vonHelmut Höge 16.08.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Der Urban Tale ist schier weltumspannend. Einen Eindruck vermitteln die Bücher von Rolf W. Brednich: „Die Spinne in der Yuccapalme“ und „Die Maus im Jumbojet“, in denen der Forscher mit Hilfe einer Schar von Informanten aus aller Welt den Weg verschiedener Urban Tales verfolgte. Im Gegensatz zum „obszönen Witz“, die überall auf der Welt quasi neu erfunden werden müssen (aus fast anthropologischen Gründen), brauchen die Urban Tales nur einmal erfunden zu werden – und rasen dann um die Welt, wobei sie sich überall als authentisch und lokal gerieren: als wahre Geschichten. Dadurch werden diese Tales gleichsam geerdet – und gleichzeitig in Sammelbänden zu internationalen Bestsellern. Die Urban Tales haben keinen Autor, nur einen Herausgeber, der dazu möglichst viele Korrespondenten braucht.

Hier zwei Beispiele für seine Funktionsweise, das erste könnte man „Bärendienst“ nennen:

1998 band man dem Biologen Cord Riechelmann in Bulgarien eine lustige Bärengeschichte auf: Als der KP- und Staatschef Todor Schiwkow einmal auf Bärenjagd gehen wollte, requirierten seine Jäger kurzerhand von einem Zigeuner einen Tanzbären. Dieser Bär wurde Schiwkow dann vor die Flinte getrieben. Dabei entriss er jedoch einem der Treiber ein Fahrrad, schwang sich rauf und radelte davon. 2001 hatte sich diese Geschichte derart ausgebreitet, dass sie – in Lettland – schon auf reiche Jäger aus dem Westen umgemünzt wurde, denen auf einmal Gleiches widerfahren sein sollte. Wladimir Kaminer erfuhr dort etwa vom Leiter des Goethe-Instituts in Tallinn, ein estnischer Förster habe neulich für zwei bayrische Jäger einen Zirkusbären in St.Petersburg gekauft, der sich dann mit dem im Wald liegengelassenen Fahrrad einer Blaubeerensammlerin auf und davon machte, ehe die Bayern ihn erlegen konnten.

Wladimir Kaminer machte daraus sogleich einen Lesebühnentext, der bei dem Berliner Bärenpublikum sehr gut ankam. 2006 griff der Wahlberliner Ingo Schulze diese Geschichte noch einmal auf. In seiner Bärengeschichte kommen der Leiter des Tallinner Goethe-Instituts und seine Frau, „eine bildschöne Argentinierin“, auch vor, daneben aber noch ein Jäger mit Namen Arne, der den Bär persönlich aus St. Petersburg abholte und ihn sogleich dem Autor, Ingo Schulze, und seiner Freundin Tanja vorführte, bevor er ihn zum Einsatz in den Wald brachte, wo der Bär sich dann wie gehabt ein Fahrrad klaute und damit aus dem Staub machte.

Wladimir Kaminer konterte 2007 mit einer neuen Bärengeschichte – frisch von der Internationalen Tourismus Börse, wo sich einige Tourismusmanager aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken mit einem deutschen Jagdreiseveranstalter trafen: „Wir haben die Zählung der Braunbären abgeschlossen, 1.500 leben allein in unserem Gebiet“, berichtete ein Beamter aus Tomsk „Davon brauchen wir höchstens ein Drittel, 1.000 Bären können also jederzeit abgeschossen werden. Wir haben Personal, fähige Leute vor Ort, die den Bären innerhalb von 24 Stunden ausstopfen, so dass der Tourist seinen Bären gleich mitnehmen kann“. „Sehr gut!“, sagte der Reiseunternehmer und notierte sich das.

Ein Delegierter aus Kasachstan meinte: „Wir haben eine große Muflon-Population – wilde Bergziegen. Unsere Leute vor Ort können die Tiere ausstopfen, bevor der Tourist wieder geladen hat.“ „Das ist alles schön und gut“, unterbrach ihn sein kirgisischer Kollege, „aber nichts ist spannender als eine Pegasen-Safari.“ Es handelt sich dabei um sehr große, aber auch sehr scheue Murmeltiere. Schon mehrmals waren deutsche Jagdreisegruppen unverrichteter Dinge – betrogen quasi – aus Kirgistan heimgekehrt: Das wusste der Reiseveranstalter, er hakte deswegen nach, ob es bereits ausgestopfte Pegasen gäbe. Das musste der Kirgise verneinen. „Na, sehen Sie?“, sagte der Reiseveranstalter fast triumphierend und beendete das Gespräch mit dem Satz: „Zum Anfang schnüre ich ein Standardpaket aus einer Ziege und einem Bären“.

Die Bärengeschichten dringen nicht nur aus dem Osten, dem Einflussgebiet des russischen Bären, zu uns, sie kommen auch von Süden: Seit der allseits kritisierten Exekution des italienischen Braunbären Bruno durch bayrische Jäger, Grenzschützer und GSG-9-Beamte kann man hierzulande von einer Bärengeschichtenschwemme sprechen. Die einen wollen Schutzparks für sie haben, die anderen fordern Bären-Management-Pläne (in Analogie zum Brandenburger „Wolf-Management“), wieder andere wollen erst einmal das Leben und Treiben der Braunbären in seinen letzten eurasischen Verbreitungsgebieten erforschen lassen. Sie warnen vor vorschneller Wiedereinbürgerung des Raubtiers. Gleichzeitig werden sofortige Schutzmaßnahmen für die angeblich vom Klimawandel bedrohten arktischen Eisbären gefordert – und in Berlin gibt es Knut, den „Weltstar aus Deutschland“ (Vanity Fair).

Der Berliner Bärenwahn geht inzwischen so weit, dass die lebenden Braunbären in ihren Zwingern im Köllnischen Park und am Tierpark Personenschutz bekommen – um zu verhindern, dass sie von militanten Tierschützern befreit werden. Die taz erhielt bereits mehrfach diesbezügliche „Aktions-Bekennerschreiben“. Und der Polizeipräsident warnte die potenziellen Täter öffentlich: „Mit Bären ist nicht zu spaßen!“ Das sei was anderes, als weiße Mäuse aus den Labors der FU zu befreien.

Das  zweite Beispiel ließe sich ebenfalls „Bärendienst“ betiteln:

Die Geschichte spielte im Jahr 1991: Uschi, eine flüchtige Bekannte, die in der Bleibtreustraße wohnt, besaß damals einen alten kastrierten Kater, der – kurz nachdem sie sich einen Anrufbeantworter von Panasonic gekauft hatte – verstarb. Sie wollte ihn nicht in die Mülltonne  werfen, sondern anständig im Grunewald vergraben. Dazu packte sie die Leiche in den Panasonic-Karton, den sie sorgfältig verschnürte. Auf dem Weg zum Bahnhof Zoo kam sie in der Kantstraße am Aldi-Supermarkt vorbei. Vor der Eingangstür hatte sich, obwohl es noch sehr früh war, bereits eine lange Schlange gebildet. Ein junger Mann zupfte Uschi am Ärmel. Als Pole dürfe er nur drei Packungen Kaffee kaufen, erklärte er ihr und zeigte dabei auf ein handgeschriebenes Plakat am Schaufenster, er benötige aber zehn. Er würde ihr gerne 100 DM geben und vor der Tür auf sie warten. Uschi willigte ein.

Als sie in den Laden gelassen  wurde, drückte sie dem Polen ihren Karton in die Hand.  Der Mann gefiel ihr, umso erstaunter war sie, als sie mit den zehn Packungen Kaffee wieder rauskam, dass der Mann sich in der Zwischenzeit verdrückt hatte – mit  ihrem Panasonic-Karton und dem toten  Kater drin.  Als sie die Geschichte später reihum ihren Freunden erzählte, besaß sie immer noch 9 Pfund Kaffee aus dem „Deal“. In den Gesprächen über diesen Vorfall kam sie immer wieder auch auf das Problem der „polnischen Wirtschaft“ zu sprechen: Eigentlich dürfe man darüber ja, über Polen generell, gar keine Witze machen, in dieser ausländerfeindlichen Arier-Atmo zur Zeit, meinte sie, aber gerade darum müsse man es tun. Das mit ihrem Kater sei eine echte Sauerei: „Da gibt es nix!“

Ich erfuhr diese Geschichte erst einige Jahre später, von ihrem Freund Hans-Dieter Heilmann. Nachdem ich sie etliche Male mündlich weitererzählt hatte, machte ich daraus einen kleinen Text, den ich für 160 D-Mark an die Frankfurter Rundschau  verkaufte. Das war bereits zu der Zeit, als Harald Schmidt auf seiner Sat1-Sendung laufend gemeine Polenwitze zum Besten gab. Wenig später erwarb sein Sender aber schon eine Lizenz in Polen und ab da gab es „Haralda Schmidta“ auch im polnischen Fernsehen. Er war dort schnell sehr beliebt – seine Polenwitze wurden daraufhin jedoch eher selten.

Auch Uschis Katergeschichte, die in Form meines FR-Artikels in seine Witzakte gelangt war, verwendete er nicht mehr. Um die Zeit der Euro-Einführung besuchte ich einmal eine Lesung von  Thomas Kapielski im Brecht-Zentrum. Zu  meinem großen Erstaunen trug der Künstler dort meine bzw. Heilmanns bzw. Uschis Geschichte mit dem Polen und dem  Panasonic-Karton, in dem sich ihr toter Kater befand, vor. Ein Jahr später hörte ich die Geschichte erneut – aus dem Mund von Detlef Schörling auf einer der Berliner Lesebühnen. Und noch ein Jahr später verbriet sie eine mir namentlich unbekannte junge Frau auf einem „Comedy-Abend“ in Kassel, der im dortigen Offenen Kanal live übertragen wurde, im Studio moderiert von meinem Freund Martin Reuter. Zuletzt stieß ich auf Uschis Geschichte in einer holländischen Essaysammlung von Jan Overkerk – unter der Überschrift  „Leipzig.Leipzig“. Jedesmal hatten die Erzähler sie anders und üppiger ausgeschmückt. Das fing schon bei Uschi selbst an, wobei sie jedoch noch der Meinung gewesen war, dass sie sich jedesmal an weitere Details erinnert hatte (heute kann sie sie übrigens nicht mehr hören).

Ich habe dann mal nachgerechnet: Das Panasonic-Faxgerät kostete Uschi 300 DM, sie erwarb es in der Kantstraße bei einem der polnischen Elektronikhändler, die dort noch immer ihre Läden haben, wobei ihre Umsätze jedoch zügig zurückgehen. Ende der Neunzigerjahre machten sie bis zu 100.000 DM Umsatz täglich. Wenn man die 100 DM für den Kaffee abzieht, dann kostete Uschi die Geschichte 200 DM – etwa 100 Euro. All die, die sie weiter erzählten, so weit ich das mitbekommen habe und insoweit sie dafür ein Honorar einstrichen, machten damit zusammengenommen  rund 1000 Euro. Das ist doch nicht nichts! Die Urban Tale Produktion ist also eine lukrative Angelegenheit, das wollte ich damit sagen.

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