als politische Probleme Tiflis gelten eine Arbeitslosenquote von rund 60% (Stand 2005), das überlastete Straßensystem mit einer großen Anzahl von Minibussen und Taxis sowie das illegale Errichten von Gebäuden, die die historische Struktur der Stadt beschädigen.

    Unzureichend ist auch die Energieversorgung der Stadt. Wegen schlechter Zahlungsmoral der Bevölkerung können die private Stromgesellschaft Telasi und die staatlichen Gaswerke Tbilgasi ihre Lieferanten nicht bezahlen. So werden regelmäßig ganze Stadtteile abgeschaltet.

    4. Die “Georgien Nachrichten” werden etwas konkreter:

    1. Nachricht
    Strom für Krankenhäuser in Tbilisi fließt weiter
    Mehrere Krankenhäuser in Tbilisi werden trotz ausstehender Schulden für den von ihnen verbrauchten Strom weiterhin mit Strom versorgt. Der Stromversorger Telasi hat sich per Brief an mehrere Krankenhäuser gewandt und ihnen mitgeteilt, dass diese bis zum 10. Februar weiter Strom erhalten.
    Wie der Privatsender Rustawi 2 meldete, haben die Krankenhäuser ihre Schulden inzwischen teilweise beglichen. Telasi hatte am Mittwoch morgen angekündigt, wegen der ausstehenden Zahlungen die Stromversorgung der Krankenhäuser einzustellen.

    2. Nachricht
    Krankenhäuser in Tbilisi ohne Strom
    Mehrere Krankenhäuser in Tbilisi sollen in den kommenden Tagen von der Stromversorgung abgeschnitten werden. Der Stromversorger Telasi nannte als Grund dafür nicht bezahlte Stromrechnungen.
    Nach Angaben des Unternehmens belaufen sich die Schulden der betroffenen Krankenhäuser auf mehr als 200.000 Lari. Das Unternehmen habe die Krankenhäuser bereits mehrfach angeschrieben und über die bestehenden Schulden unterrichtet, es habe aber keine Reaktionen gegeben.

    Panorama – Quelle: Rustawi 2

    5. Über den im ersten Kommentar hier erwähnten Dokumentarfilm über die Privatisierung des Stromversorgungsnetzes in Georgien durch ein US-Unternehmen schreibt die netzeitung.de:

    «Power Trip» durch georgische Stromkabel

    14. Apr 2004 11:26
    Das Kraftwerk AES-Mtkwari
    Foto: georgien-news.de

    Eine Dokumentation über die Geschichte der Stromversorgung in Georgien – dröger kann ein Thema kaum klingen. Doch der brilliante Film «Power Trip» ist eine Reise in den real existierenden Wahnsinn.

     

    Von Oliver Heilwagen«Power Trip» ist ein echter Trip – nicht obwohl, sondern gerade weil er ein Dokumentarfilm ist. Er dokumentiert eine Realität, die völlig anders ist als unsere. Dabei liegt der Ort der Handlung kaum drei Flugstunden entfernt auf demselben Kontinent. Die Zeit, in der sie spielt, ist die Gegenwart. Und das Thema wirkt unüberbietbar spröde: Die Geschichte der Stromversorgung im postsowjetischen Georgien.

    Doch der Film des US-Regisseurs Paul Devlin ist so spannend wie lehrreich. In nur 80 Minuten erklärt er den culture clash zwischen Erster und Dritter Welt: Warum dort viele Länder in einem Teufelskreis der Unterentwicklung stecken, den auch gut gemeinte und professionelle Hilfe nicht durchbrechen kann.

    90 Prozent der Verbraucher zahlen nicht

    Die (wahre) Geschichte: 1999 kaufte der amerikanische Energiekonzern Applied Energy Systems (AES) für 35 Millionen Dollar den georgischen Staatsbetrieb Telasi, der die Hauptstadt Tbilissi mit Strom versorgt. Das Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt faktisch pleite, weil 90 Prozent der Privathaushalte und 80 Prozent der kommerziellen Abnehmer ihre Stromrechnungen nicht bezahlen. Zudem zapfen etwa 40 Prozent der Einwohner die Leitungen illegal an – oft mit abenteuerlichen Konstruktionen aus schlecht isolierten Kabeln, die manchen Bastler per Stromschlag ins Jenseits befördern.AES investiert erst einmal 60 Millionen Dollar in die Ausstattung aller Haushalte mit Stromzählern und berechnet dann kostendeckende Preise. Rund 25 Dollar monatlich für Strom auszugeben, ist aber zu viel für Leute, die etwa 20 bis 70 Dollar im Monat verdienen. Die Zahlungsmoral bessert sich nicht, denn den Georgiern erscheinen die Forderungen aberwitzig hoch: In der Sowjetunion gab es den Strom praktisch gratis.

    TV-Werbespots gegen illegales Stromanzapfen

    In der Folge beginnt AES-Telasi, den Verbrauchern reihenweise den Saft abzudrehen. Ganze Stadtteile von Tbilissi sind nachts stockdunkel. Die Massen demonstrieren, zünden Autoreifen an und bedrohen AES-Mitarbeiter.AES-Telasi-Chef Michael Scholey, ein bedächtig-korrekter Amerikaner, wird zum gefragten Interviewgast der abendlichen Fernsehnachrichten und zum Buhmann der Nation. Mit TV-Werbespots versucht der Investor, seine Kunden davon zu überzeugen, die Finger von den Stromverteilerkästen zu lassen und ihre Rechnungen zu begleichen.

    Täglich 120.000 Dollar Verlust

    Doch geht die Rechnung nicht auf: Zwar zahlen mehr Konsumenten als vorher, doch kommt das Geld bei AES-Telasi nicht an. Es wird von den Geldeintreibern oder den Beschäftigten der Postbank einfach unterschlagen. Die AES-Buchhaltung ist total überfordert: Protestierende Geprellte verlangen erfolgreich, dass man ihnen wieder Strom liefert. Im Jahr 2001 macht AES-Telasi täglich 120.000 Dollar Verlust.Dazu kommt noch ein weiteres Problem: AES-Telasi produziert zwar mit eigenen Kraftwerken genug Elektrizität, um den Bedarf im Großraum Tbilissi zu decken, hat aber wenig Einfluss auf die Verteilung. Die Angestellten in der Schaltzentrale Satenergo erhalten häufig Anrufe aus den «höheren Etagen der Macht»: Sie sollen sofort ein Villenviertel oder einen säumigen Zahler unter den Großbetrieben an das Stromnetz wieder anschließen und dafür andere Leitungen kappen.

    Minister verdient 75 Dollar monatlich

    Dienstherr von Satenergo ist das Energieministerium. Ein Interview mit dem Minister, einem mürrisch-mißtrauischen Apparatschik, gehört zu den Höhepunkten des Films. Mit eisiger Miene versichert er, sein Einkommen belaufe sich offiziell auf 75 Dollar im Monat. Wie viel er für seine Gefälligkeitstelefonate erhält, sagt er nicht.Dieses Knäuel aus allgegenwärtiger Korruption, Sabotage, Willkür, Schlendrian und Ohnmacht entwirrt der Film mit leichter Hand, indem er einfach jedem Erzählstrang geduldig nachgeht. Anstatt seine Protagonisten moralisierend zu verzerren – hier die profitgierigen Kapitalisten, dort das ausgebeutete Volk – bleibt er ihnen mit der Handkamera dicht auf den Fersen.

    «Denkt an die Zukunft!»

    Alle sind guten Willens: Der junge britische AES-Manager Piers Lewis ist eigentlich ein Globetrotter, der gerade die Landessprache lernt und seine Gesprächspartner mit Engelsgeduld zu überzeugen versucht. Die Reporter des privaten TV-Senders Rustaweli-2 suchen heroisch nach den Verantwortlichen für die Misere, auch wenn es das Leben kosten kann. Die ehrlichen kleinen Leute würden durchaus ihren Stromverbrauch bezahlen, wenn sie es nur könnten.Doch sie verstehen einander nicht. In einer Schlüsselszene will Lewis seine Untergebenen mit den Worten motivieren: «Denkt nicht an die Vergangenheit, denkt an die Zukunft! Überlegt, was ihr erreichen wollt!» Die um ihn herum sitzenden Georgier rauchen und nicken bedächtig, als würden sie denken: «Was weiß der Junge schon. Wir haben den Zusammenbruch eines Imperiums und einen Bürgerkrieg überlebt.»

    Eigeninitiative versus vertikale Befehlsstränge

    Das AES-Firmenmotto «Integrität, Fairness, soziale Verantwortung und Spaß» sagt ihnen herzlich wenig. Lewis bringt es auf den Punkt: «Wir setzen auf Eigeninitiative, aber sie sind an vertikale Befehlsstränge von oben nach unten gewöhnt.» Diesen Widerspruch kann AES auch mit Investitionen von insgesamt 190 Millionen Dollar nicht auflösen.Die Geschichte geht wie zu erwarten böse aus. Im Gefolge des Bankrotts des US-Konkurrenten Enron fallen die AES-Aktien stark im Kurs. Der Konzern muss unrentable Engagements aufgeben. Im August 2003 verkauft er Telasi an Russlands Strommonopolisten UES. Damit kontrolliert Moskau, wie vor 1991, das georgische Stromnetz. Die nationale Eigenständigkeit auf dem Energiesektor ist verloren, russischer Neokolonialismus behält die Oberhand.

    Hochspannung ohne Hollywood

    Mutatis mutandis gilt dies für viele nominell unabhängige Entwicklungsländer: Sie können sich aus der technischen Abhängigkeit von ihren Hegemonialmächten nicht befreien. Diese so trockene wie triste Materie ist indes selten so anschaulich aufbereitet worden wie in «Power Trip». Leider existiert der Film nur in wenigen Kopien. Sollte er in einem erreichbaren Programmkino Station machen: Unbedingt ansehen! Mehr Hochspannung kann auch Hollywood mit dreistelligen Millionenbudgets nicht erzeugen.

  • In Georgien scheiterte die Privatisierung des Stromnetzes durch einen US-Konzern am Widerstand der Bewohner, der so weit ging, dass sie heimlich in die Stromzähler kleine elektronische Bauteile integrierten, die beim Anschalten von elektrischen Geräten, den Zähler ausschalteten. Der US-Konzern gab schließlich auf. Es gibt darüber einen sehr guten Dokumentarfilm, der vor einigen Jahren auf der Berlinale gezeigt wurde.

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