Man hat sich schon fast daran gewöhnt, dass Hausmeister, zumal deutsche, einen bescheuerten Blockwart-Charakter haben, nun stellt sich heraus, dass es auch miese Massenmörder unter ihnen gibt: z.B. Andrew Kehoes aus Michigan. Der Mondscheinbauer und Hausmeister der Gemeinschaftsschule von Bath, einem kleinen Dorf bei Lansing, sprengte im Mai 1927 erst das Schulgebäude in die Luft und tötete die Überlebenden anschließend mit einer Autobombe. 38 Kinder und 7 Erwachsene starben dabei. Vor seiner Tat hatte er erst einmal seine Frau ermordet.
In seinem Buch über die „Geschichte der Autobombe“ (der Luftwaffe des Kleinen Mannes) kommt Mike Davis auf die Ursachen der „Raserei“ dieses Hausmeisters zu sprechen, die er in Kehoes „fixen Idee“ sieht, „seinen finanziellen Schwierigkeiten (die 1927 in der Zwangsvollstreckung seiner Farm gipfelten) lägen am Bau der neuen Schule in Bath, wegen dem die örtlichen Steuern erhöht worden seien. Nachdem Kehoe als gewählter Kassenwart der Schule erfolglos versucht hatte, den Neubau zu verhindern, brachte er 1926 voller übler Hintergedanken die Schulleitung dazu, ihn zum neuen Hausmeister der Schule zu machen. “ Laut der Historikerin Debra Pawlak („Just Another Summer: The Bath School Disaster“) begann er sogleich, in den Wänden unter dem Fußböden und zwischen den Dachbalken 500 kg Dynamitladungen zu verstecken, die er mit mehreren hundert Metern Kabel verband.
Mike Davis Buch über die Geschichte der Autobombe wurde gerade von der Jungle World kritisiert, wobei ihm vorgeworfen wurde, Antiisraelisch und Antiamerikanisch zu sein. Man kann jedoch auch ganz andere Schlüsse aus seinem Buch ziehen:
1. Die Regierungen und ihre Geheimdienste, Militärs und Polizeieinheiten kann man schon lange nicht mehr von islamischen und sonstwelchen Terroristen bzw. Massenmördern unterscheiden. Beide Seiten arbeiten seit langem mit „Autobomben“. Zu erinnern sei hierbei an Nietzsches Einschätzung des Staates: Er sei „das kälteste aller kalten Ungeheuer“.Dagegen sind die meisten Selbstmordattentäter und Terroristen wahrscheinlich richtig warmherzig.
2. Im Zuge der globalen Zerstreuung und Individualisierung der Massen, das aus den unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedlich große Haufen von Sandkörnern macht, werden wohl bald immer mehr Frustrierte, Gedemütigte, tödlich Erkrankte, bald sowieso Sterbende und sonstwie Lebensmüde sich auf markanten – früher öffentlichen – Plätzen mit selbstgebastelten Bomben in die Luft sprengen – um es den jung, schön und reich Lebenden mal so richtig zu geben.
3. Dieser Hausmeister aus Michigan scheint so etwas wie ein schwarzes Schaf seiner Zunft gewesen zu sein, denn bei vielen Autobombern und ihren Drahtziehern handelt es sich um ausgebildete Ärzte. Und sowieso sprengte Andrew Kehoes sich und die anderen nicht als Hausmeister in die Luft, sondern als vom Untergang bedrohter Kleinbauer. Das Hausmeister-Sein war bereits Teil seiner Tat. Zur selben Zeit – 1927 – bombten auch in Deutschland die Bauern gegen Steuererhöhungen: Sie nannten sich „Landvolkbewegung“. Diese ging von Nordfriesland bzw. Dithmarschen aus:
Diese Bauernkämpfe hatten zum Hintergrund eine massive Agrarkrise – im Zusammenhang der Weltwirtschaftskrise, von der vor allem die dortigen Mittelbauern betroffen waren, insofern sie als Viehmäster (Gräser) eine spekulative Landwirtschaft betrieben, d.h. sie nahmen Kredite auf, um im Frühjahr Mastvieh zu kaufen, dass sie anschließend mit Gewinn wieder zu verkaufen hofften. Weil aber immer mehr Billigimporte aus dem Ausland auf die Preise drückten, mußten viele Bauern Konkurs anmelden, zumal sie auch noch mit jede Menge Steuern belastet wurden. Bis 1932 wurden 800.000 Hektar Land zwangsversteigert und über 30.000 Bauern mußten ihre Höfe aufgeben.
“Keine Steuern aus der Substanz!” das war dann auch die Parole, unter der am 28. Januar 1928 140.000 Bauern in Heide, der Kreisstadt von Dithmarschen, demonstrierten. Ihre Sprecher wurden der Landwirt und Jurist Wilhelm Hamkens aus Tetenbüll im Eiderstedtischen und der Bauer Claus Heim aus St.Annen in Oesterfeld. Die beiden suchten sich ihre intellektuellen Bündnispartner sowohl in rechten als auch in linken Kreisen. Um die Landvolkbewegung voranzubringen, verkaufte der “Bauerngeneral” genannte Claus Heim dann 20 Hektar seines Landes und gründete eine Tageszeitung, außerdem wurden von dem Geld zwei Autos angeschafft. Als Redakteure gewann er den später kommunistischen Bauernorganisator und Spanienkämpfer Bruno von Salomon sowie dessen Bruder Ernst von Salomon, der zu den Rathenau-Mördern gehörte und in antikommunistischen Freikorps gekämpft hatte. Während die Kopfarbeiter fast alle aus der seit dem Kapp-Putsch berüchtigten “Brigade Ehrhardt” kamen, waren die Handarbeiter der Zeitung Kommunisten. Da man ihnen aus Geldmangel keine Überstunden vergüten konnte, durften sie gelegentlich auch eigene marxistisch inspirierte Artikel im “Landvolk” veröffentlichen.
Als Heims “Adjudant” fungierte jedoch bald der antisemitische Haudegen Herbert Volck, der wie folgt für die schleswig-holsteinische Bewegung gewonnen wurde: “Kommen Sie, organisieren Sie uns!” bat ihn ein Bauer in Berlin, “setzen Sie ihre Parole ‘Blut und Boden’ in die Tat um”. Volck gab ihm gegenüber zu bedenken, “ihr müßt euer Blut dazu geben”, nur für bessere “Preise von Schweinen, Korn und Butter kämpfe ich nicht”. Die Ursache für die wachsende Not der Bauern sah er darin, daß “plötzlich auf den jüdischen Vieh- und Getreidenhöfen die Preise herunterspekuliert” wurden. Und als wahre Kämpfer anerkannte er dann nur ganz wenige: “Claus Heim, der Schlesien- und Ruhrkämpfer Polizeihauptmann a.D. Nickels und ich,…keine Organisation, aber selbst bereit, in die Gefängnisse zu gehen, wollen wir dem Volke ein Naturgesetz nachweisen – das Gesetz des Opfers”.
Tatsächlich mußten die Aktivisten später alle unterschiedlich lange im Gefängnis sitzen. Die Landvolkbewegung radikalisierte sich schnell, zugleich spaltete sich ein eher legalistischer Flügel um Wilhelm Hamkens ab – und die schleswig-holsteinische NSDAP ging ebenfalls auf Distanz zur Landvolkbewegung. Es kam zu Bombenattentaten, Landrats- und Finanzämter wurden in die Luft gesprengt, und Polizei und Beamte daran gehindert, Vieh zu pfänden. Ein Landvolk-Lied ging so: “Herr Landrat, keine Bange, Sie leben nicht mehr lange…/Heute nacht um Zwei, da besuchen wir Sie,/ Mit dem Wecker, dem Sprengstoff und der Taschenbatterie!” Bei den Bombenattentaten wurde jedoch nie jemand verletzt. Einmal sprachen die Bauern sogar ein Stadtboykott – gegen Neumünster – aus, nachdem auf einer Bauerndemo ihr Fahnenträger, der Diplomlandwirt Walther Muthmann, schwer verletzt worden war. Er mußte dann nach Schweden emigrieren, später kehrte er jedoch wieder nach Deutschland zurück, wo man ihn für einige Wochen inhaftierte.
In Neumünster war 1928/29 der ehemalige Gutshofhilfsinspektor Hans Fallada Annoncenaquisiteur einer kleinen Regionalzeitung. Als ihr Gerichtsreporter saß er dann auch im Landvolk-Prozeß. Sein 1931 erschienener Roman “Bauern, Bonzen und Bomben” ist allerdings mehr ein Buch über das Elend des Lokaljournalismus als über die Not der Bauern. Von dieser handelte dann sein Roman aus dem Jahr 1938 “Wolf unter Wölfen”, in dem es um drei ehemalige Offiziere des Ersten Weltkriegs geht, die auf einem Gutshof bei Küstrin untergekommen sind. Auch Fallada arbeitete lange Zeit als Gutshilfsinspektor. Mit den Landvolkaktivisten teilte er dagegen mehrfache Knasterfahrungen. Während der “Bauerngeneral” Claus Heim bei seinem Prozeß und auch danach jede Aussage verweigerte, begannen seine Mitangeklagten schon in U-Haft mit ihren Aufzeichnungen.
Herbert Volck nennt seine abenteuerlichen Erinnerungen “Landvolk und Bomben”, Ernst von Salomons Erfahrungsbericht heißt “Die Stadt”. Erwähnt seien ferner die Aufsätze der Kampfjournalisten Friedrich Wilhelm Heinz und Bodo Uhse. Heinz arbeitete später im Range eines Majors mit antisowjetischen Partisanen in der Ukraine zusammen und machte dann eine kurze Karriere in Adenauers “Amt Blank”. Uhse brachte es zu einem anerkannten Schriftsteller in der DDR und war dort kurzzeitig Präsident der Akademie der Künste; seine frühere Frau Beate Uhse machte derweil in Schleswig-Holstein Karriere – mit einem Sexartikel-Versandhaus. Nach dem Krieg kamen vor allem Richard Scheringer und Ernst von Salomon noch einmal auf die Landvolkbewegung zu sprechen – Salomon in seinem berühmten Buch “Der Fragebogen” und der bayrische Bauer und DKP-Funktionär Scheringer mit seiner Biographie “Das große Los – unter Soldaten, Bauern und Rebellen”.
Noch später – nämlich nach der Wiedervereinigung – fühlte die FAZ sich im Sommer an Hans Falladas Neumünsterroman erinnert und übertitelte einen langen Kampfartikel gegen das unerwünschte Fortbestehen vieler LPGen in den fünf neuen Ländern mit: “Bauern, Bonzen und Betrüger”, ihm folgte der noch schärfere Spiegel-Aufmacher “Belogen und betrogen”. Vorausgegangen waren diesen West-Schmähschriften eine Reihe von Ost-Straßenblockaden und Demonstrationen – u.a. auf dem Alexanderplatz – von LPG-Bauern, die gegen den Boykott ihrer Waren – durch westdeutsche Lebensmittelkonzerne und von Westlern privatisierte Schlachthöfe sowie Molkereien – protestierten. Für die FAZ waren sie bloß gepresstes Fußvolk der “Roten Bonzen”, die sich noch immer an der Spitze der LPGen hielten, inzwischen jedoch Geschäftsführer von GmbHs, Genossenschaften oder sogar Aktiengesellschaften geworden waren.
Diese Protestbewegung kanalisierte sich relativ schnell in Gremien- und Verbandspolitiken, wobei es meist nur noch juristisch darum ging, ob das Vermögen bei den LPG-Umwandlungen zu Ungunsten der Beschäftigten allzu niedrig angesetzt worden war, wie die FAZ und andere Anti-LPG-Kämpfer behaupteten, oder zu hoch, wie die LPG-Vorsitzenden und ihre Verbandssprecher nachzuweisen versuchten. Unter den mit der Anti-LPG-Politik der Wessis unzufriedenen Betroffenen gab es auch etliche LPG-Bauern – z.B. Emil Kort aus Kampehl, die zuvor schon einmal – bei der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR – Widerstand geleistet hatten. Damals noch als Einzelbauern. Emil Kort mußte wegen Sabotage und Boykotthetze sogar ins Gefängnis – und anschließend in den Untertagebau der Wismut. Nun fühlte er sich erneut – diesmal von Westlern – “angeschissen”. Er bleibt jedoch optimistisch – und meint, der Bauer ist als Unternehmer und Arbeiter zugleich Individualist, wenn auch meistens ganz unintellektuell, was eine Stärke und Schwäche zugleich sei, aber das mache ihn kämpferischer und ausdauernder als ein Arbeiter, dessen Identifikation mit “seinem” Betrieb eigentlich nur ein frommer Selbstbetrug sei.
An die Bauernunruhen, die mit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR einsetzten, erinnert das frühe Stück “Die Bauern” von Heiner Müller, das dem Autor jedoch zunächst bloß ein mehrjähriges Schreibverbot einbrachte und über eine einmalige Aufführung in der DDR nicht hinauskam. Es gibt darin nebenbei bemerkt ebenfalls schon einen ganzen Treckerwortschatz, denn: “Das Dorf wird motorisiert…Traktoren kriegen wir und der Bürgermeister wird verhaftet – wenn das kein Feiertag ist”.
An M.Mayer und J.Oetting,
danke für eure ebenso kundigen wie prompten Korrekturen – die hier dank Internet eigentlich bereits zu einer unmittelbaren Verbesserung des Textes führten.
Mit freundlichen Grüssen
H.H.