Offener Brief an die Generalbundesanwaltschaft gegen die Kriminalisierung
von kritischer Wissenschaft und politischem Engagement
Am 31. Juli 2007 wurden die Wohnungen und teilweise auch die Arbeitsplätze von Dr.
Andrej Holm und Dr. Matthias B. sowie von zwei weiteren Personen durchsucht. Dr.
Andrej Holm wurde festgenommen, mit einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof
nach Karlsruhe geflogen und dort dem Haftrichter vorgeführt. Seitdem befindet er sich
in Untersuchungshaft in Berlin. Der Vorwurf lautet bei allen, „Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB“. Sie sollen Mitglieder einer „militante
gruppe“ (mg) sein. Wie im Rahmen der Hausdurchsuchungen bekannt wurde, läuft das
Ermittlungsverfahren unter diesem Vorwurf gegen die vier bereits seit September 2006
und sie wurden seitdem rund um die Uhr observiert.
Wenige Stunden vor den Hausdurchsuchungen wurden in Brandenburg Florian L.,
Oliver R. und Axel H. festgenommen. Ihnen wird versuchte Brandstiftung auf vier
Fahrzeuge der Bundeswehr vorgeworfen. Andrej Holm soll einen der drei im ersten
Halbjahr 2007 zweimal unter angeblich konspirativen Umständen getroffen haben.
Die Bundesanwaltschaft geht deshalb davon aus, dass sowohl die vier oben Genannten
als auch die drei in Brandenburg Festgenommenen Mitglieder einer „militanten gruppe“
seien und ermittelt gegen alle sieben wegen des Verdachts der „Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung“ (§129a StGB).
Der Vorwurf gegen die vier Erstgenannten wird laut Haftbefehl gegen Andrej Holm
derzeit so begründet:
Dr. Matthias B. habe in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen „Phrasen und
Schlagwörter“ verwendet habe, die auch die „mg“ verwende;
Dr. Matthias B. sei als promovierter Politologe intellektuell in der Lage, „die
anspruchsvollen Texte der ‚militanten gruppe'“ zu verfassen. Darüber hinaus stünden
ihm „als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts Bibliotheken zur Verfügung, die er
unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der ‚militanten gruppe‘
erforderlichen Recherchen durchzuführen“;
Ein weiterer Beschuldigter habe sich mit Verdächtigen konspirativ getroffen:
„So wurden regelmäßig Treffen vereinbart, ohne jedoch über Ort, Zeit und Inhalt der
Zusammenkünfte zu sprechen“; er sei zudem in der „linksextremistischen Szene“ aktiv
gewesen.
Bei einem dritten Beschuldigten sei eine Adressenliste gefunden worden, auf der
auch die Namen und Anschriften der anderen drei standen;
Dr. Andrej Holm, der als Stadtsoziologe arbeitet, habe enge Kontakte zu allen
drei in Freiheit befindlichen Beschuldigten,
Dr. Andrej Holm sei „in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten
Widerstand gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv“ gewesen.
Als konspiratives Verhalten wird u.a. gewertet, dass er angeblich absichtlich sein
Mobiltelefon nicht zu einem Treffen mitnahm.
Andrej Holm sowie Florian L., Oliver R. und Axel H. sind seit dem 01.08.2007 unter
sehr rigiden Bedingungen in Berlin-Moabit inhaftiert: Sie sind 23 Stunden am Tag in
einer Einzelzelle und haben eine Stunde Hofgang. Sie können alle 14 Tage für
insgesamt eine halbe Stunde besucht werden, Kontakte sind nur mit Trennscheibe
erlaubt. Auch die Anwälte können mit ihren Mandanten nur mit Trennscheibe sprechen,
die Verteidigerpost wird kontrolliert.
Aus den Vorwürfen in den Haftbefehlen wird ein Konstrukt deutlich, dass auf
abenteuerlichen Analogieschlüssen basiert. Es ist von vier grundlegenden Hypothesen
getragen, die alle von der Bundesanwaltschaft (BAW) [Attorney of the Federal
Supreme Court] nicht genauer belegt werden können, aber durch ihre
Zusammenstellung den Eindruck einer „terroristischen Vereinigung“ hinterlassen sollen.
Die Sozialwissenschaftler seien wegen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, ihrer
intellektuellen Fähigkeiten und dem Zugang zu Bibliotheken die geistigen Köpfe der
angeblichen „Terror-Organisation“. Denn eine Vereinigung „militante gruppe“ soll laut
BAW dieselben Begriffe verwenden wie die beschuldigten Sozialwissenschaftler. Als
Beleg dafür gilt ihr der Begriff „Gentrification“, einer der Forschungsschwerpunkte von
Andrej Holm und Matthias B. in den vergangenen Jahren, zu dem sie auch international
publiziert haben. Ihre Forschungsergebnisse haben sie dabei nicht im ivory tower
gelassen, sondern ihre Expertise auch Bürgerinitiativen und Mieterorganisationen zur
Verfügung gestellt so wird eine intellektuelle Urheberschaft konstruiert.
Da Andrej Holm Freunde, Bekannte und Kollegen hat, geraten diese nun ebenfalls in
Verdacht, „Terroristen“ zu sein, denn sie kennen Andrej Holm. Einem anderen
Beschuldigten wird vorgeworfen, dass in seinem Adressbuch die Namen von Andrej
Holm und zwei weiteren Beschuldigten stehen (sie sind nicht in Haft, gelten nun aber
ebenfalls als „Terroristen“) so wird eine Kontaktschuld eingeführt.
Einigen Beschuldigten wird vorgeworfen, sich „konspirativ“ verhalten zu haben: Sie
hätten Gespräche geführt, ohne ihr mobile phone dabei zu haben; sie hätten sich am
Telefon verabredet, ohne Uhrzeit und Treffpunkt zu nennen. Kriminalisiert wird also
der Versuch, seine Privatsphäre zu schützen so wird als weiterer „Beweis“ für die
Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ ein konspiratives Verhalten
unterstellt.
Der 1976 in Deutschland eingeführte § 129a macht es möglich, unsere Kollegen als
„Terroristen“ zu kriminalisieren so wird eine „terroristische Gruppe“ nach § 129a
behauptet.
Mit diesen Konstrukten wird jede wissenschaftliche Tätigkeit und politische Arbeit als
potentiell kriminell dargestellt insbesondere wenn es sich um politisch engagierte
Kollegen handelt, die auch in gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingreifen.
damit wird kritische Forschung, und gerade die, die mit politischem Engagement
verbunden ist, zur ideologischen Rädelsführerschaft und „Terrorismus“.
Wir fordern die Bundesanwaltschaft auf, umgehend das § 129a-Verfahren gegen alle
Beteiligten einzustellen und Andrej Holm sowie die anderen Inhaftierten sofort aus der
Haft zu entlassen. Wir verwahren uns aufs Schärfste gegen den unglaublichen Vorwurf,
die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement von Andrej Holm sei als
intellektuelle Mittäterschaft in einer angeblichen „terroristischen Vereinigung“ zu
bewerten. Aus der wissenschaftlichen und politischen Arbeit von Andrej Holm lässt
sich kein Haftbefehl herleiten vielmehr wird hier von der Bundesanwaltschaft mit
dem § 129a die Freiheit von Forschung und Lehre ebenso bedroht wie
gesellschaftspolitisches Engagement.
15. August 2007
Mediennachfragen an die Solidaritätsgruppe in Berlin: einstellung@so36.net
Rechtsvertretung und Pressekontakt in Deutschland: Wolfgang Kaleck
Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens
c/o
Haus der Demokratie und Menschenrechte e.V.
Greifswalder Straße 4
D-10405 Berlin
Deutschland
einstellung@so36.net
Presseerklärung, 15. August 2007
Offener Brief an die Generalbundesanwaltschaft
Internationaler Wissenschaftler-Kreis sieht in Deutschland die Freiheit der
Wissenschaft in Gefahr und fordert die „sofortige Einstellung des 129a-
Verfahrens“, und die „umgehende Freilassung der Inhaftierten“.
Deutschland in der Kritik
Nach zahlreichen Protesten in Deutschland fordern jetzt namhafte
Wissenschaftler aus dem Ausland die sofortige Einstellung des 129a-
Verfahrens, das derzeit die Bundesanwaltschaft (BAW) führt. Unter Anführung
der intellektuellen Fähigkeiten und des Zugangs zu wissenschaftlichen
Bibliotheken werden in diesem Verfahren mehrere deutsche Wissenschaftler
verdächtigt, einer „terroristischen Vereinigung“ anzugehören, der „militanten
gruppe“. Insgesamt sind sieben Personen betroffen, von denen sich vier in Haft
befinden, darunter auch der Soziologe Dr. Andrej Holm.
Internationale Empörung
Das Vorgehen der BAW hat mittlerweile zu einer Welle der Entrüstung geführt.
Auf der Jahrestagung der American Sociology Association (Vereinigung der
US-amerikanischen Soziologen, vgl. http://www.asanet.org/), wo seit Samstag
rund 4.000 Sozialwissenschaftler in New York tagen, wird der Fall in mehreren
Veranstaltungen diskutiert, kursieren Petitionen, insbesondere Stadtsoziologen
zeigen sich sehr besorgt über die deutsche Entwicklung. In einer an die
Bundesanwaltschaft gerichteten Resolution heißt es unter anderem:
»Wir fordern die Bundesanwaltschaft auf, umgehend das § 129a-Verfahren
gegen alle Beteiligten einzustellen und Andrej Holm sowie die anderen
Inhaftierten sofort aus der Haft zu entlassen. Wir verwahren uns aufs Schärfste
gegen den unerhörten Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische
Engagement von Andrej Holm sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer
angeblichen „terroristischen Vereinigung“ zu bewerten. Aus der
wissenschaftlichen und politischen Arbeit von Andrej Holm lässt sich kein
Haftbefehl herleiten vielmehr wird hier von der Bundesanwaltschaft mit dem §
129a die Freiheit von Forschung und Lehre ebenso bedroht wie
gesellschaftspolitisches Engagement.«
Zu den Begründungen, die für die Konstruktion der Bundesanwaltschaft (BAW
herangezogen werden, gehört die, dass sich unter den sieben drei
Sozialwissenschaftler befänden, die intellektuell in der Lage seien, „die
anspruchsvollen Texte der ‚militanten gruppe‘ zu verfassen.“ Dem promovierten
Politologen Dr. Matthias B. stünden „als Mitarbeiter eines Forschungsinstitut
Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung de
Texte der ‚militanten gruppe‘ erforderlichen Recherchen durchzuführen“. Dem mit dre
anderen Gefangenen inhaftierten Soziologen Dr. Andrej Holm wird vorgeworfen, er se
„in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten Widerstand gegen den
Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv“ gewesen und habe sich mit einem
der Inhaftierten „konspirativ“ getroffen. Einer der Beschuldigten gilt der BAW deshalb
als „Terrorist“, weil bei ihm eine Adressenliste gefunden wurde, auf der unter anderem
der Name von Dr. Andrej Holm auftaucht.
Sie finden im Anhang die Erklärung (in deutscher und englischer Sprache), die
von namhaften Sozialwissenschaftlern an die Generalbundesanwaltschaft al
offener Brief versandt wurde.
Zu den Erstunterzeichnern gehören:
Prof. Dr. Manuel Aalbers (Universiteit van Amsterdam), Prof. Dr. Elmar Altvater
(Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Rowland Atkinson (University of Tasmania,
Australien), Prof. Dr. Lawrence D. Berg (Canada Research Chair in Human Rights,
Diversity & Identity, University of British Columbia), Prof. Dr. Neil Brenner (New York
University, Sociology), Prof. Dr. Craig Calhoun (President, Social Science Research
Council, and University Professor, Sociology, NYU), Prof. Dr. Mike Davis (Prof. of
Urban History, Irvine/USA), Prof. Dr. Michael Dear (Professor of Geography at the
University of Southern California/Los Angeles), Prof. Dr. Frank Deppe (Universität
Bremen), Prof. Dr. Michael Edwards (The Bartlett Centre for Architecture and
Planning, UCL, London), Prof. Dr. Geoff Ely (University of Michigan, Karl Pohrt
Distinguished University Professor), Prof. Dr. John Friedmann (University of
California, Los Angeles), Prof. Dr. Herbert Gans (Columbia University, New York),
Prof. Dr. Alan Harding (University of Salford, UK), Prof. Dr. Michael Harloe
(University of Salford, Vice-President), Prof. Dr. David Harvey (Distinguished
Professor of Anthropology, Graduate Center of the City University of New York, New
York), Prof. Dr. Joachim Hirsch (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/M.),
Prof. Dr. Andreas Huyssen (Villard Professor of German and Comparative Literature
at Columbia University), Prof. Dr. Martin Jay (Sidney Hellman Ehrman Professor of
History, University of California Berkeley), Prof. Dr. Bob Jessop (Lancaster
Universtiy), Prof. Dr. Roger Keil (York University, Toronto, Canada), Prof. Dr. Rianne
Mahon (Carleton University, Ottawa, Canada), Prof. Dr. Peter Marcuse (Columbia
University, New York), Prof. Dr. Margit Mayer (Freie Universität Berlin), Prof. Dr.
Philipp Oswalt (Universität Kassel), Prof. Dr. Frances Fox Piven (President of the
American Sociological Association, Distinguished Professor of Political Science and
Sociology, City University New York), Prof. Dr. Andrew Ross (New York University,
New York), Prof. Dr. Roland Roth (Hochschule Magdeburg/Stendal), Prof. Dr. Dieter
Rucht (Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin) Prof. Dr. Saskia Sassen
(Columbia University, New York, and London School of Economics) Prof. Dr. Andrew
Sayer (Lancaster University, Sociology), Prof. Dr. Richard Sennett (Professor of
Sociology at the London School of Economics, Bemis Professor of Social Sciences at
MIT, Professor of the Humanities at New York University), Prof. Dr. William Sewell
(The Frank P. Hixon Distinguished Service Professor of Political Science and History
Emeritus, University of Chicago), Prof. Dr. Neil Smith (Distinguished Professor of
Anthropology and Geography, Director of the Center for Place Culture and Politics,
Graduate Center of the City University of New York), Prof. Dr. Michael Storper
(Centennial Professor of Economic Geography, London School of Economics, and
Professor of Economic Sociology, Science Po, Paris), Prof. Dr. Erik Swyngedouw
(University of Manchester, UK), , Prof. Dr. Peter J. Taylor (Loughborough University,
UK), Prof. Dr. John Urry (Lancaster University, Sociology), Prof. Dr. Jennifer Wolch
(Professor of Geography at the University of Southern California/Los Angeles).
Für weitere Informationen stehen Ihnen in New York Prof. Dr. Neil Brenner
(Tel.: USA-212-998 8349), in Berlin Prof. Dr. Margit Mayer (Tel.: 030-8385
2875) und der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck (Tel.: 030-4467 9218) zur
Verfügung.
Damit man sich selber einen Eindruck verschaffen kann, wie die Staatsorgane kritische Texte lesen, wurden einige Bücher von Andrej Holm auf die Schnelle wieder neu aufgelegt:
Holm, Andrej 2006: Die Restrukturierung des Raumes. Machtverhältnisse in der Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin. Bielefeld: transcript-Verlag
Häußermann, Hartmut; Holm, Andrej; Zunzer, Daniela 2002: Stadterneuerung in der Berliner Republik. Modernisierung in Berlin-Prenzlauer Berg; aus der Reihe: Stadt, Raum und Gesellschaft, Bd. 16; Opladen: Leske + Budrich
[…] B. is not accused of writing texts that are usefull for radical groups (he hasn’t) but of having the intellectual capability to do it for example by having access to libraries with texts that might be usefull. This has led to considerable debate in German newspapers and among the academic community. Website Einstelling supports them with an Open Letter among other things. People such as Mikkelsen point to the ‘guilt by association‘ premises that lies beneath the accusations against them. […]