vonHelmut Höge 13.07.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Generation X, Generation Golf, Generation Berlin, Generation Praktikum…ständig werden neue Generationen kreiert. Michael Klundt hat in der Jungen Welt heute diesen reaktionären Schwachsinn analysiert:
Was »die soziale Frage« in Deutschland ist, scheinen seit dem Oktober 2006 wieder alle Bundesbürger zu wissen. Nachdem der SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck auf Basis einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Unterschicht zu erkennen meinte, begann eine breite Kontroverse über deren Existenz, Entstehung, Beschaffenheit und Zukunft. Angesichts der gegenwärtigen Debatten um Unterschichten und Armut ist das Thema der sozialen Spaltung in Deutschland so sehr präsent, daß sich praktisch jeder dazu verhalten muß. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß für Beck sowie für einige andere Politiker und Journalisten die »Unterschicht (…) zum Problem« wird (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 9.11.2006) und nicht etwa die Verhältnisse und Politiken selbst, welche diese hervorgebracht haben. Insofern gab es für viele neo- und sozialliberale Beiträge in dieser Debatte keinerlei Grund, etwa die vorherrschende Privatisierungs- oder Sozialabbaupolitik zu hinterfragen, geschweige denn sozioökonomische Interessen, welche einen Hinweis auf den Bezug zwischen der dramatischen Ausgrenzung und der verschärften Ausbeutung in der Arbeitswelt gegeben hätten.

Je mehr sich die Einkommensungleichheit, die Niedriglöhne, Existenzsorgen und -unsicherheiten, (Einkommens-)Armut, soziale Spaltung und Armutskarrieren in den letzten Jahren ausweiteten und (fehlendes) Geld tatsächlich existentielle Bedeutung annahm, desto häufiger betonten Regierungsstellen, aber auch einige Wissenschaftler und Medien, daß traditionelle Verteilungsfragen unwichtiger würden zugunsten von Teilhabe, Teilnahme-, Chancen- und Generationengerechtigkeit. Verteilungsgerechtigkeit verliere dagegen zunehmend an Bedeutung. Statt dessen wird immer häufiger behauptet, daß die alte soziale Frage längst überwunden und durch neue demographie und generationenpolitische Konfliktlinien ersetzt worden sei.

Der »Vater« des Neoliberalismus, Friedrich August von Hayek, ist derweil noch offensiv für (mehr) »nötige Ungleichheit« eingetreten. Die Armut in der sogenannten Dritten Welt faßte er als rein demographisches Problem auf und forderte im Sinne eines vermeintlich »gesellschaftlichen Evolutionsprozesses«: »Gegen die Überbevölkerung gibt es nur die eine Bremse, nämlich daß sich nur die Völker erhalten und vermehren, die sich auch selbst ernähren können« (Hayek 1981). Dabei bringe lediglich der reine kapitalistische Weg das Ziel des Wohlstands, während – in Nord- wie in Südstaaten – der »Begriff der sozialen Gerechtigkeit in einer marktwirtschaftlichen Ordnung (…) völlig sinnlos« sei (ebd.). Im Sinne dieser sozialdarwinistischen »Gesundschrumpfungs«­ideologie begründete er seine Ablehnung von Entwicklungshilfe und sozialer Sicherung: »Wenn wir garantieren, daß jedermann am Leben gehalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen« (ebd.). Somit sterben die 100000 Menschen, die täglich an Hunger und dessen unmittelbaren Folgen zugrundegehen, eines marktwirtschaftlich »vernünftigen« Todes, welcher die Aufrechterhaltung der herrschenden Weltwirtschaftsordnung gewährleistet.

Deutschland in Gefahr

Die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin Sandra Harding berichtet von einer ähnlich argumentierenden, demographisierenden Richtung in der Armutsforschung, bei der es mit Hilfe des Hinweises auf das Bevölkerungswachstum um die Erklärung von Armut in der sogenannte Dritten Welt und in armen Mehr-Kinder-Familien des Nordens geht. Nachdem ein Forscher Armut als eine problematische soziale Situation identifiziert habe, wird sie, was die Schwierigkeit ausmacht, »auf einen Begriff gebracht (›es müssen zu viele Münder gefüttert werden‹). Sodann werden forschungsleitende Konzepte und Hypothesen formuliert (›Überbevölkerung‹, ›Wenn die weibliche Reproduktionsfähigkeit unter Kontrolle gebracht werden kann, gibt es weniger Münder, die gefüttert werden müssen‹). Anschließend wird ein Forschungsdesign entworfen, um die Hypothesen zu überprüfen« (Harding 2000). Harding weist jedoch auf die Tatsache hin, »daß diese Art ›objektiver Forschung‹ nicht dazu in der Lage ist, die sexistischen, rassistischen und auf die Kategorie ›Klasse‹ bezogenen Vorannahmen zu erkennen, die die so verstandenen Probleme, Konzepte und Hypothesen geformt haben«. Armut verursache das Bevölkerungswachstum, nicht umgekehrt. Harding macht deutlich, daß die »Demographisierung« sozialer Probleme nationale wie globale Formen der sozialen Ungleichheit und Armut ideologisiert, indem die wirklichen Hintergründe für Verelendungsprozesse ausgeblendet werden. Denn zugunsten einer ausschließlichen Berücksichtigung der reinen Geburtenrate und Bevölkerungszahl werden die Armutsursachen für hohe Kinderzahlen nicht beachtet.

Unter der Demographisierung der sozialen Frage läßt sich eine Reduktion gesellschaftlicher und politischer Probleme und Konflikte auf demographische Sachverhalte und Generationenfragen verstehen. Dies geschieht zum Beispiel durch die beinahe tagtäglichen Verlautbarungen, daß Deutschland und die Deutschen »schrumpfen und altern« und deshalb jetzt nur noch drastische »Reformen« wie die Privatisierung von Altersvorsorge und Pflegeversicherung sowie die Rente erst ab 74 Jahren helfen würden. So scheint die elfte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes von 2006 zu beweisen, daß es in 44 Jahren nur noch 69 bis 74 Millionen Deutsche gibt und deshalb das Renteneintrittsalter erhöht werden müsse.

Demgemäß beschreibt auch der Sozialpolitikwissenschaftler Franz-Xaver Kaufmann Deutschland angesichts des demographischen Wandels und des Bevölkerungsrückgangs als »schrumpfende Gesellschaft«. Seines Erachtens ist »(n)icht das Altern, sondern der absehbare und sich voraussichtlich beschleunigende Rückgang der Bevölkerung (…) das zentrale demographische Problem«. Kaufmann tritt einem »Verharmlosungsdiskurs« entgegen und bilanziert: »War in der Entstehungsphase des Sozialstaats und bis weit ins 20. Jahrhundert die Eingrenzung des Klassenkonflikts das Hintergrundthema aller sozialpolitischen Auseinandersetzungen, so scheint dies im 21. Jahrhundert die Eingrenzung des Generationenkonflikts zu werden.« Damit einhergehend beobachtet der Bielefelder Soziologe als eine »neue Form sozialer Ungleichheit die immer deutlicher sich profilierende Differenz zwischen Eltern und Kinderlosen« (Kaufmann 2005).

Einer der einflußreichsten Vordenker der Demographisierung sozialer Fragen ist der Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg. Seines Erachtens nach leben die Deutschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts am Abgrund einer demographischen Katastrophe. Das Wesen dieses sogenannten Bevölkerungsproblems wird allenthalben in der Frage einer gerechten (Um-)Verteilung zwischen den Generationen angesehen. So beschreibt der konservative Bevölkerungsforscher die demographische Lage im sozialen Sicherungssystem als abhängig vom zahlenmäßigen Gleichgewicht zwischen zu versorgenden Kindern und älteren Menschen einerseits und den diese Versorgungs-leistung erwirtschaftenden mittleren Altersgruppen andererseits. »Dieses Gleichgewicht von Beiträgen und Begünstigten existiert in Deutschland und in anderen hochentwickelten Ländern nicht mehr. Das soziale Sicherungssystem (Renten, Kranken- und Pflegeversicherung) verliert durch die wachsende Zahl (nicht nur den wachsenden Prozentanteil) der zu versorgenden älteren Menschen in der Altersgruppe der über 60jährigen und durch die gleichzeitig schrumpfende Zahl der 20- bis 60jährigen seine Funktionsfähigkeit. Dabei fällt die Entlastung durch die abnehmende Zahl der Kinder und Jugendlichen weitaus weniger ins Gewicht als die Belastung durch die zunehmende Zahl der Älteren. Das wichtigste Bevölkerungsproblem ist also nicht in erster Linie die ohne Einwanderungen schrumpfende absolute Bevölkerungszahl, sondern der demographisch bedingte gesellschaftliche Verteilungs- bzw. Umverteilungsstreß zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, vor allem zwischen den Generationen« (Birg 2004a: S.9). Demnach läßt sich also das demographische Problem verstehen als »(Um-)Verteilungsstreß« oder Kampf zwischen den Generationen.

Bemerkenswert offen beschreibt Birg die Beweggründe für seine bewußt alarmistische Bevölkerungsforschung. In völkisch-nationalistischer Manier warnt er vor dem Aussterben der Deutschen und dem Untergang ihrer »tausendjährigen Geschichte«. »Der wichtigste Beweggrund ist die Aussicht, daß der demographische Niedergang Deutschlands (und Europas) rückblickend einmal als ein Vorzeichen für den Abschied unseres Landes aus seiner tausendjährigen Geschichte gedeutet werden könnte, ohne daß diese Gefahr den heutigen Zeitgenossen überhaupt bewußt war« (Birg 2003: S. 14). Seine furchterregenden Untergangsszenarien beschreiben die nationale demographische Katastrophe als »schlimmer als der dreißigjährige Krieg«, wobei es heute schon »dreißig Jahre nach zwölf« sei. Die Hauptwirkungen der »demographischen Schrumpfung« bestünden in »sinkende(m) Wohlstand, hohe(r) Arbeitslosigkeit, zunehmende(r) Armut und extreme(r) soziale(r) Ungerechtigkeit« besonders zwischen den Generationen (Birg 2006).

Für Birg tritt zu den schon bekannten Nord-Süd, Ost-West- und Nahost-Konflikten ein neuer Streitplatz: der Demographie-»Krisenherd« (Birg 2004b). Als neuer gesellschaftlicher Hauptwiderspruch und als Kernproblem wird der demographisch bedingte Verteilungsstreß bezeichnet. »Es gilt erstens, den Interessengegensatz zwischen den alten und jungen Generationen bei der Verteilung der steigenden Versorgungslasten durch Reformen so zu regeln, daß die von der Verfassung garantierten Grundlagen des sozialen Rechtsstaates erhalten bleiben« (ebd.). Den zweiten Widerspruch sieht Birg im demographischen Interessenkonflikt zwischen den alten und den neuen Bundesländern, da die Ost-West-Wanderungen (und die Zuwanderungen aus dem Ausland) mittelfristig noch zu einem Bevölkerungswachstum einiger wirtschaftlich prosperierender Regionen im Westen führen würden, was aber auf Kosten der demographischen Substanz der neuen Bundesländer gehe. Zur dritten Konfliktlinie zählt Birg den Antagonismus zwischen der wachsenden Population Zugewanderter und der gleichzeitigen Schrumpfung der autochthonen Bevölkerung, wobei Migranten bei den unter 40jährigen in vielen Großstädten in etwa zehn Jahren die neue Mehrheit bildeten. Als viertes ergebe sich ein Konflikt aus dem Auseinanderdriften der Gesellschaft in Populationen mit und solche ohne Nachkommen bzw. zwischen Eltern und Kinderlosen. Eine weitere, fünfte Konfliktlinie erblickt Birg im Widerspruch zwischen den alternden Industrieländern und einigen ebenfalls alternden, aber wirtschaftlich dynamischeren Entwicklungsländern, darunter China. »Die kapitalgedeckte Versorgung im Alter und bei Krankheit ist auch für diese Länder der einzige Ausweg aus der Versorgungsfalle.«

Damit wird bereits deutlich, daß sich Birgs Gegenmaßnahmen einzig und allein im Interessenhorizont privater Versicherungskonzerne bewegen, wobei er an keiner Stelle erklären kann, warum der börsenvermittelte Generationenvertrag demographieresistenter ist als das gesetzliche Umlageverfahren. Gewiß ist er sich nur, daß sich die »internationale Konkurrenz um die auch in China knappen, renditeträchtigen Kapitalanlagen (…) verschärfen (wird). Demographisch bedingter Verteilungsstreß wird die Welt von morgen in kaum gekannter Weise prägen« (ebd.). Die zentralen Antagonismen sind demnach die offenbar allein dem demographischen Wandel geschuldeten Widersprüche zwischen den Generationen, zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen autochthoner und allochthoner Bevölkerung in Deutschland, zwischen Eltern und Kinderlosen sowie weltweit zwischen stagnierender, erschöpfter sowie kinderarmer erster Welt und dynamischer, kinderreicher »Dritter Welt«. In vielfältigen Erscheinungsformen und mit unterschiedlichen Nuancen treten diese Thesen in den letzten Jahren massenhaft und in beinahe hegemonialer Weise hervor. Sie bestimmen weitgehend die zentralen Diskurse und Alltagsverständnisse über den demographischen Wandel sowie das Generationenverhältnis und die scheinbar zwangsläufigen Schlußfolgerungen für die Sozialpolitik.

Damit einhergehend ist Bevölkerungspolitik in den letzten Jahren auch in Deutschland immer häufiger popularisiert worden. Inzwischen scheinen sich sogar Tendenzen zu einer sogenannten qualitativen Bevölkerungspolitik zu entwickeln, welche im Sinne der Eugenik nur bestimmte gesellschaftliche Gruppen zum Kinderkriegen favorisieren und motivieren will. Immer häufiger ist in Deutschland der Spruch zu hören, daß die falschen Leute Kinder bekämen. In diesem Sinne äußert sich auch der einstige Popliterat Joachim Bessing ganz offen, wenn er in der Welt vom 19.April 2006 unter dem Titel »Klasse statt Masse« mehr deutsche Bürgerkinder fordert. »Gefördert werden muß nicht die Masse an Kindern, sondern das Bewußtsein jener Klasse, deren Nachwuchs wir dringend benötigen. Nicht die ohnehin bereits am staatlichen Tropf hängen, sollen die Kinderlein kommen lassen. (…) Wir brauchen ein reproduktives Bürgertum. (…) Wer es sich nicht leisten können wird, sein Kind auf eine private Schule zu schicken, der macht sich schuldig an dessen winkelig sich gestaltendem Werdegang.« Außer der deutlichen Offenheit sozial-spezifischer Demographisierung ist bemerkenswert, wie selbstbewußt hier ein bürgerliches Klassenbewußtsein eingefordert wird.

Glaubt man den vielen einflußreichen Beiträgen in Medien, Politik und Wissenschaft der letzten Jahre, so könnte man geneigt sein, die menschliche Geschichte geradezu als eine Geschichte von Generationenkämpfen und -kriegen zu verstehen. Dabei besteht die Tendenz, buchstäblich alle gesellschaftlichen Probleme und Konflikte einzig und allein auf den demographischen Wandel und sich daraus zwangsläufig und naturgemäß ergebenden Schlußfolgerungen zu reduzieren. Als in diesem Kontext kaum noch steigerbares Beispiel für Opfermythos, Horrorszenario, Untergangsgesang, Verschwörungstheorie und Furcht vor »totalitärem Rassismus« zukünftiger Generationen sowie der Beschwörung eines »Kriegs der Generationen« erweist sich der Bestseller »Das Methusalem-Komplott« von Frank Schirrmacher. Der vom Spiegel als »spannend wie ein Thriller« und von der Bild-Zeitung als »das alarmierendste Buch des Jahres« beworbene Band wird vom Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung, James Vaupel, als »anregend, scharfsinnig wie provozierend, zugleich aber auch ausgewogen, facettenreich und präzise« beschrieben und vom Bild-Kommentator Franz-Josef Wagner als »das erste Ausbildungsbuch für jeden Menschen, der jung bleiben will«, bezeichnet.

Der FAZ-Mitherausgeber Schirrmacher bedient in seinem pseudoaufklärerischen und biologistischen Pamphlet praktisch alle gängigen Klischees und Stereotype des Demographiediskurses. Während er beispielsweise ältere Menschen als eine Personengruppe bezeichnet, »die ihr biologisches Programm nicht erfüllt haben oder nicht erfüllen konnten« (Schirrmacher 2004: S. 64), und der Meinung ist, daß »das biologische Programm in uns bereits abläuft« (ebd.: S. 78), sieht er schöne junge Menschen als »Botschafter des Fortpflanzungsauftrags« an und betrachtet sie als »besonders intakt« (ebd.: S. 161). Für den Journalisten wird ein angeblicher »Haß auf das Alter und die Angst vor ihm« zu »Urgewalten«, welche »uns beherrschen, wie einst die absolutistischen Tyrannen unsere Ahnen beherrschten« (ebd.: S. 63). Zwar sei die »Front« noch fern, aber die deutsche Gesellschaft befände sich bereits mitten im Krieg zwischen der jungen und der alten Generation. Statt auf rationale Weise zu reflektieren, wie eine akzeptable gesellschaftliche Einstellung zum Alter und zum Altern aussehen könnte, reproduziert Schirrmacher häufig bloß »den Demographiemythos im Stil eines schwülstigen Kulturpessimismus«, wie Christoph Butterwegge (2004: S. 282) feststellt. So orakelt der konservative Weltuntergangsprophet: »Über der Welt jenseits des Jahres 2010 liegt aus heutiger Sicht etwas von mittelalterlicher Todes- und Verfallsatmosphäre, von Ursünde und Strafe« (Schirrmacher 2004: 56). Mit diesen Formen von Apokalyptik und Neonihilismus, welche ihre Wurzeln und Entsprechungen u. a. in der breiten Schopenhauer, Nietzsche- und Spengler-Rezeption seit Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts finden, scheint sich ein im Zeitalter des (Neo-)Imperialismus konstitutiver Irrationalismus durchzusetzen.

Doch im Unterschied zu anderen Propagandisten eines Generationenkrieges beschränkt sich Schirrmacher nicht nur auf den nationalen Konkurrenzkampf der Altersgruppen um materielle Güter und gesellschaftliche Macht- und Herrschaftspositionen. Er biologisiert vielmehr das soziale Problem, so daß seines Erachtens durch die konfrontative Zuspitzung der Interessengegensätze zwischen den Generationen »biologisch konditionierte Affekte« gegenüber alten Menschen ausbrechen würden. Eine weitere Besonderheit Schirrmachers besteht darin, eine Kausalverbindung zwischen dem »Kampf der Generationen« und dem vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Samuel Huntington konstruierten »Kampf der Kulturen« zwischen Orient und Okzident bzw. den westlich-säkularen Demokratien und den islamistischen Diktaturen herzustellen. Huntington geht davon aus, daß Gesellschaften mit einem Jugendlichenanteil von über 20 Prozent grundsätzlich politisch instabil seien und deshalb als islamische Staaten für »den Westen« gefährlich werden könnten. Schirrmacher versucht diese These internationaler Terrorgefährdung der »alten« Industriestaaten des »Abendlandes« durch die »jungen«, bevölkerungsreichen islamischen Entwicklungsländer mit der nationalen Gefährdung alter Menschen durch »altersrassistische« Jugendliche (also dem »Krieg der Generationen«) zu verbinden.

Darüber hinaus stellt Schirrmacher den bevorstehenden Generationenkampf wie einen naturnotwendigen Prozeß dar, der zwangsläufig auch auf Ausrottungs- und Massenmordkonzepte hinauslaufe, wenn die Menschen zu alt werden und den Staat zuviel »kosten« – scheinbar alternativlos. »Wir wissen nun nicht einmal mehr, ob es eine Grenze der Lebenserwartung gibt. (…) Das wiederum wirft ein wirtschaftliches Problem auf. Jemand, der zwanzig Jahre länger lebt als von den Behörden vorhergesagt, ist nicht mehr finanzierbar. Das führt dann schließlich zur Frage der Euthanasie« (Schirrmacher 2004: 129 f.). Die Frage, was das eigentlich für eine kapitalistische Gesellschaft ist, welche rein nach Nutzenkriterium Menschen be- und entwertet bzw. dann auch »entsorgt«, stellt sich für den Journalisten nicht. In der Tradition des konservativen Kulturpessimismus scheint er nur das Problem eines »Untergangs des Abendlandes« zu erblicken.

Nicht gegeneinander aufhetzen

Die politischen Funktionen demographisierender Deutungsmuster bestehen zunächst darin, soziale Fragen und Probleme in demographische und generationenspezifische Konfliktlinien umzudeuten. Solche Formen der Biologisierung politischer und gesellschaftlicher Sachverhalte führen auch zu Veränderungen des demokratischen Aushandlungsprozesses und wirken sich entdemokratisierend auf politische Willensbildungsprozesse aus, da allein biologische Sachzwänge zu befolgen sind, welche keine weiteren Diskussionen erlauben und scheinbar alternativlos erscheinen. Darüber hinaus tendiert die ausschließliche Bezugnahme auf Demographie und Generationengerechtigkeit dazu, soziale Ungleichheitsstrukturen innerhalb von Bevölkerungsentwicklungen und Generationenverhältnissen auszublenden. Im Zusammenhang mit Forderungen nach mehr Demographiefestigkeit und Generationengerechtigkeit läßt sich zudem bemerken, daß unterschiedliche soziale Gruppen gegeneinander aufgehetzt und ausgespielt werden zugunsten mächtiger sozioökonomischer Interessen. Die sich aus der sozialen Polarisierung ergebenden Macht- und Herrschaftsinteressen wirken demnach nicht nur auf Armuts- und Reichtumsdebatten ein, sondern auch und besonders auf die gesellschaftlichen Diskurse über Demographie und Generationengerechtigkeit. Die vorherrschenden demographischen und generationenspezifischen Deutungsweisen können dadurch als Begleitmusik zur Legitimation einer ideologischen Umverteilungsoffensive zum Zwecke des Sozialstaatsumbaus fungieren. Eine wirksame gegenhegemoniale Strategie dazu verlangt zunächst die Kritik und Widerlegung demographisierender Deutungsmuster sowie die Analyse ihrer Entstehungsbedingungen. Zudem ist das Beharren darauf nötig, daß es zu allen biologisierenden Sachzwangkonstruktionen realistische, demokratische und solidarische Alternativen gibt.Literatur

– Birg, Herwig (2003): Die demographische Zeitenwende, 3. Aufl., München

– Birg, Herwig (2004a): »Historische Entwicklung der Weltbevölkerung«, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Bevölkerungsentwicklung 282, S. 9–11

– Birg, Herwig (2004b): »Generationenstreß. Mit und ohne Nachkommen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 2.4.

– Birg, Herwig (2006): »Unser Verschwinden würde gar nicht auffallen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.6.

–- Butterwegge, Christoph (2004): »Sozialreform, demografischer Wandel und Generationengerechtigkeit«, in: Neue Sammlung 3, S.259–282

– Harding, Sandra (2000): »Die notwendige Erweiterung des Spektrums«, in: Frankfurter Rundschau v. 10.10.

– Hayek, Friedrich August von (1981): »Ungleichheit ist nötig«. Interview mit Stefan Baron, in: Wirtschaftswoche v. 6.3.

– Kaufmann, Franz-Xaver (2005): Schrumpfende Gesellschaft, Frankfurt am Main

– Schirrmacher, Frank (2004): Das Methusalem-Komplott, MünchenMichael Klundt ist Fachreferent für Kinder- und Jugendpolitik für Die Linke im Deutschen Bundestag

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/07/13/der-generationenquatsch/

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kommentare

  • […] Und wo ist jetzt dein Problem? Nehmen wir deinen Superreichen? Stört der dich so sehr? Führen wir das mal in einem übertriebenen Beispiel fort: Beliebiges sozialistisches System: 100% verdienen das Durchschnittseinkommen von 30000 Euro im Jahr. Beliebiges kapitalistisches System: 99% verdienen das Durchschnittseinkommen von 30000 Euro im Jahr. 1% verdienen 1 Milliarde Euro pro Jahr. Welches System wäre dir lieber? In der Realität sähe es wohl eher so aus: Beliebiges sozialistisches System: 99% verdienen das Durchschnittseinkommen von 10000 Euro im Jahr. 1% verdienen 100 Million Euro im Jahr. Beliebiges kapitalistisches System: 99% verdienen das Durchschnittseinkommen von 30000 Euro im Jahr. 1% verdienen 200 Million Euro pro Jahr. Die Zahlen stimmen natürlich nicht, verdeutlichen aber den Unterschied. Die Schere ist absolut gesehen größer im kapitalistischen System, relativ gesehen viel kleiner, aber alle haben mehr. Die Schere ist relativ gesehen größer im sozialistischen System, absolut gesehen viel kleiner, und alle haben weniger. Was ist dir lieber? Gleichheit in Armut, wie es wohl der heimliche Traum vieler Sozialisten ist? […]

  • MEDIENGENERATIONEN WEITER:

    “Rechtsaufsichtsbeschwerde
    B. Setzer 10.07.2007 – 14:13
    Das widerspruchsverfahren gegen die rechtmässigkeit des verkaufs der
    tu-druckerei läuft noch. engagierte studierende anderer universitäten haben
    bisher ergebnislos versucht einen anwalt vor ort zu bringen. helft bitte
    mit, kontaktiert anwälte, die ihr kennt!
    was machen die tu- studies? kämpft um eure druckerei!”
    quelle: http://de.indymedia.org/2007/07/187453.shtml

    Die Druckerei ist eine gemeinsame Berliner Infrastruktur. Sie wurde von
    Studierender aller Berliner Hochschulen genutzt. Ebenso wie dies bei
    Service-Leistungen anderer Berliner ASten üblich ist.

    “Neuigkeiten
    Dr. h.c. Charlotte 11.07.2007 – 15:29
    Es hat sich endlich ein Richter gefunden, welcher unsere Einstellung teilt:
    Es dürfen keine Fakten geschaffen werden! (Hallo, Verwaltung!)
    Ursprünglich hatte der Richter wohl gesagt, er erlasse eine einstweilige
    Verfügung. Dies tat er aber nicht, da er mit dem derzeit amtierenden
    (RCDS-)AStA-Vorsitzenden Ludewig Rüchsprached hielt, bei welcher Ludewig
    versicherte, bis zum 20. diesen Monats nicht zu unternehmen.
    UND NIEMALS VERGESSEN: SCHEIß UNION!!!”
    quelle: http://de.indymedia.org/2007/07/187493.shtml

    das ganze zu erreichen über: http://de.indymedia.org/bildung/ dann die
    beiden beiträge

    TU Druckerei: Abtransport vorerst verhindert
    .-. 10.07.2007 – 17:17
    Der rechtsgerichtete AStA der Technischen Universität Berlin, welcher laut
    vorläufigem Wahlergebnis keine Mehrheit im Studierendenparlament hat,
    versuchte heute vergebens die studentische Druckerei aus der AStA-Villa
    abzutransportieren. Dies wurde jedoch durch Studierende, die sich spontan
    eingefunden hatten, vorläufig verhindert.
    Akut: Räumung der AStA-Druckerei
    Printer 10.07.2007 – 13:52
    RCDS AStA der TU Berlin versucht nach Wahlniederlage die AStA-Druckerei noch
    schnellt zu verscherbeln! Kommt alle!

    zu dem eintrag auf
    http://de.indymedia.org/2007/07/187493.shtml
    weiter unten unter “nicht inhaltlich ergänzende beiträge” gibt es eine miniaturzusammenfassung eines gesprächs mit dem käufer.
    hier waren bei dem gespräch einige dabei.
    in stichpunkten die zusammenfassung
    – der käufer hatte 2 stunden erhalten, um dem open source portal ein pdf des kaufvertrages zukomemn zu lassen, um öffentlich zu klären bzw. klären zu lassen, inwiefern er a) tatasächlich zustande gekommen ist b) ob es sich um einen gutgläubig zustande gekommenen vertrag handelt nach BGB c) mit wem er vereinbart wurde – also wer unterschrieben hat. [nicht, daß nicht klar wäre, wer unterschrieben hat, aber um das offiziell zu machen.] daß ein geschäftsführer einer AstA nunmal kein “führer” eines “geschäfts” ist um nach genau diesem muster handeln zu dürfen, mjuß an dieser stelle nicht doppelt nachgefügt werden.
    d) wurde dem käufer mitgeteilt, daß ein einlassen auf verscherbelungsanzeigen in der BZ (!!) einen leicht … fragwürdigen eindruck hinterläßt, daß es aber v.a. nicht davor schützt, sich um die details der zu verhandlungen ausstehenden maschinen zu informieren.
    bei herrn jacobi scheint es sich um einen politisch entweder völlig unterbemittelten und desinformierten copyShop-m(mit)besitzer zu handeln oder um einen, der sehr gut versteht, diesen eindruck zu hinterlassen. evtl. haben die personen, die sich als verkäufer ausgegeben haben, es nur zu gut verstanden, die blauäugigkeit des sich vor seiner konkurrenz scheinbar scharf fürchtenden ladeninhabers zu nutzen (bei kleinen hinweisen auf die brisanz des vertrages – der vorgänge – fragte er, ob sein konkurrent hinter der sache stünde. es waren unterdrückte kicherer hiesseiteitig im raum hörbar. HERR JACOBI: GLAUBEN SIE UNS. AUßER IHNEN WÄRE EVTL. KEIN ANDERER SO… (wie sagt man das jetzt diplomatisch…) so….) RISIKOFREUDIG gewesen, WIE SIE.

    16.7.07
    quelle: http://de.indymedia.org/2007/07/187493.shtml

  • Das Denken in Generationen eignet besonders den Deutschnationalen, dazu gehören u.a. auch die Politiker Schäuble und Lafontaine, die darüberhinaus auch noch dies gemeinsam haben, dass sie just in der Wendestunde, als sie noch einmal ganz groß rauskommen wollten – von zwei Irren attackiert wurden, die wahrscheinlich im Gegensatz zu sämtlichen Normalos genau wußten, warum.

    Hier ein taz-artikel vom 14.3.2006 dazu:

    Neben der politischen Klasse, den klasse Managern und der S-Klasse gibt es, im Maße die Arbeiterklasse verschwindet, eine neue “gefährliche Klasse”, die mit dem mählichen Zerfall einer lange Zeit angestrebten “Gesellschaft der Ähnlichen” (R. Castel) aus der Summe aller “Ausgegrenzten” besteht. Zygmunt Baumann nennt sie die “Überflüssigen”, Edward Said sprach von den Migranten als den neuen “Aperoi”. Und dazu zählen auch die “34.000 Schizophrenen, die täglich in Berlin unterwegs sind”, wie die BZ kürzlich aus dem Gerichtssaal vermeldete: um dann konkret über den “Papageien-Mann” zu berichten, der im verregneten Sommer 2005 ein Kettensägenattentat auf eine Frau verübte und sich dann mit einer Axt selbst verstümmelte.

    Am Alexanderplatz traf ich kürzlich auf zwei andere: Adelheid und Dieter. Er war, nachdem er in der Wende einen CDU-Politiker angeschossen hatte, erst 14 Jahre in einer Anstalt sicherheitsverwahrt worden und lebte nun in einer betreuten WG. Sie hatte, nachdem sie mit einem Messer auf einen SPD-Politiker eingestochen hatte, “lebenslängliche Sicherheitsverwahrung” bekommen. Nun war sie aber hier – auf dem Alex Wieso? Egal! Erheben wir nicht alle Anspruch auf eine lebenslängliche Sicherheitsverwahrung – angesichts der Kostenexplosion bei den Sicherheitsleistungen?

    Deswegen fragte ich auch nicht danach, sondern konfrontierte die beiden sogleich mit meiner These, dass sie ihre paranoid-schizophrenen Attentate im April und Oktober 1990 mitten in der “Wende” – vom kurzen euphorischen Selbstbestimmungskampf der Ostdeutschen bis zu ihrem deprimierenden Anschluss an Westdeutschland – verübt hatten: “War das Absicht – oder haben Sie die Wahrheit halluziniert und deswegen auf den dabei federführenden Minister geschossen?”, fragte ich rundheraus. “Weder noch”, antwortete Dieter, “es war zunächst nur ein unterschwelliges Beben, so als würde man plötzlich merken, dass einem nun der Boden unter den Füßen weggezogen wird.” Adelheid ergänzte: “Ich sah in meinem Politiker bloß den Demagogen und Poujadisten.” “Aber es stimmt schon”, fügte Dieter hinzu, “wir sind eine ,Verschwörung der Gleichen’, uns bleibt ja auch gar nichts anderes übrig, und als solche meinten wir uns gegen diese Herrschsüchtigen wehren zu müssen, die uns mit getexteten Reden folterten.”

    “Jetzt nicht mehr?”, fragte ich zurück. “No comment”, erwiderte mir dazu Adelheid, um dann noch einmal auf die zunehmende Unsicherheit zurückzukommen: “Wir hätten sie auch schon Mitte der Achtzigerjahre spüren können, aber tatsächlich merkten wir erst ums Jahr 2000, dass und wie immer mehr scheinbar stabile Beziehungen und Arbeitsverhältnisse transitorisch wurden – um uns herum, denn wir arbeiten ja eigentlich gar nicht, und unser Liebesleben na ja.”

    “Lesen Sie denn ?”, fragte ich die beiden daraufhin etwas töricht. Während Adelheid noch überlegte, antwortete Dieter: “Manchmal gehe ich in die Bibliothek. Aber abonniert bin ich quasi auf Die Kommenden, die Sie wahrscheinlich nicht kennen werden ” “Und ich lese fast regelmäßig die Novalis”, ergänzte Adelheid, “ebenfalls eine sehr kleine, unbekannte Zeitschrift, von Anthroposophen.” Dieter fügte hinzu: “Anfänglich haben wir uns gestritten, ich behauptete, die Novalis sei aus den Kommenden entstanden, und sie behauptete, genau genommen sei es eher umgekehrt gewesen. Aber das ist nicht so wichtig ”

    “Doch, mir schon”, antwortete Adelheid, denn es ist doch so, dass man fast instinktiv nach Halt sucht bei diesen ganzen Territoriums- und Bindungsverlusten und wenigstens seine geistigen Wurzeln stärken will. Außerdem bin ich sowieso wieder etwas streitsüchtiger geworden, seitdem meine Medikamentendosis reduziert wurde, und das bedaure ich auch nicht, im Gegenteil.” “Dafür tu’ ich ihr nun manchmal leid”, sagte Dieter, “sie hält mich für aggressionsgehemmt… Auf Wiedersehen dann”, sagte er noch und enteilte mit Adelheid zur ankommenden Straßenbahn.

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